Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 15.10.2009

LSG Berlin und Brandenburg: gerichtshof für menschenrechte, ddr, europäische menschenrechtskonvention, verwaltungsakt, erlass, auflage, vertagung, zusatzrente, erwerbsunfähigkeit, arbeitsentgelt

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 15.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 15 KN 47/04
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 33 R 290/09 WA
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2007 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zahlung einer höheren Regelaltersrente.
Dem 1937 geborenen Kläger, der sein Erwerbsleben weit überwiegend in der DDR verbracht und der einem Zusatz-
oder Sonderversorgungssystem zu keiner Zeit angehört hatte, gewährte die Landesversicherungsanstalt Berlin mit
Bescheid von Dezember1993 seit dem 1. Juli 1991 eine Rente und eine Zusatzrente wegen Invalidität, die zum 1.
Januar 1992 mit Bescheid vom 23. Februar 1994 in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem Sechsten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI) umgewertet worden war. Seine auf die Zahlung einer höheren Invaliden- bzw.
Erwerbsunfähigkeitsrente gerichtete Klage wies das Landessozialgericht Berlin rechtskräftig mit Beschluss vom 20.
Juni 2001 – L 8 RJ 13/00 – ab. Die vom Kläger erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (BSG,
Beschluss vom 25. April 2003 – B 5 RJ 196/01 B –).
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 2. April 2004 einen Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente dem Grunde
nach ab dem 1. November 2002 an und gewährte ihm vorläufig Rentenvorschüsse. Sie wies zugleich darauf hin, dass
die endgültige Höhe der Rentenleistung erst mit dem abschließenden Rentenbescheid festgelegt werde und die
Rentenvorschüsse gegen die später endgültig festzusetzende Rente aufgerechnet werden würden. Sollte sich dabei
eine zu hohe Vorschusszahlung herausstellen, sei der Kläger verpflichtet, die überzahlten Beträge unter Beachtung
der Vorschriften des § 42 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) zurückzuzahlen. Bei der Berechnung der
Vorschüsse seien im Einzelnen bezeichnete Zeiten nicht berücksichtigt worden, da sie weder nachgewiesen noch
glaubhaft gemacht worden seien. Sobald die Ermittlungen insofern abgeschlossen seien, würde der Kläger einen
endgültigen Bescheid erhalten. Dem Bescheid war eine mit "Rentenbescheid" überschriebene Rentenberechnung vom
24. März 2004 beigefügt.
Den am 13. April 2004 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2004 mit der
Begründung zurück, sie habe zwar feststellen können, dass und ab wann ein Rentenanspruch gegeben sei, es habe
aber offen bleiben müssen, in welcher Höhe der Anspruch bestehe, da die dahingehenden Ermittlungen noch nicht
abgeschlossen seien. In pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens habe sie die Rente daher nach dem bisherigen
Stand der Sachaufklärung vorläufig berechnet und den ermittelten Betrag als Vorschuss festgesetzt. Eine höhere
Vorschusszahlung sei derzeit nicht möglich.
Der Kläger hat am 17. August 2004 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, zu deren Begründung er vorgetragen hat,
die Regelaltersrente sei unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten zu leisten. Im Übrigen seien seine Ansprüche
auf Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. aus der Sozialversicherung der DDR und die Ansprüche,
die er in einem zusätzlichen Versorgungssystem bzw. in der FZR der DDR erworben habe, in der Höhe, in der sie
rechtmäßig zur Ergänzung der Versichertenrente zu einer Vollversorgung erworben worden seien, zu berücksichtigen.
Mit Bescheid vom 22. September 2005 hat die Beklagte die Regelaltersrente des Klägers endgültig festgestellt und
zugleich darauf hingewiesen, dass eine Änderung gegenüber dem Bescheid vom 2. April 2004 nicht eingetreten sei.
Weitere rentenrechtliche Zeiten seien nicht zu berücksichtigen, da diese nicht nachgewiesen und nicht glaubhaft
hätten werden können. Ermittlungsversuche in den Lohnarchiven seien ohne Erfolg verlaufen. Insoweit sei der
Vorschussbescheid vom 2. April 2004 nunmehr als endgültiger Rentenbescheid anzusehen und gelte nur noch in
Verbindung mit dem Bescheid vom 22. September 2005.
Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 11. Juli 2007 abgewiesen und im
Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Der mit der Klage ursprünglich
angefochtene Vorschussbescheid sei mit Erlass der endgültigen Rentenfeststellung erledigt. Der Rentenbescheid vom
22. September 2005 sei nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Klage sei auch nicht in Bezug auf
diesen Bescheid zulässigerweise erweitert worden. Selbst wenn der am 21. Juli 2006 beim Sozialgericht
eingegangene Schriftsatz des Klägers, mit dem dieser an seinem bisherigen Vorbringen festgehalten hat, als
Widerspruch gegen den Rentenbescheid vom 22. September 2005 gewertet werden würde, wäre die insofern
geänderte Klage jedenfalls unzulässig, weil die Widerspruchsfrist von einem Monat unter Berücksichtigung der
zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versäumt worden sei.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 1. August 2007 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-
Brandenburg eingelegt, zu deren Begründung er auf sein Vorbringen in der ersten Instanz und im Vorverfahren
verwiesen hat.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juli 2007 aufzuheben und nach den Anträgen aus dem
Schriftsatz vom 11. Juli 2006 zu entscheiden.
Darin beantragt der Kläger wörtlich:
"1.1. Der Kläger beantragt hilfsweise, zunächst Beweis zu erheben, um aufgrund einer umfassenden Feststellung des
Sachverhalts, des für ihn unüberschaubaren Geschehens und der tatsächlichen Auswirkungen der angefochtenen
Bescheide und der zugrunde liegenden Vorschriften des RÜG eine ausreichende Grundlage für eine fundierte
Einschätzung zu haben, ob ihm ein diskriminierendes unverhältnismäßig vermindertes, den Einigungsvertrag sowie
seine Grund- und Menschenrechte verletzendes Alterseinkommen zugemessen worden ist. Dabei ist insbesondere
Beweis zu erheben über den Erwerb von Anwartschaften auf Ansprüche aus der Pflichtversicherungsrente der SV und
aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung während des Arbeitslebens und in Versicherungsverhältnissen in der
DDR, die auf eine angemessene Alterssicherung gerichtet sind und über den Wert, den diese
Anwartschaften/Ansprüche zum 1. Juli 1990 und zum 31. Dezember 1991 erreicht hatten, sowie über den Erwerb von
Anwartschaften auf Ansprüche aus der Pflichtversicherung der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit ab dem 1. Juli
1990 bis jetzt bzw. bis zum späteren Eintritt in den Ruhestand als Altersrentner und über die Verweigerung des
Erwerbs von Anwartschaften auf Ansprüche zur Aufstockung der Versicherung zu einer Vollversorgung und nach der
Zahlbetragsgarantie gemäß Art. 30 Abs. 5 EV, nach der derzeitigen Verfahrensweise gemäß SGB VI, nach der
Verfahrensweise analog § 307a SGB VI i.d.F. des 2. AAÜG-ÄndG."
In diesem Rahmen seien die im Einzelnen vom Prozessbevollmächtigten näher ausgeführten Fragen zu beantworten.
"2. In der Sache selbst wird beantragt, den Bescheid vom [sinngemäß 22. September 2005] aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, dem Kläger ein höheres Alterseinkommen aus den von ihm in seinem Arbeitsleben
rechtmäßig erworbenen Anwartschaften auf Ansprüche auf ein angemessenes Alterseinkommen zu gewähren. Dazu
sind die seit Rentenbeginn erteilten Bescheide und Widerspruchsbescheide abzuändern. Der Anspruch des Klägers
auf Renten aus der SV und aus der FZR sind in ihrer realen Höhe zu berücksichtigen und an die Lohn- und
Einkommensentwicklung im Beitrittsgebiet anzupassen, in der diese Ansprüche in der DDR rechtmäßig erworben und
als Eigentum in die Bundesrepublik Deutschland mitgebracht wurden. Es sind analog der Regelung für die
Bestandsrentner der Zahlbetragsschutz des EV sowie ein angemessener Eigentums-, realer Bestands- und
dauerhafter Vertrauensschutz zu gewähren. Dazu sind insbesondere 2.1 das Eigentum des Klägers, das er in Form
von Ansprüchen und Anwartschaften aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland mitgebracht hat, umfassend zu
achten, die Ansprüche auf Rente aus der SV und auf Zusatzrente aus der FZR in Übereinstimmung mit dem
Zahlbetragsschutz des EV, zum 31. Dezember 1991 erhöht um 6,84 % und ab 1. Juli 1990 (zunächst fiktiv)
angepasst wie die Löhne und Einkommen im Beitrittsgebiet, zu berücksichtigen und ab Rentenbeginn nach den
gleichen Konditionen zu gewähren, wie sie vom EV für Bestandsrentner vorgesehen und vom BVerfG (BVerfGE 100,
1 ff.) bestätigt wurden; 2.2 die Versichertenrente nach dem SGB VI unter Berücksichtigung der
Anwartschaften/Anwartschaften im Rahmen der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 260 SGB VI und
nicht abgesenkt auf die verfassungswidrige besondere Beitragsmessungsgrenze Ost (§§ 228a und 256a SGB VI) zu
berechnen, also auch nicht nach dem ebenfalls verfassungswidrigen besonderen Alterssicherungsrecht Ost zu
berechnen, und die Zusatzrentenansprüche aus dem Versorgungssystem anzuerkennen, die in der DDR per Gesetz,
Anordnung, Verwaltungsakt und Versicherungsvertrag dauerhaft zum Erhalt des im Berufsleben erworbenen
Lebensniveaus zugesichert worden sind; die Versichertenrente ist damit unter Einbeziehung der in der Bundesrepublik
ab 1. Juli 1990 ergänzend erworbenen Anwartschaften zu einer mit Eintritt des Leistungsfalls im Rentenrecht
lebensstandardwahrenden Vollversorgung aufzustocken; 2.3 der Bescheid über die Beitragsänderungen zum 1. April
2004 aufzuheben und die Anpassungen der Rente sowie die Rentenangleichung Ost an West zum 1. Juli 2003, 1. Juli
2004, 1. Juli 2005 sowie zum 1. Juli 2006 nach den verbindlichen Vorgaben des EV und des GG durchzuführen, wobei
zu berücksichtigen ist, dass der Anspruch auf die "Anpassung Ost" nach dem Leiturteil des BVerfG vom 28. April
1999 unter Eigentumsschutz steht (BVerfGE 100, 1 (44, 54)). 2.4 Die Zeiträume vom 1. September 1952 bis 18. März
1954, 30. Juni 1954 bis 12. Juli 1955, 22. September 1955 bis 8. Juli 1956, 15. August 1956 bis 9. Oktober 1956, 10.
November 1956 bis 8. Juli 1957, 20. Juli 1957 bis 2. Dezember 1957, 20. Februar 1958 bis 13. Juli 1958, 5. April 1960
bis 31. Dezember 1960, 23. März 1961 bis 31. Dezember 1963 sind als rentenrechtliche Zeiten rentensteigernd zu
berücksichtigen. 2.5 Die sich aus den unterschiedlichen Berechnungsarten des Alterseinkommens ergebenden
Resultate sind zu vergleichen; der höchste Betrag ist zu zahlen."
Der Kläger beantragt ferner,
den Termin zu verlegen, um ergänzend in der Berufungssache Stellung zu nehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der seinerzeit zuständige Berichterstatter des Senats hat das Berufungsverfahren in der Annahme des Eintritts einer
Fiktion der Berufungsrücknahme im Januar 2009 eingestellt. Der Senat hat es auf Antrag des Klägers im Termin vom
15. Oktober 2009 fortgesetzt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind, soweit
erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung gilt nicht in entsprechender Anwendung des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen. Nach
dieser Vorschrift gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger sie trotz Aufforderung des Gerichts länger als
drei Monate nicht betreibt. Die Norm gilt gemäß § 153 Abs. 1 SGG für das Berufungsverfahren entsprechend. Danach
gelten die Vorschriften im ersten Rechtzug mit Ausnahme der §§ 91, 105 SGG entsprechend, soweit sich aus diesem
Unterabschnitt nichts anderes ergibt. Dies ist nicht der Fall (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 18. März 2009 – L 1 R 9/09
– Juris RdNr. 14 m.w.N., Revision anhängig: BSG – B 5 R 58/09 R –; a.A. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. 2008, § 156 RdNr. 1b).
Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Rücknahmefiktion entsprechend § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG sind vorliegend
nicht gegeben. Für eine die Fiktion der Klagerücknahme bzw. hier der Berufungsrücknahme auslösende
Betreibensaufforderung ist nur Raum, wenn zum Zeitpunkt ihres Erlasses begründete Zweifel am Fortbestand des
Rechtsschutzinteresses des Klägers bestehen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juli 2000 – 8 B 119/00 – Juris
RdNr. 3 und vom 12. April 2001 – 8 B 2/01 – Juris; BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1993 – 2 BvR 1972/92 – Juris
RdNr. 14; Roller in Lüdtke (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 3. Auflage 2008, R 102 RdNr. 18; Rennert in Eyermann
(Hrsg.), VwGO, 12. Auflage 2006, § 92 RdNr. 16). Wenn am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses dagegen
vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können, verfehlt eine Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens ihren
Zweck und führt die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion nicht herbei (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2000,
a.a.O.). Ein derartige Zweifel begründender Anlass könnte sich hier allein aus einer Verletzung prozessualer
Mitwirkungspflichten des Klägers ergeben (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 23. April 1985 – 9 C 48/84 – Juris RdNr.
23). Solch ein Sachverhalt liegt jedoch nicht vor.
Der Umstand, dass der Kläger, der im erstinstanzlichen Verfahren zu seinem Klagebegehren schriftsätzliche
Ausführungen gemacht hatte, in seiner Rechtsmittelschrift keine weitere Begründung für seine Berufung gegeben hat,
stellt einen solchen Anlass nicht dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 1985, a.a.O.). Denn eine Pflicht zur
Begründung der Berufung sieht das Sozialgerichtsgesetz nicht vor (vgl. § 151 Abs. 3 SGG; vgl. auch LSG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 6. August 2009 – L 14 AS 1005/09 B – Juris RdNr. 14 in Bezug auf eine unterbliebene
Klagebegründung). Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufung vom 1. August 2007 auch dann
nicht näher begründet, nachdem er hierzu aufgefordert worden ist. Unabhängig davon aber, ob insoweit eine
eigenständige Pflicht zur prozessualen Mitwirkung begründet wird, welches grundsätzlich in Betracht kommt (vgl.
BVerfG, a.a.O.), war die Berufung hier bereits mit ihrer Einlegung zumindest ansatzweise unter Verweis auf das
Vorbringen insbesondere in der ersten Instanz begründet worden. Soweit der Kläger auch auf die auf §§ 155 Abs. 1,
106 Abs. 1 SGG gestützte Aufforderung von Mai 2008, mitzuteilen, ob gegen den Bescheid vom 22. September 2005
Widerspruch erhoben worden sei, nicht reagiert hat, begründete auch dies keine erheblichen Zweifel am Fortbestand
seines Rechtsschutzinteresses. Denn der Kläger hat unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen weiterhin
die Rechtsauffassung vertreten, der Bescheid vom 22. September 2005 sei gemäß § 96 SGG unmittelbar Gegenstand
des anhängigen Klageverfahrens geworden, so dass aus seiner Sicht die Erhebung eines isolierten Widerspruchs
entbehrlich war. Im Übrigen hatte die Beklagte mit Schriftsatz von November 2006 mitgeteilt, dass der Kläger gegen
diesen Bescheid nicht Widerspruch erhoben hatte. Aufklärungsverfügungen des Gerichts aber, die im Rahmen der
Amts¬aufklärung nicht notwendig sind, weil sich bereits aus dem vorliegenden Akteninhalt ausreichende
Anhaltspunkte für die Beantwortung der konkret gestellten Frage ergeben, können eine gegebenenfalls mit der
Rücknahmefiktion sanktionierte prozessuale Pflicht zur prozessualen Mitwirkung nicht begründen.
Im Übrigen hat der Kläger aufgrund des auf die Betreibensaufforderung übersandten Schriftsatzes vom 11. Dezember
2008 in ausreichender Art und Weise dokumentiert, vorläufig noch ein Interesse an der Fortführung der Berufung zu
haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat ein Kläger das Verfahren im Sinne des
Gesetzes nicht mehr betrieben, wenn er innerhalb der gesetzlich normierten Dreimonatsfrist nicht substantiiert
dargetan hat, dass und warum sein Rechtsschutzbedürfnis trotz des berechtigten Zweifels an seinem Fortbestand
nicht entfallen ist. Das kann je nach Aufforderungsanlass auf verschiedene Weise geschehen. Beruhen die Zweifel
auf einer Vernachlässigung der prozessualen Mitwirkungspflicht, muss sich aus der Reaktion des Klägers ergeben,
dass diese entgegen dem äußeren Anschein nicht begründet sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 1985, a.a.O.;
Roller, a.a.O., RdNr. 18). Indem der Kläger mit dem vorgenannten Schriftsatz noch im Dezember 2008 darauf hat
hinweisen lassen, dass aufgrund des Todes seiner Ehefrau grundsätzliche Fragen in Bezug auf das Verfahren zu
klären seien, hat er, orientiert am Aufforderungsanlass – nämlich der angeforderten weiteren Berufungsbegründung
und der Frage nach der Erhebung eines Widerspruchs sowie schließlich des Hinweises auf ein Ausbleiben einer
Stellungnahme zum Schriftsatz der Beklagten vom 23. Mai 2008 (wonach es dieser aufgrund der dort vorhandenen
Unterlagen nicht erkennbar sei, ob Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. September 2005 erhoben worden sei) –
in ausreichender Weise gegebenenfalls bestehende Zweifel am Fortbestand seines Rechtsschutzinteresses innerhalb
der Frist beseitigt.
2. Der Senat konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2009 verhandeln und entscheiden. Dem
sinngemäßen Antrag des Klägers, die Verhandlung zu vertagen, war nicht zu entsprechen.
Nach der Vorschrift des § 227 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), die gemäß § 202 SGG auch für das
sozialgerichtliche Verfahren gilt (vgl. nur BSG, Beschluss vom 15. Dezember 2008 – B 12 KR 60/07 B – Juris RdNr. 8
und vom 13. November 2008 – B 13 R 277/08 B – Juris RdNr. 15), kann aus erheblichen Gründen ein Termin
aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind nur solche Umstände, die
auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des auch im Sozialgerichtsprozess
geltenden Gebotes der Konzentration und Beschleunigung (vgl. etwa § 106 Abs. 2 SGG) erfordern, also wenn einem
Verfahrensbeteiligten oder seinem Prozessbevollmächtigten infolge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit
abgeschnitten wird, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2008 – 4 B
42.07 – Juris RdNr. 19). Allerdings sind nach § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO (in der Fassung vom 17. Dezember
2008, BGBl. I, S. 3202) erhebliche Gründe nicht die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies
genügend entschuldigt. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) liegt also nur dann vor, wenn
einem Prozessbeteiligten trotz zumutbarer Eigenanstrengungen die Möglichkeit zur ausreichenden Äußerung
verweigert oder abgeschnitten wird (vgl. VGH München, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 7 ZB 06.3284 – Juris
RdNr. 16).
Nach diesen Maßstäben lag hier ein Vertagungsgrund nicht vor. Der Kläger hatte seit Einlegung der Berufung im Juli
2007 ausreichend Gelegenheit, sich in der Sache zu äußern, zumal der Senat den Kläger hierzu wiederholt,
schließlich im September 2008 zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert hat. Im Termin vom 15. Oktober 2009
hatte der Kläger – und ein von seinem Prozessbevollmächtigten unterbevollmächtigter Terminsvertreter – nochmals
Gelegenheit, sich zu allen wesentlichen Tatsachen zu äußern (vgl. § 112 Abs. 2 SGG). Soweit der Terminsvertreter
des Prozessbevollmächtigten nach Erörterung der Sach- und Rechtslage und nach Stellung der Sachanträge eine
Vertagung mit der Begründung begehrt hat, ihm sei vom Prozessbevollmächtigten mitgeteilt worden, im Termin würde
nur über die Frage der Fortsetzung des Berufungsverfahren verhandelt werden, so dass er sich in der Sache nicht
ausreichend vorbereitet habe, begründete dies keinen Vertagungsgrund zur Gewährleistung rechtlichen Gehörs.
Abgesehen davon, dass der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter, wie ausgeführt, bereits vor der
zwischenzeitlich unter der Annahme des Eintritts einer Rücknahmefiktion erfolgten Verfahrenseinstellung ausreichend
Gelegenheit hatten, sich zur Sache zu äußern oder eine entsprechende Äußerung in einem Termin vorzubereiten, und
sich der Kläger im Übrigen auch nach der ausdrücklichen Fortsetzung des Berufungsverfahrens im Termin zur Sache
geäußert hat, sind eine Vertagung gebietende Gründe nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Senat weder angekündigt
noch sonst Anlass zur Annahme gegeben, dass im Termin vom 15. Oktober 2009 ausschließlich über die Frage der
Fortsetzung des Verfahrens entschieden und nicht – für den Fall, dass er diese Frage zu Gunsten des Klägers
entschiede – auch in der Sache verhandeln würde. Gegenteiliges würde im Übrigen dem prozessualen
Beschleunigungs- und Konzentrationsgebot offensichtlich zuwiderlaufen.
3. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar ist die Klage, anders als vom
Sozialgericht ausgeführt, zulässig. Sie ist aber unbegründet.
Die Klage ist zulässig, insbesondere fehlt dem Kläger nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick
darauf, dass sich der mit der Klage zunächst angefochtene vorläufige Bescheid erledigt hat. Denn Gegenstand der mit
der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. §§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) begehrten
höheren Regelaltersrente ist der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2005, der den mit der Klage ursprünglich
angefochtenen vorläufigen Bescheid vom 2. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2004
in unmittelbarer Anwendung der hier aus Gründen der Rechtssicherheit noch anwendbaren, bis zum 31. März 2008
geltenden Fassung des § 96 Abs. 1 SGG (Fassung des Gesetzes vom 23. September 1975, BGBl. I S. 2535) ersetzt
hat, und damit kraft Gesetzes Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens geworden ist. Danach wird ein nach
Klageerhebung ergehender neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn er den angefochtenen
Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn, wie hier, im Verlauf eines gerichtlichen
Klageverfahrens ein vorläufiger Bescheid durch einen endgültigen Bescheid ersetzt wird, der in vollem Umfang den
Zeitraum erfasst, der bereits vorläufig geregelt worden ist (vgl. BSG, Urteile vom 24. Januar 2003 – B 12 KR 18/02 R
– Juris RdNr. 22 und vom 3. Dezember 1997 – 6 RKa 21/97 – Juris RdNr. 11; vgl. auch Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 96 RdNr. 9b bzw. ders. 9. Auflage 2008, § 96 RdNr. 9b).
Bei dem mit der Klage ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 2. April 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2004 handelte es sich um einen Vorschussbescheid nach § 42 Abs. 1 Satz 1
SGB I, mithin einen sogenannten vorläufigen bzw. einstweiligen Verwaltungsakt (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar
zum Sozialversicherungsrecht, Stand: März 2005, § 42 SGB I RdNr. 6 f.). Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der
zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn dem Grunde nach ein Anspruch auf Geldleistungen besteht und
zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. So lag es hier. Die Beklagte hatte sich mit
dem Vorschussbescheid ausdrücklich den Erlass eines "endgültigen" Bescheides vorbehalten, indem sie auf die
Vorläufigkeit der Bewilligung der Rentenhöhe hingewiesen und betont hatte, die Entscheidung lasse keinen
Rückschluss auf die endgültige Höhe der Leistung zu; sofern nach abschließender Prüfung kein Anspruch auf die
vorläufig gewährten Leistungen bestehe, seien die jeweiligen Beträge zurückzuzahlen. Im Hinblick auf die eindeutige
Formulierung des Bescheides war nach dem Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten unzweifelhaft zu
erkennen, dass es sich um eine vorläufige Regelung im Sinne einer Vorschussgewährung nach § 42 Abs. 1 Satz 1
SGB I handelte und über die Leistungshöhe abschließend erst in einem weiteren Bescheid entschieden werden sollte
(vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Juni 1999 – B 9 V 4/99 R – Juris RdNr. 14).
Der vorläufige Bescheid vom 2. April 2004in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli2004 hat mit Erlass
des Bescheides vom 22. September 2005 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X "auf andere Weise" seine Erledigung gefunden.
Vorläufige Verwaltungsakte schaffen lediglich für die Dauer ihres Bestehens, also für einen begrenzten Zeitraum,
Rechtssicherheit und Rechtswirkungen zwischen den Beteiligten. Schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand eines
solchen Verwaltungsaktes besteht grundsätzlich nur für die Dauer des Verwaltungsverfahrens bis zum Erlass des
abschließenden Verwaltungsaktes (Seewald, a.a.O., RdNr. 7). Die Bindungswirkung gemäß § 77 SGG bzw. die
Regelungswirkung im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG ist daher von vornherein auf den Zeitpunkt des Erlasses
des endgültigen Verwaltungsakts begrenzt und entfällt sodann (vgl. BSG, Urteile vom 24. Januar 2003 – B 12 KR
18/02 R – Juris RdNr. 16 und vom 16. Juni 1999, a.a.O., RdNr. 16).
Nachdem der Kläger sein Begehren auch nicht im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis ausdrücklich auf den
ursprünglichen Bescheid beschränkt hat, liegt hier ein Fall der gesetzlichen Klageänderung vor, ohne dass es weiterer
Prozesshandlungen oder der Durchführung eines weiteren Vorverfahrens bedurft hätte.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 22. September 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht
in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Regelaltersrente.
Soweit der Kläger weitere rentenerhebliche Zeiten vom 1. September 1952 mit Unterbrechungen bis 31. Dezember
1963 geltend macht, sind diese nicht zu berücksichtigen. Dahinstehen kann, ob im Falle des Klägers, dessen seit
dem 1. Juli 1991 gewährte Rente und Zusatzrente wegen Invalidität zum 1. Januar 1992 in eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit nach dem SGB VI umgewandelt worden war und der seit dem 1. November 2002 Regelaltersrente
erhält, die Vorschrift des § 286b Satz 1 SGB VI anwendbar ist, wonach die dem Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen zugrunde liegenden Zeiträume als Beitragszeit anzuerkennen sind, wenn Versicherte glaubhaft
machen, dass sie im Beitragsgebiet in der Zeit vom 9. Mai 1945 bis 31. Dezember 1991 ein beitragspflichtiges
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt haben, oder aber, wie der Kläger meint, diejenige des § 307c Abs. 2
Satz 1 SGB VI, wonach dann, wenn bei der Neuberechnung Unterlagen nicht zur Verfügung stehen und der
Berechtigte glaubhaft erklärt, dass auch er über Unterlagen nicht verfügt und diese auch nicht beschaffen kann, zur
Feststellung von Art und Umfang der rentenrechtlichen Zeiten von seinem Vorbringen auszugehen ist, es sei denn, es
liegen Anhaltspunkte vor, dass dieses nicht zutrifft. Denn der Kläger hat unabhängig von der rechtskräftigen
Abweisung der auf die Zahlung einer höheren Rente (Invalidenrente bzw. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit), und zwar
insbesondere unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten, gerichteten Klage mit Beschluss des
Landessozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2001 – L 8 RJ 13/00 – keine konkreten Tatsachen in Bezug auf etwaige
weitere anzuerkennenden Zeiten vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht. Nachdem sich für über die bereits
vom Sozialgericht Berlin im Verfahren S 21 RJ 1465/94 durchgeführte Beweisaufnahme hinaus keine Anhaltspunkte
für die Durchführung von Ermittlungen von Amts wegen aufdrängen, verweist der Senat zur Begründung insofern in
entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf den vorgenannten rechtskräftigen klageabweisenden
Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2001, und zwar sinngemäß auch hinsichtlich des Zeitraums
von September 1962 bis 31. Dezember 1963.
Hinsichtlich der weiteren Anträge des Klägers ist nicht feststellbar, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 22.
September 2005, und zwar auch gemessen an den erstinstanzlich getätigten, vielfach allgemeinpolitischen
Ausführungen des Prozessbevollmächtigten zur Überleitung von in der DDR erworbenen Rentenanwartschaften in das
System der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI, rechtswidrig ist.
Soweit der Kläger (hilfsweise) die Erhebung weiterer Beweise begehrt, war den dahingehenden Anträgen nicht
nachzugehen. Abgesehen davon, dass die Beweisanträge bereits unsubstantiiert sind, da keine konkreten
Tatsachenbehauptungen unter Beweis gestellt und Beweismittel benannt werden, ist der entscheidungserhebliche
Sachverhalt geklärt; die mit den Anträgen aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich entschieden (vgl. den
auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ergangenen Beschluss des BSG vom 25. April 2003 – B 5 RJ
196/01 B – sowie BVerfG, Urteil vom 28. April 1999 – 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 – Juris). Sonstige Verstöße gegen
Verfassungsrecht oder die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sind nicht ersichtlich. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits mehrfach entschieden, dass der deutsche Gesetzgeber bei den Fragen,
die sich durch den Übergang von einem kommunistischen Regime zu einem demokratischen und
marktwirtschaftlichen System zwangsläufig gestellt haben, über einen weiten Ermessensspielraum verfügte, ohne
dass etwa in Bezug auf die Einführung der verschiedenen Stichtage für den Rentenüberleitungsschutz eine Verletzung
der EMRK festzustellen gewesen wäre (vgl. EGMR, Entscheidung vom 25. September 2007 – 12923/03 – Juris).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Klägers beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.