Urteil des LSG Bayern vom 26.07.2006

LSG Bayern: unterhaltsleistung, enkel, scheidungsurteil, tod, deckung, wartezeit, zeugeneinvernahme, hörensagen, zuwendung, geldleistung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.07.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 RJ 1136/00 A
Bayerisches Landessozialgericht L 6 R 136/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23. November 2001 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung des 1919 geborenen und am 27.05.1998 verstorbenen
Versicherten M. K ...
Dieser hat von 1965 bis zu seinem Tod in Deutschland (Baden-Württemberg) gelebt. Er hatte hier Versicherungszeiten
von August 1965 bis Juli 1985. Seit 01.08.1985 bezog er Altersruhegeld in Höhe von zunächst netto 571,47 DM und
zuletzt 779,83 DM.
Die 1926 geborene Klägerin war vom 23.02.1949 bis zur Scheidung vom 23.02.1971 mit dem Versicherten verheiratet.
Aus der Ehe sind die Söhne R. , geboren 1953, M. geboren 1958, und P. , geboren 1961, hervorgegangen.
Der Versicherte heiratete im Jahr 1975 seine zweite Ehefrau M.; diese verstarb am 04.06.1998.
Im Hinblick darauf fragte die Klägerin zunächst im September 1998 bezüglich einer Witwenrente an - der verstorbene
Versicherte habe nämlich Unterhalt an die Söhne zu leisten gehabt - und beantragte diese dann am 25.02.1999 auch
formell.
Im Formblattantrag gab die Klägerin zur Unterhaltsleistung während des letzten Lebensjahres an, der Versicherte habe
einen monatlichen Betrag von 150,00 DM geleistet. Laut beigelegtem Scheidungsurteil des Kreisgerichts in M. sind
die minderjährigen Kinder der Mutter zugesprochen worden. Dem Versicherten wurden Unterhaltszahlungen für die
Kinder auferlegt.
Die Beklagte befragte die Klägerin nach den Unterhaltszahlungen des Versicherten an sie im letzten Jahr vor dessen
Tod, von Mai 1997 bis Mai 1998.
Die Klägerin teilte mit (Okt.1999), der Versicherte sei "im Urlaub 1997 hier bei uns" gewesen und "im Herbst 97" habe
er sie und die Kinder besucht: "Bei dieser Gelegenheit übergab er an mich und seinen Enkel(n) M. in bar je 1.000,00
DM zur Unterhaltung". Der Enkel M. sei der Sohn des gemeinsamen Sohnes P ...
Mit Bescheid vom 10.02.2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente gemäß § 243 des Sechsten
Sozialgesetzbuches (SGB VI) ab. Weder habe die Klägerin einen Unterhaltsanspruch gehabt - laut jugoslawischem
Scheidungsurteil habe ein solcher nur für die Kinder bestanden - noch habe der verstorbene Versicherte tatsächlich
Unterhalt an die Klägerin geleistet. Die behauptete einmalige Zahlung sei ein einmaliges Gelegenheitsgeschenk und
keine Unterhaltszahlung.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Es habe sich keineswegs um ein Geldgeschenk, sondern um die Pflicht
des Verstorbenen gehandelt. Er habe "sogar jedes Jahr für die Kinder Unterhaltsgeld geschickt, natürlich auch für
mich eine Kleinigkeit."
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Unterhaltsleistung liege
begrifflich grundsätzlich nur dann vor, wenn regelmäßig Zahlungen zur Deckung des laufenden Lebensunterhaltes
erfolgten. Die einmalige Zahlung von 1.000,00 DM sei umso mehr deshalb ein Geldgeschenk, weil sie im gleichen
Maße auch an den nicht unterhaltspflichtigen Enkel gegangen sei. Im Übrigen könnten tatsächliche Zahlungen auch
nicht nachgewiesen werden.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.10.2000 Klage zum Sozialgericht Landshut: Sie sei vom Versicherten nach
Kräften unterstützt worden. Er habe das Geld an seine Schwester geschickt, die es ihr überbracht habe. Ein weiterer
Zeuge, J. J. , habe ihr Geld und Bekleidung zugeschickt.
Das SG wies die Klage mit Urteil vom 23.11.2001 ab und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die Begründung der
angefochtenen Bescheide.
Am 20.03.2002 legte die Klägerin gegen das Urteil Berufung ein. Sie benannte für ihren Sachvortrag Zeugen.
Das Gericht befragte diese Zeugen - nämlich Herrn I. B. , die Söhne der Klägerin R. und M. sowie Frau N. K. -
schriftlich. Die letztgenannte äußerte sich nicht.
Die Beklagte sah in den Zeugenaussagen keinen neuen Tatsachen. Eine regelmäßige und verlässliche
Unterhaltsleistung sei damit nicht nachgewiesen. Dies sei in Anbracht einer Rentenhöhe von zuletzt 779,83 DM auch
kaum möglich gewesen.
Der Senat ermittelte zur Erbfolge der nachverstorbenen Witwe M. K ... Deren Sohn und Alleinerbe H. R. ist inzwischen
ebenfalls verstorben. Dessen Witwe, Frau B. R. , wurde vom Senat zu den Lebensumständen des Ehepaars K.
schriftlich befragt.
Der Senat erhob weiter Beweis durch Vernehmung der Zeugen I. B. sowie R. K ... Die ebenfalls in Bosnien-
Herzegowina wohnhaften Zeugen N. K. und M. K. konnten aus gesundheitlichen bzw. einreiserechtlichen Gründen
dem Termin zur Zeugeneinvernahme nicht Folge leisten.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom
23.11.2001 sowie des Bescheids der Beklagten vom 10.02.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
31.07.2000 zur Zahlung von Geschiedenenwitwenrente zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts, insbesondere zum Inhalt der Zeugenvernehmungen wird auf die
Berufungsakte sowie die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG hinverwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin erfüllt zwar die Voraussetzungen des § 243 Abs.2 Nr.1, Nr.2, Nr.4 des Sechsten Sozialgesetzbuchs
(SGB VI): - Ihre Ehe mit dem verstorbenen Versicherten wurde vor dem 01.07.1977 geschieden. - Sie hat nicht wieder
geheiratet oder eine Lebenspartnerschaft begründet und sie hat das 45. Lebensjahr vollendet. - Der verstorbene
Versicherte hat die allgemeine Wartezeit erfüllt.
Die Klägerin erfüllt jedoch nicht die unterhaltsrechtliche Voraussetzung des Abs.2 Nr.3. Unstreitig hat sie keinen
Anspruch auf Unterhalt gehabt (Nr.3 Alternative 2), da das Scheidungsurteil des Kreisgerichts M. eine
Unterhaltsberechtigung nur für die Kinder begründet hat. Gemäß Nr.3 Alternative 1 kommt es somit entscheidend
darauf an, ob die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten (letzter wirtschaftlicher Dauerzustand) - hier
Mai 1997 bis Mai 1998 - Unterhalt von diesem erhalten hat. Eine Unterhaltsleistung liegt nur dann vor, wenn
regelmäßig Zahlungen zur Deckung des laufenden Lebensunterhalts erfolgen. Das Tatbestandsmerkmal der
Regelmäßigkeit erfordert grundsätzlich monatlich wiederkehrende Leistungen eines der Höhe nach feststehenden
Betrags. Unregelmäßige oder gar nur einmalige Geldleistungen erfüllen den Unterhaltsbegriff nicht. Das Gesamtbild
aller Zahlungen muss objektiv die Annahme stützen, der Versicherte hätte, wäre er nicht verstorben, auch künftig
Unterhalt im erforderlichen Umfang geleistet (siehe Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 SGB VI, Anm.15, 16).
Weitere Voraussetzungen einer Unterhaltszahlung ist ihre Wesentlichkeit. Die fragliche Leistung muss geeignet sein,
den Mindestlebensbedarf eines Unterhaltsberechtigten merklich zu beeinflussen. Die Rechtsprechung verlangt
ausnahmslos, dass der Unterhalt 25 % des für den geschiedenen Ehegatten zeitlich und örtlich notwendigen
Mindestbedarf nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erreicht, wie er sich dem jährlich festzusetzenden
Regelsätzen für Haushaltsvorstände ergibt. Bei Fällen mit Auslandsbezug, wie hier, kommt es allein auf die
Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland an (siehe hierzu Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 Anm.12 und
13).
Der Senat hält diese rechtlichen Voraussetzungen im Falle der Klägerin für nicht erfüllt. Und dies auch dann nicht,
wenn man allein die Angaben der Klägerin zugrunde legt und ihren Nachweis unterstellt.
Dies setzt allerdings zunächst schon voraus, bestimmte deutliche Widersprüche im Vorbringen der Klägerin zu deren
Gunsten aufzulösen. In diesem Sinne lässt der Senat hier bewusst außer Betracht die ursprüngliche Darstellung der
Klägerin vom September 1998, nur die Söhne hätten Unterhalt bezogen, die in ähnlicher Weise auch in der
Widerspruchsbegründung zum Ausdruck kommt ("Kleinigkeit für mich"). In der Anlage zum Rentenantrag bejaht die
Klägerin dann aber eine Unterhaltsleistung und beziffert diese mit einem Betrag von monatlich 150,00 DM. Der
Adressat der Unterhaltszahlung - sie selbst, oder die Söhne? - kann dieser Angabe nicht entnommen werden. Später
spricht die Klägerin von einer Reihe von - zeitlich nicht eingeordneten - Barzahlungen durch die Söhne, teilweise aber
auch durch Bekannte.
Auf konkrete Nachfrage der Beklagten nach dem Unterhalt während des letzten Lebensjahres des Versicherten nennt
die Klägerin die Übergabe von je 1.000,00 DM an sie und an den Enkel M. im Jahr 1997. Nur diese einmalige Zahlung
lässt sich nach dem eigenen Vortrag der Klägerin somit eindeutig dem Zeitraum ab Mai 1997 zuordnen. Diesen
Umstand unterstellt der Senat zugunsten der Klägerin als nachgewiesen, obwohl ihn die beiden gehörten Zeugen R. K.
und I. B. nur indirekt (vom Hörensagen) und nur teilweise (nämlich bzgl. des Enkels als Empfänger der Zuwendung)
bestätigen konnten.
Neben dieser einmaligen Geldleistung sind auch keine weiteren Leistungen, wie etwa Sachleistungen, zu
berücksichtigen. Zwar bewohnte die Klägerin kostenlos das vom Zeugen K. beschriebene "Austragshäuschen".
Diesem Recht kann jedoch laut dem Zeugen nach Standard und Lage des Häuschens kein marktfähiger Wert und
somit auch keine Unterhaltsfunktion zugeordnet werden, so dass es offenbleiben kann, ob dem Versicherten eine
solche Leistung zuzurechnen wäre.
Weiterer Ermittlungen, etwa in Gestalt der Vernehmung der angebotenen weiteren Zeugen, bedurfte es nicht, weil der
Senat, wie ausgeführt, den klägerischen Vortrag für die Zeit ab 1997 als wahr unterstellt.
Die Würdigung dieses Sachverhalts führt zu einer Bestätigung der Entscheidungen der Beklagten und des SG. Die
einmalige Leistung auch eines größeren Geldbetrags im Einjahreszeitraum anlässlich eines "Heimatbesuchs" hat
nicht den Charakter einer Unterhaltszahlung. Es fehlt ihr insbesondere das beschriebene gesetzliche Merkmal der
Regelmäßigkeit, das grundsätzlich nur bei einer monatlich wiederkehrenden Leistung in fixierter Höhe vorliegt. Nur
dann ist es gerechtfertigt, von "Unterhalt" zu sprechen, der ja für den Empfänger verlässlich und berechenbar sein
muss. Andernfalls ist die Leistung in der Tat als "Geschenk" zu bewerten, wie dies wohl auch gegenüber dem Enkel
M. der Fall war, demgegenüber der Versicherte ja - ebenfalls - nicht unterhaltsverpflichtet war. Im Ergebnis rechtfertigt
diese einmalige Zahlung nach Mai 1997 auch dann nicht die Erwartung, der Versicherte hätte, falls er nicht gestorben
wäre, in den Folgejahren regelmäßigen Unterhalt geleistet, wenn man die möglicherweise häufigeren Zahlungen der
früheren Jahre im Rahmen eines Gesamtbildes mit einbezieht. Denn auch ein eventuelles Absenken der Zahlungen
gerade während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes wäre wegen seiner prognostischen Auswirkung zulasten
der Klägerin zu berücksichtigen (BSGE 40, 37).
Selbst wenn der Versicherte statt einer Einmalzahlung entsprechende monatliche Teilleistungen erbracht hätte, würde
solchen Leistungen der Unterhaltscharakter fehlen. Das Merkmal der Regelmäßigkeit wäre dann zwar erfüllt, nicht
aber das der Wesentlichkeit. Für den Mindestbedarf für einen Haushaltsvorstand nach BSHG kommt es hier auf die
Verhältnisse in Baden-Württemberg als dem Wohnsitzland des Versicherten an. Der Mindestbedarf betrug dort ab dem
01.07.1997 540,00 DM. Unterhaltsrelevanz hätte also im Falle der Klägerin nur eine monatliche Zahlung von
mindestens 135,00 DM. Auf Monate umgerechnet wären der Klägerin jedoch nur weniger als 90,00 DM zugeflossen.
Auch deshalb fehlt es an einer Unterhaltsleistung.
Insgesamt konnte die Berufung somit keinen Erfolg haben.
Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§§ 183, 193 SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 SGG).