Urteil des LSG Bayern vom 24.07.2008

LSG Bayern: angemessene frist, untätigkeitsklage, verwaltungsakt, verwaltungsverfahren, öffentlich, akte, abweisung, herausgabe, erlass, form

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 4 AL 644/05
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 94/06
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Februar 2006 wird
zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1957 geborene Kläger begehrt eine Entscheidung der Beklagten.
Der Kläger erklärte am 08.12.2005 zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts
Augsburg - SG -: "Ich habe über Direktor S. (S) bei der Agentur für Arbeit G. Widerspruch eingereicht. Dieser hat ihn
an die zuständige Stelle weitergereicht. Mein Widerspruch ist jetzt binnen 3 Monaten nicht entschieden worden."
Mit Gerichtsbescheid vom 17.02.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -
eröffne die Möglichkeit der Untätigkeitsklage, wenn über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund nicht in
angemessener Frist sachlich entschieden worden sei. Als angemessene Frist gelte eine solche von drei Monaten.
Nach dem Inhalt der Leistungsakten stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass bei der Beklagten kein
Widerspruch anhängig sei, über den noch nicht entschieden wurde. Die Untätigkeitsklage sei daher als unzulässig
abzuweisen gewesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht - LSG - eingelegt und im Wesentlichen
ausgeführt, dass ein Berufungsverfahren angestrebt werde. Zu dem Widerspruch, der zu Händen von S geschickt
worden sei, liege immer noch kein Widerspruchsbescheid vor. Der Kläger wünsche nicht, dass Verfahren weiterhin
verschleppt und verzögert werden.
Der Kläger beantragt,
dass der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17.06.2006 aufgehoben wird und entsprechend des
involvierten Papiers an Herr S. eine Entscheidung in der Sache ergeht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, es sei weiterhin unklar, welchen Widerspruch der Kläger meine. Es sei kein Widerspruch aufzufinden,
über den noch nicht entschieden worden sei. Ausschlaggebend für das (im Rahmen des Berufungsverfahrens vor dem
Bayerischen Landessozialgericht, Az.: L 9 AL 35/03) abgegebene Anerkenntnis sei gewesen, dass vom ärztlichen
Dienst der Beklagten mit Gutachten vom 01.12.2003 festgestellt worden sei, dass die psychische Erkrankung des
Klägers bereits im April 2002 bestanden haben könnte.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akten der
Beklagten und der Akten des Bayerischen Landessozialgerichts Az.: L 9 AL 35/03, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§
143, 144 SGG zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Denn die Klage war bereits unzulässig. Die Abweisung der
Klage durch das SG erfolgte damit im Ergebnis zu Recht.
Die Abweisung der Klage durch das SG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar liegt entgegen der Auffassung
des SG keine Untätigkeitsklage vor. Die erhobene Klage war und ist aber nicht zulässig. Denn es fehlt dem Kläger an
der erforderlichen Klagebefugnis.
Nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann durch die Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes oder
seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes begehrt
werden. Soweit - wie hier - gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist nach Satz 2 der Vorschrift die Klage zulässig,
wenn die Klägerin behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung des
Verwaltungsakts beschwert zu sein. Die Notwendigkeit der Beschwer basiert auf einem allgemeinen Rechtsgedanken,
der alle Prozessordnungen durchzieht (vgl. z.B. § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Abs. 2
Finanzgerichtsordnung). Sie setzt die Betroffenheit in einem Individualinteresse voraus (BSGE 42, 256; Keller in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 54 Rz. 12).
An einer solchen Beschwer im Sinne einer möglichen Rechtsbeeinträchtigung des Klägers fehlt es hier, so dass die
Klage bereits unzulässig ist. Denn der Kläger behauptet nicht in schlüssiger Weise, durch einen Verwaltungsakt oder
durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
Eine Beschwer fehlt, weil ein Verwaltungsakt oder eine sonstige Maßnahme der Beklagten, durch die der Kläger in
seinen eigenen Rechten verletzt sein könnte, nicht vorliegen. Weder der Kläger noch sein in der mündlichen
Verhandlung anwesender Betreuer benannten eine Verwaltungsmaßnahme der Beklagten, die den Kläger in seinen
Rechten verletzen könnte. Insgesamt konnte auch nach entsprechenden Hinweisen des Gerichts ein justiziables
Klageziel nicht benannt werden. Auf die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung abgegeben Erklärungen und seine
schriftsätzlichen Äußerungen wird Bezug genommen.
Auf welchen Bescheid bzw. worauf sich das Begehren des Klägers inhaltlich richtet, lässt sich den Akten und seinen
Ausführungen nicht entnehmen und konnte auch durch Befragen des in der mündlichen Verhandlung anwesenden
Betreuers des Klägers nicht aufgeklärt werden. Die Akte enthält mehrere Widerspruchsbescheide, die jeweils näher
bezeichnete Bescheide in Bezug nehmen (Widerspruchsbescheid vom 25.05.1999 - Widerspruch vom 11.5. 1999,
Widerspruchsbescheid vom 09.03.2001 - Widerspruch vom 06.03.2001, Widerspruchsbescheid vom 24.07.2001 -
Widerspruch vom 02.05.2001, Widerspruchsbescheid vom 05.11.2002 - Widerspruch vom 03.07.2002,
Widerspruchsbescheid vom 10.07.2003 -Widerspruch vom 01.07.2003). Ein Widerspruch gegen einen Bescheid, über
den noch nicht entschieden ist, ergibt sich aber nicht aus der Akte.
Es ist auch nicht erkennbar, dass eine Verbescheidung in einem (Ausgangs-) Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8
Sozialgesetzbuch - SGB - X veranlasst wäre. In dem Berufungsverfahren vor dem LSG mit dem Az.: L 9 AL 35/03
wurde zwar ein Anerkenntnis von der Beklagen abgegeben. Dieses wurde von der Beklagten jedoch mit
Bewilligungsbescheid vom 23.06.2005 umgesetzt, indem sie Arbeitslosengeld vom 15.04.2002 bis 16.09.2002 für 155
Tage mit einem wöchentlichen Leistungsantrag von 172,97 Euro bewilligte. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig,
ein Widerspruch ist nicht aktenkundig. Vor einer damit zusammenhängenden Klage müsste zunächst ein
Verwaltungsverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt werden.
Der Rechtsstreit betrifft auch kein Rechtsverhältnis i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Unter einem Rechtsverhältnis i.S.d.
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG sind diejenigen rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten
Sachverhalt auf Grund einer diesen Sachverhalt regelnden (öffentlich-rechtlichen) Norm für das Verhältnis natürlicher
oder juristischer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Ein (feststellungsfähiges)
Rechtsverhältnis liegt vor, wenn sich die Rechtsbeziehungen verdichtet haben. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen
eines überschaubaren Sachverhalts, auf den die (öffentlich-rechtliche) Norm angewendet werden kann. Im
Allgemeinen sind Rechtsverhältnisse dieser Art durch subjektive Rechte und diesen entsprechende Pflichten
gekennzeichnet; abstrakte Rechtsfragen oder bloß (faktische) "Rechtspositionen" - wie hier das Recht auf
Herausgabe eines vom Kläger behaupteten "Papiers" - sind nicht feststellungsfähig (vgl. dazu etwa Sodan, in
Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO § 43 Rdnr. 7, 9 ff.; Meyer-Ladewig, SGG § 55 Rdnr. 5, jeweils m.w.N.). Davon
ausgehend besteht zwischen den Beteiligten kein (konkretes und damit feststellungsfähiges) Rechtsverhältnis.
Gegenstand des Rechtsstreits ist entgegen der Auffassung des SG keine Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG). Für eine solche Annahme bietet der Sachverhalt zur vollen Überzeugung des Senats
keine Anhaltspunkte. Die völlig unsubstantiierte Behauptung des Klägers hinsichtlich eines noch nicht
verbeschiedenen Widerspruchs entbehrt einer sachlichen Grundlage. Der Kläger benennt auch im Zusammenhang mit
seinen Ausführungen zu einer Vorsprache bei S keinen Bescheid, gegen den sich sein angeblicher Widerspruch
richten soll. Auch sonstige konkrete Angaben zu einer angreifbaren Maßnahme der Beklagten fehlen. Der Bescheid
vom 23.06.2005 war zum Zeitpunkt der erwähnten Vorsprache des Klägers bei der Agentur für Arbeit seit langem
bestandskräftig; dieser Bescheid wird vom Kläger auch nicht in Bezug genommen. Eine Untätigkeitsklage, die
lediglich die Bescheidung schlechthin zum Ziel haben könnte, war mithin nicht statthaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).