Urteil des LSG Bayern vom 15.01.2009
LSG Bayern: stationäre behandlung, myopathie, krankheit, arbeitsmarkt, gesundheitszustand, behinderung, klinikum, universität, beweislast, leistungsfähigkeit
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.01.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 14 R 1309/07 A
Bayerisches Landessozialgericht L 14 R 676/08
Bundessozialgericht B 5 R 70/09 B
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 24. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren hat.
Der Kläger ist 1952 geboren und hat seinen Wohnsitz in der Republik Bosnien-Herze-gowina sowie die dortige
Staatsangehörigkeit. Im Zeitraum von 09.05.1973 bis zum 30.04.2002 verfügt der Kläger mit Unterbrechungen über
Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung. Versicherungszeiten in Bosnien-Herzegowina hat der Kläger nach
Mitteilung des dortigen Versicherungsträgers vom 03.05.2007 nicht zurückgelegt. Eine Berufsausbildung hat der
Kläger nach eigenen Angaben nicht abgeschlossen.
Am 02.02.2007 beantragte der Kläger über den bosnisch-herzegowinischen Versicherungsträger die Gewährung von
Rente wegen Erwerbsminderung durch die Beklagte.
Mit Bescheid vom 21.06.2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab, da -
ausgehend vom Datum der Antragstellung - in den letzten fünf Jahren nicht drei Jahre Pflichtbeiträge für eine
versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden seien.
Mit Schreiben vom 05.07.2007 legte der Kläger Widerspruch ein. Sein Gesundheitszustand sei soweit geschädigt,
dass nach der Begutachtung durch die Kommission in M. (Anstalt für Renten- und Invalidenversicherung) ein Verlust
der Arbeitsfähigkeit auf Dauer vorliege. Aus diesem Grund arbeite er seit Jahren nicht mehr. Bereits in der BRD habe
er nach seiner Erkrankung keine entsprechende Arbeit mehr finden und Beiträge zur Rentenversicherung entrichten
können. Seine materielle Lage sei sehr schwer. Er bitte um eine Vorladung zur Untersuchung.
Aus den in der Folge beigezogenen medizinischen Unterlagen ergibt sich Folgendes: Vom 23.08.2006 bis 19.09.2006
wurde der Kläger stationär im Klinikum der Universität M. behandelt, nachdem aufgrund Atemnot der Notarzt alarmiert
worden war. Im Rahmen der Anamnese gab der Kläger an, dass er vier Tage vor der Aufnahme dicke Beine bemerkt
habe, die er im Leben nie zuvor gehabt habe. Der Kläger wurde als akut kranker Patient beschrieben. Er hatte nach
eigenen Angaben gewohnt viel Alkohol, auch selbstgebrannten Schnaps, getrunken. Es wurden die Diagnose des
Verdachts auf akute Alkoholvergiftung bei chronischem Alkoholmissbrauch, einer Neuro- und Myopathie und einer
Stauungsdermatose gestellt. Der klinische und radiologische Befund der Lunge war weitgehend unauffällig. Die Neuro-
und Myopathie besserte sich unter Substitution der Elektrolyte und Vitamingabe deutlich. Zwar zeigten sich EKG-
Veränderungen; der Kläger war aber beschwerdefrei. Der Kläger wurde in gutem Allgemeinzustand nach Hause
entlassen. Bei einer Untersuchung in Bosnien-Herzegowina am 02.12.2006 wurde an der Lunge ein normales
Atemgeräusch festgestellt; das EKG war normal. Bei einer weiteren Untersuchung am 02.12.2006 gab der Kläger
anschwellende Beine und eine allgemeine Schwäche an. Leber und Milz wurden als vergrößert beschrieben. Am
15.12.2006 wurden bei einer ärztlichen Untersuchung in Bosnien-Herzegowina eine übermäßige Verhornung an den
Füßen und Ödeme festgestellt. Nach Angaben des Klägers seien vor mehr als zwei Jahren juckende Flecken am
linken Unterschenkel aufgetreten. Bei einer gutachtlichen Untersuchung am 19.12.2006 im Heimatland des Klägers
wurde unter Hinweis auf die bereits bekannten Diagnosen der Kläger als dauerhaft nicht mehr arbeitsfähig beurteilt und
die Bewilligung einer Dauerrente empfohlen; im Rahmen des Gutachtens wurde auf die am 22.08.2006 eingetretene
plötzliche Verschlechterung der Atemnot und eine Bewusstseinskrise hingewiesen. Bei einer Untersuchung für die
Invalidenkommission in Bosnien-Herzegowina am 01.02.2007 kam der untersuchende Arzt zu dem Ergebnis, dass der
Kläger im Zustand einer fortgeschrittenen Polyneuropathie und in Anbetracht des psychischen Zustandes einer
schweren Depression und allen Symptomen eines chronischen Alkoholismus für keine Arbeit mehr einsetzbar sei.
Im Anschluss an ihren Bescheid von 21.06.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom
03.09.2007 mit, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit weiterhin nicht vorlägen, es verbleibe deshalb im Ergebnis beim Bescheid vom 21.06.2007. Nach
den getroffenen Feststellungen sei der Kläger zwar seit 23.08.2006 voll erwerbsgemindert; er verfüge jedoch in den
letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung (23.08.2001 bis 22.08.2006) nicht über mindestens drei Jahre
mit Pflichtbeitragszeiten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2007 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Ausgehend vom
Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung seit 23.08.2006 könne eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht gewährt
werden, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Durch die Nachentrichtung freiwilliger
Beiträge sei es nicht möglich, die Anwartschaft für die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §
241 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nachträglich zu erfüllen.
Mit Schreiben vom 25.10.2007 hat der Kläger Klage erhoben. Er sei in Deutschland bis 2002 in einem
Arbeitsverhältnis gestanden und auch in Deutschland krank geworden. Er habe niemals Sozialhilfe bezogen und,
nachdem er krank geworden sei, auch nicht mehr arbeiten und Beiträge für die Rentenversicherung in den letzten 36
Monaten entrichten können. Aufgrund der Bewertung der zuständigen Renten- und Invalidenkommission aus M. sei er
für jegliche Arbeiten für leistungsunfähig erklärt worden.
Aus den vom Sozialgericht angeforderten medizinischen Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger Anfang 2000 wegen
einer Fraktur des Mittelfingers rechts behandelt worden ist; zudem ist ein grippaler Infekt, eine Bronchitis sowie ein
LWS-Syndrom für das Jahr 1999 belegt. Der Kläger selbst hat einen Bericht über eine stationäre Behandlung im Jahre
2008 in Bosnien-Herzegowina vorgelegt. Ältere Unterlagen, zu deren Vorlage der Kläger vom Gericht aufgefordert
worden war, hat der Kläger nicht beigebracht.
Mit Gerichtsbescheid vom 24.07.2008 hat das Sozialgericht Landshut die Klage abgewiesen. Der Kläger sei seit dem
23.08.2006 voll erwerbsgemindert, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien jedoch zu diesem Zeitpunkt
nicht erfüllt. Diese wäre nur dann gegeben, wenn die Erwerbsminderung bereits im September 2002 eingetreten wäre.
Eine Erwerbsminderung zu diesem Zeitpunkt sei nicht nachgewiesen; erst durch die Aufnahme in das Klinikum der
Universität M. am 23.08.2006 sei das Vorliegen von Erwerbsminderung begründet.
Am 03.09.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt und diese wie folgt begründet: Er habe jahrelang in Deutschland
gearbeitet und sei dort auch schwer krank und arbeitsunfähig geworden. Dies ergebe sich aus den vorliegenden
medizinischen Unterlagen. Ebenfalls sei aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich, dass er in der Zeit von
23.08.2006 bis 19.09.2006 schwer krank gewesen und in der Klinik in M. gerettet worden sei. Auch sei er in Bosnien-
Herzegowina behandelt worden. Da er in Deutschland erkrankt sei, sei klar, dass er in diesem kranken Zustand nicht
in die Rentenversicherung einzahlen habe können. Er habe nichts, wovon er in Bosnien-Herzegowina leben könne. Er
bitte, ihn zur Untersuchung zu laden und ihm eine Rente zuzusprechen.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 19.09.2008 ist dem Kläger die Rechtslage erläutert und dargelegt worden, dass
Erfolgsaussichten für seine Berufung nur dann bestünden, wenn sich für den Zeitraum bis September 2002
weitergehende medizinische Erkenntnisse gewinnen lassen könnten, die eine Leistungseinschränkung begründen
würden. Gleichzeitig ist der Kläger gebeten worden, nähere Angaben zu den in den Jahren 2000 bis 2002 erfolgten
medizinischen Behandlungen zu machen.
Dazu hat der Kläger am 01.10.2008 mitgeteilt, dass er im Zeitraum von 2000 bis 2002 arbeitsunfähig, ohne
Arbeitsverhältnis und ohne Sozialhilfe gewesen sei und in M. gelebt habe. Er sei in diesem Zeitraum nicht krank und
in keinem Krankenhaus in Deutschland gewesen. Mit Schreiben vom 27.10.2008 hat der Kläger seine Angaben
dahingehend ergänzt, dass er sich in den Jahren 2000 bis 2002 selbst um seine Gesundheit gekümmert habe. Später
sei er, wie aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich sei, erkrankt. Da er keinerlei Einkünfte zur Bestreitung seines
Unterhalts habe, bitte er um eine Rente.
Zur mündlichen Verhandlung am 15.01.2009 ist der ordnungsgemäß geladene Kläger nicht erschienen.
Er hat sinngemäß beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 24.07.2008 und den Bescheid vom 21.06.2007 in der
Fassung des Bescheides vom 03.09.2007, diese wiederum in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
08.10.2007 aufzuheben und ihm Rente wegen Erwerbsminderung zuzusprechen.
Die Vertreterin der Beklagten hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Gericht haben die Prozessakten beider Rechtszüge und die Akten der Beklagten vorgelegen. Zur Ergänzung des
Sachverhalts, insbesondere hinsichtlich des Vortrags der Prozessbeteiligten, wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter zusammen mit den
ehrenamtlichen Richtern entscheiden (Beschluss vom 29.09.2008).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht Landshut hat die Klage zutreffend abgewiesen. Eine Erwerbsminderung zu einem Zeitpunkt, als
noch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt waren, ist nicht nachgewiesen.
Voraussetzung für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ist zum einen eine rentenrechtlich relevante
Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande
sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig
zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer
Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Bei der Prüfung, ob eine Erwerbsminderung vorliegt, kommt es nicht auf den bisherigen Beruf an, sondern darauf, ob
mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs
bzw. drei Stunden täglich verrichtet werden können.
Sofern das Leistungsvermögen bei sechs oder mehr Stunden liegt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine
Erwerbsminderung nicht vorliegt und dem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist (vgl. Niesel, in:
Kasseler Kommentar, § 43 SGB VI, Rn. 34). Das - gegebenenfalls durch gewisse qualitative gesundheitliche
Einschränkungen erhöhte - Risiko, einen offenen Arbeitsplatz zu finden, trägt die Arbeitslosenversicherung und nicht
die Rentenversicherung (vgl. BSGE 44, 39, 40). Im Rahmen der Frage, ob Rente wegen Erwerbsminderung zu
gewähren ist, ist es damit grundsätzlich unerheblich, wie die Chancen eines Versicherten auf dem Arbeitsmarkt sind.
Versicherte, deren Leistungsvermögen sich am allgemeinen Arbeitsmarkt orientiert, sind grundsätzlich auf jede
erwerbswirtschaftliche Tätigkeitsart verweisbar, die keine formale Ausbildung erfordert. In diesen Fällen besteht daher
nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch grundsätzlich kein Anlass zur Benennung einer
spezifischen Verweisungstätigkeit, weil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten
zur Verfügung steht, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteile vom 18.04.1978, Az.: 4 RJ 55/77, und vom 28.08.1991, Az.: 13/5 RJ 47/90).
Neben den genannten gesundheitlichen Einschränkungen ist Voraussetzung für die Gewährung von Rente wegen
Erwerbsminderung, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
SGB VI).
Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um die in § 43 Abs. 4 SGB VI
genannten Verlängerungstatbestände, auch Aufschubzeiten genannt (Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berücksichtigungszeiten und Zeiten einer schulischen Ausbildung), die
nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind, sowie um die in § 241 Abs. 1
SGB VI genannten Ersatzzeiten und Zeiten des Bezugs einer Knappschaftsausgleichsleistung.
Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn
die Erwerbsminderung vor dem 01.01.1984 (§ 241 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative SGB VI) oder aufgrund eines
Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (§§ 43 Abs. 5, 53 Abs. 1 Satz 1
SGB VI). Dazu zählen insbesondere Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Dasselbe gilt, wenn der Versicherte vor
dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat
vor Eintritt der Erwerbsminderung mit den in § 241 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative SGB VI genannten
Anwartschaftserhaltungszeiten (Beitragszeiten, beitragsfreie Zeiten, Berücksichtigungszeiten, Rentenbezugszeiten
oder Aufenthaltszeiten im Beitrittsgebiet) belegt ist, wobei für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch
zulässig ist, eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich ist (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen, also insbesondere der Umstand, dass das Leistungsvermögen des
Versicherten allein wesentlich bedingt durch Krankheit oder Behinderung ab einem bestimmten Zeitpunkt dauerhaft
derart herabgesunken ist, dass er mit seinem Restleistungsvermögen nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein,
müssen im Vollbeweis nachgewiesen sein.
Der Vollbeweis erfordert, dass die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen müssen (vgl.
BayLSG, Urteil vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02; BSG, Urteil vom 14.12.2006, Az.: B 4 R 29/06 R). Mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des
Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (vgl.
BSG, Urteil vom 30.04.1985, Az.: 2 RU 43/84). Oder in anderen Worten gesagt - das Gericht muss von der zu
beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können (vgl.
BSG, Urteil vom 02.02.1978, Az.:8 RU 66/77). Es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles
begründeter Zweifel mehr bestehen (vgl. BayLSG, Urteil vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02).
Kann das Gericht die genannten Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen, gilt
der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch
begründen (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.1967, Az.: 2 RU 198/64). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht im
Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der
objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte, bei den
anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1957, Az.:10 RV 945/55).
Denn für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzung der Erwerbsminderung trägt der
Versicherte die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 23.10.1996, Az.: 4 RA 1/96).
Auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen bedeutet dies Folgendes:
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen können, dass das
Leistungsvermögen des Klägers für zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter sechs
Stunden pro Arbeitstag zu einem Zeitpunkt abgesunken wäre, an dem noch die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen erfüllt gewesen sind.
Letztmals verfügte der Kläger über 36 Monate mit Pflichtbeiträgen innerhalb der letzten fünf Jahre im September
2002. Anschließend hat der Kläger weder in Deutschland noch in seinem Heimatland Bosnien-Herzegowina Beiträge
zur Rentenversicherung entrichtet. Aufschubzeiten im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI, die zu einer Verlängerung des
Fünf-Jahres-Zeitraums führen würden, beispielsweise eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit (§ 58 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 SGB VI), die eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit unterbrochen hätte (§ 58 Abs. 2
SGB VI), liegen nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger anschließend an seine letzte versicherte Tätigkeit
arbeitsunfähig krank gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich. Seine unpräzise Angabe im Schreiben vom
01.10.2008, dass er im Zeitraum von 2000 bis 2002 arbeitsunfähig gewesen sei, kann nicht verifiziert werden und
steht darüber hinaus in Widerspruch zu den klägerischen Angaben vom 27.10.2008, wonach er im Zeitraum 2000 bis
2002 weder krank noch in einem Krankenhaus in Deutschland gewesen und erst später erkrankt sei, wie sich aus den
dem Gericht vorliegenden Unterlagen (die eine massive Erkrankung erst für August 2006 belegen) ergebe.
Einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hätte der Kläger daher nur dann, wenn sein zeitliches
Leistungsvermögen bis spätestens September 2002 auf unter sechs Stunden täglich abgesunken wäre. Eine derartige
Leistungseinschränkung lässt sich aber nicht nachweisen.
Wie sich aus dem Entlassbericht über die im August/September 2006 in M. stattgefundene stationäre Behandlung und
den danach in Bosnien-Herzegowina durchgeführten Untersuchungen ergibt, liegen beim Kläger diverse Erkrankungen
vor: Der Kläger betreibt einen Alkoholmissbrauch mit Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit. Die
mnestischen Funktionen sind beeinträchtigt; Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen liegen vor. Eine Depression ist
zu erkennen. Die Leber ist geschädigt, die Milz vergrößert. Der Kläger gibt Schmerzen für diverse Körperbereiche an.
Eine Neuro- und Myopathie ist diagnostiziert. Atemprobleme sind dokumentiert.
Angesichts der vorliegenden medizinischen Erkenntnisse ab Herbst 2006 spricht vieles dafür, dass die Einschätzung
der Beklagten und des Sozialgerichts zutreffend ist, dass der Kläger seit der Aufnahme zur stationären Behandlung
im Klinikum der Universität M. am 23.08.2006 in seiner zeitlichen Leistungsfähigkeit so weit eingeschränkt ist, dass
von einer Erwerbsminderung auszugehen ist. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung lässt sich daraus
aber nicht ableiten, da zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.
Dafür, dass bereits im September 2002, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt waren,
derart gravierende Gesundheitsstörungen vorgelegen hätten, dass sich daraus eine zeitliche Leistungsminderung
ergeben würde, die einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung begründen würde, liegen
keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.
Die vorliegenden Unterlagen zum Gesundheitszustand des Klägers ab dem Jahr 2006 lassen keinen zuverlässigen
Rückschluss auf den Gesundheitszustand des Klägers im Jahre 2002 zu.
Den vorliegenden medizinischen Unterlagen, die den Gesundheitszustand des Klägers bis zum Jahr 2002
wiedergeben, lässt sich eine zeitliche Leistungsminderung nicht entnehmen: Im Leistungsverzeichnis der AOK Bayern
vom 02.01.2008 sind für die Jahre von 1995 bis 2002 insgesamt nur sieben Arbeitsunfähigkeitszeiten enthalten. Es
handelt sich bei den zu Grunde liegenden Erkrankungen (Bronchitis, grippaler Infekt, Fingerfraktur, Nasenbluten,
Kontusion des Kniegelenks, Entzündung des Ellenbogengelenks, Sehnenscheidenentzündung des rechten Unterarms)
um keine Diagnosen, die Hinweise darauf geben würden, dass der Kläger an massiven oder chronischen
Erkrankungen gelitten hätte, die in absehbarer Zeit zu einer Erwerbsminderung führen könnten. Insbesondere sind im
Leistungsverzeichnis keine Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Erkrankungen diagnostiziert, wie sie ab August 2006 im
Vordergrund des Beschwerdebildes des Klägers stehen. So sind weder psychische Beschwerden noch ein
Alkoholmissbrauch oder eine Neuro- und Myopathie bei den Diagnosen aufgeführt, die den Arbeitsunfähigkeitszeiten
zugrunde liegen. Auch die den Kläger seit 1978 behandelnden Ärzte, die ihn letztmals im Februar 2000 gesehen
haben, haben mit Ausnahme eines LWS-Syndroms keine weiteren Diagnosen angegeben. Die Fraktur des
Mittelfingers, die im Januar 2000 erfolgt ist, ist offenbar weitgehend problemlos verheilt; sie ist im Übrigen auch nicht
der Grund für die im Jahr 2006/2007 festgestellte erhebliche gesundheitliche Leistungseinschränkung des Klägers.
Weitergehende medizinische Unterlagen zum Zeitraum von 2000 bis 2002 hat der Kläger trotz ausdrücklicher
Nachfrage des Gerichts, die mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Befunde in diesem Zeitraum verbunden war, nicht
vorlegen können. Vielmehr hat der Kläger wiederholt (Auskünfte vom 01.10.2008 und 27.10.2008) erläutert, dass er in
dem vom Gericht abgefragten Zeitraum von 2000 bis 2002 nicht krank gewesen, in keinem Krankenhaus in
Deutschland behandelt worden und erst später krank geworden sei, wie aus den bei Gericht vorliegenden Unterlagen
ersichtlich sei. Aus diesen Unterlagen ergibt sich, wie oben erläutert, erst für August 2006 eine massive Erkrankung
des Klägers.
Aufgrund der eigenen Angaben des Klägers und der dem Gericht zur Verfügung stehenden Unterlagen lässt sich nicht
der Nachweis führen, dass der Kläger bereits im September 2002 in seiner zeitlichen Leistungsfähigkeit gemindert
gewesen wäre. Sofern eine zeitliche Leistungsminderung zu einem späteren Zeitpunkt, nach den vorliegenden
Unterlagen im August 2006, eingetreten ist, kann dies keinen Rentenanspruch begründen, da zu diesem Zeitpunkt die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.
Da nach den Angaben des Klägers davon auszugehen ist, dass er keine qualifizierte Anlerntätigkeit (Anlern- oder
Ausbildungszeit von mehr als 12 Monaten) oder gar Facharbeitertätigkeit ausgeübt hat, kommt auch ein Anspruch auf
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI nicht in Betracht, zumal auch
dafür eine zeitliche Leistungsminderung zu einem Zeitpunkt, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch
erfüllt waren, nicht nachgewiesen wäre.
Die Berufung ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SG) beruht darauf, dass die Berufung des Klägers erfolglos geblieben ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.