Urteil des LSG Bayern vom 06.06.2006

LSG Bayern: arbeitsfähigkeit, verfügung, leistungsfähigkeit, arbeitsunfähigkeit, vertretung, arbeitsvermittlung, berufsunfähigkeit, anschluss, erwerbsfähigkeit, beratung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 06.06.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 40 AL 876/02
Bayerisches Landessozialgericht L 8 B 48/05 AL PKH
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 18.01.2005 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten stritten um den Entzug bereits geleisteten Arbeitslosengeldes.
Die Klägerin erhielt im Anschluss an Krankengeld ab 04.02.2002 von der Beklagten Arbeitslosengeld. Bei dessen
Beantragung machte die Klägerin gesundheitliche Einschränkungen geltend, erklärte sich aber bereit, sich nach
ärztlicher Begutachtung im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu
stellen.
Aufgrund eines am 29.01.2001 bei der Landesversicherungsanstalt Oberbayern (LVA) gestellten Rentenantrags
anerkannte diese im erstinstanzlichen Klageverfahren am 28.05.2003 einen Anspruch auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab 15.03.2002. Vorausgegangen war aber ein ablehnender Bescheid der LVA, weil weder eine
teilweise oder volle Erwerbsminderung noch eine Berufsunfähigkeit vorgelegen haben (Bescheid vom 20.03.2002).
Laut einem BewA-Vermerk der Beklagten vom 11.04.2002 sei die Klägerin umfassend über die bestehende Sach- und
Rechtslage aufgeklärt worden, wonach auf Arbeitslosengeld kein Leistungsanspruch mehr bestehe. Die Einstellung
der Leistung sei angekündigt worden. Der ärztliche Dienst der Beklagten schloss sich am 15.04.2002 der
Leistungseinschätzung der LVA an.
Mit Bescheid vom 17.04.2002 hob die Beklagte den Bescheid vom Februar 2002 über Zahlung von Arbeitslosengeld
ab 20.04.2002 auf. Die Klägerin sei nicht mehr arbeitslos, dies setze Arbeitsfähigkeit und Arbeitsbereitschaft voraus.
Das objektive Leistungsvermögens sei nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers gegeben. Damit
komme eine Leistung im Sinne von § 125 SGB III nicht mehr in Betracht. Die Klägerin habe dagegen erklärt, wegen
Arbeitsunfähigkeit keine Arbeit aufnehmen zu können und stehe damit der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur
Verfügung. Der dagegen von der Kläger erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom
04.06.2002).
Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) mit der Begründung, dass die Beklagte weiterhin
zur Leistung verpflichtet bleibe, solange Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit vom Rentenversicherungsträger nicht
rechtskräftig festgestellt worden sei. Gerade dies sei Sinn und Zweck der so genannten Nahtlosigkeitsregelung nach §
125 SGB III.
Nach Abgabe eines Teilanerkenntnisses des Rentenversicherungsträgers vom 28.05.2003 erklärte die Klägerin den
Rechtsstreit für erledigt.
Am 05.07.2002 hat die Klägerin Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwaltes
M. J. gestellt, den das SG mit Beschluss vom 08.01.2005 ablehnte. Zur Begründung hat es angeführt, dass die
Beklagte die bereits erfolgte Bewilligung wegen Eintritts einer wesentlichen Änderung hat aufheben dürfen. § 125 SGB
III habe nur die objektive Verfügbarkeit ersetzt. Nach Wegfall dieser Fiktion durch die Feststellung des
Rentenversicherungsträgers habe es an der subjektiven Verfügbarkeit gefehlt, die die Klägerin von vornherein bereits
und wiederholt in ihrer Erklärung vom 11.04.2002 eingeschränkt habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 07.02.2005 Beschwerde zum SG eingelegt, das nicht abgeholfen und den Rechtsbehelf
am 10.02.2005 dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) vorgelegt hat.
Zur Begründung der Beschwerde hat die Klägerin vorgebracht, dass eine subjektive Arbeitsbereitschaft auch dann
gegeben sei, wenn der Arbeitslose krankheitsbedingt nicht arbeiten könne und sich subjektiv als arbeitsunfähig
einschätze. Andernfalls wäre jeder Versicherte gezwungen, trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit seine gleichwohl
bestehende subjektive Arbeitsfähigkeit vorzugaukeln, um in den Genuss von Leistungen im Sinne von § 125 SGB III
zu gelangen. Das Merkmal der subjektiven Verfügbarkeit sei bei richtiger Anwendung und Leseart der Vorschrift auf
das Merkmal eines Arbeitswillens zu reduzieren.
Die Beklagte hat sich der Rechtsansicht des SG angeschlossen.
II.
Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§§ 73a, 172 ff. Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 127 Abs. 1 Satz 1
Zivilprozessordnung - ZPO -).
Der angefochtene Beschluss des SG vom 08.01.2005 ist nicht zu beanstanden.
Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag
Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur
Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung erforderlich erscheint oder der Geg-ner
durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Die Frage der Notwendigkeit der Beiordnung eines Anwalts (§ 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und der persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse - die Klägerin bezog Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 376,83 DM - kann hier
dahingestellt bleiben.
Es fehlt hier am Erfordernis der hinreichenden Aussicht auf Erfolg für das Klageverfahren.
Maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist jedenfalls, wie hier, wenn seit Klageerhebung keine
relevante Änderung eingetreten ist, der Zeitpunkt der Entscheidung über den gestellten PKH-Antrag. Denn
ausschlaggebend zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Entziehungsbescheides ist die Bekanntgabe
des Verwaltungsaktes in der Gestalt wie er ihn durch den Widerspruchsbescheid vom 14.06.2002 gefunden hat.
Die Beklagte hat zurecht in die Bindungswirkung des zuvor von ihr festgestellten Leistungsanspruchs auf
Arbeitslosengeld eingegriffen. Ein Verwaltungsakt bleibt nur so lange wirksam, soweit er nicht zurückgenommen,
widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X).
Hier lagen die Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Eine maßgebliche
Tatbestandsvoraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, die Verfügbarkeit im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 2
i.V.m. Abs. 4 SGB III bzw. jetzt § 119 Absätze 3 und 5 SGB III in der Fassung des 3. Gesetzes für moderne
Dienstleistungen vom 23.12.2003, ist bei der Klägerin nach der ablehnenden Entscheidung der LVA entfallen. Mit
Bescheid vom 20.03.2002 hat die LVA im Rahmen ihrer Anspruchsablehnung ein volles Erwerbsvermögen der
Klägerin festgestellt. Zusammen mit den eigenen Feststellungen des medizinischen Dienstes der Beklagten bestand
kein Zweifel mehr am objektiven Leistungsvermögen der Klägerin. Ihre Leistungseinschränkung subjektiver Art, die im
Rahmen von § 125 SGB III zunächst berechtigt erfolgt war, führte zwangsläufig zum Entfallen der subjektiven
Verfügbarkeit. Arbeitslos (Tatbestandsvoraussetzung im Sinne von § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der Fassung bis
zum dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen - a.F.) ist nur, wer neben der Beschäftigungslosigkeit auch
beschäftigungssuchend ist (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III a.F.). Eine Beschäftigung sucht nur, wer den
Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zur Verfügung steht (Verfügbarkeit im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB
III a.F.). Das ist derjenige Versicherte, der arbeitsfähig und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist (§
119 Abs. 2 SGB III a.F.). Arbeitsbereit und arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser zumindest dann, wenn er bereit und oder in
der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes zumutbare
Beschäftigungen aufzunehmen und auszuüben (§ 119 Abs. 4 Nr. 1 SGB III a.F.).
In der Beratung bei der Beklagten vom 11.04.2004 hat die Klägerin trotz Aufklärung über die bestehende Sach- und
Rechtslage weiterhin erklärt, arbeitsunfähig zu sein und keine Bereitschaft bekundet, sich im Rahmen zumutbarer
Beschäftigungen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen. Diese Erklärung selbst ist von der Klägerin nicht
bestritten worden und es besteht auch sonst keinerlei Veranlassung, an dem in den Verwaltungsakten niedergelegten
Beratungsvermerk zu zweifeln. Dabei stand das geschichtliche Leistungsvermögen der Klägerin schon durch die
Feststellung der LVA fest. Es ist durch die nachfolgende Beurteilung des ärztlichen Dienstes der Beklagten bestätigt
worden. Die Tatsache, dass durch die spätere Entwicklung ein anderes Leistungsvermögen zu einem
Versicherungsfall der verminderten Erwerbsfähigkeit geführt hat, führt rückwirkend zu keiner Änderung an der zum
Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung anzustrengenden Rechtmäßigkeitsprüfung.
Die Fiktion des § 125 SGB III hindert die Beklagte lediglich daran, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mit der
Begründung zu verneinen, der Arbeitslose sei wegen nicht nur vorübergehenden Einschränkungen der
gesundheitlichen Leistungsfähigkeit objektiv nicht verfügbar. Die Sperrwirkung der sog. Nahtlosigkeitsregelung
gesundheitlichen Leistungsfähigkeit objektiv nicht verfügbar. Die Sperrwirkung der sog. Nahtlosigkeitsregelung
entfaltet sich allein im Rahmen der objektiven Verfügbarkeit (BSGE 84, 262 ff.). Über die so beschriebene
"Sperrwirkung" hinaus entfaltet die Nahtlosigkeitsregelung keine weitergehende Bindung der Beklagten. Dies gilt auch
für Ablehnungsbescheide des Rentenversicherungsträgers, die dieser auf einen Rentenantrag des Versicherten hin
erteilt. Ein derartiger Ablehnungsbescheid schränkt auch den Anwendungsbereich der Nahtlosigkeitsregelung nicht ein
und beendet die Sperrwirkung nicht (BSG a.a.O.). Die Frage, ob die Nahtlosigkeitsregelung bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Rentenverfahrens anwendbar bleibt, stellt sich nach dem Tatbestand des § 125 Abs. 1 Satz 2 SGB III
nicht. Die Beklagte hat auch nach der ablehnenden Entscheidung der LVA weiterhin ein objektives
Leistungsvermögen der Klägerin angenommen.
Da die Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung auf die Beurteilung der objektiven Verfügbarkeit beschränkt ist, sind
die Feststellungen der LVA zum gesundheitlichen Leistungsvermögen für die Beurteilung der subjektiven
Verfügbarkeit (Arbeitsbereitschaft) nicht heranzuziehen (BSGE 71, 12 sowie a.a.O.). Da Arbeitslose nur zur Aufnahme
von zumutbaren Beschäftigungen bereit sein müssen (§ 121 Abs. 1 SGB III), kann ein fiktives Leistungsvermögen
ohnehin kein geeigneter Beurteilungsmaßstab sein. Beschäftigungen, die die tatsächliche gesundheitliche
Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen übersteigen, sind nicht zumutbar. Zur Feststellung des Umfangs zumutbarer
Arbeiten und zur Beurteilung der subjektiven Verfügbarkeit hat die BA deshalb das tatsächliche Leistungsvermögen
der Arbeitslosen eigenständig zu ermitteln und festzustellen. Dies ist am 15.04.2002 nach Aktenlage geschehen.
Demgegenüber hat die Klägerin von vorneherein durch ihre Erklärung, arbeitsunfähig zu sein, eine Weigerung
bekundet, sich im Rahmen der zumutbaren subjektiven Verfügbarkeit der Arbeits-vermittlung zu stellen. Die fehlende
Bereitschaft zur Aufnahme einer zumutbaren, der Leistungsfähigkeit entsprechenden Beschäftigung ist keine Frage
der Nahtlosigkeitsregelung, sondern liegt im eigenen Verantwortungsbereich des Versicherten (vgl. BSGE a.a.O.).
Eine Bereitschaft zur Aufnahme von Beschäftigungen, zu denen der Arbeitslose objektiv nicht in der Lage ist, verlangt
das Gesetz nicht. Ein Bedürfnis für eine derartige Arbeitsbereitschaft, die im Falle ihrer Verwirklichung ins Leere
ginge, ist auch nicht ersichtlich. Daher geht der Einwand der Klägerin ins Leere, gezwungen zu werden, trotz
bestehender Arbeitsunfähigkeit eine gleichwohl bestehende subjektive Arbeitsfähigkeit vorzugaukeln, um in den
Genuss von Leistungen zu gelangen. Diese Ansicht wird auch nicht von der zum Beweis ihrer Rechtsansicht zitierten
Literaturstelle vertreten. Auch im Kommentar von Gagel, SGB III Arbeitsförderung (Rdnr. 12 zu § 125) wird
ausgeführt, dass durch die Nahtlosigkeitsregelung die subjektive Verfügbarkeit des Arbeitslosen unberührt bleibe. Es
besteht danach kein rechtfertigender Grund, einen etwa fehlenden Arbeitswillen, soweit er nicht krankheitsbedingt ist,
über den Weg einer gesetzlichen Fiktion unbeachtlich sein zu lassen. Die subjektive Leistungsbereitschaft muss der
objektiven Leistungsbereitschaft entsprechen, diese lediglich nicht übersteigen.
Damit ist durch die Erklärung der Klägerin trotz Aufklärung über die Rechtsfolgen eine wesentliche Änderung
eingetreten, die die Beklagte zurecht befugt hat, für die Zukunft nach Eintritt der Änderung die Feststellung des
bestehenden Leistungsanspruchs aufzuheben und die Leistung einzustellen. Ermessen ist nach § 48 Abs. 1 Satz 1
SGB X nicht auszuüben. Form- und Verfahrensfehler, z.B. hinsichtlich Anhörung bzw. Fristen (§ 48 Abs. 4 SGB X)
noch sonstwie sind nicht ersichtlich.
Der Beschluss des SG erging damit zurecht. Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist nicht mehr anfechtbar und ergeht kostenfrei (§§ 177, 183 SGG).