Urteil des LSG Bayern vom 21.06.2007
LSG Bayern: künstliche befruchtung, krankenversicherung, krankenkasse, altersgrenze, konsolidierung, behandlung, familie, einverständnis, akte, freiheit
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 21.06.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 7 KR 224/05
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 58/06
Bundessozialgericht B 1 KR 96/07 B
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. Oktober 2005 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, in welcher Höhe sich die Beklagte an den Kosten für eine künstliche Befruchtung zu beteiligen hat.
Die 1975 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Bei ihr liegt ein auch mikrochirurgisch nicht
behandelbarer Tubenverschluss vor. Sie hat deshalb im Dezember 2004 bei der Beklagten eine In-vitro-Fertilisation
mit Embryotransfer beantragt. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12.01.2005 unter Hinweis auf die gesetzliche
Regelung maximal drei Zyklen mit einer Kostenbeteiligung in Höhe von 50 % genehmigt. Die Bevollmächtigten der
Klägerin haben hiergegen mit Schreiben vom 16.03.2005 Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben, die dann an
das Sozialgericht Nürnberg verwiesen worden ist. Im Laufe des Klageverfahrens erging der zurückweisende
Widerspruchsbescheid vom 04.08.2005. Die Bevollmächtigten der Klägerin äußerten die Auffassung, § 27a SGB V sei
verfassungswidrig.
Das Sozialgericht hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung am 25.10.2005 die Klage, die
darauf gerichtet war, die Kosten für drei Zyklen zu 100 % zu erstatten, abgewiesen. Die zulässige Klage sei
unbegründet, auf der Grundlage des § 27a SGB V habe der Gemeinsame Bundesausschuss die Richtlinien über
ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung erlassen. In diesen Richtlinien sei vorgesehen, dass der
Behandlungsplan maximal drei in Folge geplante Zyklen umfasse. Die von der Beklagten erteilte Genehmigung
entspreche den Vorgaben der Richtlinie. Die Beklagte habe zu Recht einen darüber hinausgehenden Anspruch
abgelehnt. Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 seien ab
01.01.2004 nicht nur die Leistungen der künstlichen Befruchtung eingeschränkt worden, sondern in § 27a Abs.3 SGB
V auch bestimmt worden, dass die Krankenkassen nur noch 50 % der Kosten der Behandlung übernehmen dürfen. Es
handele sich nach dem Willen des Gesetzgebers weiterhin um eine Sachleistung. Nach Auffassung der Kammer sei
die neue gesetzliche Regelung nicht verfassungswidrig. Es liege weder ein Verstoß gegen Art.6 Grundgesetz (GG)
noch gegen Art.3 GG vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre Bevollmächtigten damit begründen, das
Sozialgericht habe nicht erkannt, dass § 27a SGB V einen ungerechtfertigen Eingriff in Art.6 Abs.1, 3 Abs.1 und 2
Abs.1 Satz 1 GG darstelle. Die Grenze des Art.3 Abs.1 GG sei in den Fällen erreicht, in denen sich für eine
Ungleichbehandlung kein im angemessenen Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender
Rechtsfertigungsgrund finden lässt. Der Gesetzgeber habe den Gestaltungsspielraum bezüglich der Höhe der
Kostentragung überschritten. Eine der Regelung beim Zahnersatz vergleichbare Lösung sei auch bei Fällen
beschränkter finanzieller Verhältnisse der Versicherten im Rahmen des § 27a SGB V nötig. Die Zahl der
Schwangerschaften würde durch die Einschränkung der Kostentragung beschränkt. § 27a Abs.3 SGB V stelle ein
ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer von Ehepartnern und Familien als Beitrag zur Konsolidierung der
gesetzlichen Krankenversicherung dar und verstoße gegen elementare Verfassungsgrundsätze. Die 50-prozentige
Selbstbeteiligung betreffe ausschließlich Partner mit Kinderwunsch, das heißt zur Konsolidierung der gesetzlichen
Krankenversicherung würden Ehepartner mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen - deren Leistungen
finanziell nicht begrenzt werden - besonders belastet. Eine Schlechterstellung der Familien erfolge auch deshalb, weil
nicht die sonst geltende Obergrenze für Selbstbeteiligungen von 2 % des Jahreseinkommens berücksichtigt werde.
Auf Anfrage des Senats werden die für die Behandlung im Jahr 2005 entstandenen Kosten mit insgesamt 1.979,57
EUR berechnet und belegt.
Die Bevollmächtigten der Klägerin beantragen sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.10.2005
aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.01.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.08.2005 zu verurteilen, der Klägerin 1.979,57 EUR zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten
beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet gemäß § 124 Abs.2 mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch
Urteil.
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht
der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs.3 SGB V gegen die Beklagte. Nach dieser
gesetzlichen Regelung sind von der Krankenkasse Kosten für die selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe
zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war und die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig
erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Bei der beantragten Leistung In-vitro-Fertilisation
handelt es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung. Die Beklagte hat die Leistung auch nicht zu Unrecht
abgelehnt. Die Kostenerstattung für den Betrag von 402,18 EUR, der mit Rechnung vom 10.02.2005 für die
Kryokonservierung von zwölf Eizellen am 29.01.2005 gefordert wird, scheitert bereits daran, dass es sich um keine
Leistung nach § 27a SGB V handelt, da die Kryokonservierung außerhalb des ersetzten Zeugungsaktes liegt (Höfler,
KassKomm, Rz.24 zu § 27a mit Hinweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Keine Zahlungsverpflichtung
der Beklagten besteht auch für die dem Ehemann der Klägerin in Rechnung gestellten Kosten von 26,81 EUR und
10,22 EUR. Im Übrigen haben die Anästhesisten, die Apotheke und die behandelnden Frauenärzte jeweils 50 %
Eigenanteil in Rechnung gestellt. Diese Kosten hat die Klägerin selbst zu tragen. Dies ergibt sich aus § 27a Abs.3
Satz 3 SGB V in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung (Gesetz vom 14.11.2003, BGBl.I S.2190). Danach übernimmt
die Krankenkasse 50 v.H. der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem
Versicherten durchgeführt werden. Dies ist vom Gesetzgeber durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz - GMG -
bewusst so zum 01.01.2004 eingeführt worden.
Der Senat hat, wie das Sozialgericht, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Neuregelung. Auch die
beiden beim Bundessozialgericht (BSG) anhängigen Verfahren (B 1 KR 10/06 R und B 1 KR 26/06 R) stellen
verfassungsrechtliche Bedenken nur insoweit zur Überprüfung, als eine Altersgrenze bei Männern eingeführt wurde
und dies möglicherweise den Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG verletzt. Das BSG hat am 24. Mai 2007 im
Verfahren B 1 KR 10/06 R entschieden, dass die in § 27a Abs.3 SGB V festgelegte Altersgrenze für Männer nicht
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Weiter hat es ausgeführt, § 27a SGB V regele keinen Kernbereich
der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), sondern begründe einen eigenständigen
Versicherungsfall, bei dem der Gesetzgeber grundsätzlich die Freiheit hat, selbst die Voraussetzungen der
Gewährung dieser Leistungen näher zu bestimmen. Der Senat sieht in diesen Ausführungen eine weitere Bestätigung
seiner Auffassung, dass die ab 01.01.2004 geltende Fassung des § 27a SGB V nicht grundrechtswidrig ist. Eine
Verletzung des Art.3 GG ist allein schon deshalb zu verneinen, weil der Gesetzgeber eine Gruppe von
Normadressaten, nämlich sich Kinder wünschende Eheleute gleichbehandelt. Ihm obliegt nicht die Verpflichtung für
diese auch gleiche wirtschaftliche Zustände zu schaffen. Jede Leistungseinschränkung betrifft Geringerverdienende
stärker als Wohlhabende. Das ist vom Gesetzgeber nicht auszugleichen, zumindest nicht außerhalb des Kernbereichs
der GKV. Es verstößt auch nicht gegen Art.6 GG, wenn die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen
eingeschränkt werden. Der Gesetzgeber ist der staatlichen Pflicht zur Förderung von Ehe und Familie bereits dadurch
nachgekommen, dass die Leistungen des § 27a SGB V auf verheiratete Personen beschränkt sind (Höfler,
KassKomm, Rz.16 zu § 27a SGB V). Art.6 GG rechtfertigt darüber hinaus nicht die Forderung, Leistungen zur
Förderung von Ehe und Familie dürften nicht gekürzt werden.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.