Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 20.07.2006

LSG Berlin-Brandenburg: umzug, verfassungskonforme auslegung, aufnahme einer erwerbstätigkeit, heizung, möbliertes zimmer, unnötige kosten, grundrechtseingriff, mietvertrag, angemessenheit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
34. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 34 AS 1724/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vom
20.07.2006, § 22 Abs 1 S 2 SGB
2 vom 20.07.2006, Art 3 Abs 1
GG, Art 11 Abs 1 GG
(Arbeitslosengeld II - Unterkunfts- und Heizkosten - nicht
erforderlicher Umzug - Anwendung von § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 bei
Umzug aus dem Bereich des örtlichen Wohnungsmarktes -
verfassungskonforme Auslegung)
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin
vom 24. Juli 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Verurteilung zur Zahlung der
tatsächlichen (und für Berlin angemessenen) Kosten der Unterkunft nach einem – seiner
Meinung nach nicht erforderlichen – Umzug aus einer anderen Stadt.
Der 1953 geborene Kläger ist Pianist, Cellist, Musikpädagoge und Psychologe. Er bezog
längere Zeit Leistungen von verschiedenen JobCentern in Berlin. Ende 2006 verzog er
nach in Bayern, dort wohnte er zuletzt zur Untermiete. Im Folgenden bezog er von der
ARGE E Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten der
Unterkunft (KdU), wobei mit dem letzten in den Akten vorliegenden Bewilligungsbescheid
vom 14. Dezember 2007 KdU in Höhe von 190,52 € berücksichtigt worden waren.
Am 18. Dezember 2007 lehnte es die ARGE Eab, einem Umzug des Klägers nach Berlin
zuzustimmen, mit der Begründung, dass noch kein Arbeitsvertrag vorliege.
Am 24. Januar 2008 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Bewilligung
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er legte einen Mietvertrag über ein
möbliertes Zimmer mit Bad und Küchenbenutzung in der G in Berlin vor, für das eine
Miete einschließlich Nebenkosten (Heizung, PC-Flatrate und Müllabfuhr) i. H. v. 300,00 €
vereinbart war.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2008 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Februar 2008 bis 30. Juni 2008 i. H.
v. 540,10 € monatlich, wobei als KdU ein Betrag von 193,19 € anerkannt wurde. Der
Beklagte führte in dem Bescheid aus, dass die Kosten der Unterkunft gemäß § 22
Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe der bisher gezahlten Miete
übernommen würden, da eine Zustimmung zum Umzug nicht vorliege.
Mit Eingang bei dem Beklagten am 19. Februar 2008 legte der Kläger gegen den
Bescheid vom 25. Januar 2008 Widerspruch ein. Er wandte sich gegen die Höhe der
berücksichtigten KdU. Man habe ihm telefonisch beim Telefondienst der JobCenter in
Berlin gesagt, dass er ein Mietangebot in Berlin im Rahmen der dortigen Miethöhe, bis
360,00 € warm monatlich, einholen müsse. Mit diesem solle er zu dem zuständigen
JobCenter gehen und es genehmigen lassen und dann den Mietvertrag unterschreiben.
Er habe den Mietvertrag bereits unterschrieben, jedoch eine Klausel in diesem Vertrag
gehabt, dass dieser bei Nichtbewilligung durch das JobCenter noch am Tag der
Vorsprache dort rückgängig gemacht werden könne. Bei dem Beklagten habe ihm die
Sachbearbeiterin gesagt, dass es ihm nichts nütze, ein Mietangebot vorzulegen, er
brauche den Mietvertrag. Diesen habe er dann vorgelegt, die Sachbearbeiterin habe
nicht gesagt, dass der Mietvertrag falsch oder unzulässig sei. Am nächsten Tag sei ihm
mitgeteilt worden, dass nicht klar sei, was an Mietkosten übernommen werden würde. Er
benötige eine Zustimmung zum Umzug von E. Bei der ARGE in E habe man allerdings
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benötige eine Zustimmung zum Umzug von E. Bei der ARGE in E habe man allerdings
die Zustimmung zum Umzug verweigert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2008 hat der Beklagte den Widerspruch
zurückgewiesen. Er hat ausgeführt, dass der Umzug nicht erforderlich gewesen sei. Die
avisierte Arbeitsaufnahme in Berlin sei tatsächlich nicht erfolgt. Es sei dem Kläger
zuzumuten gewesen, zunächst die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abzuwarten und
dann erst eine Wohnung zu suchen bzw. diese zu wechseln.
Mit der am 2. April 2008 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat der
Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Mit seiner Klagebegründung machte er geltend,
von den Mitarbeitern der Arbeitsagentur systematisch falsch informiert worden zu sein.
Gleichzeitig mit der Klageerhebung hatte der Kläger einen Antrag auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes gestellt (Verfahren S 157 AS 11252/08 ER). Mit Beschluss
vom 5. Mai 2008 hat das Sozialgericht Berlin den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die
Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 2. April 2008 bis zum 30. April
2008 i. H. v. 290,00 € und vom 1. Mai 2008 bis zum 31. Juli 2008 i. H. v. monatlich
300,00 € zu bewilligen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2008 hat der Kläger die Klage in
Höhe von 6,53 € zurückgenommen, da er nicht angeben konnte, auf welche Weise die
Warmwasserbereitung in seiner Wohnung in Berlin erfolgt.
Mit Urteil vom 24. Juli 2008 hat das Sozialgericht Berlin den Beklagten verurteilt, dem
Kläger Kosten der Unterkunft i. H. v. weiteren 100,28 €, insgesamt i. H. v. 293,47 € zu
bewilligen (ein Zeitraum ist im Urteil nicht genannt). Zur Begründung hat das Gericht
ausgeführt, dass § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bei einem Umzug in ein Gebiet außerhalb
desselben örtlichen Wohnungsmarktes nicht einschlägig sei. Sinn und Zweck dieser
Regelung sei es, die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen
angemessenen Unterkunftskosten zu begrenzen, in denen Hilfebedürftige unter
Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenze
für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten zögen
(Verweis auf Bundestagsdrucksache 16/1410, S. 23 zu Nr. 21). Eine solche
Ausschöpfung der örtlichen Angemessenheitsgrenzen könne aber nur bei Umzügen
innerhalb desselben örtlichen Wohnungsmarktes stattfinden, der für die Bestimmung der
Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II maßgeblich sei. Der
Anwendungsbereich der Vorschrift sei unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der
Regelung auf die Fälle zu reduzieren, in welchen ein Umzug innerhalb des gleichen
Wohnungsmarktes erfolge. Eine weitergehende Auslegung der Regelung des § 22 Abs. 1
Satz 2 SGB II würde zu einer nicht gerechtfertigten und vom Gesetzgeber nicht gewollten
Einschränkung des Grundrechts der Freizügigkeit aus Art. 11 Grundgesetz (GG) für
diejenigen Bezieher von Arbeitslosengeld führen, die in einer Region mit geringem
Mietniveau lebten. Denn sie könnten bei einem Umzug im Bundesgebiet an „teureren“
Zuzugsorten allenfalls eine unterdurchschnittliche Wohnung anmieten, wenn sie unter
diesem Umständen nicht ganz auf den Umzug verzichten wollten, während ein
Arbeitslosengeld II- Bezieher aus einer Region mit hohem Mietniveau unbeschränkt wäre
in der Auswahl einer neuen Mietunterkunft.
Gegen das ihm am 6. August 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. August
2008 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er
ausgeführt, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II dem Begehren des Klägers
entgegenstehe. Sie nehme Bezug auf das Kriterium der Erforderlichkeit. Sei ein Umzug
erforderlich, erteile das abgebende JobCenter die Zustimmung hinsichtlich des
Umzuges. In Absprache mit dem nunmehr zuständigen JobCenter würden bei Erteilung
der Zustimmung nicht die Angemessenheitskriterien des bisherigen Wohnortes, sondern
vielmehr die der zukünftig bewohnten Kommune zugrunde gelegt, so dass sehr wohl –
so der Hilfebedürftige in eine Region mit höherem Mietniveau übersiedele – ein
Überschreiten der in der abgebenden Kommune ortsüblichen Angemessenheitsgrenzen
möglich sei. Insoweit sei die Freizügigkeit nicht eingeschränkt.
Im Falle eines nicht erforderlichen Umzuges aber sei zum einen die Verpflichtung, die
eigene Hilfsbedürftigkeit nicht zu vergrößern, sondern zu vermindern, zu beachten. Der
Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II gehe mit dieser grundsätzlich im SGB II-Bereich
bestehenden Verpflichtung konform und biete keine Grundlage für eine einschränkende
Auslegung. Anderenfalls würde auch der Sinn von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgehebelt,
da bei kurzfristigem Rückzug in die ursprüngliche Kommune nunmehr eine Unterkunft
bis zur dortigen Angemessenheitsobergrenze angemietet werden könnte. Zum anderen
ergäbe sich eine Bevorzugung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger gegenüber
Erwerbsfähigen, nicht im Leistungsbezug stehenden Menschen, wenn etwa erstere –
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Erwerbsfähigen, nicht im Leistungsbezug stehenden Menschen, wenn etwa erstere –
obwohl ihr Umzug nicht erforderlich sei – in eine Gegend mit weit überdurchschnittlich
hohem Mietniveau zögen und dann Kosten der neuen Unterkunft in voller Höhe bewilligt
erhielten, während letztere sich einen solchen Umzug keinesfalls leisten könnten. Dieser
ohne Not vorgenommene Umzug würde zu einem Missbrauch staatlicher Leistungen
führen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juli 2008 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Ergänzend hat er vorgetragen, dass
seine Möglichkeiten, beruflich als Pianist wieder Fuß zu fassen, in Berlin sehr viel größer
seien als in E. Im Übrigen habe er seinen Lebensmittelpunkt seit 1973 immer in Berlin
gehabt und habe von dort aus deutschlandweit und zeitweise sogar weltweit freiberuflich
gearbeitet. In E sei er nur ca. ein Jahr gewesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er vorgetragen, dass eine
Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Beziehern von Arbeitslosengeld II
bestünde, die aus einer teureren - wenngleich noch angemessenen - Wohnung ohne
Zusicherung des Leistungsträgers umzögen, da sie höhere KdU in Anspruch nehmen
könnten.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29. Juni 2009 (u. a.) einen Vermerk übersandt,
wonach der Kläger nach Auffassung der für ihn zuständigen Mitarbeiterin des Beklagten
an einer tief greifenden psychischen Erkrankung leidet, die therapeutisch bearbeitet
werden sollte. Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2009 hat der Beklagte das Protokoll einer
Durchführung eines Hausbesuches bei dem Kläger am 15. Juli 2009 übersandt, aus dem
sich ergibt, dass der Kläger gegenüber dem Prüfer angegeben hat, an Spielsucht zu
leiden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Senat den Beteiligten die Kopien
verschiedener Unterkunftsangebote für Ein-Zimmerwohnungen in Berlin übergeben und
darauf hingewiesen, dass dem Kläger danach auf dem Berliner Wohnungsmarkt seinem
bisherigen Wohnungsstandard entsprechende Unterkünfte zur Verfügung stehen
dürften. Wegen der Einzelheiten der Unterkunftsangebote wird auf Blatt 116 bis 121 der
Gerichtsakten verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die den Kläger betreffenden Leistungsakten des Beklagten, des JobCenters C-und der
ARGE E sowie die Akten des Sozialgerichts Berlin (Az.: S 157 AS 11252/08 ER und S 96
AS 22323/08) haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist statthaft. Streitgegenstand sind die mit Bescheid vom 25. Januar 2008
bewilligten KdU für die Zeit von Februar 2008 bis Juni 2008, und zwar in Höhe von
weiteren 100,28 € monatlich, also fünfmal 100,28 €, was einen Betrag von 501,40 €
ergibt. Damit ist der Berufungswert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zwar nicht erreicht, das Sozialgericht hat jedoch die Berufung gemäß § 144 Abs. 1
Satz 1 SGG zugelassen; an diese Zulassung ist der Senat gemäß § 144 Abs. 3 SGG
gebunden.
Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).
Streitgegenstand ist nur die Höhe der KdU. Die Beschränkung des Streitgegenstandes
ist insoweit zulässig, als es sich bei der Verfügung über Unterkunfts- und
Heizungskosten um eine abtrennbare Verfügung des Gesamtbescheides handelt und
damit das Gericht bei entsprechendem Antrag auch lediglich über diese Position des
Arbeitslosengeld-II-Anspruchs befinden muss (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts -BSG
- vom 7. November 2006, Az. B 7b AS 8/06 R, Juris Rn. 18 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1). Der
Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht lediglich den Antrag
gestellt, den Beklagten zu verurteilen, höhere Kosten der Unterkunft zu gewähren.
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gestellt, den Beklagten zu verurteilen, höhere Kosten der Unterkunft zu gewähren.
Damit hat er den Streitgegenstand auf die Höhe der KdU begrenzt.
Die Berufung ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 25. Januar 2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2008 ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat er
keinen Anspruch auf Zahlung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift werden Leistungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese
angemessen sind. Der Kläger ist zwar gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch
Sozialgesetzbuch dem Grunde nach berechtigt, Leistungen nach dem SGB II zu
erhalten. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch
nicht erreicht, er ist hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland. Er ist auch erwerbsfähig. Ärztlich begründete
Anhaltspunkte dafür, dass er aufgrund seiner Spielsucht oder der von der für den Kläger
zuständigen Mitarbeiterin des Beklagten vermuteten „tief greifenden psychischen
Erkrankung“ nicht erwerbsfähig sein könnte, sind nicht vorhanden.
Dem Anspruch auf Übernahme der KdU in voller Höhe steht die Vorschrift des § 22 Abs.
1 Satz 2 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für
Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706) entgegen. Diese Vorschrift lautet:
Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe
der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht.
Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Die von dem Kläger geltend
gemachten KdU in Höhe von 293,80 € monatlich waren in dem streitgegenständlichen
Zeitraum für eine allein stehende Person in Berlin angemessen. Es ist gerichtsbekannt,
dass der Beklagte in dem hier in Rede stehenden Zeitraum nach den
„Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß §
22 SGB II" - AV-Wohnen - vom 7. Juni 2005, zuletzt geändert mit Verwaltungsvorschriften
vom 30. Mai 2006, A Bl. für Berlin Seite 2062, regelmäßig für einen Ein-Personen-
Haushalt eine Bruttowarmmiete in Höhe von 360 € als angemessen ansah und ansieht.
Da hierüber kein Streit besteht und auch der Senat von einer Angemessenheit der bei
dem Kläger in Berlin anfallenden KdU ausgeht, sind weitere Ausführungen hierzu
entbehrlich.
Der Umzug von K nach Berlin war auch nicht erforderlich. Der Begriff "erforderlich" wird
im Gesetz nicht definiert. Aus der Gesetzesbegründung (Drucks. 16/1410 des Deutschen
Bundestages, Seite 23, zu Nr. 21 [§ 22] zu Buchstabe a) ergibt sich, dass die
Begrenzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II dann nicht gelten soll, wenn der
Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen
Gründen erfolgt. In der Rechtsprechung sind zum Beispiel eine ungünstige
Wohnflächenaufteilung bei bevorstehender Geburt eines Kindes, die bevorstehende
Geburt eines weiteren Kindes bei Unzumutbarkeit der Wohnungssuche kurz nach der
Geburt, eine Summierung unterwertiger Wohnverhältnisse (schlechte sanitäre
Verhältnisse und Ofenheizung bei älterem, gesundheitlich angeschlagenen
Leistungsbezieher) und Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses in einer
Wohngemeinschaft als Gründe für die Erforderlichkeit eines Umzuges angesehen worden
(vgl. die Beispiele bei Wieland in Estelmann, Kommentar zum SGB II, § 22 Rn. 53).
Gründe, die einen Umzug des Klägers erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich.
Der Umzug erfolgte insbesondere nicht zur Aufnahme einer Arbeit. Auch für die von ihm
angestrebte Tätigkeit als Pianist muss der Kläger nicht zwingend in Berlin wohnhaft
seien. Es mag zwar zutreffen, dass er in Berlin etwas leichter persönliche Kontakte zu
entsprechenden Veranstaltern knüpfen kann, Konzerte werden jedoch nicht immer nur
an einem Ort gegeben, sondern sind in aller Regel mit einer Reisetätigkeit verbunden.
Diese kann der Kläger auch von K aus organisieren, wenn dies auch von Berlin aus
wegen besserer Verkehrsanbindungen möglicherweise etwas leichter wäre. Eine
mögliche Erleichterung der Erreichbarkeit von Konzertterminen, von denen noch nicht
feststeht, ob sie überhaupt stattfinden, reicht für die Annahme der Erforderlichkeit eines
Umzuges jedoch nicht aus.
Auch gesundheitliche Gründe, z.B. die von dem Kläger gegenüber dem Prüfer seiner
Wohnverhältnisse angegebene Spielsucht, führen nicht zur Annahme einer
Erforderlichkeit des Umzugs. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Veränderung des
Wohnortes Einfluss auf diese Spielsucht haben könnte.
Weitere Gründe, zum Beispiel sozialer Art, sind nicht erkennbar und nicht dargetan. Eine
Erforderlichkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt
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Erforderlichkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt
früher in Berlin gehabt hat. Er hat nicht dargetan, dass er verwandtschaftliche oder
freundschaftliche Bindungen (nur) zu Berlin hat. Daher kann dahingestellt bleiben, ob,
wenn dies so wäre, dies einen Grund für die Erforderlichkeit des Umzugs darstellen
könnte.
§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist auch nicht dahingehend auszulegen, dass er nur für einen
Umzug innerhalb desselben örtlichen Wohnungsmarktes, nicht aber für überörtliche
Umzüge gilt. Die entgegenstehende Auffassung wird allerdings in Rechtsprechung und
Literatur vertreten (vgl. Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom
17. Juli 2008, Aktenzeichen L 7 AS 1300/08, dokumentiert in Juris; Beschluss des LSG
Niedersachsen-Bremen vom 26. Oktober 2007, dokumentiert in Juris, Lang/Link in
Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 47b und Frank in Hohm
(Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum SGB II, VI-§ 22 Rn. 45.1). Zur Begründung wird
Bezug genommen auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/1410 Seite 23 zu Nr. 21).
Dort heißt es: „ Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den
Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen
Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten
Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch
angemessenen Kosten ziehen". Motiv der Neuregelung sei es mithin gewesen,
Kostensteigerungen zu Lasten des kommunalen Trägers entgegenzuwirken, die dadurch
entstünden, dass Hilfebedürftige durch Umzug die maßgebliche
Angemessenheitsgrenze „ohne Not" voll ausschöpften, obwohl sie bereits in einer
angemessenen - aber preiswerteren - Wohnung lebten. Die Regelung beziehe sich auf
die örtlich angemessenen Unterkunftskosten, zu deren Ermittlung (nach der
Rechtsprechung des BSG) in der Regel auf den Wohnortbereich abzustellen sei. Jeder
Leistungsträger habe demnach die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung
für seinen jeweiligen Zuständigkeitsbereich selbst zu ermitteln; es gälten - anders als
beispielsweise im Wohngeldrecht - keine bundesweiten Vorgaben. Auch die
Gesetzesbegründung beziehe sich nur auf die durch „den" kommunalen Träger
festgelegten Angemessenheitsgrenzen. Damit könne im Zusammenhang nur der für
den bisherigen Wohnort zuständige Träger gemeint sein. Maßgeblich sei also, dass die
Angemessenheitsgrenze ausgeschöpft werden sollte, die durch diesen Träger festgelegt
sei. Ziehe der Hilfebedürftige jedoch in den Zuständigkeitsbereich eines anderen
Trägers, bzw. in einen Wohnortbereich, für den eine abweichende
Angemessenheitsgrenze gelte, könne die ursprünglich geltende gerade nicht mehr
„ausgeschöpft" werden. Der vom Gesetzgeber in den Blick genommene
"Missbrauchsfall" könne also nicht entstehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn.
28). Untermauert wird diese Auslegung jeweils damit, dass verfassungsrechtliche
Erwägungen hierfür sprächen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 29f), bzw. bei
einer anderen Auslegung eine umfassende Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit
vorgenommen würde (vgl. LSG Niedersachsen- Bremen, a.a.O., Rn. 19), bzw., dass der
Vorwurf der Ausschöpfung der Angemessenheitsgrenzen nicht erhoben werden könne,
wenn der Hilfebedürftige von seinem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf freie
Wohnortwahl Gebrauch mache (Lang/Link, a.a.O.).
Der Senat vermag sich dieser Auslegung nicht anzuschließen. Nach dem Wortlaut dieser
Vorschrift umfasst ihr Anwendungsbereich auch Umzüge aus einer Wohnortgemeinde,
für die ein anderer Angemessenheitsmaßstab gilt. Auch mit den Gesetzesmaterialien
lässt sich eine teleologische Reduzierung nicht stützen. Der Sinn des § 22 Abs. 1 Satz 2
SGB II ist die Vornahme einer Kostenersparnis bzw. die Verhinderung von Mehrkosten für
die öffentliche Hand, die sich ergeben könnten, wenn nicht erforderliche Umzüge
vorgenommen werden und sich die KdU dadurch erhöhen, auch wenn sie noch im
angemessenen Bereich verbleiben. Dieses Ziel der Einsparung von Kosten kann
genauso bei Umzügen innerhalb der Wohnortgemeinde als auch außerhalb der
Wohnortgemeinde erreicht werden. Daraus, dass die Gesetzesbegründung die Fälle nicht
nennt, in denen ein Umzug außerhalb der aktuellen Wohnortgemeinde erfolgt, kann
nicht geschlossen werden, dass sie, obwohl vom Wortlaut des Gesetzes umfasst,
ausgeschlossen sein sollten. Die Gesetzesbegründung ist sehr knapp gehalten,
möglicherweise wollte der Gesetzgeber nur den am häufigsten eintretenden
Missbrauchsfall benennen, da ein Umzug innerhalb des örtlichen Bereichs häufiger
vorgenommen werden dürfte als in Orte außerhalb dieses Bereichs. Wollte man § 22
Abs. 1 Satz 2 SGB II dahingehend auszulegen, dass er sich nur auf Umzüge innerhalb
der aktuellen Wohnortgemeinde bezieht, wäre auch der zweite Teil der
Gesetzesbegründung nicht erklärlich, wonach diese Begrenzung insbesondere dann
nicht gilt, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit erforderlich ist. Ein
Umzug zur Eingliederung in Arbeit ist innerhalb des örtlichen Bereichs in aller Regel nicht
erforderlich, da die Arbeitsstelle dann ohne weiteres, aufgrund geringer Entfernungen,
erreicht werden kann. Auch der Hinweis darauf, dass nach der Rechtsprechung des BSG
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erreicht werden kann. Auch der Hinweis darauf, dass nach der Rechtsprechung des BSG
der Maßstab der Angemessenheit stets der aktuelle Wohnort sein muss (vgl. Urteil des
BSG vom 7. November 2006, Aktenzeichen B 7b AS 10/06 R, Rn. 26 = SozR 4-4200 § 22
Nr. 2), kann als Argument für die Auffassung, dass § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nur für
Umzüge innerhalb der aktuellen Wohnortgemeinde gilt, nach Meinung des Senats nicht
herangezogen werden, da sich die genannte Entscheidung des BSG auf einen Fall vor
Inkrafttreten des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II bezieht und in dem Urteil ausdrücklich offen
gelassen wurde, ob diese Regelung für einen Wohnungswechsel innerhalb des für die
Bestimmung der Angemessenheit maßgeblichen örtlichen Bereichs, also üblicherweise
innerhalb des jeweiligen Wohnorts, gilt. Das BSG hat lediglich ausgeführt, dass jedenfalls
für die Zeit vor ihrem Inkrafttreten dieser Regelung keine Einschränkung für einen
Umzug in einen neuen Wohnort dergestalt entnommen werden kann, dass die
Unterkunftskosten, wenn sie sich im Rahmen des neuen Wohnorts als angemessen
zeigen, gleichwohl unangemessen sind, wenn sie sich nicht innerhalb des für den
früheren Wohnort geltenden Angemessenheitsrahmens halten (vgl. BSG, a.a.O., in Juris
Rn. 27).
Eine Auslegung der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II dahingehend, dass sie nur
für einen Umzug innerhalb der jeweiligen aktuellen Wohnortgemeinde gilt, ist auch nicht
aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig (so auch S. Knickrehm, Kommentar zum
Sozialrecht, § 22 Rn. 21; Knickrehm/Voelzke/Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22
SGB II, Stuttgart 2009, S. 21; Ähnlich auch Lauterbach in Gagel, Kommentar zum SGB
II/SGB III, § 22 SGB II Rn. 44,). Die oben zitierten Auffassungen, die eine solche Auslegung
für notwendig halten, gehen offensichtlich davon aus, dass die Reduzierung auf die
bisher gezahlten KdU bei einem Umzug in einen anderen Ort gegen Art. 11 Grundgesetz
(GG), der das Recht auf Freizügigkeit schützt, verstoßen würde. Art. 11 GG lautet:
(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes und nur für die
Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht
vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in
denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand und die freiheitliche
demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von
Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum
Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen,
erforderlich ist.
Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) bedeutet Freizügigkeit
„das Recht, ungehindert durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des
Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen" und zudem auch „zu diesem
Zweck in das Bundesgebiet einzureisen" (vgl. Durner in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz,
Kommentar zum Grundgesetz, Stand 54. Lieferung Januar 2009, Rn. 71 m.w. N.). Dazu
gehört auch die Freizügigkeit zwischen Ländern, Gemeinden und innerhalb einer
Gemeinde (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. März 2004, Az. 1 BvR 1266/00 = BVerfGE 110,
177 [191]).
Wie kaum bei einem anderen Grundrecht zeigen sich im Rahmen des Art. 11 Abs. 1 GG
massive Unsicherheiten im Hinblick auf die Frage, wann bei Einwirkungen auf das im
Schutzbereich der Freizügigkeitsgarantie erfasste Verhalten ein
rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in das Freizügigkeitsrecht anzunehmen ist (vgl.
Durner, a.a.O., Rn. 111). Ein rechtfertigungsbedürftiges Handeln ist jedenfalls im Falle
eines klassischen hoheitlichen Eingriffs gegeben, bei dem der Staat gegenüber dem
Bürger zielgerichtet, unmittelbar, rechtsförmlich und unter Anwendung von Zwang
Verhaltensweisen behindert, die dem Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG unterfallen.
Insbesondere das Vorliegen eines hoheitlichen Zwangselementes begründet in aller
Regel einen Grundrechtseingriff, zum Beispiel strafrechtliche Auflagen zum
Aufenthaltsort (vgl. Durner, a.a.O., Rn. 114).
Ein entsprechender Grundrechtseingriff liegt mit der in Rede stehenden Regelung nicht
vor, da es dem Hilfebedürftigen nicht verwehrt ist, seinen jeweiligen Wohnort bzw.
Aufenthaltsort zu verlassen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG können jedoch auch
staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten,
Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend
gerechtfertigt sein. Solche Maßnahmen können in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem
normativen und direkten Eingriff gleichkommen und müssen dann wie dieser behandelt
werden (Urteil vom 17. März 2004, a.a.O.). In seiner Entscheidung vom 26. Februar
2002, Az. 1 BvR 558/91 und 1 BvR 1428/91 hat das Bundesverfassungsgericht (zu Art.
12 GG) ausgeführt, dass insbesondere eine staatliche (Informations-) Tätigkeit eine
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12 GG) ausgeführt, dass insbesondere eine staatliche (Informations-) Tätigkeit eine
Beeinträchtigung im Gewährleistungsbereich des Grundrechts sein könne, wenn sie in
der Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als
Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre (juris Rn. 62 = BVerfGE 105, 252 [273]; vgl. zur
Frage der Finalität auch die Ausführungen bei Durner, a.a.O., Rn. 111ff, 115).
Einen solchen Eingriff hatte das BVerfG in § 3 Abs. 1 Satz. 2 Wohnortzuweisungsgesetz
(WoZuG) gesehen, wonach Spätaussiedler regelmäßig von der Gewährung von Hilfe zum
Lebensunterhalt ausgeschlossen waren, wenn sie ihren Wohnort abweichend von der
Zuweisung wählten. Die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) waren
dann auf die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe beschränkt. Das BVerfG
sah darin eine mittelbare zielgerichtete Beeinträchtigung des Grundrechts nach Art. 11
Abs. 1 GG, da die Regelung des § 3a WoZuG für die Sozialhilfebezieher an die Ausübung
des Grundrechts der Freizügigkeit einen wirtschaftlich spürbaren Nachteil knüpften, um
damit den Inhaber des Grundrechts an den Zuweisungsort zu binden.
Ein Grundrechtseingriff liegt in der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II schon deshalb
nicht, weil sie nicht auf die Einschränkung der Freizügigkeit zielt. Zweck dieser Vorschrift
ist es nicht, Hilfebedürftige an einen bestimmten Ort zu binden, etwa um, wie bei § 3a
WoZuG, eine gleichmäßige Verteilung der Aussiedler auf das Gebiet der Bundesrepublik
zu gewährleisten und das Entstehen von Siedlungsschwerpunkten für Spätaussiedler zu
verhindern und so den Gemeinden eine vorausschauende Planung ihrer
infrastrukturellen und integrativen Maßnahmen möglich zu machen. § 22 Abs. 1 Satz 2
SGB II zielt (lediglich) dahin, nach Auffassung des Gesetzgebers ungerechtfertigte und
unnötige Kosten für die Unterkunft zu vermeiden. Ein Grundrechtseingriff liegt bei
mittelbaren Beeinträchtigungen, wie sie hier allenfalls in Betracht kämen, wie oben
erläutert jedoch nur vor, wenn die Beeinträchtigung Ziel des staatlichen Handelns
beziehungsweise der staatlichen Regelung ist. Bezüglich der Regelung des § 22 Abs. 1
Satz 2 SGB II ist, anders als z.B. bei § 3a WoZuG, das Ziel des Gesetzes nicht, die
Freizügigkeit einzuschränken.
Hinzu kommt, dass der Kläger tatsächlich nicht gehindert war, nach Berlin zu ziehen,
auch wenn er an den von der ARGE E bewilligten KdU festgehalten wird. Bei einer
Recherche bei „I" und "I" am 2. September 2009 fanden sich Wohnungsangebote, die
zum Teil bezüglich der Warmmiete noch unter den von dem Beklagten jetzt
berücksichtigten KdU lagen und die dem von den Kläger bisher innegehabten
Wohnstandard entsprechen beziehungsweise diesen sogar übertreffen. Zwar liegen
keine Angebote für den hier in Rede stehenden Bewilligungszeitraum vor, der Senat geht
jedoch davon aus, dass, sofern zum jetzigen Zeitpunkt solche Wohnungen in Berlin am
Markt vorhanden sind, dies auch zu einem früheren Zeitpunkt der Fall war, da sich die
Mieten in aller Regel - und auch in Berlin- nicht nach unten sondern nach oben
entwickeln.
Da damit keine Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts vorliegt, ist eine
verfassungskonforme Auslegung von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht notwendig und die
Regelung kann entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift auch auf Umzüge außerhalb
des aktuellen Wohnortbereiches angewandt werden.
Der Senat sieht bezüglich der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Problematik
nicht in einer Frage der Beschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit, sondern eher
darin, dass, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, derjenige
Empfänger von Leistungen nach dem SGB II bei einem nicht erforderlichen Umzug
besser gestellt wird, der bereits vorher eine höhere, wenngleich auch noch an seinem
Wohnort angemessene Miete gezahlt hat. Dies bedeutet, dass jemand, der eine
bescheidenere Unterkunft innehatte, an diesem bescheidenen Maßstab festgehalten
wird. Der Senat sieht gleichwohl hierin kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot
des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beeinträchtigung dieser Vorschrift setzt eine
Ungleichbehandlung voraus, d.h. eine unterschiedliche Behandlung zweier vergleichbarer
Sachverhalte. Allerdings liegt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor, wenn die
Ungleichbehandlung durch einen hinreichend gewichtigen Grund gerechtfertigt ist (vgl.
Jarass, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Aufl., Art. 3 Rn. 14 m.w.N.). Als Grund für die
Ungleichbehandlung (Differenzierungsgrund) kommt jede vernünftige Erwägung in
Betracht. Eine solche ist hier gegeben. Wie oben bereits erläutert, ist es Sinn der
Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, die Kosten der Unterkunft für die öffentliche
Hand zu begrenzen. Darin sieht der Senat einen vernünftigen Grund auch für eine
Ungleichbehandlung, die darauf hinausläuft, einen Bezieher von Leistungen nach einem
nicht erforderlichen Umzug an einem bescheideneren - allerdings in der Regel vorher
selbst gewählten - Wohnstandard festzuhalten.
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Auch aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch lässt sich ein Anspruch des
Klägers auf Zahlung der tatsächlich anfallenden KdU nicht herleiten. Voraussetzung für
die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist die Pflichtverletzung
eines Leistungsträgers, die zu einem (rechtlichen) Schaden in Form des Ausbleibens von
Vorteilen (insbesondere Anwartschaften, Ansprüchen, Leistungen) geführt hat, die an
sich im Sozialrecht vorgesehen sind und insbesondere dem betroffenen Bürger zugute
kommen sollen (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, vor
§§ 38 bis 47 SGB I, Rn. 30). Selbst bei Vorliegen einer Falschberatung - wie sie der Kläger
vorträgt - könnte ein Herstellungsanspruch nicht entstehen, da Ziel dieses Anspruchs
die Herstellung des Zustandes ist, der eingetreten wäre, wenn die Verwaltung sich nicht
rechtswidrig verhalten hätte. Da der Kläger auch bei richtiger Beratung keinen Anspruch
auf Übernahme der KdU in tatsächlicher Höhe gehabt hätte, da dem, wie oben erläutert,
§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGG entgegensteht, kommt ein Herstellungsanspruch vorliegend
nicht in Betracht.
Da die Voraussetzungen für die Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II damit
vorliegend erfüllt sind, hat der Beklagte die KdU zu Recht auf 193,52 € begrenzt, wobei
er bereits über den von der ARGE E laut Bescheid vom 14. Dezember 2007 als KdU
gezahlten Betrag von 190,52 € hinausgegangen ist. Nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1
Satz 2 SGB II ist bei Vorliegen seiner Voraussetzungen die KdU auf die bisher zu
tragenden Aufwendungen zu begrenzen. Bei den bisher zu tragenden Aufwendungen
handelt es sich um diejenigen, die die ARGE E mit bindendem Bescheid vom 14.
Dezember 2007 festgelegt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der
Hauptsache.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
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