Urteil des LSG Bayern vom 29.06.2004

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.06.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 9 RJ 673/99
Bayerisches Landessozialgericht L 5 RJ 345/01
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21. März 2001 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Anspruch des Klägers auf berufliche Rehabilitation auch einen Mietkostenzuschuss sowie die
Kosten für Familienheimfahrten für die Zeit 03.05.1999 bis 04.02.2000 umfasst.
Der 1963 geborene Kläger besuchte die Hauptschule (ohne Abschluss), beendete eine Lehre als Fahrzeuglackierer
wegen einer Farbsehschwäche vorzeitig und arbeitete zunächst im Ausbildungsbetrieb weiter. 1981 erlitt er bei einem
Verkehrsunfall unter anderem Verletzungen des 1. und 2. LWK. Seit 1984 war der Kläger im Tiefbau tätig.
Wegen LWS-Beschwerden durchlief der Kläger im Juni/Juli 1994 ein medizinisches Heilverfahren in der M.klinik Bad
S. , aus welchem er als zweisstündig einsatzfähig für seine letzte Tätigkeit, aber vollschichtig einsatzfähig für
maximal mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Position entlassen wurde. Auf Rehabilitationsantrag vom
09.03.1994 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 29.08.1994 dem damals in F. wohnenden Kläger in
Zusammenarbeit mit dem zuständigen Arbeitsamt in V. eine 12-tägige Berufsfindungsmaßnahme in H. (Beginn:
06.02.1995). Im Herbst 1994 zog der Kläger in die Oberpfalz/Bayern um und erbrachte vom 24.10. bis 05.11.1994
Arbeiten als Montagehelfer bei der Firma G. , Spenglerei-Hallenbau, in M ... Diese kündigte dem seit 04.11.1994
arbeitsunfähig erkrankten Kläger unter anderem aus gesundheitlichen Gründen am 05.12.1994 in der Probezeit.
Am 10.11.1994 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er nach Bayern gezogen sei und eine Umschulung zum
Speditionskaufmann am neuen Wohnsitz wünsche. Die in H. durchgeführte Berufsfindungsmaßnahme brach der
Kläger nach 10 Tagen wegen LWS-schmerzen ab. Eine weitere Maßnahme vom Frühjahr 1995 ergab große Lücken in
Deutsch, Rechnen sowie in Geometrie.
Nach einem von der LVA Niederbayern-Oberpfalz am 21.06.1995 durchgeführten ausführlichen Beratungsgespräch, in
welchem dem Kläger die Aussichtlosigkeit der Umschulung zur Verwaltungsfachkraft nahe gebracht wurde, bewilligte
die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.1995 eine Umschulung zum Bürokaufmann im kaufmännischen
Schulungszentrum W ... Deshalb verzog der Kläger am 17.07.1995 von E. nach A ... Nach umfangreichen
krankheitsbedingten Unterrichtsfehlzeiten und einer Verlängerung um 6 Monate hob die Beklagte die
Maßnahmewilligung mit Bescheid vom 08.08.1996 auf.
Auf erneuten Leistungsantrag vom 15.01.1997 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 01.08.1997 die Teilnahme an
einer Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk E. in R. sowie mit Bescheid vom 18.02.1998 Leistungen für einen
Vorbereitungslehrgang und für eine Qualifiaktionsmaßnahme. Mit Bescheid vom 11.08.1998 stimmte die Beklagte
einer Maßnahme der Umschulung zum Büropraktikanten mit Zusatzqualifikation Lagerverwaltung zu. Diesen Bescheid
hob die Beklagte nach vorheriger Anhörung (Anhörungsschreiben vom 29.10.1998) mit Bescheid vom 10.11.1998
wegen Fehlzeiten wieder auf.
Nach Erhalt des Anhörungsschreibens, jedoch vor Erlass des Aufhebungsbescheides kündigte der Kläger am
02.11.1998 seine Wohnung in A. und zog nach W. um.
Mit Bescheid vom 29.01.1999 bewilligte die Beklagte eine weitere Umschulungsmaßnahme mit
Internatsunterbringung. Dagegen legte der Kläger am 08.02.1999 Widerspruch ein mit der Begründung, er habe selbst
eine Wohnung angemietet, einen Hund zu betreuen und müsse sich wie in einer Kaserne eingeschlossen fühlen, weil
in dem Wohnheim bekanntermaßen Ruhestörungen an der Tagesordnung seien. In der Folge legte der Kläger mehrere
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, so dass die Beklagte die Bewilligung vom 29.01.1999 mit Bescheid vom
29.03.1999 widerrief. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Das Arbeitsamt W. wies den Kläger mit Bescheid vom 27.04. 1999 in die berufsfördernde Maßnahme "Qualifizierung
zur Fachkraft im Lagerwesen" ein, die der Kläger vom 03.05.1999 bis 04.02.2000 durchlief. Mit Bescheid vom
29.04.1999 übernahm die Beklagte diese Maßnahme. Dafür beantragte der Kläger am 10.05. 1999 die Bewilligung von
Fahrtkosten, Verpflegungsgeld sowie Mietkostenzuschuss und Kostenerstattung für Familienheimfahr- ten.
Mit Bescheid vom 08.06.1999 bewilligte die Beklagte nur Fahrkosten- und Verpflegungsszuschuss. Dagegen legte der
Kläger Widerspruch ein und begehrte Mietkostenzuschuss sowie Kostenerstattung für Familienheimfahrten. Zur
Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Beklagte habe mit Bescheid vom 29.01.1998 eine Unterbringung in der
Nähe des Berufsförderungswerkes E. stattfinden sollen, weshalb er weisungsgemäß nach W. umgezogen sei. Sein
Hauptwohnsitz sei nach wie vor in K. bei seinen alten und kranken Eltern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, die
erstmalige Bewilligung einer Umschulungsmaßnahme sei erfolgt, nachdem der Kläger bereits nach E./Bayern
umgezogen sei. Der Umzug nach Bayern habe aus persönlichen Gründen stattgefunden. Obwohl der Kläger am
29.10.1998 zur geplanten Aufhebung der Bewilligung angehört worden sei, habe er am 02.11.1998 seine Wohnung im
näher gelegenen A. gekündigt und einen Mietvertrag zum 01.12.1998 abgeschlossen. Die Anmietung der
entsprechenden Wohnung habe die Beklagte deshalb nicht veranlasst. Im Übrigen hätte eine Maßnahme auch in der
Nähe des Erstwohnsitzes, zum Beispiel in O. , durchgeführt werden können, Familienheimfahrten seien nicht zu
erstatten.
Im anschließenen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (SG) hat der Kläger beantragt, die Kosten für die
Miete am Zweitwohnsitz in W. sowie die Kosten für die Familienheimfahrten zum Erstwohnsitz in K. zu bezahlen. Zur
Begründung hat er sich darauf berufen, dass er ausschließlich zum Zwecke der Umschulung den Wohnsitz
gewechselt habe. Die Beklagte habe in der Vergangenheit mehrfach durch Bescheid anerkannt, dass sein Wohnsitz
maßnahmebedingt verlegt worden sei und sein Erstwohnsitz in K. liege.
Mit Urteil vom 21.03.2001 hat das SG die Klage abgewiesen im Wesentlichen mit der Begründung, der Kläger habe
nicht umschulungsbedingt, sondern aus persönlichen Gründen seinen Wohnsitz gewechselt. Kosten für
Familienheimfahrten seien nicht zu erstatten, weil der Kläger im örtlichen Bereich seines Erstwohnsitzes eine
angemessene Umschulung hätte erhalten können.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung einen Verfahrensverstoß in Form einer
Überraschungsentscheidung gerügt. Zudem sei ihm bereits am 17.07.1995 eine Umschulung in Bayern bewilligt
worden einschließlich Kostenzuschuss für Familienheimfahrten. Der Wohnungswechsel sei deshalb
umschulungsbedingt gewesen, so dass die Beklagte die begehrten Leistungen erbringen müsse. Weil die Umschulung
erst im Februar 2000 habe erfolgreich abgeschlossen werden können, müssten ihm alle bis zu diesem Zeitpunkt
entstandenen Kosten erstattet werden. Er habe noch immer seinen Lebensmittelpunkt in K. , wo auch die
Lohnsteuerkarte 2001 ausgestellt sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.03.2001 sowie den Bescheid der Beklagten
vom 08.06.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.11.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.03.2001
zurückzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 29.06. 2004 waren die Verwaltungsakten der
Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Mietkostenzuschuss sowie
Kostenerstattung für Familienheimfahrten für die vom 03.05. bis 04.02.2000 durchlaufene Maßnahme der beruflichen
Rehabilitation "Qualifizierung zur Fachkraft im Lagerwesen" im kaufmännischen Schulungszentrum W.
Anspruchsgrundlage für die streitigen Leistungen ist § 16 Sechs- tes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der vom
01.01.1998 bis 30.Juni 2001 geltenden Fassung (der Änderung durch das Gesetz vom 16.12.1997 BGBl.I S.2998).
Die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §§ 9 Abs.2, 10, 11 SGB VI hat der Kläger nach
dem gesamten Akteninhalt des Verwaltungsverfahrens sowie nach den Gerichtsakten beider Instanzen erfüllt. Dies ist
zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Anders als das Übergangsgeld, das der Kläger für die streitbefangene Maßnahme erhalten hat und auf welches
gemäß § 20 SGB VI ein Rechtsanspruch besteht, kann die Beklagte die streitigen Leistungen erbringen (§ 9 Abs.2
Satz 1 SGB VI). Aus der Formulierung des Gesetzes ist unzweideutig zu erkennen, dass es sich um eine
Ermessensleistung handelt. Zudem bestimmt § 28 SGB VI, dass die beiden streitigen Leistungen als ergänzende
Leistungen zur Rehabilitation als Ermessensleistungen erbracht werden können (§ 28 Nr.2, § 30 Abs.2 SGB VI).
Der Kläger kann deshalb nur eine Überprüfung der Ermessensentscheidung der Beklagten verlangen, ob diese von
ihrem Ermessen Gebrauch gemacht hat, alle Umstände des zu entscheidenden Falles in die Entscheidungsfindung
einbezogen und schließlich eine sachlich gerechtfertigte Entscheidung getroffen hat. Auf die streitige Bewilligung von
Mietkostenzuschuss sowie Kostenübernahme für Familienheimfahrten kann unter diesen Voraussetzungen nur dann
ein Anspruch bestehen, wenn bei sachgerechtem Gebrauch des Ermessens nur eine bewilligende Entscheidung der
Beklagten möglich ist (Ermessenreduzierung auf Null, vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 54 Rdnr.31 f).
In dem angefochtenen Bescheid vom 08.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.1999 sind
Ermessensfehler nicht zu erkennen. Die Beklagte hat jedenfalls im Widerspruchsbescheid den gesamten Sachverhalt
eingehend gewürdigt und ist zu einer sachgerechten Entscheidung gelangt.
Die Beklagte hat rechtsfehlerfrei berücksichtigt, dass der Kläger bereits mehrere Jahre vor Beginn der
streitbefangenen, vom 03.05.1999 bis 04.02.2000 laufenden Maßnahme, am 27.10.1994 nach E./Oberpfalz (Bayern)
verzogen war und dort eine Beschäftigung aufgenommen hatte. Der Senat ist nach dem Akteninhalt überzeugt, dass
der weitere Umzug nach W. aus privaten Gründen erfolgt ist. Damit sind Wohnungsnahme und Anmietung nicht
maßnahmebedingt veranlasst, so dass die Beklagte die entsprechenden Kosten nicht zu übernehmen hat.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte ihm für die vorangegangenen Maßnahmen
Mietkostenzuschüsse bewilligt hatte. Denn in Anbetracht des Umzuges nach E. bereits in Oktober 1994 und der
dortigen Arbeitsaufnahme sowie des Bekanntgebens des Willens zur Umschulung in der Oberpfalz (Schreiben vom
10.11.1994), hatte der Kläger zu erkennen gegeben, dass er seinen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt im Sinne von §
30 Abs.1, Abs.3 Satz 1 SGB I aus persönlichen/privaten Gründen nach Bayern verlegt hatte. Wenn die Beklagte dem
Kläger gleichwohl Mietkostenzuschüsse bewilligt hatte, bindet sie diese Entscheidung nicht in alle Zukunft. Es war
der Beklagten nicht verwehrt, von der bisherigen Verwaltungspraxis Abstand zu nehmen und Mietkostenzuschüsse
nicht mehr zu erbringen.
Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Beklagte ihm im Rahmen der Arbeitserprobung im
Berufsförderungswerk E./R. nahe gelegt hatte, seinen Wohnsitz maßnahmenah zu nehmen. Denn noch bevor der
Kläger die in A. vorhandene Wohnung kündigen konnte, wurde er zur geplanten Aufhebung des
Bewilligungsbescheides für diese Maßnahme angehört. Wenn der Kläger gleichwohl am 02.11.1998 zum Zwecke des
Umzugs nach W. die Wohnung in A. gekündigt hat, spricht dies eindeutig für eine private Veranlassung des Umzugs.
Vertrauensschutz kann der Kläger auch deshalb nicht geltend machen, weil die Arbeitserprobungsmaßnahme im
Berufsförderungswerkt E. nicht die Maßnahme war, für die er Mietkostenzuschuss begehrt. Es hatte sich nämlich
daran die mit Bescheid vom 29.01.1999 bewilligte weitere Umschulungsmaßnahme angeschlossen, gegen welche der
Kläger Widerspruch eingelegt hatte, über welchen im streitigen Zeitraum nicht entschieden worden ist. Erst danach
hat die Maßnahme im kaufmännischen Schulungszentrum W. (03.05.1999 bis 04.02.2000) stattgefunden. Die
Wohnungsnahme in W. kann deshalb nicht mit dieser Maßnahme in Zusammenhang gebracht werden. Sie ist deshalb
nicht von der Beklagten oder durch die Ergreifung der Maßnahme veranlasst worden, sondern geht auf anderweitige
Gründe zurück. Die Beklagte ist damit nicht verpflichtet, Mietkosten für die Wohnungsnahme in W. zu erstatten.
Schützenswert ist das Vertrauen des Klägers schließlich auch deshalb nicht, weil er in die Maßnahme nicht von der
Beklagten eingewiesen worden war, sondern vom Arbeitsamt in W. , so dass er nicht darauf vertrauen konnte, die
gleichen Leistungen wie bisher zu erhalten.
Weil die Wohnsitznahme in W. nach den dargestellten Gründen aus privaten Gründen erfolgt ist, kann der Kläger auch
nicht die Erstattung der Kosten für Familienheimfahrten beanspruchen. Die entsprechende Ablehnungsentscheidung
der Beklagten ist ermessensfehlerfrei ergangen, weil Familienheimfahrten nur bei einer auswärtigen Unterbringung zu
erstatten sind, die die Maßnahme selbst erforderlich gemacht hat.
Der Kläger kann damit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die angefochtene Verwaltungsentscheidung angreifen
und die begehrte Kostenerstattung erhalten. Die Berufung musste damit in vollem Umfange ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 SGG).