Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.07.2004

LSG Berlin-Brandenburg: treu und glauben, krankenkasse, begründung des urteils, krankenversicherung, beitragspflicht, hinterbliebenenrente, aufrechnung, verwirkung, verschulden, anteil

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 KR 202/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 51 Abs 2 SGB 1 vom
30.07.2004, § 28g S 3 SGB 4
vom 21.03.2005, § 202 S 4 SGB
5 vom 13.06.1994, § 255 Abs 1
SGB 5 vom 21.03.2005, § 255
Abs 2 S 1 SGB 5 vom
21.03.2005
(Krankenversicherung - Pflegeversicherung - Beitragspflicht -
nachträglicher Einbehalt von rückständigen Beiträgen aus
Versorgungsbezügen - keine analoge Anwendung von § 28g S 3
SGB 4 - Verfassungsmäßigkeit)
Leitsatz
§ 28 g Satz 3 SGB IV ist im Rahmen von § 255, § 256 SGB V nicht analog anzuwenden. Dies
verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar
2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine von der Beklagten vorgenommene
Beitragsabführung in Höhe von insgesamt 5.033, 33 €.
Die im September 1935 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der
Beigeladenen und bezieht neben einer Alters- und einer Hinterbliebenenrente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung (beides zumindest seit Januar 1999) seit dem Tod ihres
Ehemannes im Jahre 1984 - zunächst von der M B AG, seit Januar 2000 infolge eines
Betriebsübergangs von der Beklagten - eine Hinterbliebenenrente aus der betrieblichen
Altersversorgung. Im Laufe des Jahres 2003 teilte die Beigeladene der Klägerin und der
Beklagten mit, dass auf diese Versorgungsbezüge bislang keine Beiträge zur
gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung entrichtet worden
seien und dass sie die noch nicht verjährten Beiträge, d.h. seit dem 1. Januar 1999,
nunmehr nachfordere. Nachdem die Beigeladene diese rückständigen Beiträge zunächst
von der Klägerin eingefordert hatten (Bescheide vom 11. Dezember 2003 und 13. Januar
2004), hob sie diese Bescheide auf den Widerspruch der Klägerin auf und teilte ihr mit,
die aus den Versorgungsbezügen zu zahlenden Krankenversicherungsbeiträge habe die
Zahlstelle der Versorgungsbezüge abzuführen (Bescheide vom 8. und 14. April 2004).
Bereits mit Schreiben vom 09. Januar 2004 hatte die Beklagte der Klägerin mitgeteilt,
dass sie rückständige Beiträge mit den laufenden Bezügen der Klägerin verrechnen
werde. Von Dezember 2004 bis einschließlich Juni 2005 verrechnete die Beklagte die von
ihr im Zeitraum von Dezember 1999 bis März 2002 nicht abgeführten rückständigen
Beiträge in Höhe von insgesamt 5.033,33 €.
Mit ihrer am 26. August 2005 erhobenen Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, § 28
g Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) sei bei der Auslegung von § 256
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ergänzend heranzuziehen. Der in § 28 g SGB IV
enthaltene Schutzgedanke zugunsten des Beschäftigten müsse auch im Rahmen von §
256 SGB V zur Anwendung kommen, da diese Vorschrift einen entsprechenden Schutz
nicht vorsehe und anderenfalls Rentner bei Nachzahlungen von
Sozialversicherungsbeiträgen entgegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) schlechter gestellt
seien als Beschäftigte.
Die Beklagte hat den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bezweifelt.
Auch sei sie nicht die richtige Anspruchsgegnerin, da die Erstattung überzahlter Beiträge
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Auch sei sie nicht die richtige Anspruchsgegnerin, da die Erstattung überzahlter Beiträge
nach § 256 Abs. 2 Satz 4 SGB V Aufgabe der zuständigen Krankenkasse sei. Im Übrigen
sei der Einbehalt der Beiträge zu Recht erfolgt.
Mit von den Beteiligten nicht angegriffenem Beschluss vom 08. Dezember 2005 hat das
Sozialgericht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für zulässig
erklärt und mit Urteil vom 16. Januar 2007 sodann die Klage abgewiesen. Zur
Begründung des Urteils hat es ausgeführt, der von der Klägerin erhobene Anspruch
scheitere zwar nicht an der Passivlegitimation der Beklagten. Der Anspruch sei jedoch
infolge Aufrechnung untergegangen. Dem Anspruch der Beklagten auf Abzug der
Beiträge aus § 256 Abs. 2 Satz 1 SGB V i.V.m. § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V habe § 28 g
Satz 3 SGB IV nicht entgegengestanden, da diese Regelung weder unmittelbar noch
analog – letzteres mangels einer planwidrigen Regelungslücke – anwendbar sei. Auch
eine Ungleichbehandlung nach Artikel 3 Abs. 1 GG liege nicht vor.
Gegen dieses ihr am 24. Januar 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der
Klägerin vom 23. Februar 2007, mit der sie im Wesentlichen ihr erstinstanzliches
Vorbringen wiederholt. Ergänzend bringt sie vor, dass die Beiträge nicht von der
Beklagten hätten eingezogen werden dürfen, da die Beigeladene keinen
Beitragsbescheid gegenüber der Klägerin erlassen und kein Verwaltungsverfahren
durchgeführt habe. Trotz Kenntnis bzw. Kennenmüssens der Beitragspflicht sei die
Beklagte zwei Jahre lang untätig geblieben und habe die ausstehenden Beiträge nicht
eingezogen. Es sei unverhältnismäßig, dass Betriebsrentner trotz Verschuldens des
Arbeitgebers unter der Armutsgrenze leben müssten. Die Klägerin habe auf eine
korrekte Abwicklung durch die Beklagte vertraut und daher keine Vorkehrungen und
Maßnahmen getroffen, um den Nachteil, der durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts entstanden sei, auszugleichen. Sie habe keine Rücklage für eine 4jährige
Beitragsnachzahlung gebildet. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 12.
September 2006 (Az.: 3 AZR 806/05), auf das die Beigeladene hingewiesen habe,
überzeuge nicht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2007 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, an sie 5.033,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 21. Februar 2004 zu zahlen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Diese beiden Beteiligten halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens
der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der
Beigeladenen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage
abgewiesen. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch besteht nicht.
1. Die Klägerin begehrt im Ergebnis die nicht auf Grund der Verrechnung mit
rückständigen Beitragsansprüchen geschmälerte Zahlung ihrer Hinterbliebenenrente
aus der betrieblichen Altersversorgung ihres verstorbenen Ehemannes. Als
Anspruchsgrundlage kommt daher nur die ihren Ehemann betreffende
Versorgungszusage i.V.m. § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen
Altersversorgung (BetrAVG) in Betracht, wobei der konkrete Rechtsgrund der
Versorgungszusage (individual- oder kollektivrechtliche Versorgungsvereinbarung,
betriebliche Übung, Gleichbehandlungsgrundsatz) offen bleiben kann, da der Anspruch
der Klägerin auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente - auch der Höhe nach - unstreitig
ist.
a. Die Klägerin hat jedoch zu dulden, dass die Beklagte nach § 256 Abs. 2 Satz 1 i. V. m.
§ 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V rückständige Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung
aus der von ihr geleisteten betrieblichen Altersversorgung einbehalten hat, denn dieser
Einbehalt erfolgte zu Recht.
§ 256 SGB V enthält in seinen ersten beiden Absätzen folgende Regelungen:
„(1) Für Versicherungspflichtige, die eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung
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„(1) Für Versicherungspflichtige, die eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung
beziehen, haben die Zahlstellen der Versorgungsbezüge die Beiträge aus
Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige Krankenkasse zu zahlen. Die
zu zahlenden Beiträge werden fällig mit der Auszahlung der Versorgungsbezüge, von
denen sie einzubehalten sind. Die Zahlstellen haben der Krankenkasse die
einbehaltenen Beiträge nachzuweisen. Bezieht das Mitglied Versorgungsbezüge von
mehreren Zahlstellen und übersteigen die Versorgungsbezüge zusammen mit dem
Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung die
Beitragsbemessungsgrenze, verteilt die Krankenkasse auf Antrag des Mitglieds oder
einer der Zahlstellen die Beiträge.
(2) § 255 Abs. 2 Satz 1 und 2 gilt entsprechend. Die Krankenkasse zieht die Beiträge
aus nachgezahlten Versorgungsbezügen ein. Dies gilt nicht für Beiträge aus
Nachzahlungen aufgrund von Anpassungen der Versorgungsbezüge an die
wirtschaftliche Entwicklung. Die Erstattung von Beiträgen obliegt der zuständigen
Krankenkasse. Die Krankenkassen können mit den Zahlstellen der Versorgungsbezüge
Abweichendes vereinbaren.“
§ 255 Absätze 1 und 2 SGB V (in der bis zum 30. September 2005 geltenden, hier
maßgeblichen Fassung) lauten:
„(1) Beiträge, die Versicherungspflichtige aus ihrer Rente zu tragen haben, sind von
den Trägern der Rentenversicherung bei der Zahlung der Rente einzubehalten und
zusammen mit den von den Trägern der Rentenversicherung zu tragenden Beiträgen an
die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für die Krankenkassen mit Ausnahme
der landwirtschaftlichen Krankenkassen zu zahlen. Bei einer Änderung in der Höhe der
Beiträge nach Satz 1 ist die Erteilung eines besonderen Bescheides durch den Träger
der Rentenversicherung nicht erforderlich.
(2) Ist bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen nach Absatz 1
unterblieben, sind die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung
aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten; § 51 Abs. 2 des Ersten Buches gilt
entsprechend. Wird die Rente nicht mehr gezahlt, obliegt der Einzug von rückständigen
Beiträgen der zuständigen Krankenkasse. Der Träger der Rentenversicherung haftet mit
dem von ihm zu tragenden Anteil an den Aufwendungen für die Krankenversicherung.“
Die Voraussetzungen für einen Einbehalt rückständiger Beiträge zur gesetzlichen
Krankenversicherung nach diesen Vorschriften liegen im Falle der Klägerin vor. Zwischen
Dezember 1999 und Juni 2005 war sie versicherungspflichtig und bezog aus der
gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente. Darüber hinaus führte die Beklagte aus
den für die Zeit vom 01. Dezember 1999 bis zum 31. März 2002 gezahlten
Versorgungsleistungen keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ab, obwohl
es sich hierbei um beitragspflichtige Einnahmen der Klägerin (§ 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
SGB V) handelte.
b. Für den Bereich der Pflegeversicherung gilt gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 und § 57 Abs. 1
Satz 1 SGB IX dasselbe.
2. Die von der Klägerin gegen den Einbehalt vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
a. § 28 g Satz 3 SGB IV ist nicht analog anzuwenden.
Nach § 28 g Sätze 1 bis 3 SGB IV (in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden, hier
maßgeblichen Fassung) hat der Arbeitgeber gegen den Beschäftigten einen Anspruch
auf den von diesem zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Dieser
Anspruch kann nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden. Ein
unterbliebener Abzug darf nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen
nachgeholt werden, danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des
Arbeitgebers unterblieben ist.
aa. Zwar sehen § 255 und § 256 SGB V einen parallelen Schutz für Renten- und
Versorgungsbezieher nicht vorsehen. Diese Vorschriften beinhalten jedoch durch den
Verweis auf § 51 Abs. 2 SGB I - diese Norm verbietet eine Aufrechnung, die zur
Sozialhilfebedürftigkeit führen würde - ein anderes Schutzkonzept für die betroffenen
Beitragspflichtigen. Der Gesetzgeber hat also die Gefahr einer unzumutbaren Belastung
der Renten- und Versorgungsbezieher durch den nachträglichen Einbehalt von Beiträgen
erkannt. Damit aber fehlt es an einer Regelungslücke als elementarer Voraussetzung
jeder analogen Rechtsanwendung.
bb. § 255 und § 256 SGB V sind nicht verfassungswidrig.
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Der Senat unterstellt zugunsten der Klägerin, sie habe im Zusammenhang mit ihrem
Anspruch aus der betrieblichen Altersversorgung immer korrekte Angaben gegenüber
der Beklagten gemacht, sodass nur ein Verschulden der Beklagten ursächlich für die
unterbliebene Beitragszahlung sein könnte und ein nachträglicher Beitragsabzug - wäre
die Klägerin Beschäftigte und nicht Betriebsrentnerin gewesen - nicht möglich gewesen
wäre. Diese Ungleichbehandlung verstößt allerdings nicht gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, unter stetiger Orientierung
am Gerechtigkeitsgedanken wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches
ungleich zu behandeln ( BVerfGE 98, 365 m.w.N.). Dabei genügt im Regelungsbereich
des Besoldungs- und Versorgungsrechts ein sachlicher Grund für eine gesetzliche
Differenzierung; der Gesetzgeber muss nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder
gerechteste aller möglichen Lösungen wählen ( BVerfGE 81, 108; 84, 348). Gleiches gilt
bei der Beurteilung der hier streitbefangenen Regelungen.
Einer Überprüfung anhand dieser Maßstäbe hält die Ungleichbehandlung zwischen
Betriebsrentnern und Beschäftigten beim Beitragsabzug stand.
Abzustellen ist hierbei nicht allein darauf, wie ein Abzug den einzelnen
Einkommensberechtigten - Beschäftigte oder Betriebsrentner - trifft. Maßgeblich ist
vielmehr das gesamte Regelungsumfeld. Die Begrenzung der Abzugsmöglichkeit für den
vom Beschäftigten zu tragenden Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag führt
dazu, dass der Arbeitgeber das Risiko trägt, wenn er fehlerhaft Beschäftigte als nicht
sozialversicherungspflichtig behandelt, obwohl sie tatsächlich der
Sozialversicherungspflicht unterfallen. Es ist dem Arbeitgeber nicht möglich, das Risiko,
ob ein bestimmtes Rechtsverhältnis ein sozialversicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis ist oder nicht, teilweise auf den Beschäftigten abzuwälzen.
Dadurch entsteht ein verstärktes Eigeninteresse des Arbeitgebers daran, von vornherein
eine korrekte Abwicklung zu wählen. Eine vergleichbare Interessenlage gibt es
gegenüber den Betriebsrentnern nicht.
Zudem soll das im Interesse des Beschäftigten geschaffene Sozialversicherungssystem
nicht mit der unerwünschten und den Gesetzeszweck beeinträchtigenden
Begleiterscheinung drückender Beitragslast und der Beitragsverschuldung des
Beschäftigten sowie der sich daraus ergebenden Klage-, Vollstreckungs- und sonstigen
Druckmöglichkeiten des Arbeitgebers verbunden sein. Im Interesse beider
Vertragsparteien, die im laufenden Beschäftigungsverhältnis in vielfältiger Weise, u.a.
auch durch die persönliche Anwesenheit des Beschäftigten im Betrieb, miteinander
verbunden sind, soll das Beschäftigungsverhältnis möglichst von derartigen Konflikten
freigehalten werden. Auch insofern entspricht die Interessenlage hinsichtlich der
Berechtigten aus der betrieblichen Altersversorgung nicht der im laufenden
Beschäftigungsverhältnis.
b. Die Beitragsansprüche der Krankenkasse sind auch nicht verwirkt.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist zwar als Ausprägung des Grundsatzes von Treu
und Glauben ( § 242 BGB) auch im öffentlichen Recht allgemein anerkannt (BVerfG, DÖV
1972, 312; BSGE 7, 199, 200; 34, 211; 35, 91, 94; 41, 275, 278). Danach stellt es eine
unzulässige Rechtsausübung dar, wenn ein Recht in Widerspruch zu eigenem früheren
Verhalten geltend gemacht wird, weil der Berechtigte während einer längeren
Zeitspanne dem Verpflichteten gegenüber untätig gewesen ist und besondere
Umstände hinzugetreten sind, aufgrund deren sein Verhalten als Verstoß gegen Treu
und Glauben empfunden wird ( BSGE 34, 211; 35, 91, 94).
Aus dem Zeitraum von zwei Jahren kann die Klägerin den Einwand der Verwirkung
keinesfalls herleiten. Nach der Rechtsprechung des BSG wird regelmäßig eine
Zeitspanne der Untätigkeit von vier Jahren als unterste Grenze angesehen, um
Verwirkung annehmen zu können. Im Übrigen genügt für die Wirksamkeit des
Verwirkungseinwandes die Berufung auf bloßen Zeitablauf nicht. Es müssen noch weitere
Umstände hinzutreten, die nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles und des
in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts
nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen, und
aufgrund derer der Schuldner vertrauen durfte, dass der andere sein Recht nicht mehr
gegen ihn ausüben werde (BSGE 45, 38 m.w.N.).
Außer dem Zeitablauf sind hier jedoch keine Umstände ersichtlich, welche die
Rückforderung als mit der Wahrung von Treu und Glauben nicht vereinbar erscheinen
lassen. Allein aufgrund der Untätigkeit der Beklagten durfte die Klägerin nicht darauf
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lassen. Allein aufgrund der Untätigkeit der Beklagten durfte die Klägerin nicht darauf
vertrauen, sie werde nicht mehr in Anspruch genommen. Zwar mag im Einzelfall auch
ein Unterlassen einen Vertrauensschutz begründen, dann jedoch nur unter der
Voraussetzung, dass das Nichtstun des Gläubigers nach den Umständen als bewusst
und planmäßig betrachtet werden muss (BSG a.a.O.) Solche Umstände sind weder von
der Klägerseite dargetan noch anderweitig ersichtlich. Vielmehr liegen Umstände, aus
denen die Klägerin hätte schließen können, die Beklagte wolle die Beiträge insgesamt
weder durch Beitragsabzug noch in sonstiger Weise geltend machen, ebenfalls nicht vor.
Auch aus der bloßen Untätigkeit der Krankenkasse konnte die Klägerin nicht folgern,
diese wolle ihre Rechte aus den im Interesse der Solidargemeinschaft bestehenden
gesetzlichen Beitragspflichten nicht mehr wahrnehmen.
c. Der Einbehalt von (laufenden oder rückständigen) Beiträgen setzt auch keinen
Verwaltungsakt der Krankenkasse gegenüber dem Bezieher der Versorgungsleistung
voraus.
Für diese Annahme der Klägerseite (ebenso wohl auch, allerdings ohne jegliche
Begründung Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg, Urteil vom 26. März 2004,
Az.: L 4 KR 4285/02, veröffentlicht in Juris, unter Bezugnahme auf das dortige
vorinstanzliche Urteil) finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte. Zwar hat nach § 202
Satz 4 SGB V (in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden, hier maßgeblichen Fassung
- alte Fassung (aF) -) die Krankenkasse der Zahlstelle der Versorgungsbezüge und dem
Bezieher von Versorgungsbezügen unverzüglich die Beitragspflicht des
Versorgungsempfängers, deren Umfang und den Beitragssatz aus Versorgungsbezügen
mitzuteilen. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift („mitzuteilen“) ergibt sich im
Umkehrschluss, dass eine Pflicht der Krankenkasse, eine Regelung im Sinne eines
Verwaltungsaktes (§ 31 SGB X) zu treffen, gerade nicht besteht. Im vorliegenden Fall
kann jedoch offen bleiben, ob die Beigeladene durch ihre Schreiben bzw. Bescheide vom
11. Dezember 2003, 8. April 2004 und 14. April 2004 an die Klägerin bzw. die Beklagte -
rechtzeitig - ihrer Mitteilungspflicht aus § 202 Satz 4 SGB V aF nachkam, denn weder
Beitragspflicht noch Beitragshöhe sind zwischen den Beteiligten im Streit.
Der zur Untermauerung ihrer Rechtsauffassung gedachte Hinweis der Klägerseite auf die
Entscheidung des BSG vom 22. Mai 1984, Az.: 12 RK 30/84 (BSGE 58, 150) geht fehl. In
diesem Urteil entschied das BSG lediglich, dass die Klage eines Versicherten gegen
seine Krankenkasse auf Feststellung niedrigerer als der von seinem Lohn einbehaltenen
Beiträge unzulässig ist, solange der Versicherte kein diesbezügliches
Verwaltungsverfahren angestrengt hat. Diese Entscheidung lässt keine Rückschlüsse auf
das hiesige Verfahren zu, da sie sich sowohl hinsichtlich der Hauptbeteiligten
(Krankenkasse als Beklagte) als auch bezüglich der Klageart vom Fall der Klägerin
unterscheidet. Unabhängig hiervon - und dies gilt auch für den Einwand der Klägerin, nur
im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens könne sie ihre Beitragspflicht überprüfen
lassen - hat die Beigeladene mit ihrem von der Klägerin offensichtlich nicht
angegriffenen Bescheid vom 14. April 2004 festgestellt, dass aus den
Versorgungsbezügen Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen sind.
3. Die Höhe der Abzüge ist nicht zu beanstanden. Dass die Beitragspflicht im geltend
gemachten Umfange besteht, hat die Klägerin nicht angegriffen. Insofern sind keine
Einwände ersichtlich. Anstelle der von Klägerseite ins Feld geführten, jedoch nicht näher
definierten und rechtlich unerheblichen „Armutsgrenze“ ist wegen der Verweisung gem.
§ 256 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 255 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V nur § 51 Abs. 2 SGB I
einschlägig. Nach dieser Vorschrift (in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden
Fassung) kann die Aufrechnung von Beitragsforderungen bis zur Hälfte laufender
Geldleistungen erfolgen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig
i.S.d. Vorschriften des Sozialhilferechts über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der
Grundsicherung für Arbeitssuchende wird. Die Klägerin hat keine einer Nachprüfung
zugänglichen Tatsachen vorgetragen, die auf eine Hilfebedürftigkeit in diesem Sinne
schließen ließen. Dies fällt umso mehr in Gewicht, als nach § 51 Abs. 2 SGB I in der seit
dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung der Leistungsberechtigte die Hilfebedürftigkeit
nachzuweisen hat. Im übrigen dürfte in Anbetracht des Umstands, dass nach den
Feststellungen der Beigeladenen die Klägerin in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1999
und dem 31. Dezember 2003 Einkünfte aus Rente und betrieblicher Altersversorgung
bezog, die in der Summe die Beitragsbemessungsgrenze übersteigen, die Annahme von
Sozialhilfebedürftigkeit fern liegen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und
entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht
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