Urteil des LSG Bayern vom 09.02.2006

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 09.02.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 11 KR 125/03
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 82/04
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. März 2004 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Kosten für eine Implantatversorgung zu erstatten.
Die 1975 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Sie erlitt am 05.07.1992 einen Verkehrsunfall mit den
Folgen Beckenfraktur rechts, ausgedehnte Mittelgesichtsverletzungen, HWS-Schleudertrauma. Es wurden die Zähne
1, 12, 21 und 22 beschädigt. Die Beklagte leistete einen Zuschuss für die Implantatbrücke bei den Zähnen 12, 11 und
21, was sie mit Schreiben vom 26.04.1994 der Klinik und Poliklinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie bestätigte. Im
Übrigen wurde die ärztliche Behandlung von der Versicherung des Schädigers bezahlt.
Am 03.07.2002 schloss die Klägerin mit dem Zahnarzt und Oralchirurgen Dr.F. eine private Behandlungsvereinbarung
über eine nicht den Richtlinien der vertragszahnärztlichen Behandlung entsprechende Versorgung. Sie vereinbarte
privatärztliche Behandlung und bestätigte, dass sie darüber unterrichtet sei, die Krankenkasse werde voraussichtlich
keinen Zuschuss geben. Laut Behandlungsplan sollte bei Zahn 16 ein Implantat eingesetzt werden. Es sollten
Behandlungskosten von insgesamt 2.994,69 DM entstehen.
Wann sich die Klägerin mit der Beklagten in Verbindung gesetzt hat, ist nicht aktenkundig. Laut Gesprächsnotiz nahm
die Beklagte am 29.07.2002 mit Dr.F. telefonisch Kontakt auf, wobei Dr.F. angegeben hat, er habe keine Unterlagen,
dass das Implantat auf Zahn 16 aufgrund des Unfalls erforderlich sei. Der Zahn sei am 26.03.2002 gezogen worden.
Die Beklagte hat offensichtlich den Beratungszahnarzt Dr.S. angehört, eine schriftliche Äußerung existiert nicht.
Lediglich ein Bericht über die telefonische Rücksprache mit Dr.S. vom 27.09.2002 ergibt dessen Auffassung, das
Implantat regio 16 könne nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung übernommen werden. Für die Übernahme
der Suprakonstruktion liege keine Ausnahmeindikation vor, Zahn 15 sei nur durch Überkronung zu erhalten. Als
Kassenleistung käme demnach nur eine Brücke von 15 auf 17 in Betracht. Das Implantat und die Krone 16 seien
reine Privatleistung. Nur die Zähne 12 bis 22 seien unfallbedingt geschädigt, auch die Zähne 41-32.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 29.10.2002 eine Kostenübernahme mit der Begründung abgelehnt, der
Beratungszahnarzt habe keinen Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall feststellen können. Bereits deshalb sei die
Kostenübernahme ausgeschlossen. Außerdem liege keine Ausnahmeindikation vor.
Hiergegen hat der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch eingelegt. Dr.F. hat der Klägerin am 06.11.2002 für die ab
10.10.2002 durchgeführte Behandlung insgesamt 1.148,88 EUR in Rechnung gestellt.
Der von der Beklagten zur Begutachtung nach Aktenlage beauftragte Zahnarzt Dr.M. kam am 25.11.2002 zu dem
Ergebnis, die implantologische Versorgung stelle eine reine Privatleistung dar, weil keine Ausnahmeindikation
gegeben sei. In regio 16 sei unfallbedingt kein größerer Kiefer- und Gesichtsdefekt entstanden.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2003 zurückgewiesen. Die Implantatversorgung des
Zahnes 16 stehe nicht in Zusammenhang mit dem Unfall von 1992. Außerdem bestehe weder für die
Implantatversorgung noch die Suprakonstruktion eine den Richtlinien entsprechende Indikation. Sie könnten nicht
bezuschusst werden.
Hiergegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg, die er damit begründete, die
durch Dr.F. durchgeführte Behandlung sei dringend geboten und die einzig sinnvolle Maßnahme gewesen.
Grundsätzlich seien Zahnimplantate Prothesen vorzuziehen. Im Gesundheitswesen sollte dann nicht schematisiert
vorgegangen werden, sondern das, was auch sinnvoll sei, berücksichtigt werden.
Der Zahnarzt Dr.F. teilte dem Sozialgericht auf Anfrage mit, es wäre eine alternative Brückenversorgung möglich,
jedoch sei der Nachbarzahn 15 ebenso wie der Nachbarzahn 17 mit Füllung versehen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 09.03.2004 abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine gemäß § 13
Abs.3 SGB V mögliche Kostenerstattung seien nicht gegeben. Ganz offensichtlich stelle die streitige
zahnprothetische Versorgung im Zahnbereich 16 keine aus medizinischen Gründen unaufschiebbare Maßnahme im
Sinne einer Notfallbehandlung dar. Die Beklagte habe einen Heilbehandlungsanspruch auch nicht zu Unrecht
abgelehnt. Ein Anspruch auf Kostenübernahme für die Versorgung der Zahn-lücke im Bereich 16 mittels Implantat
habe weder als Sachleistungsanspruch noch im Rahmen einer Kostenbeteiligung an der Versorgung mittels
Suprakonstruktion bestanden. Generell sei die Implantatversorgung keine Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung. Es liege weder eine Gesamtbehandlung vor, noch sei eine der Ausnahmeindikationen gegeben.
Ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 28 Abs.2 Satz 9 SGB V liege nicht vor. Auch die Voraussetzungen zur
Versorgung mittels Suprakonstruktion ließen sich nicht feststellen, die Nachbarzähne seien nicht kariesfrei.
Abgesehen davon habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, sie habe die privatärztliche
Behandlung bereits am 09.03.2004 begonnen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Ihr Bevollmächtigter führt an, er habe bereits im
Klageverfahren ein Schreiben der Beklagten vom 26.04.1994 vorgelegt, in dem diese bestätigt, sie werde
Materialkosten in Höhe von 90 % zuzüglich 10 % Bonus an den Kosten der prothetischen Versorgung
(Suprakonstruktion) übernehmen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte bei dem zuständigen
Haftpflichtversicherer weitgehend schadlos halten könnte. Das Ersturteil sei insofern falsch, als es nicht belegt habe,
weshalb keine unaufschiebbare Notfallbehandlung vorgelegen habe. Das Erstgericht verkenne auch die Gleichstellung
aller, wenn es ein subjektives Recht der Klägerin ablehne. Gesetzlich Krankenversicherte dürften nicht benachteiligt
werden. Es sei auch zu Unrecht das Vorliegen eines besonders schweren Falles abgelehnt worden. Es sei auch zu
berücksichtigen, dass die Implantateinsetzung billiger und sinnvoller als jede andere Maßnahme gewesen wäre. Bei
der Anwendung von Richtlinien habe das Erstgericht nicht bedacht, dass verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen
bestünden. Weil das Gericht die Zeugen Dr.F. und H. nicht als sachverständige Zeugen dazu, dass die
Implantatversorgung die einzig sinnvolle und wirtschaftliche Maßnahme gewesen sei, angehört habe, solle an eine
Zurückverweisung gedacht werden. In Anlehnung an Art.100 GG solle eine Entscheidung des Verfassungsgerichts
herbeigeführt werden, dass die in § 92 SGB V angesprochene Richtlinie keine verbindliche Grundlage bei gerichtlichen
Entscheidungen darstellen könne. Das Bundesverfassungsgericht solle auch klären, dass ein gesetzlicher
Krankenversicherer an vorausgegangene verbindliche Zusagen gebunden sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.03.2004 und den zugrunde liegenden Bescheid
der Beklagten vom 29.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2003 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, ihr EUR 1.148,88 aus der zahnärztlichen Rechnung Dr.F. vom 06.11.2002 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider
Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht
der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist aber als unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr für die Versorgung der Zahnlücke 16 mit einem
Implantat und einer darauf gestützten Krone entstanden sind. Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der
Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs.3 SGB V).
Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender
Sachleistungsanspruch, er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört,
welche die Krankenkassen allgemein in Natur - also in Sach- oder Dienstleistungen - zu erbringen haben (ständige
Rechtsprechung des BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr.1).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung des Zahnes 16 mit einem Implantat und einer darauf befestigten
Krone. Nach dem im Zeitpunkt der Eingliederung geltenden Recht waren, wie das Sozialgericht im Urteil zutreffend
ausführt, implantologische Leistungen nicht Bestandteil der vertragszahnärztlichen Behandlung (§ 28 Abs.2 Satz 9
SGB V), es sei denn, es gelten seltene, vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien
festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle. Das Sozialgericht hat richtigerweise unter
Berücksichtigung der von der Beklagten eingeholten ärztlichen Stellungnahme das Vorliegen einer
Ausnahmeindikation abgelehnt. Das gleiche gilt für die Suprakonstruktion, deren Kosten den Richtlinien entsprechend
deshalb nicht übernommen werden können, weil die Nachbarzähne nicht kariesfrei sind. Hinzu kommt, dass
konventioneller Zahnersatz im Fall der Klägerin möglich gewesen wäre. Der Senat weist die Berufung aus den
Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung
der Entscheidungsgründe ab. Zur Rechtslage hat sich das BSG ausführlich im Urteil vom 19.06.2001, B 1 KR 23/00 R
(SozR 3-2500 § 28 Nr.6) geäußert. Es bestätigt in diesem Urteil auch die Auffassung der Beklagten, dass es für den
Kostenerstattungsanspruch auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der Behandlung ankommt. Das vom
Klägerbevollmächtigten vorgelegte Schreiben der Beklagten aus dem Jahr 1994 betrifft die Versorgung der
unfallgeschädigten Zähne, die bereits 1994 vorgenommen wurde. Eine Zusage für Kostenübernahme zukünftiger
Versorgung wird mit diesem Schreiben nicht gemacht. Die übrigen Ausführungen des Klägerbevollmächtigten
betreffen nicht geltendes Recht und sind nicht geeignet als Anspruchsgrundlage für die beantragte Kostenerstattung.
Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass die Klägerin mit der Behandlung begonnen hat, ehe die Beklagte über
die Kostentragung entschieden hat. Damit fehlt bereits die nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(z.B. BSG, SozR 4-2500 § 13 Nr.1) erforderliche Kausalität der Leistungsablehnung für die Kostenentstehung.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Der Senat teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägerbevollmächtigten nicht und hält deshalb eine Vorlage
gemäß Art.100 GG nicht für nötig. So hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR
347/98, allerdings ohne nähere Prüfung, die vom Kläger bezweifelte Kompetenz des Gemeinsamen
Bundesausschusses unbeanstandet gelassen.
Es bedarf auch keiner Zulassung der Revision gemäß § 160 SGG.