Urteil des LSG Bayern vom 21.01.2011

LSG Bayern: eheähnliche gemeinschaft, wohnung, erlass, akte, lebensgemeinschaft, zivilprozessordnung, besuch, pflege, miete, begriff

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 21.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 42 AS 2920/10 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 941/10 B ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 1. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt H. beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin vorläufige
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Strittig ist
insbesondere das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft des Antragstellers mit Frau P.
Der Antragsteller wohnt seit 1985 mit Frau P. zusammen in einer Zweizimmerwohnung. Nach eigenen Angaben wohnt
er dort seit 24 Jahren mietfrei. Er bezieht seit 01.01.2005 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung des mietfreien
Wohnens.
Zuletzt wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 22.09.2009 Arbeitslosengeld II bis 31.03.2010 bewilligt. Bereits am
20.10.2009 fand ein Hausbesuch in der Wohnung statt. Auf das zugehörige Protokoll auf Seite 112 der
Verwaltungsakte wird verwiesen. Die Antragsgegnerin stellte zunächst die Zahlungen ab Dezember 2009 ein.
Aufgrund eines Eilverfahrens wurden die bewilligten Leistungen doch ausgezahlt.
Nach dem Fortzahlungsantrag forderte die Antragstellerin sowohl vom Antragsteller als auch direkt von Frau P.
Unterlagen zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit an. Die Unterlagen für Frau P. wurden nicht vorgelegt. Mit Bescheid vom
10.05.2010 wurde die Fortzahlung der Leistungen abgelehnt, weil die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen sei. Es sei
beim Hausbesuch eindeutig eine Bedarfsgemeinschaft festgestellt worden. Im Eilverfahren S 13 AS 979/10 ER
wurden für die Zeit von 13.04.2010 bis 30.06.2010 monatlich 80 % der Regelleistung bewilligt (Beschluss vom
17.05.2010). Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchbescheid vom 20.09.2010) und Klage (Gerichtsbescheid
vom 01.12.2010, S 42 AS 2701/10) ist hierzu eine Berufung anhängig (L 7 AS 943/10).
Nach einem erneuten Fortzahlungsantrag vom 24.06.2010 wurde die Leistungsgewährung mit Bescheid vom
23.07.2010 erneut abgelehnt. Die Prüfung der Hilfebedürftigkeit sei nicht möglich, weil Frau P. keine Unterlagen
vorlege. Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchbescheid vom 20.09.2010) und Klage (Gerichtsbescheid vom
01.12.2010, S 42 AS 2700/10) ist hierzu eine Berufung anhängig (L 7 AS 942/10).
Am 15.10.2010 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Die
Situation habe sich seit dem Beschluss vom 17.05.2010 nicht verändert. Der Bericht zum Hausbesuch enthalte
überwiegend Einschätzungen und Vermutungen statt Beschreibungen von Tatsachen. Der Antragsgegnerin sei seit
langem bekannt, dass der Antragsteller unentgeltlich bei Frau P. wohne. Letztlich werde die Leistung ausschließlich
aufgrund fehlender Mitwirkung von Frau P. verweigert. Das gegen Frau P. eingeleitete Bußgeldverfahren sei nicht
abgeschlossen. Das Sozialgericht führte am 17.11.2010 eine nichtöffentliche Sitzung durch, in der der Antragsteller
umfangreiche Erklärungen abgab und Frau P als Zeugin vernommen wurde. Auf das zugehörige Protokoll auf Seite 53
der sozialgerichtlichen Akte wird verwiesen. Mit Beschluss vom 01.12.2010 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer
einstweiligen Anordnung ab. Die Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Der Antragsteller lebe mit Frau P. in einer
Bedarfsgemeinschaft. Für das "Wirtschaften aus einem Topf" spreche bereits, nach der Antragsteller seit 25 Jahren
mietfrei bei Frau P. wohne. Der gegenseitige Einstandswille ergebe sich bereits aus der Vermutungsregel nach § 7
Abs. 3a SGB II. Der Antragsteller habe mitgeteilt, dass er bis 2003 die Mutter von Frau P. pflegte. Auch Frau P. habe
das mietfreie Wohnen bestätigt. Nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten habe mangels Offenlegung der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Frau P. die Hilfebedürftigkeit nicht abschließend geprüft werden
können, so dass eine Beweislastentscheidung zulasten des Antragstellers zu treffen sei.
Am 21.12.2010 hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 01.12.2010
eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung wurde auf den Schriftsatz vom 30.11.2010 im
Verfahren S 42 AS 2700/10 verwiesen.
Der Beschwerdeführer beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 01.12.2010 aufzuheben und die
Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller ab 15.10.2010 bis zu einer bestandskräftigen
Entscheidung über den weiteren Bewilligungsantrag vom 24.06.2010 , (hilfsweise bis 16.11.2010) Arbeitslosengeld II
zu gewähren.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Antragsgegnerin, die Akten
des Sozialgerichts und die Akten des Landessozialgerichts verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die
Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu
Recht abgelehnt hat.
Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und
weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass es bei der Beurteilung der Frage, ob eine eheähnliche Gemeinschaft
vorliegt, nicht auf die Bewertung ankommt, die die Betroffenen diesem Begriff beimessen. Entscheidend ist vielmehr,
wie das Sozialgericht zutreffend darlegt, ob aus äußeren Hinweistatsachen auf einen partnerschaftliche Gemeinschaft
geschlossen werden kann, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt
und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen,
also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.
Diese Hinweistatsachen liegen hier zur Überzeugung des Gerichts eindeutig vor. Es ist allein dem späten Termin des
Hausbesuchs zuzuschreiben, dass der Antragsteller bisher Leistungen erhalten hat. Der Hausbesuch vom 20.10.2010
hatte ein eindeutiges Ergebnis. Es handelte sich um eine Zweizimmerwohnung. Das angebliche Zimmer des
Antragstellers war ausweislich der Einrichtung ein reines Wohnzimmer. Die angebliche Bettdecke für die Couch war
noch originalverpackt. Die Einlassung des Antragstellers, er wisse nicht, wie viele Zimmer die Wohnung habe, bedarf
nach einer Wohndauer von 25 Jahren keiner Kommentierung. Auch die Behauptung, dass Frau P. noch eine Wohnung
habe und "nur zu Besuch komme", war offensichtlich falsch. Der Antragsteller behauptete, dass er das zweite Zimmer
mangels eines Schlüssels nicht betreten könne. Da andererseits im Wohnzimmer kein Kleiderschrank war, musste er
seine Kleidung in dem angeblich versperrten Zimmer aufbewahren. Da er dies nicht zugeben wollte, erklärte er, er
besitze keine Kleidung. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es in der Wohnung keine getrennten Wohnbereiche
gab und der Antragsteller nicht über eine Rückzugsmöglichkeit verfügte. Zusammen mit dem jahrzehntelangen
unentgeltlichen Wohnen und der gemeinsamen Pflege der Mutter von Frau P. ist von einer eheähnlichen
Gemeinschaft auszugehen.
Die Antragsgegnerin hat auch alles unternommen, um von Frau P. Auskünfte zu deren Einkommen und Vermögen zu
erlangen, insbesondere auch einen Bußgeldbescheid zu einer Auskunftsanforderung nach § 63, § 60 Abs. 4 SGB II
erlassen. Da Frau P. im Erörterungstermin vom 17.11.2010 mitteilte, dass sie als Erzieherin täglich mindestens sechs
Stunden erwerbstätig ist und Frau P. auch schon bisher die komplette Miete bezahlte, ist davon auszugehen, dass
der existenznotwendige Bedarf des Antragstellers gedeckt werden kann. Ansonsten sollte Frau P. ihr Einkommen und
Vermögen offenlegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dem Antragsteller war nach § 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)Prozesskostenhilfe zu
bewilligen, weil er weder über Vermögen noch über eigenes Einkommen verfügt und die notwendige Erfolgsaussicht -
auch in Hinblick auf den Leistungen zusprechenden Beschluss vom 17.05.2010 - nicht von vornherein abzulehnen
war.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.