Urteil des LSG Bayern vom 30.07.2008
LSG Bayern: berufliche tätigkeit, rente, arbeitsmarkt, verdacht, behinderung, erwerbsfähigkeit, gutachter, gonarthrose, verkehrsmittel, wartezeit
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 12 R 1959/05
Bayerisches Landessozialgericht L 13 R 553/07
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 31. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente hat.
Die 1952 geborene Klägerin durchlief nach eigenen Angaben von 1967 bis 1968 eine Ausbildung als Bürokauffrau. Sie
arbeitete vom 1. April 1968 bis 31. Dezember 2004 als kaufmännische Angestellte, zuletzt bei der Fa. P.
Gebäudeservicedienste GmbH. Seit 15. September 2003 ist sie arbeitsunfähig erkrankt.
Einen Antrag auf eine Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente vom 21. März 2000 hatte die Beklagte mit Bescheid
vom 18. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2001 abgelehnt. Am 3. März 2003 hatte
die Klägerin erneut eine Rente beantragt, den die Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2003 wegen fehlender Mitwirkung
abgelehnt hatte.
Einen weiteren Rentenantrag stellte die Klägerin am 22. Oktober 2003. Die Beklagte holte ein Gutachten des
Orthopäden Dr. W. vom 8. Januar 2004 ein, der eine Pangonarthrose rechts bei Zustand nach Operation, ein
chronisch rezidivierendes Schulter-Arm-Syndrom bei Osteochondrose C 4-6 ohne neurologischen Ausfall, eine Fraktur
des Beckens (Os sacrum) sowie einen dringenden Verdacht auf eine somatoforme Verhaltensstörung diagnostizierte.
Leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten könnten grundsätzlich noch vollschichtig verrichtet werden. Die
zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Büroangestellte könne noch halb- bis unter vollschichtig ausgeübt werden, die
Tätigkeit als Bürokauffrau noch vollschichtig.
Der beratende Arzt gelangte am 15. Januar 2004 zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen für die zuletzt
ausgeübte Tätigkeit als Bürokauffrau sowie für leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Die Beklagte wies den Antrag mit Bescheid vom 30. Januar 2004 ab. Es bestehe kein Anspruch auf Rente wegen
voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Die Klägerin sei auch noch in der Lage, ihren bisherigen Beruf als
Bürokauffrau mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zog die Beklagte insbesondere die Befunde des
Magnetresonanztomogramms (MRT) des Beckens vom 4. August 2003 sowie des rechten Kniegelenks vom 30.
Oktober 2003 bei und holte ein orthopädisches Gutachten des Dr. P. vom 28. Juli 2004 ein. Vor allem aufgrund der
schmerzhaft eingeschränkten Kniegelenksbeweglichkeit rechts bei Kniegelenksabnutzungen in allen
Kniegelenksabschnitten (Pangonarthrose), einer Cervicobrachialgie links (Nacken-Arm-Schmerz) bei
abnutzungsbedingten Veränderungen der mittleren Halswirbelsäule (HWS) mit schmerzhaft eingeschränkter
Beweglichkeit der HWS sowie Rückenschmerzen (Lumbalgie) bei geringgradigen abnutzungsbedingten Veränderungen
der Lendenwirbelsäule (LWS) könne die Klägerin nur mehr leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ausüben.
Eine Bürotätigkeit sowie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten jedoch noch grundsätzlich vollschichtig
verrichtet werden.
Der von der Beklagte ferner beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. H. gelangte in seinem Gutachten vom 10.
Januar 2005 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch als Bürokauffrau sowie für leichte körperliche
Tätigkeiten sechs Stunden und mehr einsetzbar sei. Zwar bestünden eine Lumboischialgie beidseits ohne
sensomotorisches Defizit, der Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom links, eine Gonarthrose links sowie der Verdacht
auf eine somatoforme autonome Funktionsstörung. Neurologische Ausfälle seien jedoch nicht nachweisbar. Es
handele sich um eine muskuläre Verspannung mit einer psychosomatischen Komponente.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Das Sozialgericht B-Stadt verwies mit Beschluss vom 19. Mai 2005 die hiergegen gerichtete Klage
zuständigkeitshalber an das Sozialgericht München. Die Klägerin führte aus, insbesondere aufgrund der Schmerzen
im Kniegelenk sowie des bestehenden HWS-Syndroms sei es ihr nicht mehr möglich, sechs Stunden täglich einer
beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Das Sozialgericht zog die medizinischen Unterlagen bei und holte ein
Terminsgutachten des Chirurgen Dr. J. M. vom 31. Mai 2006 ein. Im Vordergrund stünden danach die Kniegelenks-
und Wirbelsäulenbeschwerden. Er stellte Aufbraucherscheinungen an beiden Kniegelenken mit eingeschränkter Geh-
und Stehbelastung, degenerative Wirbelsäulenveränderungen der HWS mit ausstrahlenden Schmerzen und
schmerzhafter Bewegungsbehinderung ohne Nervenausfälle, ein Asthma sowie eine chronische Bronchitis fest.
Leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie Tätigkeiten aus dem Berufskreis einer
kaufmännischen Angestellten seien noch vollschichtig möglich. Wegstrecken von 500 m und mehr sollten vermieden
werden. Anmarschwege zur Arbeit seien somit nur begrenzt möglich. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und
von Fahrzeugen sei möglich.
Der Neurologe und Psychiater Dr. M. berichtete in seinem Gutachten vom 9. November 2006 von einer somatoformen
Störung, einem episodischen Spannungskopfschmerz sowie einem HWS- und LWS-Syndrom ohne funktionale
Defizite. Unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen könnten die Tätigkeiten als kaufmännische
Angestellte sowie körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichtet werden.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 31. Januar 2007 ab. Es stützte sich zur Begründung insbesondere auf
das Gutachten des Dr. M. sowie des Dr. M ... Die Klägerin könne danach noch leichte Arbeiten vollschichtig - mit
gewissen Einschränkungen - verrichten.
Zur Begründung der Berufung hat die Klägerin auf eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes hingewiesen.
Das linke Knie sei nun ebenfalls mit einer starken Gonarthrose belastet. Sie habe zwei weitere Operationen an beiden
Kniegelenken durchführen lassen müssen. Sie verwies auf ärztliche Befunde. Zugleich lehnte sie die Durchführung
weiterer Untersuchungen ab.
Der Senat hat aktuelle Befundberichte für die Zeit ab Juni 2006 eingeholt. Die Orthopäden Dres. K./M. gaben am 17.
September 2007 an, es sei keine Befundänderung eingetreten. Der Orthopäde Dr. K. berichtete am 26. September
2007 ebenfalls, dass keine wesentliche Änderung vorliege. Die Veränderungen seien als protrahierter postoperativer
Verlauf zu betrachten, nachdem am 25. April 2007 eine Arthroskopie des linken Kniegelenks durchgeführt wurde.
Der Senat hat hierzu eine Stellungnahme des Dr. M. nach Aktenlage vom 20. November 2007 eingeholt, der keine
Veranlassung zur Änderung seines bisherigen Gutachtensergebnisses gesehen hat. Auch sei die Wegefähigkeit (bis
zu 800 m) gegeben.
Auf die Einwendungen der Klägerin, die auf eine diagnostische Kniespiegelung vom 26. Januar 2007, eine
teilstationäre Rehabilitationsmaßnahme sowie auf Schlafstörungen aufgrund der bestehenden Schmerzen hingewiesen
hat, hat der Senat das Bildmaterial sowie den Entlassungsbericht des Medical Park St. H. vom 17. Dezember 2007
aus einer orthopädischen Rehabilitationsmaßnahme vom 13. November bis 3. Dezember 2007 eingeholt.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten weiterhin noch
vollschichtig ausgeübt werden. Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit sei der Beruf als kaufmännische Angestellte
zugrunde zu legen, bei dem es sich um einen einfachen Anlernberuf handele. Es bestehe Belastbarkeit für leichte
Bürotätigkeiten. Auch sei die Wegefähigkeit gegeben.
Dr. M. hat in einer erneuten Stellungnahme vom 17. April 2008 ausgeführt, dass die gesundheitlichen Störungen im
chirurgisch-orthopädischen Bereich - hier insbesondere im Bereich der Kniegelenke und der HWS - im Vordergrund
stünden. Weiterhin seien leichte körperliche Tätigkeiten grundsätzlich noch vollschichtig möglich; die Wegefähigkeit
sei gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 31. Januar 2007 sowie den Bescheid vom 30. Januar 2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Oktober 2003
Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der
Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet, weil der Klägerin kein Anspruch auf eine
Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) zusteht.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen
voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der
Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt
der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen
Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der
Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt
der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen
Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs
Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs. 3
SGB VI.
Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 SGB VI, hilfsweise des Absatzes 1, liegen bei der Klägerin nicht vor. Eine
Verschlechterung der Kniebeschwerden, wie sie von der Klägerin zur Begründung der Berufung vorgebracht wurde,
führt nicht zu einer Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils.
Nach den vom Sozialgericht eingeholten Gutachten des Dr. M. sowie des Dr. M. kann die Klägerin noch leichte
körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes - aber auch die Tätigkeiten aus dem Berufskreis einer
kaufmännischen Angestellten - vollschichtig verrichten. Auf orthopädischem Fachgebiet stehen dabei
Aufbraucherscheinungen an beiden Kniegelenken mit eingeschränkter Geh- und Stehbelastung, ferner degenerative
Wirbelsäulenveränderungen der HWS mit ausstrahlenden Schmerzen und schmerzhafter Bewegungsbehinderung im
Vordergrund. Eine Minderbelastbarkeit besteht vor allem aufgrund der Kniegelenksveränderungen, zunächst
insbesondere des rechten Kniegelenks, in der Zwischenzeit beider Kniegelenke.
In den vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahmen bescheinigte Dr. M., dass insoweit keine wesentliche
Änderung gegenüber den Vorgutachten eingetreten ist. Am 26. Januar 2007 wurde eine diagnostische Kniespiegelung
des rechten Knies und am 25. April 2007 eine Gelenkspiegelung mit Gelenktoilette und Teilentfernung des Innen- und
Außenmeniskus am linken Knie mit Knorpelglättung vorgenommen. Von den degenerativen Veränderungen sind in der
Zwischenzeit zwar beide Kniegelenke deutlich betroffen. Der Sachverständige schilderte eine wechselnde Ausprägung
von funktionellen Störungen mit wechselnder Schmerzintensität. Seit Jahren schreiten die degenerativen
Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat, insbesondere an den Kniegelenken, zwar fort. Seitdem leidet die
Klägerin unter somatoformen Störungen sowie degenerativen HWS- und LWS-Veränderungen, allerdings ohne
funktionale Defizite. Bildgebend sind insbesondere degenerativ bedingte Veränderungen an den kleinen
Wirbelgelenken und Wirbelknochen sowie Bandscheibenschäden nachgewiesen. Auch die degenerativen und
verformenden Veränderungen mit ausgeprägten Knorpelschäden an den beiden Kniegelenken sind nachgewiesen und
seit vielen Jahren langsam fortschreitend. Eine Befundänderung der Grunderkrankungen hat jedoch nicht
stattgefunden. Im Ergebnis ist zwar von Leistungseinschränkungen auszugehen, der Klägerin ist jedoch weiterhin
zumutbar, bei Berücksichtigung dieser Leistungseinschränkungen noch leichte körperliche Tätigkeiten auszuüben.
Auch der behandelnde Orthopäde Dr. M. bestätigt in dem vom Senat eingeholten Befundbericht, dass keine
Befundänderung eingetreten ist. Ferner beschreibt der Orthopäde Dr. K., dass keine erneuten Leiden hinzu getreten
sind und keine alten weggefallen sind. Eine im Mai 2007 diagnostizierte deutlich reduzierte Beweglichkeit des linken
Kniegelenks sowie eine erhebliche Schwellung sah der behandelnde Arzt als verzögerten postoperativen Verlauf an.
Aus der teilstationären Rehabilitationsmaßnahme wurde die Klägerin am 3. Dezember 2007 zwar arbeitsunfähig
entlassen; nach der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung besteht jedoch auch nach dem Entlassungsbericht
grundsätzlich ein vollschichtiges Leistungsvermögen für die letzte berufliche Tätigkeit als Kauffrau sowie für leichte
bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, auch wenn zum Entlassungszeitpunkt die Einschätzung geteilt wurde, dass
derzeit kein vollschichtiges Leistungsvermögen für den bisherigen Beruf besteht. Dr. M. teilt die Angabe der Klinik
zum grundsätzlichen Vorliegen eines vollschichtigen Leistungsvermögens - auch für die Tätigkeit als Bürokauffrau
bzw. als kaufmännische Angestellte, ohne zu verkennen, dass die Minderbelastbarkeit der Kniegelenke, Bewegungs-
und Spontanschmerzhaftigkeit sowie die HWS-Veränderungen mit Bewegungseinschränkungen, Bewegungs- und
ausstrahlenden Schmerzen zu deutlichen Beeinträchtigungen und Leistungseinschränkungen führen. Erforderlich, aber
auch ausreichend ist insbesondere eine Entlastung der Kniegelenke.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem neurologischen Gutachten des Dr. M ... Der Verdacht einer
tiefgreifenden seelischen Störung hat sich danach nicht bestätigt. Der Gutachter geht von einer somatoformen
Störung im Sinne einer Somatisierungsstörung von leichterer Ausprägung, einem episodischen
Spannungskopfschmerz sowie einem HWS- und LWS-Syndrom aus. Nervenausfälle oder funktionale Defizite konnte
er allerdings nicht feststellen. Psychisch erhob der Gutachter im Rahmen der Untersuchungssituation einen
regelrechten Befund bei im Vordergrund stehender subjektiver Schmerzschilderung. Er fand keinen Hinweis für ein
depressives Erlebnis von tiefer gehender Dynamik oder für eine rezidivierend depressive Störung von Krankheitswert.
Die übrigen gesundheitlichen Störungen wie chronische Bronchitis, Allergiebereitschaft oder Schlafstörungen wirken
sich nur geringgradig auf die Erwerbsfähigkeit aus.
Versicherte sind trotz vollschichtigen Leistungsvermögens dann als erwerbsgemindert anzusehen, wenn besondere
gesundheitliche Einschränkungen oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bestehen, die
eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich machen. Dies sind insbesondere die
sogenannten Seltenheits- oder Katalogfälle, wie sie das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelt
hat (vgl. BSG SozR 3-2200, § 1246 RVO Nr. 50). Bei Vorliegen der dort genannten Umstände ist davon auszugehen,
dass einem Versicherten der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt verschlossen ist. Der Arbeitsmarkt ist der
Klägerin aber auch unter diesen Gesichtspunkten, welche die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit
erforderlich machen würde, nach Überzeugung des Gerichts nicht verschlossen. Zwar benennen die Gutachter im
Einzelnen Leistungseinschränkungen wie die Vermeidung von Arbeiten unter Zeitdruck, Akkord und
Fließbandarbeiten, Wechselschichtarbeiten, Arbeiten unter Zwangshaltung, mit häufigem Treppensteigen, Besteigen
von Leitern und Gerüsten, häufigem Heben und Tragen von Lasten über 8 kg und Heben von Lasten unterhalb der
Oberschenkelmitte sowie unter ungünstigen Umwelteinflüssen. Möglich sind jedoch noch leichte körperliche Arbeiten
mit wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen mit gelegentlich möglichem Wechsel zu Gehen und Stehen,
zu überwiegend regelmäßigen Zeiten tagsüber, überwiegend in geschlossenen Räumen und mit Publikumsverkehr. Da
das Feingefühl der linken Hand aufgrund von Missempfindungen nur leicht eingeschränkt ist, ist auch die
Gebrauchsfähigkeit der Hände weitgehend uneingeschränkt gegeben. Aufgrund dieses noch bestehenden
Leistungsprofils ist der Klägerin der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verschlossen.
Damit ist nach Überzeugung des Gerichts zumindest derzeit noch ein Leistungsvermögen der Klägerin von
mindestens sechs Stunden täglich für die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes gegeben, so dass nach § 43
Abs. 3 SGB VI keine Erwerbsminderung vorliegt.
Allerdings dehnt § 240 SGB VI aus Gründen des Vertrauensschutzes als Sondervorschrift zu der Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung auf vor dem 2. Januar 1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus. Da die
Klägerin 1952 geboren wurde, fällt sie unter diese Vertrauensschutzregelung.
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung
im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher
Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Für die
Entscheidung der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von seinem "bisherigen Beruf" auszugehen.
Aufgrund der bestehenden Gutachtenslage kann die Klägerin jedoch auch noch vollschichtig in ihrem zuletzt
ausgeübten Beruf als kaufmännische Angestellte bzw. im kaufmännisch-verwaltenden Bereich tätig sein. Wie
dargelegt kommen sowohl Dr. M. als auch Dr. M. zu diesem Ergebnis. Bei dieser Tätigkeit handelt es sich um eine
grundsätzlich leichte körperliche Arbeit, bei der ein Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ermöglicht werden
kann. Entsprechende Tätigkeiten gibt es gerade im Büro-Bereich in ausreichendem Umfang, ohne dass
beispielsweise Hebearbeiten oder Überkopfarbeiten anfallen.
Auch eine Einschränkung hinsichtlich der zumutbaren Wegstrecke ist zumindest derzeit noch nicht gegeben.
Allerdings hatte Dr. M. im Terminsgutachten vom 31. Mai 2006 noch ausgeführt, dass Anmarschwege zur Arbeit nur
begrenzt möglich sind. Die Klägerin sollte Wegstrecken von 500 m und mehr nicht mehr zurücklegen. Der Senat
gelangte jedoch aufgrund der nachfolgenden gutachterlichen Äußerungen zu der Ansicht, dass die Klägerin viermal
pro Arbeitstag eine Wegstrecke von über 500 m in zumutbarer Zeit (15 Minuten für 500 m) zurücklegen konnte und
kann - auch wenn die Wegstrecke, wie Dr. M. in der letzten Stellungnahme ausführte, nur mehr höchstens 600 bis 800
m betragen sollte. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und anderer Fahrzeuge ist grundsätzlich noch möglich.
Soweit nach dem Reha-Entlassungsbericht vom 17. Dezember 2007 die Gehstrecke auf zehn Minuten eingeschränkt
ist, beruht dies allein auf den Angaben und Einschätzungen der Klägerin, die von den Gutachtern, insbesondere
gemäß der Stellungnahme des Dr. M., nicht geteilt werden. Ferner ist die während der Rehabilitationsmaßnahme
beklagte Einschränkung der Gehfähigkeit auch vor dem Hintergrund des im April 2007 erfolgten operativen Eingriffs
am linken Knie zu sehen; der Orthopäde Dr. K. berichtet hierzu, dass keine erneuten Leiden hinzu gekommen sind.
Die Veränderungen seien als protrahierter postoperativer Verlauf zu betrachten. Eine weitere Sachaufklärung ist hierzu
nicht möglich, da die Klägerin weitere Untersuchungen im Berufungsverfahren ausdrücklich ablehnte.
Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG. Sie beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrer Klage auch im
Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.