Urteil des LSG Bayern vom 20.03.2007

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 5 RJ 238/03
Bayerisches Landessozialgericht L 6 R 123/05
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12. Oktober 2004 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Vormerkung und Berücksichtigung von Beitragszeiten von Mai 1958 bis Juni 1965.
Er ist 1943 geboren und wurde am 10.03.1953 in das Heim der Evangelischen Stiftung N. , einer vollstationären
Einrichtung für geistig Behinderte, aufgenommen. Dort beendete er an Ostern 1958 die vierstufige Sonderschule.
Nach den Auskünften der Stiftung gegenüber dem Kläger und der Beklagten begann dann eine Arbeitsanleitung für
den Kläger, zunächst in verschiedenen Berufsbereichen, dann ab 15.08.1961 im landwirtschaftlichen Bereich. Der
Kläger sei nach und nach in die Arbeitsfelder eingeführt worden und habe zunehmend Aufgaben eigenverantwortlich
übernommen. Als er in Folge dieser Form der Berufsausbildung einen ausreichenden Kenntnis- und Fertigkeitsstand
zur Aufnahme einer Tätigkeit gegen Entgelt gehabt habe, hätten verschiedene Bemühungen um eine
versicherungspflichtige Arbeit für ihn begonnen.
Der Kläger wurde am 07.12.1965 aus der Anstalt entlassen, in Familienpflege übergeben und arbeitete dort als
landwirtschaftlicher Helfer in einem Beschäftigungsverhältnis, für das Pflichtbeiträge entrichtet wurden. In der Zeit
davor war der Kläger bei der AOK (zunächst W. , dann B.) als Rentner versichert. Versicherungsbeiträge wurden nicht
gezahlt. Die Stiftung ging und geht davon aus, dass ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei ihr
nicht bestanden habe, und hat deshalb keine Beiträge abgeführt.
Der Kläger erhält seit Mai 1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 12.03.1997 und Folgebescheide). Im
Jahre 2002 machte der Kläger die Zeiten in N. als Versicherungszeiten geltend. Die Beklagte lehnte deren
Feststellung und Berücksichtigung mit Bescheid vom 13.08.2002 ab, weil weder ein Lehr- noch ein
Ausbildungsverhältnis bestanden habe. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2003 als
unbegründet zurück.
Die anschließende Klage hat das Sozialgericht Regensburg mit Urteil vom 12. Oktober 2004 als unbegründet
abgewiesen und auf die Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen. Eine Lehrzeit oder eine
sonstige Beschäftigung zur Berufsausbildung seien jedenfalls nicht nachgewiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Meinung, es habe sich bei den streitigen
Zeiten um eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Berufsausbildung gehandelt.
Er beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 13.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
07.03.2003 die Zeit von Mai 1958 bis 30.06.1965 als Beitragszeit gemäß § 247 Abs. 2a SGB VI im Sinne einer
Ausbildungs- und Anlernzeit bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte
des Sozialgerichts in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144
SGG besteht nicht.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zur Überzeugung des Senats war der Kläger in dem fraglichen Zeitraum nicht
zu seiner Berufsausbildung beschäftigt, sondern ist befähigt worden, einer wirtschaftlich verwertbaren Tätigkeit auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Dies war jedoch keine Berufsausbildung im Sinne des Gesetzes.
Da keine Beiträge für die streitigen Zeiten gezahlt wurden und nicht als nach einer gesetzlichen Vorschrift gezahlt
gelten, kann der Anspruch des Klägers allein auf § 247 Abs. 2a SGB VI gegründet werden. Danach sind
Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, in denen in der Zeit vom
01.07.1945 bis 30.06.1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren und in denen
grundsätzlich Versicherungspflicht bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgte
(Zeiten einer beruflichen Ausbildung).
Die Vorschrift fordert eine versicherte Beschäftigung als Lehrling oder sonst zur Berufsausbildung. In der
Beschäftigung muss grundsätzlich Versicherungspflicht bestanden haben. Für die Annahme dieser
Tatbestandsvoraussetzungen kommt es auf die im streitigen Zeitpunkt geltende Rechtslage an (BSG Urteil vom
01.12.1999 - Az.: B 5 RJ 56/98 R; BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr. 14; SozR 2200 § 1259 Nrn. 87 und 102). Nach §
1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung waren Lehrlinge oder sonst zu ihrer
Berufsausbildung Beschäftigte versichert.
Für eine Beschäftigung als Lehrling war das Bestehen eines Lehrverhältnisses mit allen formalen und inhaltlichen
Erfordernissen notwendig, also der Abschluss eines schriftlichen Lehrvertrages mit der Bezeichnung des Gewerbes
oder Zweiges der gewerblichen Tätigkeit bzw. des Handwerks, in dem die Ausbildung erfolgen sollte, sowie weitere
Voraussetzungen, wie sie die damalige Gewerbeordnung und die Handwerksordnung vorsahen (BSG SozR 2200 §
1259 Nr. 87). Dergleichen lag beim Kläger nicht vor.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11.12.1999 sowie Urteil vom 23.09.1999 - Az.: B 12 RJ
1/99 R) hat als vom Lehrverhältnis umfasst auch noch die Anlernverhältnisse angesehen und darunter ein von
vornherein in der Regel auf zwei Jahre angelegtes Ausbildungsverhältnis verstanden, mit einer Spezialausbildung auf
einem engeren Gebiet zum angelernten Arbeiter. Auch diese Voraussetzungen waren beim Kläger nicht erfüllt.
Es lag auch keine Berufsausbildung vor. Es kann hier dahingestellt bleiben, wie dieser Begriff im einzelnen zu
verstehen ist, insbesondere welche Ausbildung zu erwarten ist. Der Begriff des Berufes setzt mehr voraus, als die
bloße Fähigkeit, auf dem Arbeitsmarkt einer Beschäftigung nachgehen zu können. Es muss sich mindestens um
einen abgrenzbaren Bereich von Tätigkeiten handeln, der ausgeübt oder angestrebt wird (vgl. BSG Urteil vom
05.07.1961 - Az.: 4 RJ 209/59; BayLSG Urteil vom 19.01.1962 - Az.: L 9/J 818/58; Verbandskommentar Stand 1965
RVO § 1227 Rdnr. 19 ff.). Nicht darunter fällt die Befähigung, überhaupt einer verwertbaren Tätigkeit nachzugehen,
weil diese nicht als Beruf bezeichnet werden kann.
Dies wird bestätigt durch die Regelung des § 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI und deren mit Wirkung vom 01.07.1975 durch das
SVBG vom 07.05.1975, BGBl I S. 1061 eingeführten Vorgängervorschrift. Danach sind versicherungspflichtig
behinderte Menschen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Berufsausbildungswerken oder ähnlichen
Einrichtungen für behinderte Menschen für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden. Damit hat der Gesetzgeber zu
erkennen gegeben, dass bei Behinderten auch die Zeit einer Ausbildung außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes in
rentenversicherungsrechtlichem Sinne eine Beitragszeit sein soll. Er hat dies allerdings erst für die Zeit ab 01.07.1975
getan (BSG in Breithaupt 1985 S. 845 ff.; siehe auch Fichte in Hauck/Haines Stand Mai 2006 § 1 SGB VI Rdnr. 50).
Wäre die Vermittlung der Befähigung zu einer Erwerbstätigkeit immer zugleich auch eine Berufsausbildung gewesen,
hätte es dieser Regelung nicht mehr bedurft. Sie wäre im Gegenteil eine Einschränkung der in § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB
VI geregelten Versicherungspflicht auf bestimmte Einrichtungen, während sie in Wahrheit eine wegen des Fehlens
eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses, einer Lehrzeit oder einer Zeit der Ausbildung geschaffene
versicherungsrechtliche Absicherung von Behinderten bedeutet. Auf diese mit Wirkung vom 01.07.1975 geregelte
Versicherungspflicht bezieht sich § 247 Abs. 2a SGB VI jedoch nicht.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden
Rechtszügen nicht obsiegt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.