Urteil des LSG Bayern vom 10.11.2005
LSG Bayern: prothese, versorgung, verfügung, kostenvoranschlag, behinderung, ausführung, sachleistung, verwaltungsverfahren, beruf, chirurg
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.11.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 10 KR 100/04
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 179/04
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Juli 2004 aufgehoben und die
Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einer neuen Oberschenkelprothese.
Der Kläger hat 1979 bei einem Motorradunfall das linke Bein verloren. Zuletzt erhielt er zu Lasten der Beklagten 1999
und 2002 eine Oberschenkelprothese, die er nach seinen Angaben jeweils wechselnd trägt bzw. getragen hat und
zwar in der ersten Wochenhälfte die Prothese aus dem Jahre 2002 - P.02 -, da von Montag bis Mittwoch bei ihm der
Stumpf einen größeren Umfang aufweise, anschließend die Prothese aus dem Jahre 1999 - P.99 -. Sonntags schone
er den Stumpf, indem er sich möglichst ohne Prothese bewege.
Am 16.02.2004 verordnete der Orthopäde Dr.U. eine (neue) Oberschenkelprothese mit Catcamschaft. Das
Sanitätshaus D. erstellte am 23.02.2004 einen Kostenvoranschlag über ca. 9.000 Euro für eine neue Prothese, mit der
die P.99 ersetzt werden sollte. Mit Bescheid vom 02.03.2004 lehnte die Beklagte eine Neubeschaffung ab, weil der
Kläger mit der P.02 noch ausreichend versorgt sei. Eine Mehrfachversorgung könne er nicht beanspruchen. Dem
widersprach der Kläger am 10.03.2004 unter Hinweis auf die jahrelange Versorgung mit zwei Prothesen.
Nachdem der Chirurg Dr.R. vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse in Bayern - MDK - (ohne Untersuchung des
Klägers) am 23.03.2004 eine Zweitversorgung als nicht erforderlich erachtete, bestätigte die Beklagte ihre Ablehnung
im Widerspruchsbescheid vom 01.04.2004.
Die dagegen am 14.04.2004 erhobene Klage ist damit begründet, dass die wechselnden Stumpfverhältnisse die
beiden Prothesen erforderten, nämlich zum Wochenbeginn eine mit größerem Schaftumfang und danach die mit dem
kleineren. Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2004 verurteilte das Sozialgericht Augsburg am gleichen
Tage die Beklagte dazu, den Kläger mit einer dem Kostenvoranschlag vom 23.02.2004 entsprechenden Prothese zu
versorgen. Dazu ist in den Urteilsgründen ausgeführt, dass der Kläger schlüssig dargelegt habe, wegen der
Stumpfverhältnisse zwei unterschiedliche Prothesen zu benötigen und zwar sowohl im Beruf wie in der Freizeit. Die
Gründe, die das BSG bewogen hätten, im Urteil vom 06.06.2002 - SozR 3-2500 § 33 Nr.44 einer Versicherten einen
Anspruch auf die Versorgung mit einer zusätzlich besonders hochwertigen Prothese ("C-Leg") zuzubilligen, hätten
auch Geltung für den klägerischen Anspruch.
Gegen das am 16.07.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.08.2004 Berufung eingelegt. Sie bezieht sich auf
die Hilfsmittelrichtlinien, wonach eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln grundsätzlich ausgeschlossen sei.
Im Januar 2005 ist die P.02 mit einem neuen Schaft versehen worden. Die dafür anfallenden Kosten in Höhe von ca.
4.400 Euro sind von der Beklagten übernommen worden. Damit stellte sich der Kläger am Freitag den 08.04.2005
beim MDK vor und wurde von Dr.R. untersucht. Dieser konnte die vom Kläger geschilderten Umfangsschwankungen
des Stumpfes nicht nachvollziehen und stellte fest, dass die zum Wochenende beklagte Schrumpfung des Stumpfes
gerade nicht vorliege. Die reparierte P.02 sitze aus seiner Sicht optimal, Druckstellen ließen sich nicht feststellen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 07.07.2004 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und
die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig gemäß §§ 144, 151 SGG. In der Sache selbst ist sie auch begründet. Der Kläger begehrt
von der Beklagten eine Sachleistung wegen seiner durch den Teilverlust des linken Beines verursachten Behinderung.
Maßgebliche Anspruchsgrundlage dafür findet sich in den §§ 27, 33 SGB V. Dabei besteht Klarheit darüber, dass es
sich bei der geforderten Prothese als Ersatz für die P.99 um ein gesetzlich vorgesehenes Hilfsmittel im Sinne von §
33 Satz 1 SGB V handelt. Bestritten wird seitens der Beklagten lediglich dessen Erforderlichkeit, weil der Kläger
bereits mit einem solchen Hilfsmittel versorgt ist und dieses auch tatsächlich Verwendung findet bzw. vom Kläger
auch problemlos als Körperersatzstück getragen werden kann. Die Frage, ob neben der funktionierenden Prothese
vom Kläger in seiner individuellen Situation eine weitere zu Lasten der Beklagten beansprucht werden kann, ist zu
verneinen. Dabei geht der Senat nicht von den Verhältnissen aus, wie sie noch im Verwaltungsverfahren bzw. bei der
mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Augsburg vorlagen, sondern wie sie sich nunmehr nach Überarbeitung
der P.02 darstellen. Der Kläger bzw. seine Stumpfverhältnisse sind am 08.04.2005 ausführlich und fachmännisch
untersucht worden. Dabei hat sich objektivieren lassen, dass zumindest nunmehr mit der überarbeitenden P.02 der
Kläger über eine prothesengerechte Beweglichkeit verfügt. Damit ergibt sich keine Notwendigkeit mehr, wie vom
Sozialgericht verfügt, dem Kläger eine weitere neue Prothese für etwa 9.000 Euro zur Verfügung zu stellen. Die
Benutzung der überarbeiteten P.02 ist nicht, wie das Sozialgericht noch angenommen hatte, nur eingeschränkt
möglich. Nach der bisherigen Darstellung wäre nämlich die P.02 in der zweiten Wochenhälfte nicht mehr verwendbar.
Wie die Untersuchung ergeben hat, ist das Gegenteil der Fall. Daraus folgt: Für die gewünschte zweite Prothese fehlt
es an der Erforderlichkeit bzw. Notwendigkeit im Sinne von § 33 Abs.1 i.V.m. § 12 Abs.1 SGB V. Von daher stellt
sich nicht mehr die Frage, ob die Beklagte unter Berufung auf § 21 der Hilfsmittelrichtlinien von vornherein gehindert
ist, ein Hilfsmittel in doppelter Ausführung zur Verfügung stellen. Auch die jahrelang praktizierte Übung, den Stumpf
mit zwei verschiedenen Prothesen zu versorgen, führt nicht zu einem Anspruch, eine weitere Prothese zu beschaffen.
Zum einen war der Beklagten nach ihrem Vorbringen die Doppelversorgung bislang als solche nicht bewusst gewesen,
zum anderen haben sich die Verhältnisse durch die Umarbeitung von P.02 in jedem Fall dahingewandelt, dass eine
durchgängige Benutzung über die Woche hin mit der P.02 möglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.