Urteil des LSG Bayern vom 02.10.2002
LSG Bayern: innere medizin, psychotherapie, psychisch kranker, weiterbildung, erwerb, psychiatrie, abrechnung, versorgung, facharzt, psychiater
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 02.10.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 38 KA 176/99
Bayerisches Landessozialgericht L 12 KA 138/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2000 wird
zurückgewiesen. II. Der Kläger hat der Beklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. III. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger ist als Internist in M. zugelassen. Er besitzt die Facharztanerkennung für psychotherapeutische Medizin
und führt die Zusatzbezeichnungen "Psychotherapie" und "Psychoana- lyse". Streitig ist, ob er berechtigt ist die Nrn.
820, 821 des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) abzurechnen.
Mit Bescheid vom 29. April 1997 betreffend das Quartal 4/96 verweigerte die Beklagte unter anderem die Honorierung
von zwölf Leistungen nach EBM-Nr. 820 und zwei Leistungen nach EBM-Nr. 821, weil für die Abrechnung dieser
Ziffern die Voraussetzungen fehlten. Der Kläger hat dagegen mit Schreiben vom 18. Mai 1997 Widerspruch eingelegt
und zur Begründung ausgeführt, es wäre absurd, als psychotherapeutisch tätiger Arzt die EBM-Nrn. 820, 821 sowie
die in diesem Quartal nicht streitigen Nrn. 822, 835, 836 nicht abrechnen zu dürfen, denen Leistungen zugrunde lägen,
die für eine sachgerechte differenzialdiagnostische und differenzialtherapeutische Betreuung psychisch Kranker
unerläßlich seien, weshalb ja auch der Erwerb der psychotherapeutischen Zusatzbezeichnungen eine Weiterbildung
und Prüfung im Fachgebiet Psychiatrie voraussetze. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 10. Dezember 1998 zurück. Die Leistungen des Abschnitts G II des EBM seien nur für Ärzte mit den
Gebietsbezeichnungen Nervenarzt, Psychiater, Kinder- und Jugendpsychiater berechnungsfähig. Rechtsgrundlage für
diese Qualifikationsanforderung sei § 135 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. den vertraglichen
Vereinbarungen in § 11 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und § 39 Arzt-/Ersatzkassenvertrag (EKV). Leistungen,
die von Ärzten anderer Fachgebiete erbracht werden müssten, seien ungeachtet der Möglichkeit, dass sie sowohl
diagnostisch als auch therapeutisch Übereinstimmungen zu den in Abschnitt G II beschriebenen Leistungen
aufweisen könnten - entweder mit der Koordinations- bzw. Konsultationsgebühr abgegolten oder ggf. nach den
zutreffenden Gebührenordnungspositionen für Beratungs- leistungen nach Abschnitt B II EBM zu berechnen. Der
Kläger hat dagegen Klage zum Sozialgericht München erhoben (Az.: S 38 KA 176/99).
Im Folgequartal (1/97) wurden zwölf Leistungen nach EBM-Nr. 820 gekürzt. Den dagegen gerichteten Widerspruch des
Klägers vom 24. Juli 1997 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 1999 zurück. Erneut wies sie
darauf hin, dass nach den allgemeinen Bestimmungen des Kapitels G II des EBM6 die Lei- stungen dieses
Abschnitts Nervenärzten, Psychiatern oder Kinder- und Jugendpsychiatern vorbehalten seien. Dies sei auch in Nr.
4a/Nr.7 der ergänzenden Vereinbarung zur Reform des einheitlichen Bewertungsmaßstabes vom 14. September 1995
klargestellt. Dort sei außerdem vorgesehen, dass die Kassenärztli- chen Vereinigungen im Einvernehmen mit den
Landesverbänden der Krankenkassen im Einzelfall auch anderen Ärzten eine Genehmi- gung zur Abrechnung der in
Abschnitt G II genannten Leistungen erteilen könnten, wenn der Arzt eine gleichwertige fachliche Befähigung
nachweise, die Versorgung dieser Patienten im Rahmen seines Fachgebietes einen Schwerpunkt seiner
Praxistätigkeit darstelle und die Erbringung dieser Leistung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung
notwendig sei. Eine solche Genehmigung besitze der Kläger nicht. Im Folgequartal 2/97 wurden vierzehn Leistungen
nach EBM-Nr. 820 aus der Abrechnung des Klägers gestrichen, im Quartal 3/97 zwanzig Leistungen nach EBM-Nr.
820 und zwei Leistungen nach Nr. 821 und im Quartal 4/97 zwölf Leistungen nach EBM-Nr. 820 und zwei Leistungen
nach EBM-Nr. 821. Die dagegen jeweils erhobenen Widersprüche wurden von der Beklagten mit gleichlautenden
Widerspruchsbescheiden vom 2. Juni 1999 zurückgewiesen. Der Kläger hat dagegen jeweils Klage erhoben (Az.: S 38
KA 1505/99, S 38 KA 2468/99, S 38 KA 2469/99 und S 38 KA 2470/99). Des Weiteren ist das Quartal 2/98 streitig, (S
38 KA 2315/99), in dem die Beklagte elf Leistungen nach EBM-Nr. 820 und zwölf Leistungen nach Nr. 821 abgesetzt
und den dagegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 1999 zurückgewiesen hat.
Zur Begründung seiner vom SG verbundenen Klagen führte der Kläger u.a. aus, dass bei jeder Begegnung mit einem
seelisch Kranken vor allem in den Erstbegegnungen eine psychiatrische Diagnostik und Differentialdiagnostik
unabdingbare Voraussetzung für den adäquaten Umgang mit dem Patienten sei. Selbst eine eventuelle
Weiterüberweisung setze eine psychiatrische Diagnostik und ggf. auch ersttherapeutische Maßnahmen voraus. Auch
bei Erstellung eines Psychotherapie-Gutachtens für eine längerfristige Psychotherapie werde eine psychiatrische
Diagnostik gefordert. Bei der Psychotherapie von Psychosen seien psychiatrische Diagnostik und Therapie genauso
erforderlich wie bei psychotischer Dekompensation, bei der Therapie schwerer zunächst nicht psychotischer
psychischer Störungen (z.B. Borderline-Störung). Bei therapiebedürftigen Traumen oder sogenannten
posttraumatischen Belastungssyndromen könne eine biographische Anamnese über längere Zeit contra indiziert sein.
Hier sei die psychiatrische Diagnostik zumindest anfänglich als einziger Zugang zum Patienten unverzichtbar. Um die
Zusatzbezeichnungen "Psychotherapie" und "Psychoanalyse" zu erlangen, müsse der Arzt im Rahmen der
entsprechenden Weiterbildung ein volles Jahr in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet bzw. eine äquivalente
Weiterbildung über mehrere Jahre an einer psychiatrischen Klinik abgeleistet haben. Die dadurch erworbenen
diagnostischen und therapeutischen Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Psychiatrie seien in einer
Prüfung vor der Landesärztekammer nachzuweisen. In den Weiterbildungrichtlinien seien unter Ziffer II.15.1
(Psychoanalyse) und II.16.1 (Psychotherapie) die Weiterbildungsinhalte bezüglich psychiatrischer Diagnostik und
Therapie unmißverständlich aufgeführt. Die Psychotherapierichtlinien umfassten ausdrücklich auch die Therapie vom
Psychosen; die Verfügbarkeit psychiatrischer Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten werde vorausgesetzt, um
seelisch Kranken gerecht zu werden. In der Vergangenheit habe die Beklagte psychotherapeutisch tätigen Ärzten die
Abrechnungsmöglichkeit psychiatrischer Leistungen (u.a. EBM-Nrn. 820, 821) zuerkannt und auch anderen
Fachgruppen, z.B. Allgemeinärzten und Kinderärzten, obwohl sie in der Regel keine spezielle Qualifikation für
psychiatrische Leistungen be- säßen. Den Psychotherapeuten hingegen sei dies trotz einschlägiger Qualifikation, und
obwohl diese Leistungen für die adäquate Versorgung von seelisch kranken Patienten unabdingbar seien, ohne
jegliche Begründung einfach aberkannt worden. Seit 1. Januar 1999 gelte gewissermaßen als "Feigenblatt" die EBM-
Nr.862, in der ebenfalls psychiatrische Differentialdiagnostik angesprochen sei, wenn auch deutlich niedriger honoriert.
Das Sozialgericht hat die verbundenen Streitsachen mit Urteil vom 25. Oktober 2000 abgewiesen. Die EBM-Nrn. 820
und 821 seien zu Recht abgesetzt worden, weil sie für den Kläger als Inter- nisten fachfremd seien. Ausschlaggebend
für die Frage der Fachgebietszugehörigkeit sei primär der Wortlaut der EBM-Lei- stungslegende. Außerdem sei auf die
Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns (WBO) und die Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung abzustellen.
Nach § 34 Abs.1 des Heilberufe-Kammergesetzes und § 21 WBO dürfe ein Arzt nur auf dem Gebiet tätig werden,
dessen Bezeichnung er führe. Bei den EBM-Nrn. 820, 821 handle es sich um psychiatrische Leistungen, wie sich
schon aus der Überschrift bei G II "Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie" ergebe. Sie gehörten in die
Zuständigkeit der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Das ergebe sich aus Abschnitt I Ziffer 33 WBO, in
der Fassung vom 1. Oktober 1993, wonach die Psychiatrie und Psychotherapie die Vermittlung, den Erwerb und
Nachweis eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in den theoretischen Grundlagen, der Diagnostik, der
Differentialdiagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen und Störungen unter Anwendung der Somato-, Sozio-
und Psychotherapie umfasse. Abschnitt I, Nr. 33 Ziff. 1 WBO verlange u.a. eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und
Fertigkeiten in der beschreibenden und operationalisierten Klassifikation, Diagnose und Differentialdiagnose
psychischer Erkrankungen und Störungen unter Berücksichtigung ihrer Häufung und Erscheinungsformen. Dagegen
umfasse die innere Medizin gemäß Abschnitt I Ziffer 13 WBO die Prophylaxe, Erkennung, konservative internistisch-
interventionelle Behandlung sowie Rehabilitation der Erkrankungen der Atmungsorgane, des Herzens, Kreislaufs, der
Verdauungsorgane, der Nieren und ableitenden Harnwege, des Blutes und der blutbildenden Organe, des
Stoffwechsels und der inneren Sekretion, der internen allergischen Erkrankungen, der internen Erkrankungen des
Stütz- und Bewegungsapparates, der Infektionskrankheiten und Vergiftungen einschließlich der intensiven Medizin.
Zwar gehörten zu Inhalt und Ziel der Weiterbildung auf dem Gebiet der Inneren Medizin auch Vermittlung und Erwerb
von Kenntnissen u.a. in der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Nervensystems, doch verlange die WBO
von den angehenden Internisten ausdrücklich nicht Vermittlung, Erwerb und Nachweis eingehender Kenntnisse. Diese
Formulierung deute daraufhin, dass "Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Nervensystems" nicht zum
Kernbereich der inneren Medizin gehörten. Auf dieses Kriterium, nämlich den "Kernbereich" stelle auch das
Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung ab, zuletzt in der Entscheidung vom 20. Januar 1999 (Az.: B
6 KA 23/98 R). Etwas anderes folge auch nicht aus den Zusatzbezeichnungen "Psychotherapie" bzw.
"Psychoanalyse", denn die Zusatzbezeichnungen erweiterten das Gebiet nicht und berechtigten demzufolge auch
nicht den Arzt, Leistungen außerhalb des Fachgebiets zu erbringen. Dies ergebe sich insbesondere aus § 6 Abs. 3
WBO. Danach sei die Zusatzbezeichnung nur im Zusammenhang mit der Berufs- oder Gebietsbezeichnung zu sehen.
Das gelte erst recht ab 1. Januar 1996, denn seit diesem Zeitpunkt sei dem Abschnitt G II des EBM eine Präambel
vorangestellt, wonach die Leistungen dieses Abschnitts nur für Ärzte mit den Gebietsbezeichnungen Nervenärzte,
Psychiater, Kinder- und Jugend- psychiater berechnungsfähig seien. Es solle nicht in Abrede gestellt werden, dass
die "Psychotherpie" bzw. "Psychoanalyse", egal ob es sich um eine Zusatzbezeichnung oder eine
Gebietsbezeichnung handle, auch psychiatrische Erkenntnisse erfordere. Wie das BayLSG in seiner Entscheidung
vom 7. April 1993 (Az.: L 12 KA 49/90) ausführe, sei die "Psychotherapie" aber nur ein Teilbereich der Psychiatrie.
Das gelte auch für die "Psychoanalyse". Da die Leistungen nach den EBM-Nrn. 820 und 821 die Erbringung des
vollständigen psychiatrischen Status bzw. eine vertiefte Exploration mit differentialdiagnostischer Einordnung
forderten, ordne der Bewertungsausschuss sie zu Recht den Ärzten zu, die weiterbildungsmäßig die umfassendste
Ausbildung auf psychiatrischem Gebiet durchlaufen hätten. Es handle sich somit um Qualifikationsanforderungen auf
der Grundlage des § 72 Abs. 2 i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach die Versorgung der Versicherten "unter
Berücksichtigung des allgemeinen anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse" zu gewährleisten sei, und die
Bewertungsmaßstäbe als Bestandteil der Bundesmantelverträge daraufhin zu überprüfen seien, ob die
Leistungsbeschreibung noch dem Stand der medizinischen Technik und Wissenschaft entsprächen. Der Kläger werde
einräumen müssen, dass ein Facharzt für "Psychiatrie und Psychotherapie" allein aufgrund der langen
Weiterbildungszeit die umfassendere Ausbildung besitze. Daran ändere auch der Hinweis des Klägers nichts, wonach
die Sicherstellung adäquater Betreuung psychisch Kranker mit unter nur durch den direkten differential-diagnostischen
und diffe- rentialtherapeutischen Zugriff zu gewährleisten sei. Die notwendige umfassende Differentialdiagnostik sei
Kernbereich und Aufgabe der in der Präambel vor den G II-Leistungen genannten Fachärzte, zu denen der Kläger als
Facharzt für innere Medizin mit den Zusatzbezeichnungen "Psychotherapie" und "Psychoanalyse" eben nicht gehöre.
Gegebenenfalles sei an diese Fachärzte zu überweisen. Im Übrigen liege es auch im Interesse der Patienten, an den
Facharzt überwiesen zu werden, der die umfassendere Diagnostik anzubieten in der Lage sei. Es sei dem Kläger
unbenommen, weniger umfassende differential-diagnostische Leistungen zu erbringen. Hierfür stünden ihm die EBM-
Nrn. 60 und 860 und ab 1. Januar 1999 die EBM-Nr. 862 zur Verfügung. Bei letzterer handle es sich nicht um eine
"Feigenblattziffer", wie der Kläger meine, weil diese zu niedrig bewertet sei. Er werde sich damit abfinden müssen,
dass die Bewertung ärztlicher Leistungen zur Aufgabe des Bewertungsausschusses gehöre und diesem vorbehalten
sei. Das Gericht sei nicht befugt, anstelle des Bewertungsausschusses eine andere Bewertung vorzunehmen. Der
Hinweis des Klägers auf das Antragsformular für tiefenpsychologische Therapie und Analyse sei nicht geeignet, den
eindeutigen Wortlaut des EBM außer Kraft zu setzen. Außerdem sei dem Formblatt nicht zu entnehmen, dass von
dem "Berichterstatter" eine vollständige Erhebung des psychiatrischen Status und eine umfassende
differentialdiagnostische Leistung gefordert werde. Auch die Psychotherapierichtlinien, wo unter H 6 formuliert sei,
dass die Psychotherapie eine ätiologisch orientierte Diagnostik voraussetze, welche die jeweiligen
Krankheitserscheinungen erkläre und zuordne, könne nicht den EBM außer Kraft setzen. Ferner sei auch diesen
Richtlinien nicht zu entnehmen, dass von den "Psychotherapeuten" umfassende psychiatrische Leistungen im Sinne
der EBM-Nrn. 820 und 821 abverlangt würden.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung einge- legt. Er hat einen Bescheid der Beklagten vom 14.
November 2001 vorgelegt, mit dem sein Antrag auf Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Leistungen
nach EBM-Nrn. 820 und 821 abge- lehnt wurde, weil die in Nr. 4a, Ziffer 7, Abs. 5 der ergänzenden Vereinbarung vom
11. Dezember 1995 zur Reform des einheitlichen Bewertungsmaßstabes vom 14. September 1995 genannten
Voraussetzungen nicht kumulativ erfüllt seien.
Der Senat hat den Kläger auf das Urteil des Bundessozialge- richts vom 20. Januar 1999 (B 6 KA 23/98 R)
hingewiesen und ei- ne Stellungnahme der Bayerischen Landesärztekammer vom 13. No- vember 2000 zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht. Der Kläger hat dazu mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 29. Januar
ausgeführt, die vorgenannte Entscheidung des BSG habe Kinderärzte betroffen. Es seien mithin die
Weiterbildungsvoraussetzungen der Psychiater und der Kinderärzte verglichen worden. Er habe schon 1994 eine
Weiterbildung zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin abgeschlossen und führe die Zusatzbezeichnungen
"Psychoanalyse" und "Psychotherapie". Insofern liege ein anderer Fall vor als der vom BSG entschiedene. Die EBM-
Nrn. 820 und 821 seien für den Kläger wesentlich. Die Lan- desärztekammer nehme in ihrem Schreiben vom 13.
November 2000 nur Bezug auf die Weiterbildungsordnung selbst. Beziehe man auch die Richtlinien für den Inhalt der
Weiterbildung mit ein, seien hier vor allem die Voraussetzungen für den Erwerb der Zusatzbezeichnungen
"Psychoanalyse" und Psychotherapie" (dort Nr. 15 und 16) maßgeblich. Danach sei die psychiatrische Anamnese und
Befunderhebung sowie Klassifikation psychiatrischer Erkrankungen bei 60 Patienten, die Diagnostik und
Differentialdiagnostik zur Abgrenzung von Psychosen, Neurosen und körperlich begründbaren Psychosen, allgemeine
und spezielle Psychopathologie gefordert. Damit stehe fest, dass der Kläger aufgrund seiner Zusatzbezeichnung
einschlägige Kenntnisse im Bereich der psychiatrischen Diagnostik und Differentialdiagnostik erworben habe. Diese
Möglichkeit sei den Parteien der Gesamtverträge be- kannt. Die Berechnung der EBM-Nr. 820 sei deshalb für die
Fach- gruppe des Klägers nicht von vorneherein ausgeschlossen. Zudem gebe es einen Vorstandsbeschluss der
Beklagten, wonach Kinder- ärzte weiterhin die streitgegenständlichen psychiatrischen Lei- stungen abrechnen dürften.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der
Bescheide betreffend die Quartale 4/96 bis 4/97 sowie 2/98 in der Fassung der jeweiligen Widerspruchsbescheide
vom 10. Dezember 1998, 2. Juni 1999 und 25. August 1999 zu verurteilen, ihm die beanstandeten Leistungen nach
den EBM-Nrn. 820 und 821 nachzuvergüten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat liegen die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des Sozialgerichts München mit den Az.: S 38 KA
1800/96, 176/99, 1505/99, 2315/99, 2468/99, 2469/99 und 2470/99 sowie die Berufungsakte mit dem Az.: L 12 KA
138/00 zur Entscheidung vor. Auf deren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie ge- mäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht
eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 45 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) i.V.m. § 10 Abs. 1 Gesamtvertrag Regionalkassen (GV) bzw. § 34
Abs. 4 Arzt-/Ersatz- kassenvertrag (EKV-Ä) obliegt es der Beklagten, die von den Vertragsärzten vorgelegten
Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Rich- tigkeit zu überprüfen.
Dies gilt insbesondere für die Anwendung des vertragsärztlichen Regelwerkes.
Im Rahmen dieser Prüfung hat die Beklagte zu Recht die vom Klä- ger in den streitgegenständlichen Quartalen
abgerechneten Lei- stungen nach EBM-Nrn. 820, 821 von der Vergütung ausgeschlossen, denn der Kläger, der als
Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, darf diese Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung - von Notfällen abgesehen - nicht erbringen und nicht abrechnen. Auch im Rahmen der vertragsärztlichen
Tätigkeit unterliegt der Kläger den Regeln des ärztlichen Berufsrechts. Nach Art. 34 Abs. 1 des Bayerischen
Heilberufe-Kammergesetzes in der ab 1. August 1993 geltenden Fassung (Bekanntmachung vom 20. Juli 1994, GVBL
S. 853) und § 21 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 1. Oktober 1993 (Bayerisches Ärzteblatt 9/93)
darf ein Arzt, der eine Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich nur in diesem Gebiet tätig sein (vgl. BSG SozR 3-2500
§ 95 Nr. 7 S. 27 f., Nr. 9 S. 33 f., Nr. 21 S. 85 f.). Die streitgegenständlichen Gebührenordnungsziffern sind für
Internisten fachfremd.
Die EBM-Nrn. 820 und 821 finden sich im EBM im Abschnitt II des Kapitels G, das die Überschrift "Psychiatrie,
Kinder- und Jugendpsychiatrie" trägt. In der Präambel diese Abschnittes heißt es, die Leistungen des Abschnitts G II
seien nur für Ärzte mit den Gebietsbezeichnungen Nervenärzte, Psychiater, Kinder- und Jugendpsychiater
berechnungsfähig. Für den als Internisten zugelassenen Kläger sind sie demnach nicht abrechenbar. Diese
Bestimmung, die auf die ergänzende Vereinbarung zur Reform des einheitlichen Bewertungsmaßstabes vom 14.
September 1995 (DÄ 1995, A-2585) zurückgeht, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in den
Vorschriften der §§ 72 Abs. 2, 82 Abs. 1 Satz 1 SGB V (BSG, Urteil vom 15. Mai 2002, Az.: B 6 KA 22/01 R, BSG
SozR 3-2500 § 72 Nr. 8, BSG SozR 3-2500 § 72 Nr. 11). Der Ausschluss von der Erbringung der in Abschnitt G II
EBM aufgeführten psychiatrischen Leistungen stellt eine zulässige Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 12
Abs. 1 Grundgesetz (GG) dar und greift nicht in den Zulassungsstatus des Klägers als Internist ein. Ein solcher
Eingriff ist nach der Rechtsprechung des BSG nur anzunehmen, wenn Regelungen den Vertragsarzt von der
Erbringung bzw. Abrechnung solcher Leistungen ausschließen, die für sein Fachgebiet wesentlich sind (BSG SozR 3-
2500 § 135 Nr. 16 S. 88; SozR 3-2500 § 135 Nr. 15 S. 76; SozR 3-2500 § 72 Nr. 11 S. 30; SozR 3-2500 § 72 Nr. 8 S.
20; BSG vom 15. Mai 2002, Az.: B 6 KA 21/01 R S.9).
Bei den Leistungen nach den EBM-Nrn. 820, 821 handelt es sich nicht um für das Fachgebiet der Internisten
wesentliche oder prägende Leistungen. Das ergibt sich eindeutig aus der Lei- stungsdefinition in der
Gebührenordnung. Danach beinhaltet die EBM-Nr. 820 die Erhebung des vollständigen psychiatrischen Sta- tus
(Bewusstsein, Orientierung, Affekt, Antrieb, Wahrnehmung, Denkablauf, anamnestische Funktion) unter Einbeziehung
der le- bensgeschichtlichen und sozialen Daten, ggf. einschließlich Beratung und Erhebung ergänzender
neurologischer Befunde, einschließlich schriftlicher ärztlicher Aufzeichnungen. Die EBM-Nr. 821 betrifft die vertiefte
Exploration mit differential- diagnostischer Einordnung eines psychischen Krankheitsbildes unter Einbeziehung der
dokumentierten Ergebnisse der selbster- brachten Leistungen nach EBM-Nrn. 820 oder 841 zur Entscheidung der
Behandlungserfordernisse. Es handelt sich damit zweifelsfrei um psychiatrische Leistungen unter Einbeziehung
neurologischer Befunde.
Die innere Medizin umfasst nach der Definition in Abschnitt I Ziffer 13 der WBO die Prophylaxe, Erkennung,
konservative, internistisch-interventionelle und intensiv medizinische Be- handlung sowie Rehabilitation der
Erkrankungen der Atmungsorgane, des Herzens und Kreislaufs, der Verdauungsorgane, der Nieren und ableitenden
Harnwege, des Blutes und der blutbildenden Organe und des Lymphsystems, des Stoffwechsels und der inneren
Sekretion, der internen allergischen und immunologischen Erkrankungen, der internen Erkrankung des Stütz- und
Bewegungsapparates, der Infektionskrankheiten, der Vergiftungen, einschließlich der für das höhere Lebensalter
typischen Erkrankungen sowie die Aspekte psychosomatischer Krankheitsbilder und der hausärztlichen Betreuung.
Die Diagnostik und/oder Behandlung psychiatrischer Krankheitsbilder ist hier ausdrücklich nicht genannt. Die
Weiterbildungsordnung unterscheidet unter der Überschrift Inhalt und Ziel der Weiterbildung zwischen
Tätigkeitsfeldern, auf denen Vermittlung, Erwerb und Nachweis eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten
verlangt wird. Dazu gehören bei den Internisten die Ätiologie, Pathogenese, Pathophysiologie, Symptomatologie,
Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie interner, nicht infektiöser, infektiöser, toxischer, neoplastischer,
allergischer, immunologischer, metabolischer, ernährungsabhängiger und degenerativer Erkrankungen einschließlich
der Gesundheitsberatung und Erziehung. Hinzu kommen eingehende Kenntnisse im Bereich des Labors, der
Sonographie, der Endoskopie, der Elektrokardiographie und der Deutung von Röntgenbildern des oben umschriebenen
Fachgebietes. Bezüglich der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Nervensystems wird nur die Vermittlung
und der Erwerb von Kenntnissen verlangt (WBO, Abschnitt I Ziff. 13 Innere Medizin 1.1 4. Spiegelstrich). Daraus
ergibt sich, dass letztere nicht zum Kernbereich des Fachgebiets der Internisten gehören. Außerdem heißt es a.a.O.
ausdrücklich, dass es sich um Vermittlung und Erwerb von Kenntnissen über neurologische und psychiatrische
Erkrankungen "im Zusammenhang mit Erkrankungen des Gebiets" (der Inneren Medizin) handeln muss. Mit Urteil
vom 15.Mai 2002 (SGb 2002, 440 Kurzwiedergabe) hat das BSG den Ausschluss anderer als der in der Präambel
genannten Ärzte von der Erbringung von Leistungen des Abschnitts G II des EBM im Fall eines Neurologen für
rechtmäßig erachtet. Das muss auch für die Internisten gelten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger (nach eigenen Angaben) seit 1994 auch die
Facharztanerkennung für Psychotherapeutische Medizin besitzt, denn auch die Ärzte dieses Fachgebiets sind nach
der Präambel zum Abschnitt G II von der Erbringung dieser Leistungen ausgeschlossen. Der Senat hat in einer
anderen Sache eine Stellungnahme der Bayerischen Landesärztekammer vom 13.November 2000 eingeholt und zum
Gegen- stand dieses Verfahrens gemacht. Darin kommt die Landesärzte- kammer, die als Normgeberin zur
authentischen Auslegung der WBO in besonderer Weise berufen ist, speziell unter Hinweis auf die unterschiedliche
Dauer der Weiterbildung zu dem Ergebnis, dass ungeachtet der Tatsache, dass in Abschnitt I Nr. 34 1.1 der WBO
auch von den Ärzten für Psychotherapeutische Medizin eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der
psychiatrischen Anamnese und Befunderhebung ...psychischer Erkrankungen ...ver- langt werden, die Leistungen des
Abschnitts GII des EBM für Ärzte dieses Gebiets fachfremd sind. Der Senat hat auch unter Bezugnahme auf das o.g.
BSG-Urteil vom 15. Mai 2002 (a.a.O.) keine Bedenken, sich dieser Auffassung anzuschließen, kann dies im
vorliegenden Fall aber letztlich dahingestellt sein lassen, denn der Kläger nimmt aufgrund seiner Zulassung (nur) als
Internist an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teil. Als
Vertragsarzt darf er nur Leistungen des Fachgebiets erbringen und abrechnen, für das er zugelassen ist (vgl. BSG in
SozR 3-2500 § 95 Nr. 7). Ob die Anerkennung als Facharzt für psychotherapeutische Medi- zin geeignet wäre, eine
gleichwertige fachliche Befähigung im Sinne von Nr. 4a/Nr. 7 Abs. 4 der ergänzenden Vereinbarung zur Re- form des
einheitlichen Bewertungsmaßstabs vom 14. September 1995 in der Fassung vom 11. Dezember 1995 nachzuweisen,
ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Auch die Tatsache, dass der Kläger die Zusatzbezeichnungen "Psychotherapie" und "Psychoanalyse" erworben hat
und offenbar auch Langzeitbehandlungen nach den Psychotherapierichtlinien vornimmt, berechtigt ihn nicht, zur
Abrechnung der für ihn fachgebietsfremden Leistungen nach EBM-Nrn. 820, 821, denn das Führen einer
Zusatzbezeichnung ist grundsätzlich nicht geeignet, die Fachgebietsgrenzen außer Kraft zu setzen. Dies gilt auch
dann, wenn die bei Erwerb der genannten Zusatzbezeichnungen geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten von der
Sache her möglicherweise ausreichen würden, um die fachfremden Leistungen (hier EBM-Nrn. 820, 821)
ordnungsgemäß zu erbringen, denn die Begrenzung der vertragsärztlichen Abrechnungsbefugnis auf Leistungen aus
dem Gebiet, für das ein Facharzt zugelassen ist, gilt ungeachtet der Tatsache, dass er im Einzelnen persönlich in der
Lage sein mag, darüber hinaus weitere Leistungen ordnungsgemäß zu erbringen (vgl. BSG a.a.O.).
Damit hat die Beklagte dem Kläger zu Recht die Honorierung der Leistungen nach BMÄ/EGO Nrn. 820, 821
verweigert. Zwischenzeitlich hat sich die hier streitgegenständliche Problematik durch Einführung der EBM-Nr. 862 (ab
1999) entschärft, die für psychotherapeutisch tätige Ärzte einen Zuschlag zur Leistung nach EBM-Nr. 860 für die
Erhebung ergänzender neurologischer und psychiatrischer Befunde vorsieht. Die Feigenblattfunktion die- ser
Gebührenordnungsposition erschließt sich dem Senat in Zu- sammenschau mit der EBM-Nr. 860 (1450 Punkte) nicht.
Ob die Beklagte, wie der Kläger behauptet, Kinderärzten die Abrechnung der EBM-Nrn. 820, 821 zugesteht, ist dem
Senat nicht bekannt. Er brauchte dieser Frage auch nicht nachzugehen, denn aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz
des Art. 3 GG lässt sich ein Anspruch auf eine rechtlich nicht zustehende Honorierung nicht ableiten.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.