Urteil des LSG Bayern vom 19.12.2005
LSG Bayern: Az.: S 4 R 259/02, wird abgelehnt. II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung zu erstatten., aufschiebende wirkung, erlass
Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 19.12.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 4 R 259/02
Bayerisches Landessozialgericht L 19 R 793/05 ER
I. Der Antrag der Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem mit der Berufung angefochtenen Urteil des
Sozialgerichts Würzburg vom 15.09.2005 - Az.: S 4 R 259/02 - wird abgelehnt. II. Die Beklagte hat dem Kläger die
außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe:
Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat mit Urteil vom 10.05.2005 die Beklagte verpflichtet, unter Abänderung der
angefochtenen Bescheide den Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ab 17.10.2000 anzuerkennen und ab dem
01.05.2001 die entsprechenden gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Das Gericht gelangte zu dem Ergebnis, dem
Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) alter
Fassung (aF) zuzusprechen, weil es sich die Rechtsauffassung des Bundessozialgerichtes in der Entscheidung vom
08.09.2005, Az: B 13 RJ 10/04 R, zu eigen machte. Die zum 01.01.2001 durch die Neuordnung der Renten wegen
Erwerbsminderung eingetretene geänderte Rechtslage berühre den klägerischen Anspruch nicht mehr. Unter Bezug
auf § 40 Abs 1 SGB I entstünden Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz bestimmten
Voraussetzungen vorliegen. Dies sei der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles. Hinausgeschoben werde lediglich
die Fälligkeit der Leistungen iS des § 41 SGB I durch die Spezialregelung des § 101 Abs 1 SGB VI aF, wonach die
befristete Rente nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit geleistet werde.
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 10.11.2005 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt, der
Auffassung des SG und der Entscheidung des BSG vom 08.09.2005 könne nicht gefolgt werden. Die
Voraussetzungen der §§ 302b, 300 Abs 2 SGB VI seien nicht erfüllt, da der Kläger am 31.12.2000 keinen Anspruch
auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit iS dieser Vorschriften hatte. Gemäß § 101 Abs 1 SGB VI iVm § 102 Abs 2
Satz 1 Nr 2 SGB VI in der hier anzuwendenden bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung habe im Dezember 2000 nur
ein Stammrecht auf eine befristete Rente bestanden. Der sich ausgehend vom Leistungsfall Oktober 2000 ergebende
Einzelanspruch sei aufgrund der Rentenbeginn-Vorschriften erst ab dem 01.05.2001 entstanden und sei auch erst zu
diesem Zeitpunkt fällig geworden. Die §§ 300 Abs 2 und 302b Abs 1 SGB VI meinten den fälligen Anspruch auf
Zahlung der Rente und nicht die Entstehung des Rentenstammrechts.
Mit der Berufungsbegründung beantragt die Beklagte auch, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil zur
Vermeidung einer Überzahlung auszusetzen.
Nach § 154 Abs 2 SGG bewirkt die Berufung eines Versicherungsträgers Aufschub, soweit es sich um Beträge
handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Keine aufschiebende
Wirkung tritt dagegen kraft Gesetzes für die Zeit nach Erlass des Urteils ein, wenn ein Versicherungsträger verurteilt
wurde, dem Kläger eine Rente zu zahlen. Der Versicherungsträger ist daher verpflichtet, die sogenannte Urteilsrente
einzuweisen, die der Kläger aber wieder zu erstatten hat, wenn das Urteil des Erstgerichts auf die Berufung hin oder in
einem eventuellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.
Auf Antrag oder von Amts wegen kann jedoch der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats des
Landessozialgerichts gemäß § 199 Abs 2 SGG durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aus dem Urteil
aussetzen - soweit die Berufung gemäß § 154 Abs 2 SGG keine aufschiebende Wirkung hat. Nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) soll eine Aussetzung allerdings nur dann erfolgen, wenn das
Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSGE 12, 138; 33, 118, 121). Nach der herrschenden Meinung in
Literatur und Rechtsprechung ist nach Auffassung des BSG nicht uneingeschränkt zu folgen und eine Aussetzung der
Vollstreckung auch dann anzuordnen, wenn es nur überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Leistungsträger mit
seinem Rechtsmittel ebenfalls im wesentlichen Umfang Erfolg haben wird (siehe Niesel, Der Sozialgerichtsprozess,
4.Aufl, RdNr 400; Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 199 RdNrn 8 und 8a mwN). Zu berücksichtigen ist
auch, ob in der Zwischenzeit geleistete Beträge nach Aufhebung des Urteils dann eingetrieben werden können. Das
Interesse des Leistungsträgers an der Rückerstattung der Leistung ist umso höher zu bewerten, je größer die
Erfolgsaussicht in der Berufung des Leistungsträgers einzuschätzen ist. Dabei ist jedoch auch zu berücksichtigen,
dass insbesondere dann, wenn in absehbarer Zeit ein Anspruch auf Altersrente entsteht, der Versicherungsträger
nach § 51 Abs 2 SGB I aufrechnen kann bzw. sonst nach § 52 SGB I evtl. einen anderen Leistungsträger mit der
Verrechnung beauftragen kann.
Vorliegend hängt die Erfolgsaussicht der Berufung davon ab, ob sich der Senat der Rechtsauffassung des BSG in
dem Urteil vom 08.09.2005, Az: B 13 RJ 10/04 R anschließen wird oder abweichend von dieser Entscheidung der
Auffassung der Berufungsklägerin und der Träger der Deutschen Rentenversicherung folgen wird. Dies muss der
Entscheidung des Senates vorbehalten bleiben. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass es überwiegend
wahrscheinlich ist, dass die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel jedenfalls im wesentlichen Umfang Erfolg haben wird.
Unter diesen Umständen besteht unter Abwägung einerseits des Interesses des Klägers an der Vollstreckung des
Urteils und andererseits des Interesses der Beklagten daran, vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage nichts leisten
zu müssen, kein Anlass, von der im Gesetz vorgesehenen Regelung, dass die Berufung gemäß § 154 Abs 2 SGG für
die Zeit ab Erlass des angefochtenen Urteils keine aufschiebende Wirkung hat, abzuweichen.
Die Entscheidung über die Kosten (siehe BayLSG NZS 97, 96) beruht auf der Erwägung, dass der Antrag der
Beklagten abgelehnt wurde.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.