Urteil des LSG Bayern vom 17.12.2009

LSG Bayern: berufliche ausbildung, berufsausbildung, berufliche tätigkeit, begriff, beitragszeit, weiterbildung, umschulung, arbeitsamt, erwerb, form

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 17.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 17 R 4167/08
Bayerisches Landessozialgericht L 14 R 679/08
I. Die Berufung der Beklagten gegen Ziffer I. des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 12. August 2008 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger in Abänderung der Ziffer II. des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 12.
August 2008 4/5 der außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung des Zeitraums 3. Mai 1999 bis 2. Mai 2000 als vollwertige
Beitragszeit anstelle einer beitragsgeminderten Zeit in der Altersrente für langjährig Versicherte des Klägers.
Der 1944 geborene Kläger hatte vom 2. April 1962 bis 28. April 1965 den Beruf des Rohrinstallateurs erlernt und mit
dem Facharbeiterbrief abgeschlossen. Vom 1. Oktober 1965 bis 18. Juli 1970 absolvierte er eine
Fachschulausbildung.
Ab 12. Dezember 1998 war der Kläger arbeitslos. Im Zeitraum 3. Mai 1999 bis 2. Mai 2000 nahm der Kläger an einem
von der Arbeitsverwaltung geförderten Praxisseminar "Technischer Projektberater für berufserfahrene Fach- und
Führungskräfte" der bfz (Berufliche Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft) in Vollzeit teil. Während dieses
Zeitraums bezog der Kläger Unterhaltsgeld vom Arbeitsamt B-Stadt, das Rentenversicherungsbeiträge für ihn
abführte.
Mit Antrag vom 6. November 2006 begehrte der Kläger Altersrente für langjährig Versicherte. Mit angefochtenem
Bescheid vom 9. Mai 2007 gewährte die Beklagte dem Kläger die beantragte Rente ab 1. Juli 2007. Hierbei
berücksichtigte sie die Zeiträume 2. April 1962 bis 28. April 1965 und 1. Mai 1999 bis 31. Mai 2000 als
Pflichtbeitragszeit, berufliche Ausbildung, beitragsgeminderte Zeit. Insgesamt ergaben sich 44,8995 persönliche
Entgeltpunkte (EP).
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Berücksichtigung des Zeitraums 1. Mai
1999 bis 31. Mai 2000 als beitragsgeminderte Zeiten. Hierbei handele es sich nicht um Ausbildungs- sondern um
Fortbildungszeiten. Darüber hinaus bemängelte er die Berücksichtigung von Krankheits- und Arbeits- losigkeitszeiten
als beitragsgeminderte Zeiten.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2008 zurückgewiesen. Bei dem ganztägigen von der
Bundesagentur für Arbeit geförderten Fortbildungskurs habe es sich um eine Fachschulausbildung gehandelt. Dem
Kläger sei theoretischer Unterricht in schulischer Form erteilt worden. Die Ausbildung habe mindestens einen
Halbjahreskurs mit Ganztagsunterricht umfasst. Die Ausbildung sei daher neben der Beitragszeit wegen beruflicher
Ausbildung auch als Zeit der Fachschulausbildung zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung sei jedoch ohne
Auswirkung, da die maximale Höchstgrenze der Bewertung nach § 74 SGB VI bereits ausgeschöpft sei.
Mit der hiergegen erhobenen Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) bemängelte der Kläger zunächst erneut, dass
die Weiterbildungszeit sowie die Krankheitszeiten und Zeiten der Rehabilitation zu Unrecht als beitragsgeminderte
Zeiten berücksichtigt worden seien. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2008 begehrte er nur noch die Anerkennung des
Zeitraums 3. Mai 1999 bis 2. Mai 2000 als vollwertige Beitragszeit. In diesem Zeitraum habe er keine Erstausbildung
im Sinne des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI absolviert. Das Arbeitsamt habe während dieser Zeit Unterhaltsgeld gezahlt,
dessen Höhe sich nach dem zuvor erzielten Entgelt richtete. Es sei also keine während der Ausbildung geminderte
Vergütung gezahlt worden. Eine beitragsgeminderte Zeit während der Ausbildung liege daher nicht vor. Das
Klagebegehren bezüglich der Bewertung der Beitragszeiten während des Krankengeld- bzw. Übergangsgeldbezugs
wurde für erledigt erklärt.
Mit Urteil vom 12. August 2008 verpflichtete das SG die Beklagte, unter Abänderung des Bescheides vom 9. Mai
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2008 die Zeit vom 3. Mai 1999 bis 2. Mai 2000 nicht als
beitragsgeminderte Zeit, sondern als vollwertige Beitragszeit anzuerkennen und dies bei der Berechnung der
Altersrente des Klägers entsprechend zu berücksichtigen (Zifffer I.). Der Beklagten wurden die notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt (Ziffer II.). § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI sei eng auszulegen, um nicht die
Ziele des Gesetzgebers zu konterkarieren. Mit dieser Bestimmung solle verhindert werden, dass Zeiten einer
beruflichen Ausbildung, in denen regelmäßig ein geringes Entgelt gezahlt werde, zu einer drastischen Minderung der
Rentenhöhe führe. Auch sei als Ausbildung im Sinne des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI nur die erste zu einem Abschluss
führende Bildungsmaßnahme zu werten. Selbst wenn man dem nicht folgen sollte, seien als beitragsgeminderte
Zeiten nur solche Zeiten einer beruflichen Ausbildung anzusetzen, bei denen Pflichtbeiträge ausschließlich für die
Berufsausbildung gezahlt würden. Nicht hierunter fielen Zeiten, in denen während einer Aus- oder Weiter- bildung
Versicherungspflicht aufgrund Bezugs von Sozialleistungen bestehe. Eine Schlechterstellung von ausbildungswilligen
Personen habe - wie sich auch aus § 58 Abs. 4 SGB VI ergebe - der Gesetzgeber verhindern wollen. Der in einem
Parallel- verfahren von der Beklagten angeführte Beschluss des Fachausschusses für Ver- sicherung und Rente vom
1. Februar 1994 binde das Gericht nicht, da es sich hierbei nur um eine interne Verwaltungsanweisung der
Rentenversicherungsträger handele.
Mit der hiergegen erhobenen Berufung machte die Beklagte geltend, der Begriff der beruflichen Ausbildung im Sinne
des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI bestimme sich grund- sätzlich nach § 7 Abs. 2 SGB IV, wonach als Beschäftigung auch
der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung gelte. Bei der
vom Kläger absolvierten Maßnahme handele es sich um berufliche Ausbildung im Sinne der §§ 7 Abs. 2 SGB IV, 1
Abs. 5 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Danach würden vom Begriff der Berufsbildung auch die berufliche Fortbildung
und die berufliche Um- schulung in Betrieben der Wirtschaft, in vergleichbaren Einrichtungen außerhalb der Wirtschaft,
insbesondere des öffentlichen Dienstes, der Angehörigen freier Berufe und in Haushalten erfasst. Die berufliche
Fortbildung im Sinne des § 1 Abs. 3 BBiG setze eine vorausgehende umfassende Berufsausbildung nicht zwingend
voraus. Der Begriff der beruflichen Weiterbildung im Sinne des § 77 SGB III knüpfe inhaltlich an den der beruflichen
Fortbildung im Sinne des § 1 Abs. 3 BBiG an. Deshalb seien diese Zeiten grundsätzlich als beitragsgeminderte Zeiten
wegen beruflicher Ausbildung zu berück- sichtigen. Die überwiegende Kommentarliteratur teile die Auffassung der
Beklagten.
Auf Anfrage des Senats legte die Beklagte eine Probeberechnung vor, aus der sich bei Berücksichtigung des
Zeitraums 3. Mai 1999 bis 2. Mai 2000 als vollwertige Beitrags- zeiten höhere persönliche EP (45,1515) sowie ein
höherer anfänglicher Rentenzahlbetrag ergeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12. August 2008 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 9.
Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 7. April 2008 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Beklagte verpflichtet, den Zeitraum
3. Mai 1999 bis 2. Mai 2000 als vollwertige Beitragszeit bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen.
Gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge
(Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Beitragszeiten unterfallen gemäß § 54 Abs. 1 Nr.
1 SGB VI in Zeiten mit vollwertigen Beiträgen sowie in beitragsgeminderte Zeiten. Nach der Legaldefinition des § 54
Abs. 3 S. 1 SGB VI sind beitragsgeminderte Zeiten Kalendermonate, die sowohl mit Beitragszeiten als auch
Anrechnungszeiten, einer Zurechnungszeit oder Ersatzzeiten (fünftes Kapitel) belegt sind. Als beitragsgeminderte
Zeiten gelten gemäß § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine Berufsausbildung (Zeiten
einer beruflichen Ausbildung).
In dem hier strittigen Zeitraum wurde von dem damaligen Arbeitsamt B-Stadt auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 Nr. 3
SGB VI in der bis 31. Dezember 2004 gültigen Fassung Pflichtbeiträge an die Beklagte aufgrund des Bezugs von
Unterhaltsgeld (§§ 153 ff. SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung) abgeführt. Die im strittigen
Zeitraum vorliegenden Pflichtbeiträge sind als vollwertige Beiträge zu berücksichtigen, da keine beitragsgeminderte
Zeit vorliegt.
Der Kläger hat von 3. Mai 1999 bis 2. Mai 2000 keine beitragsgeminderte Zeit gemäß § 54 Abs. 3 S. 1 SGB VI
zurückgelegt, da dieser Zeitraum nicht gleichzeitig mit Anrechnungszeiten, einer Zurechnungszeit oder Ersatzzeiten
belegt ist. In Betracht kommt hier allein eine gleichzeitige Belegung mit einer Anrechnungszeit gemäß § 58 Abs. 1 S.
1 Nr. 4 SGB VI. Danach sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr
eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme
teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung). Das Vorliegen einer Anrechnungszeit aufgrund
schulischer Ausbildung im Rahmen einer Fachschule wird von der Beklagten nicht mehr behauptet. Diese ist unter
Hinweis auf das Urteil des BSG vom 22. September 1981, Az. 1 RA 37/80, in juris, und den Weiterbildungscharakter
des vom Kläger absolvierten Praxisseminars zu Recht von ihrer Auffassung abgerückt, der Kläger habe im fraglichen
Zeitraum eine Fachschule absolviert. Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob tatsächlich Zeiten einer
schulischen Ausbildung (etwa in Form einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme) vorliegen. Denn gemäß § 58
Abs. 1 S. 3 SGB VI sind Zeiten, in denen Versicherte nach Vollendung des 35. Lebensjahres wegen des Bezugs von
Sozialleistungen versicherungspflichtig waren, keine Anrechnungszeiten. Da der schon über 25 Jahre alte Kläger
aufgrund des Bezugs von Unterhaltsgeld und damit einer Sozialleistung versicherungspflichtig war, liegt keine
Anrechnungszeit vor.
Es sind entgegen der Auffassung der Beklagten aber auch keine beitragsgeminderten Zeiten gemäß § 54 Abs. 3 S. 2
SGB VI gegeben. Der Kläger hat im strittigen Zeitraum keine berufliche Ausbildung im Sinne dieser Bestimmung,
sondern eine Weiterbildungsmaßnahme absolviert.
Der Begriff der Berufsausbildung ist im SGB VI selbst nicht näher definiert. Auch die von der Beklagten in Bezug
genommene Legaldefinition des § 7 Abs. 2 SGB IV hilft nicht weiter. Danach gilt als Beschäftigung auch der Erwerb
beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung. Damit erläutert der
Gesetzgeber nicht, was unter Berufsausbildung zu verstehen ist. Nach Auffassung des Senats ist zur Klärung des
Begriffs der Berufsausbildung - unter Berücksichtigung des Regelungszwecks des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI -
Rückgriff zu nehmen auf den allgemeinen Sprachgebrauch, berufsrechtliche Regelungen im Berufsbildungsgesetz
(BBiG) sowie das Verständnis des Begriffs der Berufsausbildung in anderen Sozialrechtsbereichen.
Nach der berufsrechtlichen Grundregel des § 1 Abs. 1 BBiG in der bis zum 31. Dezember 2002 gültigen Fassung
unterfällt - durchaus in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch - die berufliche Bildung in die Bereiche
Ausbildung, Fortbildung und Umschulung. Die Berufsausbildung hat dabei eine breit angelegte berufliche Grundbildung
und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse
in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln und den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu
ermöglichen (§ 1 Abs. 2 S. 1, 2 BBiG). Die berufliche Fortbildung soll es ermöglichen, die beruflichen Kenntnisse und
Fertigkeiten zu erhalten, zu erweitern, der technischen Entwicklung anzupassen oder beruflich aufzusteigen (§ 1 Abs.
3 BBiG). Die berufliche Umschulung soll schließlich zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen (§ 1 Abs. 4
BBiG). Das Arbeitsförderungsrecht unterscheidet zwischen der Berufsausbildung und der Weiterbildung. Mit dem
Begriff der Weiterbildung werden Fortbildungen und Umschulungen zusammengefasst (vgl. §§ 77 ff. SGB III).
Der Gesetzgeber hat in § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI in Kenntnis dieser im allgemeinen Sprachgebrauch und auch in
anderen Rechtsbereichen üblichen Differenzierungen aber nur Zeiten einer beruflichen Ausbildung (und nicht die einer
beruflichen Bildung) als beitragsgeminderte Zeiten deklariert. Hätte er auch Zeiten der Fortbildung und Umschulung
erfassen wollen, hätte es nahe gelegen, auf den in §§ 7 Abs. 2 SGB IV, § 1 Abs. 1 BBiG verwendeten weiteren
Oberbegriff der beruflichen Bildung zurückzugreifen oder explizit auch zusätzlich Zeiten der Weiterbildung bzw.
Fortbildung und Umschulung in den Wortlaut des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI aufzunehmen. Dies ist jedoch nicht
geschehen. Der Senat ist daher der Auffassung, dass von dem Begriff der beruflichen Ausbildung in § 54 Abs. 3 S. 2
SGB VI Maßnahmen der Weiterbildung (Fortbildungen und Umschulungen) nicht umfasst werden.
Das Praxisseminar diente jedoch nicht der Ausbildung für einen künftigen Beruf des Klägers, der zum Zeitpunkt der
Durchführung des Praxisseminars aufgrund seiner Facharbeiterausbildung zum Rohrinstallateur und seiner
langjährigen Berufserfahrung bereits über eine umfassende berufliche Grundbildung verfügt hat. Dem Kläger wurden in
diesem Kurs keine weitere breit angelegte berufliche Grundbildung und die für eine qualifizierte berufliche Tätigkeit
notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt. Ziel der Maßnahme war vielmehr - wie auch die
Beklagte anerkennt - allein die Vertiefung, Erweiterung und Spezialisierung bereits vorhandener Kenntnisse des
Klägers. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass das Arbeitsamt B-Stadt ausweislich des Bewilligungsbescheids vom
21. Juni 1999 das Praxisseminar als Weiterbildungsmaßnahme im Sinne des § 77 SGB III eingeordnet hat. Dieses
Praxisseminar stellt damit keine Zeit der beruflichen Ausbildung dar.
Es ist auch kein sachlicher Grund erkennbar, eine beitragsgeminderte Zeit nach § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI
anzunehmen. Hintergrund dieser Bestimmung ist, dass Auszubildende am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn
typischerweise nur eine relativ geringfügige Ausbildungsvergütung erhalten. Die nach § 70 SGB VI ermittelten
Entgeltpunkte wären damit in der Regel niedrig. Um dies auszugleichen, sieht § 71 Abs. 2 SGB VI vor, für
beitragsgeminderte Zeiten die Summe der Entgeltpunkte um einen Zuschlag so zu erhöhen, dass mindestens der
Wert erreicht wird, den diese Zeiten jeweils als beitragsfreie Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit,
wegen einer schulischen Ausbildung und als Zeiten wegen einer beruflichen Ausbildung oder als sonstige beitragsfreie
Zeiten hätten. Wenn also die Entgeltpunkte für die gezahlten Beiträge nicht bereits höher sind, werden sie daher wie
beitragsfreie Zeiten mindestens mit dem individuell erreichten Durchschnittswert (Gesamtleistungswert) der
Beitragszeiten bewertet (KassKomm-Polster, § 71 SGB VI Rn. 8).
In einer derartigen, für Auszubildende am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn typischen Situation befand sich der Kläger
jedoch im strittigen Zeitraum nicht. Er bezog vielmehr Sozialleistungen in Form von Unterhaltsgeld von der
Arbeitsverwaltung, dessen Höhe sich nach dem zuvor erzielten Entgelt gerichtet hat. Damit ist auch keine
Notwendigkeit ersichtlich, diese Zeit als beitragsgeminderte Zeit (mit der Möglichkeit eines Zuschlags an
Entgeltpunkten gemäß § 71 Abs. 2 SGB VI) zu qualifizieren.
Da im strittigen Zeitraum keine zweite berufliche Ausbildung des Klägers vorliegt, kann es der Senat dahingestellt
sein lassen, ob es auch im Rahmen des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI zutrifft, dass nur die erste berufliche Ausbildung als
beitragsgeminderte Zeit zu berücksichtigen ist (in diesem Sinn BayLSG, Urteil vom 28. Juni 2006, Az. L 16 R 294/05,
in juris; KassKomm-Niesel, § 54 SGB VI Rn. 18; vgl. auch BSG, Urteil vom 21. Juli 1977, Az. 7 RAr 135/75, in juris,
für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts, wonach Ausbildung nur die erste zu einem beruflichen Abschluss
führende Bildungsmaßnahme darstellt, während alle späteren Schritte zur weiteren beruflichen Bildung entweder als
Fortbildung oder Umschulung zu werten sind) oder ob eine weitere berufliche Ausbildung iSd § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI
möglich ist und zu einer erneuten Berücksichtigung von beitragsgeminderten Zeiten führt.
Den von der Beklagten zitierten abweichenden Meinungen von Försterling in Ruhland/ Försterling, GK-SGB VI, § 54
SGB VI Rn. 43 sowie Fichte in Hauck/Haines, § 54 SGB VI Rn. 17, folgt der Senat nicht, weil dort die abweichende
Auffassung nicht hinreichend begründet wird. Der bloße Hinweis auf § 7 Abs. 2 SGB IV, der eben gerade nicht eine
Definition des Begriffs der beruflichen Ausbildung enthält, sondern in dem nur auf (betriebliche) Berufsbildung Bezug
genommen wird, reicht nach Auffassung des Senats nicht aus, um eine Einbeziehung von Fortbildungs- und
Umschulungsmaßnahmen in den Anwendungsbereich des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI zu rechtfertigen.
Eine Bewertung des fraglichen Zeitraums als beitragsgeminderte Zeit kommt damit nicht in Betracht. Die Berufung
war daher in der Hauptsache (Ziffer I. des Urteils des SG) zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte mit ihrem Berufungsbegehren
in vollem Umfang unterlegen ist. Da der Kläger jedoch im Klageverfahren teilweise erfolglos geblieben ist
(Erledigterklärung des Klagebegehrens bzgl. der Bewertung von Beitragszeiten während des Krankengeld-
/Übergangsgeld- bezugs), ist es gerechtfertigt, unter Abänderung der Ziffer II. des Urteils des SG den
Kostenerstattungsanspruch des Klägers auf insgesamt 4/5 zu reduzieren.
Die Revision war zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), da der höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage, ob
auch Weiterbildungsmaßnahmen dem Anwendungsbereich des § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI unterfallen, grundsätzliche
Bedeutung zukommt.