Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: hauptsache, dringlichkeit, rechtsschutz, zukunft, erlass, quelle, sammlung, link, versorgung, abrechnung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 B 18/06 KA ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 86b Abs 2 SGG
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines
Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes für die
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
Leitsatz
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines
Anordnungsgrundes für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im
Beschwerdeverfahren ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde.
2. Eine Ausnahme hiervon ist nur dann anzunehmen, wenn effektiver Rechtsschutz im
Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Hauptsachenentscheidung
Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine
stattgebende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht oder nicht hinreichend rückgängig
machen ließen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
24. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht
hat zu Recht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die
Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorliegen.
Ausweislich des bereits bei dem Sozialgericht gestellten Antrags begehrt die
Antragstellerin die Gestattung der weiteren Durchführung und Abrechnung
phlebologischer Leistungen gemäß Kapitel 30.5 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs
(EBM) jedenfalls ab Eingang ihres Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz bei dem
Sozialgericht Berlin (01. Dezember 2005). Dementsprechend ist in zeitlicher Hinsicht zu
differenzieren:
1. Für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats
im Beschwerdeverfahren ist bereits zweifelhaft, ob insoweit ein Anordnungsgrund
besteht. Denn ausweislich des vorgenannten Antrags der Antragstellerin könnte deren
Begehren darauf gerichtet sein, eine Statusentscheidung der Antragsgegnerin
herbeizuführen. Eine auf die Vergangenheit bezogene Statusentscheidung ist jedoch
rechtlich nicht möglich, weil Entscheidungen, die einen vertragsärztlichen Status
begründen oder ändern, jeweils nur mit Wirkung für die Zukunft herbeigeführt werden
können. Darüber hinaus kann im Grundsatz eine Statusentscheidung in einem Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes auch sonst nicht herbeigeführt werden, weil ein
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darauf abzielt, vorläufige Regelungen
herbeizuführen, während Statusentscheidungen stets endgültigen Charakter besitzen.
Indessen kann offen bleiben, ob die Antragstellerin tatsächlich eine Statusentscheidung
begehrt, denn es fehlt für die Zeit bis zur Entscheidung des Senats im
Beschwerdeverfahren jedenfalls aus einem anderem Grund an einem Anordnungsgrund.
Insoweit besteht keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen
Anordnung erforderlich machen kann. Die Antragstellerin hat – auch nach Erhalt der
Entscheidung des Sozialgerichts, die unter Anderem auf das Fehlen des
Anordnungsgrundes gestützt war – keine Umstände vorgetragen, die einen
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Anordnungsgrundes gestützt war – keine Umstände vorgetragen, die einen
Anordnungsgrund für den vorgenannten Zeitraum begründen können.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen
eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag
entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der
Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123
Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123
VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein
spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für
die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer – einen zurückliegenden
Zeitraum betreffenden – besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann
jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn
die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund
des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven
Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich
vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und
unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher
Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre
(Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 – und
vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme
einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines
Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die
besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung
im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem
Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes
nach Artikel 19 Abs. 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines
Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere
dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt
werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum
Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine –
stattgebende – Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend
rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin jedoch nicht
vorgetragen, sie sind auch nicht sonst ersichtlich.
Zwar würde die Antragstellerin – wenn ihr Begehren tatsächlich auf die Herbeiführung
einer Statusentscheidung gerichtet sein sollte – eine solche rückwirkende
Statusentscheidung auch in einem Verfahren der Hauptsache nicht erreichen können.
Hierdurch entstünde ihr aber kein schwerer und unzumutbarer Nachteil. Denn im
Ergebnis begehrt die Antragstellerin eine Entscheidung der Antragsgegnerin, durch die
ihr die Erreichung eines angemessenen vertragsärztlichen Honorars ermöglicht wird.
Dies ist aber auch bereits auf der Grundlage der gegenwärtigen Regelungen der Fall. So
hat die Antragstellerin lediglich im 2. Quartal des Jahres 2005 ein um 3,07 % niedrigeres
vertragsärztliches Honorar erzielt als im entsprechenden Vorjahresquartal, während ihr
Honorar in den beiden folgenden Quartalen, d. h. in den Quartalen III und IV/2005, um
8,77 % bzw. um 0,25 % höher lag als im jeweiligen Vorjahresquartal. Anhaltspunkte
dafür, dass in den folgenden, noch nicht endgültig abgerechneten Quartalen bis zur
Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren eine wesentliche Änderung dieser
Verhältnisse eingetreten ist, hat die Klägerin nicht vorgetragen, sie sind auch nicht von
Amts wegen erkennbar.
2. Für die Zukunft ist wiederum zweifelhaft, ob ein Anordnungsanspruch besteht, weil die
Antragstellerin auch insoweit möglicherweise eine der Entscheidung im einstweiligen
Rechtsschutz nicht zugängliche Statusentscheidung begehrt. In jedem Falle aber
mangelt es auch zukunftsgerichtet derzeit an einem Anordnungsgrund, denn die
Antragstellerin hat auch sonst keine Gesichtspunkte vorgetragen, die ihr ein Zuwarten
auf eine Entscheidung im Verfahren der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen.
Zwar macht die Antragstellerin geltend, ihr blieben nunmehr die Patienten weg. Sie
verliere jetzt das Patientenklientel für proktologische und phlebologische Leistungen, an
deren Hausarztpauschalen und Grundleistungen sie vorrangig verdient habe. Hierin liegt
jedoch kein rechtlich erheblicher Anordnungsgrund. Aus diesem Vortrag ist bereits nicht
zu ersehen, in welchem Umfang die Antragstellerin zukünftig konkret mit
Umsatzeinbußen zu rechnen haben könnte und welche Auswirkungen diese auf ihre
wirtschaftliche Gesamtsituation haben dürften. Darüber hinaus ist es auch nicht Zweck
der Befugnis zur Abrechnungen bestimmter spezialisierter, typischerweise fachärztlicher
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der Befugnis zur Abrechnungen bestimmter spezialisierter, typischerweise fachärztlicher
Leistungen, die hiervon betroffenen Patienten ergänzend auch für eine sonstige
hausärztliche Versorgung anwerben zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154
Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz und
entspricht sowohl der Festsetzung der Vorinstanz als auch den Angaben der
Antragstellerin im Beschwerdeverfahren; der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass die
Antragstellerin, auch wenn sie vorliegend noch kein Verfahren der Hauptsache betreibt,
gleichwohl eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt hat.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das
Bundessozialgericht angefochten werden.
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