Urteil des LSG Bayern vom 27.01.2010

LSG Bayern: somatoforme schmerzstörung, berufliche tätigkeit, befristete rente, erwerbsfähigkeit, minderung, psychiatrie, psychiater, behandlung, psychotherapie, depression

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.01.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 14 R 295/05
Bayerisches Landessozialgericht L 20 R 869/06
Bundessozialgericht B 13 R 169/10 B
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.11.2006 und der Bescheid der
Beklagten vom 22.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2005 aufgehoben und die Beklagte
verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 23.04.2009 bis zum 30.04.2012
anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen vom 01.11.2009 bis 30.04.2012 zu gewähren. Im Übrigen wird die
Berufung zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung beanspruchen kann.
Die 1963 geborene Klägerin war zuletzt 2001 als Packerin versicherungspflichtig beschäftigt. Sie beantragte am
18.01.2005 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 22.02.2005 und
Widerspruchsbescheid vom 20.05.2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Klägerin körperlich leichte
Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden verrichten könne. Sie verwies auf die nach Untersuchung der Klägerin
eingeholten Gutachten der Orthopädin Dr. B. und der Neurologin und Psychiaterin Dr. S. (Gutachten vom 21.12.2004
bzw. 17.02.2005).
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Würzburg ärztliche Befundberichte beigezogen und den Orthopäden Dr.
B. mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 26.06.2006 hat Dr. B.
festgestellt, dass die Klägerin unter folgenden Gesundheitsstörungen leide: Funktionelles Wirbelsäulensyndrom bei
leichten degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule (HWS) und der Lendenwirbelsäule (LWS), Schulter-Arm-
Syndrom rechts bei Supraspinatussehnensyndrom, beginnende Gonarthrose rechts, Chondropathia pataella, Neigung
zu Gastritis und Verdacht auf depressive Entwicklung mit Somatisierungsstörung. Eine mindestens sechsstündige
Tätigkeit der Klägerin unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sei möglich. Eine nennenswerte
Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit sei auf dem orthopädischen Gebiet nicht feststellbar. Die Beeinträchtigung auf
dem psychiatrischen Gebiet sei nicht gravierend. Tätigkeiten mit nervlicher Belastung, wie Akkord- oder
Fließbandarbeit, sowie unter ständiger Zwangshaltung der Arme, Überkopfarbeiten und Armvorhaltetätigkeiten sollten
vermieden werden. Mit Urteil vom 28.11.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Es ist den Ausführungen des
Sachverständigen Dr. B. gefolgt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Die psychische Situation sei unzureichend beurteilt worden.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren Befundberichte von den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholt. Ua
hat der Neurologe und Psychiater Dr. H. im Bericht vom 05.05.2008 ausgeführt, dass bei Behandlung der Klägerin
erstmals 8/2001 u. letztmals 4/2008 unverändert eine mittelgradige depressive Episode bestehe. Der Neurologe und
Psychiater Dr. B. hat unter dem 31.03.2009 berichtet, dass die Klägerin seit dem 17.11.2008 bei ihm in Behandlung
stehe und unverändert von der Diagnose nach ICD-10 F32.2 (schwere depressive Episode) und ICD-10 F45.0
(Somatisierungsstörung) auszugehen sei.
Die Beklagte hat einen Entlassungsbericht vom 28.02.2008 über die Durchführung einer orthopädisch ausgerichteten
medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom 31.01.2008 bis 21.02.2008 übermittelt. Danach sei bei der Klägerin ein
chronisches Wirbelsäulensyndrom, eine Cervicobrachialgie, eine Epicondilitis humeri ulnaris links und eine
mittelgradige depressive Episode festgestellt worden. Das Leistungsvermögen bestehe auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten über sechs Stunden täglich.
Zur Frage des Leistungsvermögens der Klägerin hat der Orthopäde Dr. H. das Gutachten vom 30.03.2009 erstattet.
Dr. H. hat nach Untersuchung am 25.03.2009 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt, die sich auf das
Leistungsvermögen der Klägerin auswirken: Chronisches LWS-Syndrom bei mittelgradiger Funktionseinschränkung,
wiederkehrendes HWS-Syndrom bei untermittelgradiger Funktionseinschränkung und gelegentliche Reizzustände der
Schultern beidseits und der Ellenbogengelenke, ohne wesentliche Funktionseinschränkung iS myofascialer
Schmerzen, bei untermittelgradiger Funktionseinschränkung. Dr. H. hat hervorgehoben, dass bei der
Gesamtbewertung der Leistungsfähigkeit das vorgetragene Beschwerdegebiet auf orthopädischem Fachgebiet sehr
stark durch das nervenärztliche Krankheitsbild iS einer somatisierten Depression mit ausgeprägt histrionischem
Gefüge beeinflusst und überlagert werde. Die Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens werde
angeregt. Auf dem orthopädischen Gebiet seien überwiegend leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im zeitlichen
Umfang von sechs Stunden oder mehr täglich möglich. Qualitative Einschränkungen seien insoweit zu beachten, als
rein sitzende Tätigkeiten, schweres Heben/Tragen, gehockte/gebückte Zwangshaltungen, Überkopfarbeit, Tätigkeiten
an laufenden Maschinen oder mit erhöhten Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit und Arbeit in Wechsel-
/Nachtschicht zu vermeiden seien.
Eingeholt hat der Senat einen Bericht der Fachklinik für Psychiatrie Dr. S. vom 01.07.2009 über den dortigen
stationären Aufenthalt der Klägerin vom 23.04.2009 bis 04.06.2009.
Der Senat hat den Neurologen und Psychiater Dr. E. mit Gutachten vom 02.11.2009 gehört. Diagnostisch seien ua
eine Anpassungsstörung und eine somatoforme Schmerzstörung festzustellen. Ganz im Vordergrund stehe die
inzwischen chronifizierte ängstlich-depressive Anpassungsstörung, die sich trotz langjähriger ambulanter und
wiederholt stationärer Therapiebemühungen als therapieresistent erwiesen habe. Zum Zeitpunkt der Untersuchung am
10.11.2009 sei die Klägerin nur noch für weniger als drei Stunden täglich belastbar. Leichte Arbeiten mit weiteren
qualitativen Einschränkungen seien möglich. Die Dauer der nur unter drei Stunden täglichen Belastbarkeit sei nicht
abschätzbar. Eine Nachbegutachtung nach zwei Jahren werde angeregt. Es bestünde eine theoretische Chance, dass
im Verlaufe von etwa zwei bis drei Jahren unter intensiver ambulanter Psychotherapie und einem
krankengymnastischen Übungsprogramm, mit dem Ziel einer aktivierenden selbständigen Therapie, eine bessere
Belastbarkeit der Klägerin erreicht werde. Auch wenn dies nach kritischer Würdigung der bisherigen Biographie keine
große Aussicht auf Erfolg habe und vermutlich schon allein wegen des fehlenden Angebots einer türkischsprachigen
Psychotherapie scheitern werde, erscheine es sinnvoll, den Leistungsstand der Klägerin nach Ablauf von zwei Jahren
zu überprüfen.
Im Hinblick auf die Ausführungen des Dr. E. hat sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.01.2010 bereit erklärt, bei
der Klägerin eine volle Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 23.04.2009 (Datum der Aufnahme der stationären
Behandlung in der Fachklinik für Psychiatrie Dr. S.) bis zum 31.10.2011 anzuerkennen und die gesetzlichen
Leistungen ab dem 01.11.2009 zu gewähren. Die Rente sei zu befristen, da es nicht unwahrscheinlich sei, dass die
Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.01.2010 hat
die Beklagte das Vergleichsangebot dahingehend erweitert, als Leistungen bis zum 30.04.2012 gewährt werden.
Die Klägerin hat das Vergleichsangebot der Beklagten abgelehnt und unter Hinweis auf den Bericht des Dr. B. vom
31.03.2009 und auf von Dr. B. seit dem 18.11.2008 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgeführt, die
psychische Erkrankung habe spätestens im Jahre 2008 - und zwar seit der fachärztlichen Erstfeststellung einer
schweren depressiven Episode am 18.11.2008 - zu einer quantitativen Leistungseinschränkung geführt. Im Hinblick
auf die eingetretene Chronifizierung sei es auch nicht wahrscheinlich, dass die eingetretene Erwerbsminderung
behoben werden könne. Dass ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen mit Wahrscheinlichkeit wieder
eintreten werde, habe Dr. E. auch unter Zugrundelegung theoretischer Erwägungen nicht bestätigt. Er habe vielmehr
ebenfalls darauf hingewiesen, dass der therapeutische Zugang soweit eingeschränkt sei, dass die Überwindung der
depressiven und resignierenden Fehlhaltung auch unter Aufbietung zumutbarer Willensanstrengung nicht gelingen
könne.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.11.2006 und den Bescheid der Beklagte vom
22.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
der Klägerin auf den Antrag vom 18.01.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser
Erwerbsminderung, ab 01.02.2005 zu gewähren, hilfsweise den Sachverständigen Dr. E. ergänzend zu befragen, seit
wann bei der Klägerin von einer weniger als sechs- bzw. dreistündigen Leistungsfähigkeit auszugehen ist und ob es
unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.
Die Beklagte beantragt, die Berufung insoweit zurückzuweisen, als diese über das Vergleichsangebot vom 20.01.2010
in der Fassung vom 27.01.2010 hinausgeht.
Ergänzend wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und der Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sie erweist sich aber nur zum Teil als begründet. Der
Klägerin steht (nur) ein Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Sechstes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf Grund eines am 23.04.2009 eingetretenen Leistungsfalles zu. Auch war die
Rente nach Auffassung des Senats wegen der Möglichkeit der Besserung und Behebung der Erwerbsminderung nach
§ 102 Abs 2 SGB VI bis zum 30.04.2012 zu befristen. Für die vorangegangene Zeit ab Antragstellung kann die
Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung nicht beanspruchen.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI bzw. § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der
Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll bzw. teilweise
erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für
eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit
erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit
außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich
erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit
oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI).
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs
Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs 3
SGB VI.
Ein quantitativ vermindertes Leistungsvermögen der Klägerin ergibt sich allein aus den vorliegenden
Gesundheitsstörungen auf dem psychiatrischen Gebiet. Dagegen ist nach den für den orthopädischen Bereich von Dr.
B. am 26.06.2006 und Dr. H. am 30.03.2009 erstellten Gutachten sowie der abschließenden Beurteilung der
orthopädisch ausgerichteten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom 28.02.2008 die Klägerin noch in der Lage,
zumindest leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr zu verrichten.
Zuletzt hat Dr. H. festgestellt, dass bei der Klägerin im Wesentlichen ein Wirbelsäulensyndrom bei degenerativen
Veränderungen der HWS und LWS mit Bandscheibendegenerationen besteht. Neurologische
Nervenwurzelreizerscheinungen konnten nicht festgestellt werden. Die Funktionseinschränkungen sind höchstens als
mittelgradig einzuordnen. Hieraus ergeben sich Einschränkungen des Leistungsvermögens qualitativer Art. Nicht mehr
zumutbar sind rein sitzende Tätigkeiten, schweres Heben/Tragen, gehockte/gebückte Zwangshaltungen und
Überkopfarbeit.
Allerdings sind die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2 SGB VI erfüllt, weil
die psychiatrischen Gesundheitsstörungen ein unter dreistündiges Leistungsvermögen bedingen. Der Sachverständige
Dr. E. hat nachvollziehbar festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin am 10.11.2009 die Klägerin
nur noch für weniger als drei Stunden täglich belastbar ist. Bei der Klägerin besteht eine Anpassungsstörung und eine
somatoforme Schmerzstörung. Ganz im Vordergrund steht die chronifizierte ängstlich-depressive Anpassungsstörung
mit sozialem Rückzug und weitgehender Einschränkung des sozialen Beziehungsgefüges. Unter Berücksichtigung
des Entlassungsberichts der Fachklinik für Psychiatrie Dr. S. vom 01.07.2009 über den stationären Aufenthalt der
Klägerin vom 23.04.2009 bis 04.06.2009 und der mitgeteilten Befunde und Funktions- und Aktivitätsstörungen geht
der Senat davon aus, dass die von Dr. E. beschriebene Einschränkung des Leistungsvermögens bereits im Zeitpunkt
der Klinikaufnahme am 23.04.2009 bestand. Von dieser Einschätzung geht auch die Beklagte aus und hat insoweit
ein Vergleichsangebot unterbreitet.
Vor April 2009 bestand entgegen der Auffassung der Klägerin keine nachweisbare rentenrechtlich relevante
verminderte Erwerbsfähigkeit. Soweit eine sozialmedizinische Begutachtung erfolgte, hat erst Dr. H. mit Gutachten
vom 14.04.2009 und unter Hinweis auf einen Kurzbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 20.01.2009, der
von einer somatisierten Depression mit ausgeprägt histrionischem Gefüge berichtet, die Möglichkeit einer relevanten
Einschränkung des Leistungsvermögens aufgrund psychiatrischer Gesundheitsstörungen aufgezeigt und die
Einholung eines Sachverständigengutachtens auf diesem Gebiet angeregt. Noch im erstinstanzlichen Verfahren hat
der Sachverständige Dr. B. nur einen Verdacht auf eine depressive Entwicklung mit Somatisierungsstörung
festgestellt und die Beeinträchtigung auf dem psychiatrischen Gebiet als nicht gravierend angesehen (Gutachten vom
26.06.2006). Der die Klägerin bis April 2008 behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. geht im Bericht vom
05.05.2008 von einer mittelgradigen depressiven Episode aus. Der Entlassungsbericht vom 28.02.2008
(Rehabilitationsmaßnahme vom 31.01.2008 bis 21.02.2008) beschreibt ebenfalls eine mittelgradige depressive
Episode; es wird ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für körperlich leichte bis mittelschwere
Tätigkeiten über sechs Stunden täglich eingeschätzt.
Zwar nimmt die Klägerin Bezug auf den Bericht des Dr. B. vom 31.03.2009 und auf die von Dr. B. seit dem
18.11.2008 fortlaufend ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Aus dessen Schilderung, die Klägerin stehe
seit dem 17.11.2008 bei ihm in Behandlung und unverändert sei von der Diagnose einer schweren depressiven
Episode und einer Somatisierungsstörung auszugehen, kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die psychische
Erkrankung spätestens am 17.11.2008 zu einer quantitativen Leistungseinschränkung geführt hat. Dr. B. berichtet im
Kurzbericht vom 20.01.2009 nur von einer somatisierten Depression mit ausgeprägt histrionischem Gefüge. Dr. E.
weist - auch unter Berücksichtigung des Befundberichtes vom 31.03.2009 - darauf hin, dass sich zwischenzeitlich die
depressive Symptomatik verstärkt habe. Erst für den Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin am 10.11.2009 hat Dr.
E. eine unter dreistündige Belastbarkeit festgestellt. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Hinweis auf seit dem
18.11.2008 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Arbeitsunfähigkeit ist von einer Erwerbsminderung im
rentenrechtlichen Sinn zu unterscheiden. Die durchgehende Arbeitsunfähigkeit bezieht sich auf die zuletzt ausgeübte
berufliche Tätigkeit. Der Begriff der Erwerbsminderung ist weiter gefasst und betrifft insbesondere auch Tätigkeiten
des allgemeinen Arbeitsmarktes. Aus der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin kann demnach nicht auf eine teilweise oder
volle Erwerbsminderung geschlossen werden. All dies zu Grunde gelegt hat der Senat eine ergänzende Befragung des
Dr. E. zum Zeitpunkt des Eintritts der Leistungsminderung nicht für erforderlich gehalten. Dr. E. hat (erst) mit dem
Zeitpunkt der Untersuchung eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens angenommen, wobei der Senat
unter Berücksichtigung des Entlassungsberichts der Fachklinik für Psychiatrie Dr. S. vom 01.07.2009 bereits von
einem früheren Leistungsfall ausgeht.
Die Rente war gemäß § 102 Abs 2 S 5 SGB VI zu befristen, da nicht unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der
Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Eine Dauerrente ist erst zu leisten, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit
wahrscheinlich nicht behoben werden kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten
ausgeschöpft sind und danach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht (BSG Urteil vom 29.3.2006 - B 13 RJ
31/05 R = SozR 4-2600 § 102 Nr 2). "Unwahrscheinlichkeit" erfordert, dass aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des
bisherigen Verlaufs nach medizinischen Erkenntnissen - auch unter Berücksichtigung noch vorhandener
therapeutischer Möglichkeiten - eine Besserung nicht anzunehmen ist, durch welche sich eine rentenrechtlich
relevante Steigerung der Leistungsfähigkeit des Versicherten ergeben würde. Vorliegend sind die
Behandlungsmöglichkeiten noch nicht als ausgeschöpft einzustufen. Zwar hat Dr. E. ausgeführt, der therapeutische
Zugang sei derzeit soweit eingeschränkt, dass es der Klägerin krankheitsbedingt nicht mehr möglich sei, die
depressiv resignierende Fehlhaltung auch unter Aufbietung zumutbarer Willensanstrengung zu überwinden. Allerdings,
so Dr. E. zu der entsprechenden Beweisfrage, besteht eine theoretische Chance, dass im Verlaufe von etwa zwei bis
drei Jahren unter intensiver ambulanter Psychotherapie und einem krankengymnastischen Übungsprogramm, mit dem
Ziel einer aktivierenden selbständigen Therapie, eine bessere Belastbarkeit der Klägerin erreicht wird. Insoweit stützt
sich Dr. E. auch auf einen Bericht der Orthopädischen Universitätsklinik H. vom 06.10.2009. Angesichts dieser
überzeugenden Ausführungen bestand keine Veranlassung, Dr. E. hierzu erneut zu befragen.
Das Ende der Befristung ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen hinsichtlich der möglichen
Besserung innerhalb von zwei bis drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Untersuchung am 10.11.2009.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte aus dem Gutachten des
Dr. E. entsprechende Folgerungen gezogen und einen Vergleich angeboten hat.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG nicht vorliegen.