Urteil des LSG Bayern vom 18.09.2006
LSG Bayern: einkommen aus erwerbstätigkeit, hauptsache, sozialhilfe, eigentumswohnung, erlass, obsiegen, zivilprozessordnung, ausreise, haushalt, duldung
Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 18.09.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 52 AY 3/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 462/06 AY ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.05.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die 1973 geborene Antragstellerin (Ast) ist rumänische Staatsangehörige. Im Besitz einer Duldung ist sie vollziehbar
zur Ausreise verpflichtet. Sie bewohnt mit ihren Eltern eine Wohnung, für die 310,25 EUR Kaltmiete zuzüglich 20,45
EUR Garagenmiete und 61,86 EUR Betriebskosten zu zahlen sind. Ihr Vater bezieht eine Altersrente in Höhe von
369,60 EUR seit dem 01.02.2005 und verfügt zudem über Einkommen aus geringfügigen Tätigkeiten.
Antragsgemäß bewilligte ihr der Antragsgegner (Ag) mit Bescheid vom 24.11.2005 Grundleistungen gemäß § 3
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), sowie anteilige Unterkunftskosten.
Bei den Ermittlungen der Voraussetzungen für Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)
wurde dem Ag bekannt, dass "angeblich eine Eigentumswohnung in Rumänien zu ihren Vermögenswerten" zählt. Mit
Schreiben vom 30.11.2005 und 20.12.2005 bat der Ag deshalb um Aufklärung und kündigte die Aufhebung des
Bewilligungsbescheides und die Rückforderung der gezahlten Leistungen an. Die Wohnung stelle verwertbares
Vermögen dar und sei vor der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG einzusetzen. Ein vorgelegter
Steuerbescheid beziffere den Wert der Wohnung auf etwa 13.328,92 EUR.
Die Ast beantragte daraufhin am 17.02.2006 beim Sozialgericht München (SG), den Ag im Wege der einstweiligen
Anordnung weiterhin Sozialhilfeleistungen zu gewähren. Auf Nachfrage des Gerichts erklärte sie, sie berichtige, sie
wolle Leistungen nach dem AsylbLG zugesprochen erhalten.
Mit Beschluss vom 16.05.2006 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Ast habe
keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Hiergegen hat die Ast Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben, mit der sie auf ihren
Gesundheitszustand hinweist. Zudem sei der "Geldwert" in Höhe von 13.000,00 EUR zu klein, um berücksichtigt zu
werden. Das seien pro Person 3.250,00 EUR. Hierwegen könnten nicht ewig Leistungen abgelehnt werden. Aus einem
fachärztlichen Attest vom 10.03.2006 des Psychiaters Dr.L. ergibt sich zudem, dass sie nicht auf Dauer im Stande
sei, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Die Unterstützung durch Sozialhilfe sei deshalb sehr wünschenswert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die
vorlegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Das SG
hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil es das SG zu Recht abgelehnt hat, den Ag zur Bewilligung von
Leistungen nach dem AsylbLG an die Ast im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelungsanordnung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das
ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders
abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage
wäre (so Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69, 74; vom 19.10.1977 BVerfGE 46,
166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die Ast ihr Begehren
stützt - voraus. Die Angaben hat die Ast hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Sätze 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs
2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b RdNr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage
in vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) das
Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist bzw. wäre. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage
offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer
einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem
Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die
Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Falle
ist ggfs. anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden
(BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).
Zutreffend hat das SG festgestellt, dass der Ast ganz offensichtlich kein Anordnungsanspruch zur Seite steht;
jedenfalls konnte sie einen solchen nicht glaubhaft machen. Die Ast hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens
letztlich eingeräumt, Vermögenswerte in Höhe von etwa 13.000,00 EUR zu besitzen.
Zwar ist es im hier vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unstreitig, dass die Ast
leistungsberechtigt iS des § 1 Abs 1 AsylbLG ist. Bevor sie aber Leistungen gemäß § 3 ff AsylbLG erhält, hat sie
eigenes Einkommen und Vermögen und solches von Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, und über
das verfügt werden kann, vor Eintritt von Leistungen aufzubrauchen (§ 7 Abs 1 Satz 1 AsylbLG). Dabei bleiben
gemäß § 7 Abs 2 AsylblG Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 25 vH außer Betracht, höchstens jedoch in
Höhe von 60 vH des maßgeblichen Betrages nach § 3 Abs 1 und 2 AsylbLG. Eine Aufwandsentschädigung gemäß §
5 Abs 2 AsylbLG gilt ebenfalls nicht als Einkommen. Anderes Einkommen und Vermögen sind vom
Leistungsberechtigten und seinen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Familienangehörigen vor Eintritt von Leistungen
nach dem AsylbLG jedoch aufzubrauchen. Diese Bestimmung ist eine sondergesetzliche Regelung zur Verwirklichung
des Nachranges steuerfinanzierter Hilfeleistungen und des Selbsthilfegedankens. Dabei waren und sind im Recht der
Sozialhilfe die Regelungen über das Schonvermögen im früheren § 88 Abs 2 Nr 8 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
und in § 90 Abs 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nicht anzuwenden (vgl dazu BVerwG vom 12.04.2000
NVwZ 2000, Beilage Nr 10, S.113; BayVGH vom 26.01.2000 Az: 12 ZS 99.3120 unter Hinweis auf BT-Drs 12/4451
S.10; HessVGH vom 07.09.2004 Az: 10 UE 600/04; Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, Stand Juli 2006, § 7
AsylblG Rdnr 31; Decker in Oestreicher, SGB XII, SGB II, Stand Dezember 2005, § 7 AsylbLG Rdnr 8). Bereits aus
dem Wortlaut, aus der Entstehungsgeschichte und aus der Systematik der Vorschrift des § 7 Abs 1 AsylblG ergibt
sich, dass sich der Schutz des Schonvermögens nicht auf das AsylbLG erstreckt. Die Zielsetzung der Leistungen
des BSHG und der des AsylbLG weichen insoweit von einander ab, weil beide Gesetze grundsätzlich von
unterschiedlichen Bewertungen des Einkommens- und Vermögenseinsatzes ausgehen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nicht verfassungsrechtlich bedenklich, die Ast auf den Einsatz ihres
vorhandenen Vermögens zu verweisen. Es ist weder ersichtlich noch hat die Ast glaubhaft gemacht, dass sie
außerstande ist oder eine unzumutbare Härte wäre, die von ihr nicht genutzte Eigentumswohnung im Heimatland, in
das sie nicht freiwillig zurückkehrt, zu verkaufen oder sonst zu verwerten, um hieraus ihren eigenen Lebensunterhalt
zumindest zeitweise sicherzustellen. Hieran ändert auch die ergänzende Stellungnahme vom 18.09.2006 nichts.
Mithin führt auch eine Güter- und Folgenabwägung zu keiner anderen Entscheidung, sodass die Beschwerde
insgesamt keinen Erfolg hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).