Urteil des LSG Bayern vom 19.10.2004

LSG Bayern: anhaltende somatoforme schmerzstörung, rente, diagnose, erwerbstätigkeit, maurer, arbeitsmarkt, poliklinik, arbeitsbedingungen, psychiater, lendenwirbelsäulensyndrom

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.10.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 14 RJ 466/02
Bayerisches Landessozialgericht L 6 RJ 596/03
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. August 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung an Stelle der von der Beklagten
gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Der 1950 geborene Kläger war in der Zeit vom 05.08.1972 bis 15.12.2000 in Deutschland versicherungspflichtig als
Maurer beschäftigt. Anschließend bezog er Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit bzw. Übergangsgeld.
Auf seinen Antrag vom 13.02.2001 hatte ihm die LVA Oberbayern dem Kläger ein stationäres Heilverfahren als
medizinische Leistung zur Rehabilitation in der Klinik F. Bad S. in der Zeit vom 16.05. bis 13.06.2001 gewährt. Im
Entlassungsbericht vom 09.07.2001 sind als Gesundheitsstörungen ein Lenden-, Brust- und Halswirbelsäulensyndrom
bei degenerativen Veränderungen, Tendinitis beider Schultern, Epikondylitis humero-radialis beidseits, anhaltende
somatoforme Schmerzstörung, Anpassungsstörung in Form einer längeren depressiven Reaktion nach
Kränkungssituation, arterieller Bluthochdruck, Übergewicht, Spannungskopfschmerz sowie beginnende
Verschleißerscheinungen an den Knie- und Sprunggelenken aufgeführt. Er sei nur noch zu drei bis sechs Stunden
täglicher Erwerbstätigkeit in seinem erlernten Beruf als Maurer in der Lage. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne
er noch bis zu mittelschweren Arbeiten ohne besondere Anforderungen an den Stütz- und Bewegungsapparat
vollschichtig verrichten. Auf seinen am 22.06.2001 gestellten Rentenantrag gewährte ihm die Beklagte sodann mit
Bescheid vom 04.12.2001 ab 01.01.2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Grund eines am 04.12.2000
eingetretenen Leistungsfalles.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers - er sei voll erwerbsgemindert und habe Anspruch auf eine
dementsprechende Rente - wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.03. 2002 zurück. Ein Anspruch auf
Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehe angesichts des verbliebenen Leistungsvermögens nicht.
Dagegen hat der Kläger zum Sozialgericht München Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte der
behandelnden Ärzte eingeholt und anschließend Gutachten zum beruflichen Leistungsvermögen des Klägers auf
orthopädischem Fachgebiet durch Dr. K. und auf nervenärztlichem Fachgebiet durch Dr.M. eingeholt.
In seinem schriftlichen Gutachten vom 18.02.2003 hat Dr.K. von Seiten des orthopädischen Fachgebiets als
Gesundheitsstörungen ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit Fehlstatik und Verschleißerscheinungen,
beginnenden Hüftgelenks- und Kniegelenksverschleiß beidseits, eine beginnende Schultereckgelenks- arthrose
beidseits und eine Senk-Spreizfußdeformität beidseits festgestellt. Der Kläger sei mit Rücksicht darauf noch zu
leichten bis gelegentlich mittelschweren Arbeiten vollschichtig in der Lage. Ausgeschlossen seien das Heben und
Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten die unter ungünstigen wirbelsäulenbelastenden Positionen verrichtet werden
müssten. Das vom Kläger gebotene Beschwerdebild stehe in auffälligem Widerspruch zwischen seinem athletischen
Körperbau und der gebotenen Leidensdarstellung. Von Seiten des orthopädischen Fachgebietes bestehe keine
schwerwiegende Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Als Leidensschwerpunkt sei eine somatoforme
Schmerzstörung zu sehen, deren Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen der Beurteilung des
neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets unterliege.
Der Neurologe und Psychiater Dr.M. hat im Gutachten vom 14.05.2003 eine ausgeprägte bewusstseinsnahe
Verdeutlichungstendenz mit psychogener Ausgestaltung und einem demonstrierten feinschlägigen Tremor der rechten
oberen Extremität festgestellt und dies als ausgeprägte bewusstseinsnahe Verdeutlichungstendenz bewertet. Als
Gesundheitsstörungen hat er ein Carpaltunnelsyndrom bds., ein Halswirbelsäulensyndrom mit
Spannungskopfschmerz ohne neurologisch bedeutsame Ausfälle, ein Lendenwirbelsäulensyndrom ohne neurologisch
bedeutsame Ausfälle und eine Neurasthenie mit einem deutlichen Rentenbegehren festgestellt. Die stark wechselnden
Befunde bei den Vorbegutachtungen wiesen nachdrücklich auf eine bewusstseinsnahe Ausgestaltungstendenz hin.
Vor diesem Hintergrund sei die Diagnose eines generalisierten Schmerzsyndroms ebenso fraglich wie die Diagnose
einer Somatisierungsstörung. Die vom Kläger angegebenen subjektiven Beschwerden - Muskelschmerzen,
Schmerzen am ganzen Körper usw. - entsprächen am ehesten der Diagnose einer Neuras- thenie. Mit Rücksicht
darauf seien dem Kläger auch leichte bis kurzfristig mittelschwere Arbeiten vollschichtig möglich ohne Heben und
Tragen schwerer Lasten, ohne häufiges Bücken oder Überkopfarbeiten und ohne feinmotorische Arbeiten der rechten
Hand.
Mit Urteil vom 14. August 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe angesichts des
verbliebenen Leistungsvermögens keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er weiter Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt.
Auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat Dr.B. am 21.06. 2004 ein orthopädisches Fachgutachten zum
beruflichen Leistungsvermögen des Klägers erstattet. Darin bestätigt sie im Wesentlichen die Beurteilungen der
Vorgutachter. Der Kläger sei von Seiten des orthopädischen Fachgebiets unter den üblichen Bedingungen eines
Arbeitsverhältnisses zu einer leichten bis kurzfristig mittelschweren Arbeiten vollschichtig in der Lage. Heben und
Tragen schwerer Lasten sowie die Wirbelsäule besonders belastende Tätigkeiten, Arbeiten im Knien oder
Überkopfarbeiten sein zu vermeiden. Dazu legt der Kläger einen Befundbericht der medizinischen Poliklinik des
Klinikums der Universität M. vom 27. Juli 2004 vor, worin ihm ein chronisches Schmerzsyndrom bei
Somatisierungsstörungen bestätigt wird. Die ausgeprägte Schmerzsymptomatik übertreffe deutlich das sonst bei
massiv verstärktem Schmerzempfinden von Patienten gefundene Ausmaß. Der Kläger mache einen ausgeprägten
psychisch auffälligen Eindruck. Eine rheumatische Erkrankung sei auszuschließen. In einer weiteren Eskalation der
fachärztlichen Konsultationen und Diagnostik sei kein Sinn zu sehen, stattdessen würde die kritische Durchsicht
sämtlicher bereits erhobener Befunde durch den primärbehandelnden Arzt empfohlen.
Nach Auffassung des Klägers ist er mit Rücksicht auf diese Gesundheitsstörungen nicht mehr unter betriebsüblichen
Bedingungen zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage. Es bestünden vielmehr schwere spezifische
Leistungseinschränkungen zumindest ein tatsächlich verschlossener Arbeitsmarkt, wie dies aus der Beurteilung des
Arbeitsamtes hervorgehe, das den Kläger mit Schreiben vom 21.03.2003 aufgefordert habe, Rente wegen voller
Erwerbsminderung zu beantragen, da er in absehbarer Zeit in kein mehr als kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis
mehr vermittelt werden könne.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgericht München vom 14.August 2003 aufzuheben und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 04.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2002 zu
verurteilen, ihm ab 01.01.2001 anstelle der ihm gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung Rente wegen
voller Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts weiterhin für zulässig.
Beigezogen waren die Akten der Beklagten und die des Sozialgerichts München auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt
der Berufungsakte zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die Form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich ist sie jedoch nicht begründet, weil der Kläger
keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)
hat. Der Senat folgt in seiner Entscheidung den Gründen des angefochtenen Urteils und sieht daher insoweit gemäß §
153 Abs.2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass die vom Senat durchgeführte weitere Beweiserhebung die vom
Sozialgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Sachlage bestätigt hat.
Voll erwerbsgemindert gemäß § 43 Abs.2 SGB VI ist lediglich derjenige Versicherte, der außer Stande ist, unter den
üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Senat
musste jedoch auf Grund der Aussage der vom Sozialgericht und dem Senat gehörten ärztlichen Sachverständigen
davon ausgehen, dass der Kläger noch mehr als sechs Stunden täglich zu den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mit körperlich leichten Tätigkeiten erwerbstätig sein könnte. Die beim Kläger
ärztlicherseits geforderten Einschränkungen der Arbeitsbedingungen sind nicht so schwerwiegend, dass sie nicht
gewöhnlich von körperlich leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes erfüllt würden. Insbesondere kann der
Senat keine ungewöhnliche Summierung oder außergewöhnliche Leistungseinschränkungen, wie sie die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in ihrem Maßnahmekatalog festgelegt hat, erkennen (vgl. BSG-Urteil vom
14.09.1995 Az.: 5 RJ 50/94). Zumindest bestehen keine Anhaltspunkte, weshalb der Kläger aus gesundheitlichen
Gründen an der Tätigkeit als Pförtner gehindert sein sollte. Im Übrigen ist auch der Senat zur Überzeugung gelangt,
dass das vom Kläger gebotene Erscheinungsbild durch die vom Sozialgericht befragten ärztlichen Sachverständigen
umfassend und zutreffend bei der Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers berücksichtigt worden
ist. Der zuletzt vorgelegte Befundbericht der medizinischen Poliklinik Innenstadt vom 27. Juli 2004 lässt in diesem
Zusammenhang keine Anhaltspunkte erkennen, die den Senat an der Richtigkeit der Beurteilung des beruflichen
Leistungsvemögens zweifeln ließen.
Der Senat musste deshalb davon ausgehen, dass das berufliche Leistungsvermögen des Klägers noch zu einer mehr
als sechsstündigen täglichen Erwerbstätigkeit zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ausreicht
und er damit nicht voll erwerbsgemindert ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG nicht vorliegen.