Urteil des LSG Bayern vom 12.04.2006

LSG Bayern: commotio cerebri, neurologie, privatdozent, depression, unfallfolgen, tinnitus, psychiatrie, arbeitsunfall, kopfschmerzen, wahrscheinlichkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.04.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 4 U 60/02
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 340/05
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15.09.2005 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Laut Unfallanzeige vom 13.06.2000 fielen dem Kläger am 03.05.2000 zwei Geräte aus einer Höhe von ca. 2 m auf den
Kopf.
Die Allgemeinmedizinerin Dr. K. stellte am 04.05.2000 einen Verdacht auf Commotio cerebri und einen Hörsturz fest.
Ein CT vom gleichen Tag zeigte keinen Nachweis eines Hämatoms oder einer Fraktur, nur eine Zyste, die keinen
Zusammenhang mit dem Trauma habe. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels vom 08.06.2000
erbrachte ebenfalls keinen Nachweis postkontusioneller Defekte oder eines Subduralhämatoms.
Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr. K. , diagnostizierte am 11.09.2000 einen Zustand nach Schädelprellung mit
Platzwunde. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. berichtete, zwischen Tinnitus und Unfall könne ein
Zusammenhang bestehen; weitere normabweichende Befunde seien auf neurologischem Gebiet nicht festzustellen.
Die Symptomatik sei im Rahmen eines chronifizierten depressiven Erschöpfungssyndroms zu sehen.
Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. M. führte in den Berichten vom 12.07.2000 und 21.09.2000 aus, Tinnitus und
Schädelprellung seien Unfallfolgen.
Im Gutachten vom 08.02.2001 führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. aus, der Kläger habe sich
möglicherweise eine Commotio cerebri zugezogen. Eine feingewebliche Hirnschädigung sei mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Eine durch den Unfall hervorgerufene Gewalteinwirkung auf die
Halswirbelsäule sei nicht anzunehmen, zumal anfänglich keine Beschwerden geäußert worden seien. Das
Unfallereignis sei nicht geeignet gewesen, schwerwiegende psychische Folgen nach sich zu ziehen. Sowohl die
Kopfschmerzen als auch die Schwindelbeschwerden seien mit hoher Wahrscheinlichkeit der Hypertonie zur Last zu
legen. Bis zum Ablauf der ersten sechs Wochen nach dem Unfall sei eine MdE von 20 v.H. gegeben. Danach sei die
unfallbedingte MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet auf 10 v.H. zu bemessen, ab 08.08.2000 betrage sie unter 10
v.H ...
Im Gutachten vom 07.02.2001 kam der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. G. zu dem Ergebnis, Unfallfolgen auf seinem
Fachgebiet seien unwahrscheinlich. Da ein normales Hörvermögen bestehe, könnten die wechselnden subjektiven
Ohrgeräusche nicht auf eine unfallbedingte Störung zurückgeführt werden.
Der Radiologe Prof. Dr. B. führte in der Stellungnahme vom 10.07.2001 aus, es finde sich kein Hinweis auf eine
Schädelfraktur oder -blutung. Die Plexuszyste habe keinen Krankheitswert. Das MRT der Wirbelsäule sei unauffällig.
Im Entlasssungsbericht vom Heilverfahren von 22.05. bis 19.06.2001 wird ausgeführt, der Kläger leide unter einer
depressiven und ängstlichen Anpassungsstörung mit anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen, die nach einem
Arbeitsunfall aufgetreten seien.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 25.07.2001 den Unfall als Arbeitsunfall an, lehnte aber die Gewährung einer
Rente ab. Unfallfolgen seien eine leichte Gehirnerschütterung und eine Platzwunde an der rechten Schläfe. Die
Verletzung sei folgenlos ausgeheilt.
Zur Begründung des Widerspruchs vom 20.08.2001 übersandte der Kläger einen Bericht des Neurologen Prof. Dr. F.
vom 18.12.2001, wonach ausgeprägte bis schwerste Störungen der Aufmerksamkeitsleistung, des kognitiven Tempos
und der verbalen Gedächtnisleistung bestünden. Es stehe außer Zweifel, dass sie Folge des Schädelhirntraumas
seien.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2002 zurück. Prof. Dr. F. gehe
offensichtlich von einem schweren Schädelhirntrauma aus, das jedoch nach den objektivierbaren Befunden nicht
vorgelegen habe.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren erklärte der ärztliche Sachverständige, der Arzt für Neurologie und
Psychiatrie Prof. Dr. S. , im Gutachten vom 22.10.2002, die Leistungsstörung sei am ehesten einer diffusen
Hirnleistungsschwäche zuzuordnen. Der Unfall habe lediglich eine komplikationslose Commotio cerebri verursacht, ein
postcommotionelles Syndrom habe bis längstens zur 27. Woche nach dem Unfall bestanden.
Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Dipl.-Psychologe K. hat im
Gutachten vom 04.12.2000 ausgeführt, die frühere berufliche Position des Klägers lasse die Existenz kognitiver
Leistungsdefizite in der Zeit vor dem Unfall unwahrscheinlich erscheinen. Insofern komme dem Unfallgeschehen, bei
dem unbestritten ein Schädelhirntrauma erfolgt sei, ein erhebliches Gewicht bei der Beurteilung der Kausalitätsfrage
zu. Psychosomatische Hypothesen seien nicht geeignet, den Verlauf und die Art der Beeinträchtigung zu erklären.
Die MdE sei mit 50 v.H. einzuschätzen. Diese Bewertung beziehe die zu beobachtende Aggravation bereits mit ein.
Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und
Psychatrie Privatdozent Dr. F. kam im Gutachten vom 11.04.2005 zu dem Ergebnis, Folge des Unfalls sei eine
Commotio cerebri. Die von Prof. Dr. S. diagnostizierte Parkinson-Symptomatik sei jetzt nicht überzeugend
nachweisbar. In zeitlichem Zusammenhang mit den Unfall seien subjektive Beschwerden entstanden, für die keine
organische, auf den Unfall zurückzuführende Ursache zu finden sei. Die Symptome Kopfschmerzen, Tinnitus und
Gedächtnisstörungen könnten zumindest partiell als somatische Symptome einer Depression interpretiert werden. Das
depressive Syndrom sei zweifellos in zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall entstanden, der aber nicht als
Ursache der Depression anzusehen sei. Diese hätte auch spontan oder nach einem anderen Auslösemechanismus
auftreten können. Die schon prätraumatisch bestehenden narzisstischen Persönlichkeitszüge könnten zu den
Schwierigkeiten beigetragen haben. Die Unfallfolgen bedingten ab der 27. Woche keine MdE mehr.
Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Neurologe Privatdozent Dr.
C. vertrat im Gutachten vom 06.07.2005 die Auffassung, die in den Testverfahren dokumentierte hochgradige
Schwäche der Konzentration sei weder in der neurologischen noch in der psychiatrischen Untersuchung zum
Ausdruck gekommen. Das Verhalten des Klägers habe den Willen, den Untersucher zu täuschen, gezeigt. Damit
lägen die Merkmale einer Simulation vor. Es bestehe eine mittelschwere depressive Episode. Verminderung von
Konzentration und Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen gehörten zu deren häufigen Begleiterscheinungen. Die
depressive Symptomatik werde durch eine bewusste und unbewusste Aggravation überlagert. Kopfschmerzen und
Tinnitus könnten als somatische Symptome einer Depression interpretiert werden. Die Persönlichkeitsstörung habe
mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlverarbeitung des Unfalls beigetragen. Der Unfall sei wegen der
vorbestehenden psychischen Vulnerabilität keine Ursache der Depression, die auch durch andere äußere Ereignisse
oder spontan hätte ausgelöst werden können. Nach der 27. Woche bestehe keine MdE mehr.
Mit Urteil vom 15.09.2005 hat das Sozialgericht Regensburg die Klage abgewiesen und sich dabei auf die Gutachten
von Prof. Dr. S. , Privatdozent Dr. F. und Privatdozent Dr. C. gestützt.
Zur Begründung der Berufung führte der Kläger aus, der Sachverständige K. ordne die kognitiven Beeinträchtigungen
eindeutig dem Unfall zu. Gestützt werde dieses Ergebnis durch das Gutachten des Sachverständigen R. im
Rentenverfahren, der das Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndroms bei organischer Wesensänderung und
Zustand nach Schädelhirntrauma festgestellt habe.
Der Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG von dem Neurologen Dr. S. wurde
abgelehnt.
Der Kläger beantragt die Einholung eines Gutachtens gemäß § 106 SGG, hilfsweise eines Gutachtens des Dr. S.
gemäß § 109 SGG, hilfsweise stellt er den Antrag aus dem Schriftsatz vom 27.09.2005.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Regensburg in die Klage abgewiesen; nach den überzeugenden ärztlichen Gutachten
des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. , des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. G. , des Radiologen Prof. Dr. B. ,
des Arztes für Neurologie und Psychatrie Privatdozent Dr. F. und des Neurologen Privatdozent Dr. C. liegen Folgen
des Unfalls vom 03.05.2000 nicht mehr vor. Ein Zusammenhang der jetzt geklagten Gesundheitsstörungen mit dem
Arbeitsunfall besteht, wie die ärztlichen Sachverständigen überzeugend dargelegt haben, nicht. Von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da die Berufung aus den Gründen der angefochtenen
Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG).
Anlass für weitere Sachaufklärung ist im Hinblick auf die vorliegenden umfangreichen ärztlichen Befunde und
Stellungnahmen nicht gegeben. Das Antragsrecht gemäß § 109 SGG ist zudem mit seiner Ausübung im
Klageverfahren verbraucht.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.