Urteil des LSG Bayern vom 11.06.2002
LSG Bayern: berufskrankheit, behandelnder arzt, anerkennung, meinung, akte, anzeichen, wissenschaft, befund, gemeinschaftspraxis, erwerbsfähigkeit
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.06.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 8 U 283/95
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 31/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. November 2001 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die bei der Klägerin bestehenden Lendenwirbelsäulenbeschwerden als
Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKVO - anzuerkennen sind.
Die am 1944 geborene Klägerin arbeitete von 1958 bis 1962 als Hauswirtschafterin in einem Privathaushalt, später
von April 1965 bis Dezember 1966 als Reinigungsfrau bei der Fa.S. und von November 1970 bis Dezember 1973 bei
der Fa.R. als Hilfskraft. In den dazwischenliegenden Zeiten widmete sie sich ihrer privaten Haushaltsführung und der
Kindererziehung. Seit April 1975 ist sie halbtags im C.-Altenheim S. tätig. Dort war sie von April 1975 bis September
1987 auf der Wohnstation und anschließend auf der Pflegestation eingesetzt. Seit 19.09.1994 war sie wegen
chronischer Wirbelsäulenbeschwerden und Depressionen wiederholt arbeitsunfähig. Ihren Beruf hat sie bislang nicht
aufgegeben.
Am 13.10.1994 zeigte der behandelnde Orthopäde Dr.H. den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach
der Nr. 2108 an. Die Beklagte holte Auskünfte der behandelnden Ärzte und der Arbeitgeber ein. Der Gewerbearzt Dr.D.
empfahl der Beklagten am 05.07.1995 keine Berufskrankheit anzuerkennen, weil eine die Wirbelsäule schädigende
Tätigkeit erst ab 1988, nämlich beim Einsatz der Klägerin auf der Pflegestation, vorgelegen habe. Zudem seien nur
die Bandscheiben im Bereich L4/L5 und L5/S1 betroffen, so dass ein berufsbedingter Einfluß nicht wahrscheinlich sei.
Mit Bescheid vom 26.07.1995 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenbeschwerden
als Berufskrankheit nach der Nr. 2108 ab. Im Widerspruch brachte die Klägerin vor, sie habe stets schwere
körperliche Tätigkeiten verrichten müssen, wie auch ihr behandelnder Arzt Dr.H. im Attest vom 07.08.1995 bestätige.
Mit Bescheid vom 14.09.1995 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat die Klägerin beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben. Das Gericht hat die Behandlungsunterlagen, die
Akte des Versorgungsamtes Landshut, die Gerichtsakten zum Verfahren S 2 VS 693/95 beigezogen und den
Orthopäden Dr.W. , leitender Oberarzt der Orthopädischen Universitätsklinik R. zum Sachverständigen ernannt. In
seinem Gutachten vom 17.04.2001 mit ergänzender Stellungnahme vom 20.09.2001 hat sich der Sachverständige
ebenfalls gegen die Anerkennung einer Berufskrankheit ausgesprochen. Denn im Bereich der gesamten Wirbelsäule
zeige sich eine Fehlstatik, welche für sich allein geeignet sei, den an den Bandscheiben erkennbaren
Degenerationsprozess zu fördern und zu beschleunigen. Es sei davon auszugehen, dass auch ohne eine berufliche
Belastung ähnliche Verschleißerscheinungen an der Lendenwirbelsäule aufgetreten wären. Zudem würden die
deutlichen degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule für eine anlagebedingte Entwicklung
sprechen. Auf Antrag der Klägerin (gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) hat Dr.D. am 29.08.2001 ein weiteres
Gutachten erstattet. Er hat die Auffassung vertreten, die von den Vorgutachtern als Folge einer Scheuermann schen
Erkrankung gesehenen Veränderungen beruhten auf einer Fehldiagnose. Vielmehr bestünden bei der Klägerin von L5
bis L2 aufsteigende Bandscheibenveränderungen, während im Bereich der Brustwirbelsäule solche kaum zu finden
seien. Das bandscheibenbedingte Wirbelgleiten bei L5/S1 habe sich als Folge der Berufskrankheit i.S.e.
Pseudospondylolisthesis entwickelt ebenso wie der Verschleiß der Bandscheibe C4/C5 im Halswirbelsäulenbereich.
Es liege somit eine Berufskrankheit gemäß der Nr. 2108 vor. Wegen dieser Erkrankung sei die Klägerin eigentlich
gezwungen ihren Beruf aufzugeben, was sie bislang aus finanziellen Erwägungen noch nicht getan habe. Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - betrage 20 vH, eventuell sogar 30 vH, wenn man den Gleitvorgang der
Lendenwirbelsäule miteinbeziehe.
Mit Urteil vom 16.11.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf das seiner
Meinung nach überzeugende Gutachten von Dr.W. gestützt. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob bereits die von der
Klägerin angeschuldigte Tätigkeit, welche sie von April 1975 bis Oktober 1987 auf der Wohnstation des Altenheims
ausgeübt habe, wirbelsäulengefährdend gewesen sei, was für ihre Tätigkeit auf der Pflegestation bejaht werden könne.
Denn bei der Klägerin seien eindeutig anlagebedingte Veränderungen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule zu
finden, welche für sich allein das Beschwerdebild erklärten. Hingegen fänden sich keine typischen Anzeichen für
Veränderungen in Folge einer starken Hebebelastung.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie sich auf das Gutachten von Dr.D. gestützt.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 16.11.2001 und
des Bescheids vom 26.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.09.1995 zu verurteilen, ihre
Lendenwirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.11.2001
zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der beigezogenen Akten des
Sozialgerichts Landshut zu den Aktenzeichen S 13 SB 670/99 und S 2 Vs 693/95 sowie der Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz im hiesigen Verfahren Bezug genommen.
II.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 142, 151 SGG), aber unbegründet.
Dass die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung ihres Lendenwirbelsäulenleidens als Berufskrankheit gem. § 9
Abs. 1 und Abs. 4 des 7. Sozialgesetzbuchs - SGB VII - geltend machen kann, hat das Sozialgericht bereits
umfassend im angefochtenen Urteil dargestellt. Den Ausführungen ist nichts hinzuzufügen, zumal die Klägerin zur
Begründung ihrer Berufung nichts vorgetragen hat, womit sich das Sozialgericht noch nicht auseinandergesetzt hätte.
Zur Vermeidung von Wiederholungen sieht der Senat gem. § 153 Abs. 2 SGG von der Darstellung weiterer
Entscheidungsgründe ab. Er nimmt auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug.
Auch der Senat vertritt die Meinung, dass die Ausführungen von Dr.W. vollständig, schlüssig und überzeugend sind.
Sie decken sich auch mit den derzeitigen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft. Hingegen bleibt Dr.D. , wie
vom Sozialgericht bereits aufgezeigt, eine nachvollziehbare Begründung seiner Auffassung schuldig. Der von der
Klägerin mit Schreiben vom 03.06.2002 vorgelegte, an den behandelnden Arzt Dr.D. gerichtete Bericht der
radiologischen Gemeinschaftspraxis Dr.P. und Dr.K. vom 24.01.2002 enthält keine neuen Erkenntnisse. Darin wird
das Ergebnis einer Magnetresonanztomografie der Lendenwirbelsäule vom 24.01.2002 mitgeteilt. Der von Dr.W. in
seinem Gutachten vom 17.04.2001 beschriebene Befund im Bereich der beiden untersten Segmente der
Lendenwirbelsäule wird von den Radiologen bestätigt. Der Senat kommt damit zum Ergebnis, dass die Klägerin
keinen Anspruch auf Feststellung ihres Lendenwirbelsäulenleidens als Berufskrankheit gem. § 9 Abs. 1 und 4 SGB
VII i.V.m. der Nr. 2108 der Anlage 1 der BKVO hat. Ihre Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom
16.11.2001 war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).