Urteil des LSG Bayern vom 08.02.2007

LSG Bayern: kroatien, abkommen über soziale sicherheit, eintritt des versicherungsfalles, republik, drittstaat, aufenthalt, krankenkasse, gleichstellung, behandlung, krankenversicherung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 2 KR 222/02
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 78/04
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. November 2003 aufgehoben und
die Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Kosten für eine Krankenhausbehandlung in Kroatien zu
erstatten.
Die 1952 geborene Klägerin war über ihren inzwischen verstorbenen Ehemann, der Mitglied der Klägerin in der
Krankenversicherung der Rentner war, bei der Beklagten versichert. Beide sind bosnische Staatsangehörige. Die
Klägerin lebt in Bosnien-Herzegowina, ihr Mann in Deutschland. Mit Schreiben vom 26.10.2001 beantragte ihr
Bevollmächtigter, Kosten für eine im allgemeinen Krankenhaus "S." in Z. (Kroatien) vom 23.03.2001 bis 04.04.2001
durchgeführte stationäre Krankenhausbehandlung (Cholezystektomie = Entfernung der Gallenblase) zu erstatten. Er
legte eine Rechnung des Krankenhauses über den Gesamtbetrag von 10.681,80 Kuna vor, und errechnete einen DM-
Wert von ca. 2.800. Laut Bescheinigung vom 11.10.2001 hatte die Bezirksanstalt der Gesundheitsversicherung M.
(Bosnien-Herzegowina) eine Erstattung der bereits bezahlten Kosten mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe
sich in der Republik Kroatien ohne Genehmigung der ärztlichen Kommission aufgehalten.
Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung mit Bescheid vom 12.12.2001 mit der Begründung ab, die Behandlung der
Klägerin sei in Kroatien durchgeführt worden, ein Anspruch auf Aushilfeleistungen zu Lasten einer deutschen
Krankenkasse in einem Drittstaat bestehe nicht. Ebenso bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung für in Kroatien
selbst bezahlte Sachleistungen. Über eine Kostenübernahme habe allein der bosnische Versicherungsträger zu
entscheiden. Den hiergegen mit Schreiben vom 17.12.2001 eingelegten Widerspruch hat die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 18.02.2002 zurückgewiesen. Auf das Rechtsverhältnis finde das Deutsch-Jugoslawische
Sozialversicherungsabkommen Anwendung. Sachleistungen seien nach Art.15a Abs.1 des Abkommens von der für
den Aufenthalt zuständigen kommunalen Sozialversicherungsanstalt zu erbringen. Die Klägerin sei mit Anspruch auf
Sachleistungen in Bosnien-Herzegowina versichert. Der gebietliche Geltungsbereich bilateraler Abkommen erstrecke
sich auf die jeweiligen Hoheitsgebiete der beteiligten Vertragsstaaten, so dass eine Inanspruchnahme von Leistungen
in einem Drittstaat zu Lasten der deutschen zuständigen Krankenkasse nicht möglich sei. Die Klägerin habe sich in
Kroatien aufgehalten, Leistungen könnten deshalb nicht begehrt werden.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 21.03.2002 beim Sozialgericht München eingegangene Klage, die der
Bevollmächtigte der Klägerin damit begründete, unstreitig sei, dass die Klägerin bei der Beklagten krankenversichert
sei. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass sie ihre Pflichten erfüllt habe, indem sie einen
Betreuungsauftrag für Bosnien-Herzegowina erteilte. Soweit das von ihr eingeschaltete ausländische Unternehmen
nicht gewillt oder in der Lage sei, Kosten für eine Notfallbehandlung im Drittstaat zu übernehmen, entlaste dies nicht
die Beklagte. Sie habe dafür Sorge zu tragen, dass das betraute Unternehmen Leistungen auch im Drittstaat im
erforderlichen Umfang übernehme. Die Beklagte wies darauf hin, es sei Aufgabe der Klägerin gewesen, bevor sie sich
nach Kroatien begeben habe, abzuklären, ob ein Krankenversicherungsschutz in einem sog. Drittstaat bestehe.
Derartiges werde den Versicherten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland generell
zugemutet. Der Klägerbevollmächtigte teilte mit, die Klägerin sei akut erkrankt und notfallmäßig behandelt worden. Die
Beteiligten haben nach Feststellung des Wechselkurses die streitgegenständliche Forderung mit 1.410,88 EUR
errechnet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 06.11.2003 verpflichtet, an die Klägerin 1.410,88 EUR zu bezahlen.
Es ging davon aus, dass die Klägerin ausweislich der Aufnahmediagnose K80 an einem Gallensteinleiden mit
Entzündung der Gallenblase erkrankt war und dies, wie vom Krankenhaus auf der Rechnung bescheinigt, eine
Notfallbehandlung darstelle. Die Beklagte sei von einer falschen Rechtslage ausgegangen. Es liege kein Aufenthalt in
einem vertragslosen Ausland vor. Die Bundesrepublik habe mit Kroatien am 24.11.1997 ein Abkommen über soziale
Sicherheit geschlossen, das das Abkommen mit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ersetze.
Artikel 16 dieses Abkommens komme zur Anwendung. Danach gelten die Bestimmungen über die Gleichstellung der
Hoheitsgebiete für eine Person, bei der der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts im
Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates eingetreten ist, nur, wenn sie wegen ihres Zustandes sofort Leistungen
benötigt. Die Klägerin habe sich auf der Durchreise durch das Hoheitsgebiet von Kroatien befunden. Kroatien sei ein
anderer Vertragsstaat im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland. Es komme nicht darauf an, wie der aushelfende
Sozialleistungsträger in Bosnien-Herzegowina den Sachverhalt beurteile. Das Stammrecht der Versicherten führe zur
Beklagten. Die Klägerin sei akut erkrankt und notfallmäßig aufgenommen worden. Somit lägen die Voraussetzungen
des Art.16 Abs.1 Buchstabe b des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kroatien über die
soziale Sicherheit vor. Die Beklagte sei deshalb dem Grunde nach kostentragungspflichtig. Da es sich um einen
Notfall gehandelt habe, sei völlig unbeachtlich, ob es sich bei der angegangenen Krankenhauseinrichtung um ein
Vertragskrankenhaus nach kroatischem Sozialversicherungsrecht gehandelt habe oder nicht. Die Klägerin habe in
Notfällen das Recht der freien Arztwahl und Krankenhauswahl. Bei Notfällen habe die Beklagte gemäß § 13 Abs.3
SGB V die entstandenen Kosten bei Selbstbeschaffung zu erstatten.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die damit begründet wird, weder aus dem für die Klägerin
anwendbaren Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik
Jugoslawien noch aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien könne
sich ein Anspruch für die Klägerin auf Erstattung der Kosten der Behandlung in Kroatien ergeben. Der gebietliche
Geltungsbereich der bilateralen Abkommen erstrecke sich allein auf die jeweiligen Hoheitsgebiete der beiden
beteiligten Vertragsstaaten. Eine Inanspruchnahme von Leistungen in einem Drittstaat zu Lasten der deutschen
zuständigen Krankenkasse sei somit nicht möglich. Eine Verknüpfung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der ehemaligen Republik Jugoslawien (für die Republik Bosnien-Herzegowina) mit dem Abkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien sei auf Grund der jeweils in Art.2 Abs.2 der
Abkommen geregelten Ausschlusstatbestände nicht möglich.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 06.11.2003 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Klägerin gemäß Art.3 Ziffer 3 vom persönlichen Geltungsbereich des
Deutsch-Kroatischen Abkommens erfasst. Der Hinweis auf Art.2 Abs.2 des Deutsch-Kroatischen Abkommens gehe
an der Tatsache vorbei, dass der Anwendungsbereich des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien nicht eröffnet sei. Letztlich bleibe die Berufungsführerin
eine nachvollziehbare Begründung dafür, weshalb die Staatsangehörigkeit der Klägerin für die Auswahl des
maßgeblichen anzuwendenden Abkommens ausschlaggebend sein solle, schuldig. Die Argumentation hätte zur
Folge, dass ein Schutz lediglich im Heimatland und im Gastland gewährleistet werde, was jedoch ausdrücklich dem
Wortlaut des Art.3 Ziffer 3 des Deutsch-Kroatischen Abkommens widerspreche, welches ausdrücklich
Drittstaatsangehörige in seinen Schutz einbeziehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten
beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht
der Zulassung nach § 144 SGG bedarf, ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten, die ihr durch die
Krankenhausbehandlung in Kroatien entstanden sind.
Als einzige Anspruchsgrundlage für eine Kostenerstattung kommt § 13 Abs.3 SGB V in Betracht. Danach hat die
Krankenkasse Versicherten Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn sie eine unaufschiebbare
Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Die in Bosnien lebende
Klägerin war über ihren Ehemann Versicherte der Beklagten. Da sie sich im Ausland regelmäßig aufhält und auch
während eines Auslandsaufenthalts (allerdings nicht im Wohnland Bosnien, sondern in Kroatien) erkrankt ist, ruht ihr
Leistungsanspruch gemäß § 16 Abs.1 Ziffer 1 SGB V. Dieser Ruhensfall tritt nur dann nicht ein, wenn über- oder
zwischenstaatliches Recht eine andere Regelung enthält.
Anzuwenden ist das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über soziale
Sicherheit vom 24.11.1997. Die Klägerin fällt gemäß Art.3 Nr.3 in dessen persönlichen Geltungsbereich. Die Klägerin
erfüllt die erste Voraussetzung, wonach das Abkommen für Personen gilt, für die die Rechtsvorschriften eines
Vertragsstaates gelten oder galten. Die Klägerin war über ihren Ehemann, der als Rentner Mitglied der Beklagten war,
bei der Beklagten versichert gemäß § 10 Abs.1 Nr.1 SGB V. Für die Klägerin als Versicherte der Beklagten gelten
deutsche Rechtsvorschriften. Sie ist damit zwar nicht gemäß Art.3 Ziffer 1 unmittelbar erfasste Person, weil sie weder
Staatsangehörige eines Vertragsstaates noch Flüchtling noch Staatenlose ist. Sie ist auch nicht mittelbar erfasst, weil
ihr Ehemann, von dem sie ihre Rechte ableitet, ebenfalls nicht Deutscher, Kroate, Flüchtling oder Staatenloser ist. Sie
ist jedoch gemäß Art.3 Ziffer 3 Drittstaatsangehörige, weil sie nicht zu den mittelbar erfassten Personen gehört. Als
Drittstaatsangehörige gilt für sie die Gleichstellung der Hoheitsgebiete des Art.5 des Abkommens. Die
Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen, das Erbringen
von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaates abhängt
(wie § 13 Abs.3 SGB V), gelten damit gemäß Art.5 Satz 2 für die Klägerin als Drittstaatsangehörige. Laut
Rundschreiben Nr.68/98 der Deutschen Verbindungsstelle KV ergibt sich aus Art.3, dass das Abkommen hinsichtlich
der krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der betroffenen
Personen gilt. Dieser sich aus Art.5 des Abkommens ergebende umfassende Leistungsanspruch bei Aufenthalt im
anderen Staat wird durch Art.16 des Abkommens modifiziert. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach Art.16
Abs.1 Buchstabe a gilt die Bestimmung über die Gleichstellung der Hoheitsgebiete für eine Person, die, nachdem der
Versicherungsfall eingetreten ist, ihren gewöhnlichen oder vorübergehenden Aufenthalt in das Hoheitsgebiet des
anderen Vertragsstaates verlegt hat, nur, wenn der zuständige Träger der Verlegung des Aufenthalts vorher
zugestimmt hat. Eine solche Zustimmung fehlt. Die Klägerin ist nicht nur in der streitgegenständlichen Zeit vom
22.03.2001 bis 04.04.2001 in Kroatien behandelt worden, sie befand sich vielmehr erneut am 16.10.2001 in Kroatien
im Krankenhaus, diesmal in S ... Es ist deshalb durchaus berechtigt anzunehmen, die Klägerin habe sich zur
Behandlung nach Kroatien begeben, also ihren vorübergehenden Aufenthalt nach Eintritt des Versicherungsfalles
Krankheit nach Kroatien verlegt. Wenn der Versicherungsfall Krankheit, wie behauptet, tatsächlich während der
Durchreise eingetreten ist, hätte die Klägerin gemäß Art.16 Abs.1 Buchstabe b während des vorübergehenden
Aufenthalts im Hoheitsgebiet Kroatiens Anspruch auf Leistungen nur, wenn sie sie wegen ihres Zustands sofort
benötigt hätte.
Der Senat hat hierzu die Beteiligten bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.09.2006 darauf aufmerksam
gemacht, dass die Durchreise der Klägerin durch Kroatien in keiner Weise nachgewiesen oder wenigstens glaubhaft
gemacht worden sei. Bis zum zweiten Termin am 08.02.2007 wurden weder hierzu noch zum Vorliegen eines
Notfalles weitere Ausführungen gemacht, so dass es an Anknüpfungsmöglichkeiten für eine weitergehende Aufklärung
fehlt. Die in der Rechnung des Krankenhauses aufgeführte Diagnose Gallensteinleiden und die Operation
Gallenblasenentfernung sind nicht geeignet, die ebenfalls genannte notfallmäßige bzw. dringliche für "witni prijem"
Aufnahme schlüssig zu begründen. Das tatsächliche Vorliegen eines Notfalls steht damit nicht zur Überzeugung des
Senats fest. Die Klägerin, die die Beweislast trägt, hat damit keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die
Beklagte.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.