Urteil des LSG Bayern vom 06.02.2009

LSG Bayern: amt für jugend, wahrscheinlichkeit, miete, unterhaltspflicht, selbstbehalt, vertretung, nebenkosten, klagefrist, familie, beteiligter

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 06.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 34 AL 725/07
Bayerisches Landessozialgericht L 8 B 786/08 AL PKH
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 28. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache eine Abzweigung zugunsten der Kinder des Klägers in Höhe von
13,26 EUR täglich für den Zeitraum ab dem 01.04.2007 bzw. in Höhe von jeweils 2,74 EUR täglich ab dem 01.05.2007
streitig. Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe – PKH – für das
Klageverfahren. Mit Bescheid vom 18.04.2007 setzte die Beklagte für den Zeitraum ab 01.04.2007 eine Abzweigung
vom Arbeitslosengeld des Klägers in Höhe von 13,26 EUR täglich zugunsten der Kinder Herwig Leon und Herwig
Eileen an das Amt für Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover nach § 48 Sozialgesetzbuch - SGB - I
fest. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er müsse für Miete und Nebenkosten 500,00 EUR
monatlich aufwenden. Seine Ehefrau sei ohne Einkommen und durch ihre Diabeteserkrankung auf Medikamente
angewiesen. Mit dem verbleibenden Arbeitslosengeld könne er weder seinen eigenen noch den Lebensunterhalt seiner
Ehefrau und seiner Stieftochter, die im Haushalt lebe, bestreiten. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2007, der laut
Aktenlage am selben Tag versandt wurde, änderte die Beklagte den Bescheid vom 18.04.2007 dahingehend ab, dass
ab 01.05.2007 ein Betrag von jeweils 2,74 EUR täglich für die Kinder Leon und Eileen abgezweigt werde. Im Übrigen
werde der Widerspruch zurückgewiesen. Liege wie hier ein rechtskräftiger und vollstreckungsfähiger Unterhaltstitel
vor, sei grundsätzlich bis zur Höhe des Leistungssatzes die im Titel als Unterhaltsbetrag festgesetzte Summe an den
berechtigten Dritten, begrenzt auf den nicht erbrachten Teil, auszuzahlen. Der Kläger habe im Rahmen der Anhörung
vorgebracht, dass sich seine für den Unterhaltsbetrag maßgeblichen Einkommensverhältnisse zu seinen Lasten
wesentlich verringert hätten. Für die Ermittlungen des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts dürfe die Beklagte
grundsätzlich von pauschalierten Werten ausgehen, wenn diese den Grundsätzen des bürgerlichen Unterhaltsrechts
entsprächen. Die Werte der sog. Düsseldorfer Tabelle seien hierbei zugrunde zu legen. Der notwendige
Eigenbedarfssatz für Personen, die nicht erwerbstätig seien, betrage nach der Düsseldorfer Tabelle bei einer
Unterhaltspflicht wie vorliegend gegenüber Minderjährigen, unverheirateten Kindern monatlich 770,00 EUR. Da die
tatsächlichen Aufwendungen des Klägers für Miete und Nebenkosten von 500,00 EUR wesentlich den im Selbstbehalt
von 770,00 EUR enthaltenen Pauschalbetrag für die Miete übersteigen (360,00 EUR + 10 % = 396,00 EUR), sei der
für den Kläger maßgebende Selbstbehalt auf 874,00 EUR monatlich zu erhöhen (770,00 EUR – 396,00 EUR erhöhte
Pauschalmiete + 500,00 EUR tatsächliche Miete). Der Kläger habe einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von
1.268,40 EUR monatlich, sodass nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts von 874,00 EUR ein monatlicher
Abzweigungsbetrag von 394,40 EUR verbleibe. Es sei jedoch zu beachten, dass der Kläger auch Unterhalt für seine
Ehefrau leisten müsse. Deren Bedarf betrage nach der Anmerkung B IV der Düsseldorfer Tabelle 770,00 EUR
monatlich. Der Bedarf für die beiden minderjährigen Kinder, für die die Abzweigung beantragt worden sei, betrage nach
der Gruppe VI der Düsseldorfer Tabelle jeweils 276,00 EUR monatlich. Die Mangelfallberechnung ergebe somit einen
Abzweigungsanspruch je Kind von 82,34 EUR monatlich bzw. 2,74 EUR täglich (394,40 EUR: 1.322,00 EUR X 276,00
EUR = 82,34 EUR). Dagegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München – SG – und führte aus, richtig sei,
dass eine Unterhaltspflicht des Klägers bestehe. Tatsächlich würden durch den Kläger 500,00 EUR Miete und
Nebenkosten geleistet, sodass hier eine Erhöhung des Selbstbehalts eines nicht Erwerbstätigen um 140,00 EUR auf
910,00 EUR zu erfolgen habe. Daher bleibe eine Verteilermasse von 358,40 EUR zur Verfügung. Die Ehegattin des
Klägers habe einen Selbstbehalt von 560,00 EUR. Dieser Betrag sei jedoch zu erhöhen, da die Ehefrau des Klägers
schwer krank sei und für sie teure Medikamente erforderlich seien. Daher bestünden Unterhaltspflichten nicht. Ferner
hat der Kläger die Bewilligung von PKH beantragt. Mit Beschluss vom 28.07.2008 hat das SG den Antrag auf PKH
abgelehnt und ausgeführt, die Klage erweise sich als unzulässig, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist
erhoben worden sei. Die Klagefrist beginne am 28.05.2007 und ende am 28.06.2007. Die am 29.06.2007 beim SG
eingelegte Klage sei damit verfristet. Hinreichende Erfolgsaussichten der Klage seien somit zu verneinen. Unabhängig
davon wäre auch bei Zusammenschau der für die Beurteilung der Beiordnung maßgeblichen Faktoren des Streitwerts,
der Erfolgsaussicht und der Notwendigkeit die Frage der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts zu
verneinen. Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht – LSG – eingelegt und ausgeführt,
der Bescheid vom 24.05.2007 sei dem Bevollmächtigten des Klägers am 29.05.2007 zugestellt worden. Die Klage sei
somit rechtzeitig eingelegt worden. Es bestünden hinreichende Erfolgsaussichten.
Der Kläger beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 28.07.2008 aufzuheben und dem Kläger
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Stadt, zu bewilligen. Die Beklagte
beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- idF des 8. SGG-ÄndG, BGBl.I 2008,
444) ist unbegründet. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist zulässig (§§ 73a -SGG- iVm 127 Abs. 1
Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO), aber unbegründet. Zu Recht hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH
abgelehnt.
Nach § 73a Abs. 1 SGG ( i.V.m. § 114 ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag
Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur
Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner
durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Hinreichende Erfolgsaussichten lagen und liegen bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht vor.
Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der PKH erfolgt nur eine vorläufige Prüfung. Dabei
ist der verfassungsrechtlich gezogene Rahmen (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 Grundgesetz) zu beachten.
Deshalb dürfen keine allzu überspannten Anforderungen gestellt werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 07.04.2000, Az.: 1 BvR 81/00, NJW 2000,1936). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das
Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für
zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung
überzeugt ist (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 8.Aufl., Rdnr. 7, 7a zu § 73a). Denn der Zweck der
Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren,
gebietet lediglich, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und
dabei auch das Kostenrisiko mitberücksichtigt (BVerfGE 81, 347, 356 ff = NJW 1991, 413 f; BVerfG FamRZ 1993,
664, 665). Entscheidend ist demnach auf die Rechtmäßigkeit des im Streit stehenden Verwaltungshandelns
abzustellen.
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben ist eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO zu
verneinen. Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Zwar fehlen entgegen
der Auffassung des SG nicht bereits deshalb hinreichende Aussichten auf Erfolg, weil die Klage mit der im PKH-
Verfahren zu fordernden Wahrscheinlichkeit unzulässig wäre. Denn zum einen behauptet der Bevollmächtigte des
Klägers als Organ der Rechtspflege, dass ihm der nach Aktenlage am 24.05.2007 zur Post gegebene
Widerspruchsbescheid erst am 29.05.2007, also i.S. des § 37 Abs.2 SGB X "zu einem späteren Zeitpunkt"
zugegangen ist; die am 29.06.2007 erhobene Klage wäre dann fristgerecht erhoben. Zum anderen hat der Kläger
gegen den Änderungsbescheid vom 23.05.2007, der gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz – SGG – Gegenstand des
Widerspruchsverfahrens geworden ist, mit Schreiben vom 15.06.2007 Widerspruch eingelegt. Er hat damit zu
erkennen gegeben, dass er sich mit den Regelungen des Bescheides und des genannten Änderungsbescheides, die
im Widerspruchsbescheid lediglich wiederholt werden, nicht zufrieden gibt. Dieses Schreiben könnte als fristwahrende
Klageschrift i.S. des § 91 SGG auszulegen sein. Jedoch fehlt eine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit i.S. des §
114 ZPO, weil die Klage mit der im PKH-Verfahren zu fordernden Wahrscheinlichkeit unbegründet ist. Mit dem
entsprechenden Überzeugungsgrad steht fest, dass die auf der Grundlage des § 48 Abs.1 Satz 1 SGB I erlassenen
Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind. Gemäß 48 Abs.1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der
Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder
des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden. Der Kläger ist mit der für das PKH-Verfahren erforderlichen
Wahrscheinlichkeit seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachgekommen. Dies ergibt sich aus den
aktenkundigen Schreiben des Fachbereichs Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover. Zudem liegt
bezüglich der Unterhaltspflicht des Klägers ein vollstreckbarer Titel von 199,00 EUR monatlich je Kind vor. Auch steht
mit der zu fordernden Überzeugung fest, dass die Beklagte ihr Ermessen in ordnungsgemäßer Weise ausgeübt hat
(vgl. dazu die Ausführungen auf S.3 des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2007). Insbesondere verbleibt dem
Kläger für den eigenen Lebensunterhalt ein angemessener Betrag. Auch die Ermittlungen des unterhaltsrechtlichen
Selbstbehalts des Klägers anhand der sog. Düsseldorfer Tabelle begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen
Bedenken. Eine hineichende Wahrscheinlichkeit für die Fehlerhaftigkeit des von der Beklagten berücksichtigten
Selbstbehalts der Ehegattin des Klägers ließ sich im Rahmen des PKH-Verfahrens durch den Senat nicht feststellen.
Insbesondere ist nicht mit der zu fordernden Wahrscheinlichkeit ersichtlich, dass der von der Beklagten
berücksichtigte Selbstbehalt erhöht werden müsste. Wegen Einzelheiten der Berechnung wird auf den oben in
Auszügen wiedergegebenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Nach alledem erfolge die Ablehnung des PKH-
Antrags durch das SG zu Recht. Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar, §§ 177, 183 SGG.