Urteil des LSG Bayern vom 22.02.2001
LSG Bayern: eintritt des versicherungsfalles, beitragspflicht, arbeitslosenversicherung, versicherungspflicht, geschäftsführer, nebentätigkeit, beamter, arbeitslosigkeit, stadt, arbeitsentgelt
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.02.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 KR 114/97
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 22/99
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 29. Januar 1999 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger ab 01.04.1997 bei der Bundesanstalt für Arbeit pflichtversichert ist.
Er ist als Leitender Rechtsdirektor bei der Stadt A ... im Beamtenverhältnis tätig. Außerdem ist er seit 08.01.1991 als
Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 2) angestellt. Diese ist eine GmbH, deren Gesellschafterteile mehrheitlich
von der Stadt A ... über ihr Kommunalunternehmen ACM (A ...er Congress Marketing, Anstalt des öffentlichen
Rechts) gehalten werden. Satzungsgemäß muss der nebenamtliche Geschäftsführer hauptamtlich bei der Stadt A ...
beschäftigt sein. Die Tätigkeit des Klägers als nebenamtlicher Geschäftsführer erfordert eine wöchentliche Arbeitszeit
von 17 Stunden. 1997 lag das regelmäßige Arbeitsentgelt bei fast 1,4 TDM monatlich. Zusätzlich wird Urlaubs- und
Weihnachtsgeld gezahlt.
Der Kläger hatte sich mit Schreiben vom 05.07.1997 an die Bundesanstalt für Arbeit gewandt und beantragt,
festzustellen, dass seine Nebenbeschäftigung auch nach dem ab 01.04.1997 geltenden Recht weiterhin beitragsfrei
zur Arbeitslosenversicherung ist. Die zuständige AOK Bayern traf mit Bescheid vom 10.09.1997 die begehrte
Feststellung nicht und lehnte auch eine Befreiung von der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung ab. Der
Kläger erhob Widerspruch, weil er für die von ihm abverlangten Beiträge als Beamter keine Gegenleistung zu erwarten
habe. Im Widerspruchsbescheid vom 09.10.1997 hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest, die Beitrags- bzw.
Versicherungspflicht gelte unabhängig vom Eintritt möglicher Leistungsansprüche.
Mit der hiergegen am 13.10.1997 zum Sozialgericht Regensburg erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin die
Feststellung von Versicherungsfreiheit und die Erstattung der einbehaltenen Beiträge gefordert. Der gesetzliche
Zwang, Beiträge zu entrichten, ohne die Möglichkeit, jemals Leistungen dafür zu erhalten, verstoße gegen das
grundrechtlich gesicherte Gleichbehandlungsgebot wie auch gegen die Freiheit der Berufsausübung. Das Sozialgericht
hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.01.1999 abgewiesen. Dazu hat es ausgeführt: Die Beklagte als
zuständige Einzugsstelle habe zutreffend entschieden, dass sich die Versicherungsfreiheit des Klägers als Beamter
gemäß § 27 Abs.1 Nr.1 SGB III auf das Beamtenverhältnis beschränke und sich nicht auf ein daneben bestehendes
Beschäftigungsverhältnis erstrecke. Unstreitig sei, dass die vom Kläger ausgeübte Nebentätigkeit nicht geringfügig im
Sinne des § 8 Abs.1 Nr.1 SGB IV sei und daraus Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung nach § 27
Abs.2 Satz 1 SGB III nicht abgeleitet werden könne. Unstreitig sei aber auch, dass der Kläger, so lange er Beamter
sei, nicht arbeitslos im Sinne des § 118 SGB III werden könne und folglich ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. -
hilfe nicht entstehe. Jedoch sei die Beitragspflicht ohne Gegenleistung mit höherem Recht vereinbar. Dies habe nicht
nur das Bundessozialgericht so entschieden, sondern auch das Bundesverfassungsgericht habe im Beschluss vom
11.03.1980 festgestellt, dass dann, wenn einzelne beitragsabhängige Leistungen nicht in Betracht kämen, das
Äquivalenzprinzip eine Beitragspflicht nicht verbieten würde.
Der Kläger, der gegen den am 11.02.1999 zugestellten Gerichtsbescheid am 04.03.1999 Berufung eingelegt hat, hält
sich durch die Abführung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung weiterhin in seinen Grundrechten verletzt und hat
sich dazu auf Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 bezüglich der Behandlung von einmalig
gezahlten Arbeitsentgelt berufen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 29.01.1999 und den zugrundeliegenden Bescheid der
Beklagten vom 10.09.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.1997 aufzuheben und
festzustellen, dass für seine nebenamtliche Geschäftsführertätigkeit Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung
nicht besteht sowie die Beklagte zu verpflichten, die seit 01.04.1997 abgeführten Arbeitnehmerbeiträge zur
Arbeitslosenversicherung zu erstatten, hilfsweise, den Rechtsstreit auszusetzen und eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der seit 01.04.1997 die Beitragspflicht herbeiführenden
Normen herbeizuführen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt.
Dem Senat haben neben den Beitragsakten der Beklagten die Gerichtsakten beider Instanzen vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf,
ist zulässig, erweist sich aber in allen Anträgen als unbegründet.
Als nicht lediglich geringfügig beschäftigter (§ 8 Abs.1 SGB IV) Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 2) unterlag
der Kläger in der streitigen Zeit der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit - BA - nach § 168 Abs.1 Satz 1 AFG
bzw. steht ab 01.01.1998 zu ihr in einem Versicherungspflichtverhältnis nach § 24 Abs.1 SGB III. Keine der in diesen
Gesetzen seit 01.04.1997 normierten Ausnahmemöglichkeiten von der Beitrags- bzw. Versicherungspflicht trifft auf
den Kläger zu. Das ergibt sich bis Ende 1997 aus § 169 a Abs.1 AFG i.d.F. des Art.11 des Arbeitsförderungs-
Reformgesetzes vom 24.03.1997 (BGBl I S.594, 702). Für die Zeit danach fällt der Kläger in seiner
Geschäftsführertätigkeit unter keinen der in §§ 27, 28 SGB III aufgelisteten Tatbestände einer Versicherungsfreiheit.
Damit steht die angefochtene Entscheidung der Beklagten, den Kläger von der Versicherungspflicht bei der Beklagten
nicht auszunehmen, mit der kodifizierten Gesetzeslage in Einklang, was der Kläger - so der Eindruck des Senats -
auch eingesehen hat.
Er hält jedoch seine Pflichtversicherung und damit einhergehend den Abzug von entsprechenden Beitragsanteilen (§§
20 ff SGB IV, §§ 167, 168, 174 AFG; §§ 340, 346 SGB III) für einen nicht hinnehmbaren Eingriff in seine Grundrechte
und erwartet vom Senat wegen der ihn monatlich belastenden ca.50 DM, die nach § 10 Abs.1 Nr.2 Buchst.a
Einkommenssteuergesetz steuermindernd geltend gemacht werden können, das Bundesverfassungsgericht
anzurufen.
Dafür besteht kein Anlass, weil die angefochtene Verwaltungsentscheidung keine Grundrechtsverletzung beim Kläger
herbeigeführt hat. Die von ihm erhobene Rüge, er werde durch die seit dem 01.04.1997 bestehende Beitragspflicht
unzumutbar belastet, weil er Beiträge zu entrichten habe, ohne damit Aussicht auf eine Gegenleistung zu erhalten,
greift nicht durch. Die sozialgerichtlichen Ausführungen dazu geben auf der Grundlage der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.1980 - BVerfGE 53, 313 f = SozR 4100 § 68 Nr.12 die Rechtslage zutreffend
wieder. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass Versicherungsbeiträge - anders als bloße Abgaben - darauf
gerichtet sind, bei Eintritt des Versicherungsfalles einen Leistungsanspruch auszulösen, also ein Äquivalent zu einem
möglichen Risiko zu bilden. Weder ist der Kläger von dem Eintritt eines solchen zur versichernden Risikos auf Dauer
ausgeschlossen, noch von den anderen Möglichkeiten aus dem vielfältigen Leistungskatalog der BA. Der Kläger
beschränkt sich mit seiner Kritik an unzureichende Äquivalenz auf das Risiko der Arbeitslosigkeit. Mit Sicherheit ist
dieses Risiko bei ihm als Beamter geringer als bei anderen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Es ist aber
ebenso wenig gänzlich ausgeschlossen, wie bei Arbeitern oder Angestellten, die aufgrund tarifvertraglicher Regelung
(vgl. etwa § 53 Abs.3 Bundesangestelltentarifvertrag) praktisch unkündbar und damit vor eventueller Arbeitslosigkeit
weitgehend bewahrt sind, gleichwohl aber der Beitragspflicht unterliegen. Auch für diesen Personenkreis erhebt sich
keine Kritik an ihrer Beitragspflicht. Einer Versicherung und insbesondere der auf dem Solidaritätsgedanken fußenden
gesetzlichen Sozialversicherung ist immanent, dass die Risiken unterschiedlich gestreut sind, und manche
Versicherte zeitlebens den Versicherungsschutz nicht in Anspruch nehmen, andere dagegen häufig.
Darüber hinaus hat bereits das Bundesverfassungsgericht a.a.O. S.328 f ausführlich und nachvollziehbar erläutert,
dass auch dann, wenn die Möglichkeit des Bezuges von Leistungen bei Arbeitslosigkeit kaum in Betracht kommt,
gleichwohl die Einbeziehung in die Versicherungspflicht nicht ausgeschlossen ist. Sie liegt vielmehr noch im weiten
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Die vom Kläger angestellten Überlegungen vermögen die dazu vom
Verfassungsgericht als maßgeblich aufgeführten Gründe, denen sich der Senat anschließt, ohne sie im Einzelnen zu
wiederholen, nicht zu entkräften. In einem Nichtannahmebeschluss vom 03.07.1989 - SozR 4100 § 168 Nr.21 hat sich
das Bundesverfassungsgericht auf seine Entscheidung im 53.Band bezogen und wiederholt, dass die gemeinsame
Interessenlage aller abhängig Beschäftigten (zu der auch der Kläger in seiner Nebentätigkeit zählt), den Gesetzgeber
berechtige, Arbeitnehmer auch dann der Beitragspflicht zu unterwerfen, wenn ihnen einzelne (beitragsabhängige)
Leistungen regelmäßig nicht zu Gute kommen. Dem ist zuzustimmen. Der für die Arbeitslosenversicherung
zuständige 8.Senat des Bayerischen Landessozialgerichts hat sich ebenfalls dieser Auffassung angeschlossen und
die Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung wegen der Besonderheit des Systems der Arbeitsförderung auch
dann als gerechtfertigt angesehen, wenn sie nicht mit äquivalenten, beitragsabhängigen Gegenleistungen verbunden
ist. Der erkennende Senat hat bereits in anderem Zusammenhang es für zulässig erachtet, wenn der Gesetzgeber den
Äquivalenzgedanken im Sozialversicherungsrecht nicht strikt durchführt. Im Urteil vom 20.05.1999 - L 4 KR 83/96 -
bestätigt durch Urteil des BSG vom 17.08.2000 - B 10 KR 2/99 R, abgedruckt in Breithaupt 2001, 31, - ist die
Krankenversicherungspflicht eines in den USA lebenden landwirtschaftlichen Unternehmers bestätigt worden, obwohl
ihm Sachleistungen dort nicht zur Verfügung gestellt werden können.
Durch die Übernahme der Nebentätigkeit hat sich der Kläger insoweit aus der besonderen, beitragsfreien
Personengruppe der Beamten gelöst und muss sich als Geschäftsführer wie jeder andere Beschäftigte behandeln
lassen. Da er in dieser Tätigkeit sich aber von den anderen in § 169 a AFG, §§ 27, 28 SGB III aufgezählten
Personengruppen, für die der Gesetzgeber eine Versicherungspflicht ausgeschlossen hat, unterscheidet, liegt keine
Ungleichbehandlung vor. Auch ein unzumutbarer Eingriff in den Schutzbereich des Art.12 Abs.1 Grundgesetz ist zu
verneinen. Das gilt für seinen Hauptberuf ebenso wie für die Nebentätigkeit, in der er gegenüber anderen
vergleichbaren, untervollschichtig tätigen Beschäftigten privilegiert sein möchte. Eine erhebliche Einschränkung durch
die von ihm zu tragenden Beitragsanteile ist nicht erkennbar.
Die vom Kläger im Berufungsverfahren zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 - 1 BvL
1/98 u.a., abgedruckt in NJW 2000, 2264 - ist nicht geeignet, von der Entscheidung aus dem Jahre 1980 abzukehren.
Der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Gedanke, wonach der Gleichheitssatz gebietet, bei Lohnersatzleistungen
auch aus einmal gezahltem Arbeitsentgelt abgeführte Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen, ist auf den
vorliegenden Fall nicht übertragbar. Hier geht es um den Schutz bei Eintritt eines mehr oder weniger wahrscheinlichen
Versicherungsfalles bzw. des Abdeckens eines offensichtlich geringen Risikos. In der Entscheidung vom 24.05.2000
a.a.O. fordert das Bundesverfassungsgericht dagegen die Gleichbehandlung bei der Abwicklung eines bereits
eingetreten Versicherungsfalles. Das Kranken- bzw. Arbeitslosengeld soll bei den Beziehern nach gleichen Kriterien
errechnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat es dort als verfassungswidrig angesehen, wenn Versicherte
gleich hoher Beitragsbelastung umso stärker bei kurzfristigen Lohnersatzleistungen benachteiligt werden, je höher der
Anteil ihres beitragspflichtigen einmal gezahlten Arbeitsentgeltes am beitragspflichtigen Gesamtarbeitsentgelt ist. Um
eine solche Gleichbehandlung im Leistungsbezug geht es hier aber nicht.
Da somit von einer rechtmäßigen Beitragsabführung auszugehen ist, kann ein Erstattungsanspruch gemäß § 26
Abs.2 SGB IV nicht entstehen. Wegen der eindeutigen Bejahung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen
Entscheidung erübrigt sich eine Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht ebenso wie die Zulassung der
Revision nach § 160 SGG.
Angesichts des Verfahrensausgangs und weil auch die Beklagte keinen Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat, sind
dem Kläger seine etwaigen außergerichtlichen Kosten nicht zu erstatten (§ 193 SGG).