Urteil des LSG Bayern vom 12.09.2006
LSG Bayern: arbeitsmarkt, geschäftsführer, firma, anteil, rente, gutachter, berufsunfähigkeit, erwerbstätigkeit, diagnose, erwerbsfähigkeit
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.09.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 9 R 457/02
Bayerisches Landessozialgericht L 6 R 524/05
Bundessozialgericht B 13/4 R 555/06 B
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger ist 1949 geboren. Von 1965 bis 1968 hat er in zweieinhalbjähriger Ausbildung den Beruf "Baukaufmann"
erlernt und - unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit 1975 und 1981 bis 1985 - bis 1994
ausgeübt. Parallel hierzu wurde er in der praktischen Tätigkeit eines Estrichlegers angelernt und hat diese Tätigkeit
neben seiner kaufmännischen Tätigkeit, je nach Bedarf des Arbeitgebers, der Firma R. Fußbodenbau, A. , auch
ausgeübt. Dabei traten die praktischen Arbeiten als Estrichleger gerade in den letzten Jahren seiner Tätigkeit in den
Vordergrund mit einem Anteil von bis zu 90 %. Zugleich war der Kläger dort bis 1994 auch als Geschäftsführer tätig.
Nach dem Vortrag des des Klägers war seine Berufsausbildung Voraussetzung für die Geschäftsführertätigkeit. Über
ein vom Kläger vorgelegtes Zeugnis vom 12.09.1981 hinaus ließen sich vom Arbeitgeber keine Auskünfte mehr
erlangen, da die Firma im Jahr 1994 wegen Insolvenz erloschen ist.
Am 20.11.2001 stellte der Kläger Rentenantrag. Aufgrund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der
Krankenkassen (MDK) vom 16.03.2001 sowie der sozialmedizinischen Beurteilung anläßlich des Heilverfahrens in K.
vom 16.08. bis 16.09.2001 - hiernach kann der Kläger zwar nicht mehr als Estrichleger arbeiten, wohl aber noch
leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichten - lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid
vom 10.01.2002 aus medizinischen Gründen ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch - der Kläger sah sich sowohl
als Estrichleger als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als nicht mehr einsatzfähig - wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 31.05.2002 zurück: Mit seinem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte Arbeiten in
wechselnder Körperhaltung und ohne besonderen Zeitdruck könne der Kläger u.a. noch auf die Tätigkeiten eines Bau-,
Industriekaufmanns, weiterhin eines kaufmännischen Angestellten und eines Hausmeisters verwiesen werden.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 04.07.2002 zum Sozialgericht (SG) Regensburg.
Das SG holte ein orthopädisches Gutachten Dr.H. vom 23./ 29.10.2002 ein. Dieser stellte als Gesundheitsstörungen
im Wesentlichen ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit schmerzhafter Funktionseinschränkung, eine mäßige
Hüftarthrose mit Funktionseinschränkung sowie eine initiale Knie- und Sprunggelenksarthrose beidseits, verbunden
mit Belastungsschmerzen, fest. Der Kläger könne noch täglich mehr als sechs Stunden arbeiten (unter Beachtung
von Einschränkungen), bis 31.12.2000 habe das Leistungsvermögen acht Stunden täglich betragen.
Da der Kläger eine Verschlechterung seit dem Gutachten Dr.H. geltend machte, führte das SG weitere Ermittlungen
durch, insbesondere durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Dr.P. vom 10.05.2005, der die
Leistungsbeurteilung von Dr.H. ebenso bestätigte wie die von ihm gestellten Diagnosen. Zusätzlich beschreibt er ein
Bluthochdruckleiden und ein Impingementsyndrom der linken Schulter.
Aufgrund dessen wies das SG die Klage mit Urteil vom 10.05.2005 ab.
Hiergegen richtet sich die Berufung vom 01.08.2005.
Der Senat holte zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und beauftragte dann die Orthopäden
Prof.Dr.G./Dr.K. mit einer Begutachtung nach ambulanter Untersuchung. Diese bestätigen in Diagnose und
Leistungsbeurteilung die erstinstanzlichen Gutachter. Auch arbeitsmarktübliche Gehstrecken könne der Kläger nach
wie vor zurücklegen.
Der Kläger macht dagegen geltend, als Estrichleger nicht mehr arbeiten zu können.
Er beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 10.05.2005 sowie des
Bescheides vom 10.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2002 zu verurteilen, ihm ab
01.12.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie des Sozialgerichts
und die Berufungsakte hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
1. Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert gemäß § 43 des Sechs-ten Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der seit
01.01.2001 geltenden Fassung. Denn er ist nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen seit dem im Jahr
2001 gestellten Rentenantrag nach wie vor mehr als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
einsetzbar.
Darüber besteht Einigkeit bei allen begutachtenden Ärzten nicht nur der gerichtlichen Verfahren. Schon der MDK hat
zwar beim Kläger eine erhebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit bejaht, zugleich aber die vollschichtige
Einsatzfähigkeit für leichte Arbeiten in wechselnden Körperhaltungen. Entsprechend ist auch die Beurteilung der
Rehabilitationsklinik K. ausgefallen, ebenso die der drei orthopädischen Sachverständigen des gerichtlichen
Verfahrens beider Rechtszüge. Diese Beurteilungen sind auch überzeugend. Der Kläger ist in Bezug auf seinen
Bewegungsapparat in mehrerer Hinsicht beeinträchtigt. Dies betrifft die Wirbelsäule und die linke Schulter, die Hüften
und die Knie- und Sprunggelenke beidseits. Allerdings resultieren nach der Beschreibung der gerichtlichen
Sachverständigen hieraus nur mittelgradige Beeinträchtigungen bzw. initiale an den unteren Extremitäten. Dies führt
zwar zu einer qualitativen, nicht aber quantitativen Beeinträchtigung des Leistungsvermögens. Nachdem von Seiten
anderer Fachgebiete keine gravierenden Gesundheitsstörungen bestehen, ist der Kläger insgesamt noch zu einer
mehr als sechsstündigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen
in der Lage. Er ist daher weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 SGB VI.
2. Auch teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 SGB VI liegt nicht vor.
Als Hauptberuf ist hier nicht allein die Tätigkeit eines Estrichlegers anzusehen. Denn diese war stets kombiniert mit
der eines kaufmännischen Angestellten im erlernten Beruf des Klägers. Grundsätzlich kommt es bei solchen
"Mischtätigkeiten" darauf an, "welche Verrichtngen der Berufstätigkeit das Gepräge gegeben, das heißt mindestens
etwa 50 v.H. der Gesamttätigkeit ausgemacht haben" (s. Niesel in KassKomm unter Verweis auf BSG SozR 3-2200 §
1246 Nr.41). Offenbar ist hier der zeitliche Anteil der kaufmännischen Tätigkeit, entsprechend dem Klägervortrag,
immer mehr in den Hintergrund getreten mit der Folge, dass man die manuelle Tätigkeit als Hauptberuf ansehen
könnte. Allerdings würde eine solche Bewertung die Tatsache "ausblenden", dass der Kläger auch am Ende seiner
Tätigkeit noch als Geschäftsführer dieser Firma tätig war, was zweifellos den - in beruflicher Stellung wie
Ausbildungserfordernis - hochwertigeren Tätigkeitsteil ausmacht. In solchen Fällen erscheint es nach Auffassung des
Senats näherliegend, den höherwertigen Tätigkeitsteil als prägend anzusehen, mag dieser auch nur in zeitlich
untergeordnetem Umfang ausgeübt worden sein. Danach ist hier vom Hauptberuf "Geschäftsführer" auszugehen.
Würde man abweichend hiervon als Hauptberuf des Klägers nur den des Estrichlegers annehmen, so würde sich am
Ergebnis nichts ändern: Die Tätigkeit des kaufmännischen Angestellten im Baubereich wäre dann eben nicht
"bisheriger Beruf", wäre aber sehr wohl immer noch als Verweisungstätigkeit zu prüfen, unabhängig von der Tatsache,
dass der Kläger sie aktuell nicht mehr ausübt. Diese Tätigkeit entspricht in ihrem Anforderungsprofil dem
Leistungsvermögen des Klägers. Sie ist daher sozial wie auch gesundheitlich zumutbar. Der bloße Zeitablauf seit
Aufgabe der Tätigkeit vermag dies nicht in Frage zu stellen. Der Kläger ist daher nicht berufsunfähig.
Die Berufung konnte daher insgesamt keinen Erfolg haben.
Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§§ 183, 193 SGG).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.