Urteil des LSG Bayern vom 15.11.2007
LSG Bayern: eheähnliche gemeinschaft, wohnung, zusammenleben, freibetrag, lebensgemeinschaft, krankenversicherung, haushalt, form, verfügung, arbeitslosenhilfe
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.11.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 51 AS 337/07
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 197/07
Bundessozialgericht B 14 AS 5/08 BH
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 22. Mai 2007 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form von Arbeitslosengeld (Alg) II ab 01.12.2006 streitig.
Der 1954 geborene Kläger beantragte am 18.01.2005 für sich und die 1958 geborene S. sowie die 1988 geborene
gemeinsame Tochter G. Alg II und gab an, mit Frau S. seit der Geburt der gemeinsamen Tochter
zusammenzuwohnen. Er und seine Partnerin seien nicht damit einverstanden, dass bei der Einkommens- und
Vermögensprüfung auch das Einkommen und Vermögen von Frau S. herangezogen werde.
Mit Bescheid vom 24.03.2005 lehnte die Beklagte den Antrag zunächst mit der Begründung ab, das Vermögen von
ca. 30.000,00 Euro übersteige die Grundfreibeträge. weshalb der Kläger nicht hilfebedürftig sei. Dem Widerspruch des
Klägers, mit dem dieser vortrug, er wohne seit 17 Jahren miet- und nebenkostenfrei in der Wohnung seiner Freundin
und müsse für seine laufenden Verpflichtungen wie Krankenversicherung selbst aufkommen, half die Beklagte ab und
bewilligte dem Kläger Alg II. Zuletzt wurden mit Bescheid vom 15.06.2006 für die Zeit vom 01.06. bis 30.11.2006
monatlich 286,12 Euro bewilligt.
Nachdem die Beklagte auf den Fortzahlungsantrag vom 07.11.2006 hin mitgeteilt hatte, nach der Gesetzesänderung
werde nach § 7 Abs.3 und 3a SGB II eine eheähnliche Gemeinschaft vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr
zusammenlebten und darüber hinaus ein gemeinsames Kind hätten, weshalb Unterlagen über die Vermögens- und
Einkommensverhältnisse der Lebensgefährtin sowie der Tochter benötigt würden, gab der Kläger bei einer Vorsprache
an, an seinen persönlichen Verhältnissen habe sich nichts geändert; seine Lebensgefährtin weigere sich, für seinen
Lebensunterhalt aufzukommen. Sie habe deutlich mehr als 25.000,00 Euro Vermögen.
Mit Bescheid vom 20.11.2007 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, das anzurechnende Vermögen
von 25.000,00 Euro übersteige die Grundfreibeträge von 20.350,00 Euro. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger
geltend, er und seine Freundin hätten sich vor 18 Jahren, als diese schwanger gewesen sei, entschieden, zusammen
in der Wohnung der Freundin zu leben und für das Kind zu sorgen. Die Verpflichtung, gegenseitig in jeder Lage
füreinander einzustehen, sprich zu heiraten, hätten sie nicht eingehen wollen. Seine Freundin sei in der Vergangenheit
und auch in Zukunft bereit, ihn miet- und nebenkostenfrei in Wohnung wohnen zu lassen, sie weigere sich jedoch, für
laufende Kosten wie Krankenversicherung, Lebensunterhalt usw. aufzukommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die
Voraussetzungen des § 7 Abs.3a SGB II seien gegeben.
Mit seiner zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere auf die Diskrepanz
zwischen fehlender Familienkrankenversicherung und der Heranziehung im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft
hingewiesen. Mit Gerichtsbescheid vom 22.05.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger, seine
Lebenspartnerin und das gemeinsame Kind bildeten eine Bedarfsgemeinschaft. Die Voraussetzungen nach § 7 Abs.3
Nr.3c und Abs.3a SGB II seien erfüllt. Dies sei auch nicht strittig und vom Kläger bereits in seinem Antrag vom
18.01.2005 im Wesentlichen zugestanden worden. Verwunderlich sei allenfalls, dass dem ersten Widerspruch des
Klägers abgeholfen worden sei; auf die Einführung von § 7 Abs.3a SGB II sei es hier wohl nicht angekommen. Das
Vermögen der Lebenspartnerin sei daher gemäß § 12 SGB II zu berücksichtigen. Dieses Vermögen von mehr als
30.000,00 Euro übersteige die Vermögensfreibeträge. Die unterschiedliche Behandlung von ehelichen und
eheähnlichen Lebensgemeinschaften beruhe auf Art.6 Abs.1 GG. Andererseits sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet,
Partnern von nichtehelichen Lebensgemeinschaften diejenigen Vorteile zu gewähren, die er in Folge seines Auftrags
aus Art.6 Abs.1 GG zur Förderung der Ehe gewähre.
Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers, der sich erneut dagegen wendet, dass
eheähnlichen Gemeinschaften Lasten übertragen, Entlastungen aber verweigert würden. Sein Widerspruch richte sich
nicht vorrangig gegen die Ablehnung der Alg II-Leistung, sondern gegen die Tatsache, dass nach dem SGB II der
nichteheliche Partner dazu verpflichtet werden solle, für den anderen aufzukommen. Er legt ein an ihn gerichtetes
Schreiben des Bundestagsabgeordneten S. vom 17.06.2005 vor und fügt ein Schreiben des ehemaligen
Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit C. vom 09.06.2005 bei.
Er beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 22.05.2007 und
des Bescheides vom 20.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2007 zu verurteilen, ihm ab
01.12.2006 Arbeitslosengeld II zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg II, da er nicht im Sinne des § 7 Abs.1 Nr.3 SGB II hilfebedürftig ist. Dies wäre
gemäß § 9 Abs.1 SGB II nur der Fall, wenn er seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu
berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen si chern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen,
insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Im vorliegenden Fall ist gemäß § 9 Abs.2 Satz 1 SGB II bei der Prüfung der Bedürftigkeit des Klägers auch das
Einkommen und Vermögen von S. zu berücksichtigen, da er mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Nach den
eigenen Angaben des Klägers verfügt S. über Vermögen, das über den Freibeträgen nach § 12 Abs.2 SGB II liegt.
Gemäß § 12 Abs.2 Nr.1 ist vom Vermögen ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,00 Euro je vollendetem Lebensjahr
des volljährigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens aber jeweils 3.100,00 Euro abzusetzen; für den
Kläger ergibt sich somit ein Freibetrag in Höhe von 7.800,00 Euro und für S. ein solcher von 7.200,00 Euro. Zusätzlich
ist ein weiterer Freibetrag nach § 12 Abs.2 Nr.4 SGB II in Höhe von jeweils 150,00 Euro, insgesamt 1.500,00 Euro
anzusetzen, so dass der gesamte Freibetrag 16.500,00 Euro beträgt. Das vorhandene Vermögen von S. liegt, wie
bereits dargelegt, nach den eigenen Angaben des Klägers über diesem Betrag. Die 1988 geborene gemeinsame
Tochter ist bezüglich des hier streitigen Anspruches ab 01.12.2006 nicht mehr zu berücksichtigen, da sie zu diesem
Zeitpunkt bereits volljährig war und nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft gehörte.
Der Kläger und S. bilden eine Bedarfsgemeinschaft. Denn nach § 7 Abs.3 Nr.3c SGB II in der ab 01.08.2006
geltenden Fassung des Gesetzes vom 20.07.2006 (BGBl I S.1706) leben sie in einem gemeinsamen Haushalt so
zusammen, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander
zu tragen und füreinander einzustehen. Gemäß § 7 Abs.3a SGB II in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung wird ein
wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner 1.
länger als ein Jahr zusammenleben, 2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, 3. Kinder oder Angehörige im
Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über Einkommmen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
Im vorliegenden Fall sind eindeutig die Voraussetzungen der Nr.1 und Nr.2 gegeben, da Kläger und S. bereits seit
1988 mit ihrem gemeinsamen Kind zusammenleben.
Die sich aus § 7 Abs.3a SGB II ergebende Vermutung hat der Kläger nicht widerlegt. Er räumt selbst ein, dass S. ihn
seit 1988 in der Weise unterstützt, dass sie ihm die von ihr angemietete Wohnung zur gemeinsamen Nutzung zur
Verfügung stellt, ohne hierfür eine Kostenbeteiligung zu fordern. Es handelt sich somit um eine Lebensgemeinschaft
zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher
Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander
begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus geht (BVerfG,
Urteil vom 17.11.1992, 1 BvL 8/87, SozR 3-4100 § 137 Nr.3).
Die Vorschriften des § 7 Abs.3 Nr.3c, Abs.3a SGB II sind nicht verfassungswidrig, weshalb kein Anlass besteht, das
Verfahren gemäß Art.100 GG auszusetzen und dem BVerfG die Frage vorzulegen, ob diese Vorschriften
verfassungsgemäß sind. Denn das BVerfG hat in dem angeführten Urteil vom 17.11.1992 für den Bereich der zum
31.12.2004 außer Kraft getretenen Vorschriften zur Arbeitslosenhilfe (Alhi) festgestellt, dass es nicht
verfassungswidrig ist, wenn Einkommen und Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher
Gemeinschaft lebt, ebenso wie Einkommen und Vermögen eines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten
berücksichtigt wird. Diese Vorschrift ist vielmehr gerade erforderlich, um eine Benachteiligung von nicht dauernd
getrennt lebenden Ehegatten gegenüber in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Arbeitslosen zu vermeiden.
Der Kläger wendet sich vor allem dagegen, dass er in anderen Bereichen, z.B. auf dem Gebiet des Steuerrechts und
des Krankenversicherungsrechts, nicht wie ein Ehegatte behandelt wird. Zum einen würde eine Verfassungswidrigkeit
der diesbezüglichen Bestimmungen nicht die Verfassungsgemäßheit der Vorschriften des § 7 Abs.3 Nr.3c, Abs.3a
SGB II berühren, zum anderen ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, Ehegatten und eheähnliche Gemeinschaften
unterschiedlich zu behandeln; dies ergibt sich aus den mit der Institution der Ehe verbundenen umfangreichen
Rechten und Pflichten, die für eine nur eheähnlichen Gemeinschaft nicht gelten.
Somit war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 22.05.2007 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.