Urteil des LSG Bayern vom 21.02.2001
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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 21.02.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 13 AL 729/99
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 125/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) an den Kläger ab dem 01.12.1998.
Der am 1938 geborene Kläger war bis zum 30.11.1998 als Flugkapitän bei der L. AG beschäftigt. Am 01.12.1998
meldete er sich persönlich bei der Beklagten (Arbeitsamt -AA- Meschede, Dienststelle Schmallenberg), arbeitslos und
beantragte die Gewährung von Alg. Als Wohnanschrift gab er die B.straße in S. an, den Wohnsitz seines Cousins.
Der Kläger selbst lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in Lagos/Nigeria.
Am 10.05.1999 ließ der Kläger durch seine damaligen Bevollmächtigten schriftlich Alg beantragen. Gegen den
Hinweis der Beklagten (AA Meschede) vom 10.05.1999 auf die Notwendigkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung
legte der Kläger am 21.07.1999 Widerspruch ein. Die Beklagte verwarf den Widerspruch mit Bescheid vom 29.07.1999
als unzulässig. Hiergegen erhob der Kläger am 03.08.1999 Klage (Az: S 13 AL 729/99) zum Sozialgericht Nürnberg
(SG).
Mit einem am 08.07.1999 bei der Beklagten (AA Darmstadt) eingegangenen Schreiben hatte sich der Kläger dort
ebenfalls arbeitslos gemeldet. Mit Bescheid vom 22.07.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Alg an den
Kläger ab, da das AA Darmstadt örtlich dafür nicht zuständig sei und es auch an einer persönlichen
Arbeitslosmeldung fehle. Der hiergegen am 23.07.1999 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg
(Widerspruchsbescheid vom 05.08.1999). Dagegen hat der Kläger am 12.08.1999 Klage zum SG erhoben (Az: S 13
AL 754/99).
Am 19.07.1999 beantragte er bei der Beklagten (AA Meschede) erneut die Gewährung von Alg und verwies auf seine
persönliche Arbeitslosmeldung vom 01.12.1998. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 02.08.1999 ab.
Der hiergegen am 07.09.1999 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14.09.1999).
Dagegen hat der Kläger am 20.09.1999 Klage zum SG erhoben (Az: S 13 AL 849/99).
Das SG hat die Streitsachen mit Beschluss vom 25.10.1999 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
verbunden und die Klagen mit Urteil vom 16.02.2000 abgewiesen. Aufgrund seines Wohnsitzes in Lagos/Nigeria habe
der Kläger keinen Anspruch auf Alg, da sich sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik
befinde. Es gebe deshalb auch kein für ihn zuständiges AA. Im Übrigen sei er auch nicht verfügbar, da er mangels
Postanschrift im Bundesgebiet nicht noch am gleichen Tag bzw innerhalb weniger Stunden nach Zugang eines
Schreibens des AA dieses aufsuchen könne.
Gegen das ihm am 03.03.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.03.2000 Berufung beim Bayer.
Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt. Die Versagung des Alg verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des
Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG)
stehe der Auslandswohnsitz einer Gewährung von Alg an den Versicherten dann nicht entgegen, wenn ein zuvor in
Deutschland beitragspflichtiger Grenzgänger auch die übrigen Leistungsvoraussetzungen erfülle. Der Kläger habe sich
am 01.12.1998 bei der Dienststelle Schmallenberg persönlich arbeitslos gemeldet und sei auch für die
Arbeitsvermittlung in Deutschland verfügbar, da er über die angegebene Anschrift seines Cousins ständig erreichbar
sei und von Lagos aus aufgrund der ausgezeichneten internationalen Fluganbindungen einen deutschen Flughafen in
kürzester Zeit erreichen könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG vom 16.02.2000 abzuändern, die zugrunde liegenden Entscheidungen der Beklagten in der Form
der jeweiligen Widerspruchsbescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger in gesetzlicher Höhe
Alg bzw Arbeitslosenhilfe (Alhi) seit Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 16.02.2000 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des BayLSG ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des SG wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) ist auch im Übrigen
zulässig (§ 144 SGG). Insbesondere konnte der Senat hier ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die
Beteiligten damit zuvor einverstanden erklärt hatten (§ 124 Abs 2 SGG).
Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet, denn das SG hat mit Urteil vom 16.02.2000 die Klagen gegen die Bescheide
der Beklagten zu Recht abgewiesen, da der Kläger ab dem 01.12.1998 keinen Anspruch auf Gewährung von Alg hat.
Dem Anspruch des Klägers auf Gewährung von Alg (§ 117 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -SGB III-) bzw auf Alhi (§
190 SGB III) steht die Vorschrift des § 30 Abs 1 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) entgegen, denn dieser
beschränkt den Geltungsbereich des SGB auf Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im
räumlichen Geltungsbereich des SGB, also in der Bundesrepublik Deutschland haben. Zu diesem Personenkreis
gehört der Kläger, der bereits vor der Arbeitslosmeldung am 01.12.1998 seinen Wohnsitz nach Lagos/Nigeria verlegt
hatte und diese Wohnung auch weiterhin inne hat und benutzt (§ 30 Abs 3 SGB I), nicht.
Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten lässt sich auch nicht durch die in § 30 Abs 2 SGB I vorbehaltenen
Bestimmungen des Rechts der Europäischen Union (EU) begründen, denn Nigeria ist kein Mitgliedsstaat der EU.
Ein Leistungsanspruch des Klägers kann sich hier ferner nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 30
Abs 1 SGB I ergeben. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Auslegung des § 30 Abs 1 SGB I mit Art 3 Abs
1 GG nur insoweit unvereinbar, als Grenzgänger unter Hinweis auf ihren Wohnsitz auch dann keine Leistungen bei
Arbeitslosigkeit erhalten, wenn im Übrigen alle Voraussetzungen der §§ 117 ff SGB III bzw 190 ff SGB III erfüllt sind
(vgl BVerfG, Beschluss vom 30.12.1999 - 1 BvR 809/95 in NZA 2000, S 391 mwN aus der stRsp des BVerfG).
Danach steht zwar der Auslandswohnsitz als solcher dem Anspruch eines zuvor in Deutschland beitragspflichtigen
Grenzgängers auf Alg oder Alhi nicht entgegen. Beim Kläger handelt es sich jedoch nicht um einen Grenzgänger,
denn dazu gehören nur Personen mit grenznahem Auslandswohnsitz, die im Inland beschäftigt und versichert sind,
um ihre besondere Situation durch die Nähe zum Staatsgebiet der Bundesrepublik, ihre zwangsweise Einbeziehung in
das nationale Sicherungssystem des Beschäftigungsortes und nicht des Wohnsitzes mit entsprechender
Beitragspflicht und dem bestehenden Bezug zum Inlandsarbeitsmarkt Rechnung zu tragen (vgl BVerfG aaO). Der
Wohnsitz des Klägers in Lagos/Nigeria stellt jedoch keinen grenznahen Auslandswohnsitz in diesem Sinne dar.
Hinzu kommt, dass der Kläger auch nicht die übrigen Voraussetzungen der §§ 117 ff bzw 190 ff SGB III erfüllt. Der
Anspruch auf Alg setzt nach § 119 Abs 3 Nr 3 SGB III ua voraus, dass ein Arbeitsloser den Vorschlägen des AA zur
beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Nach § 1 Abs 1 S 2 der gemäß § 152 SGB III
erlassenen "Erreichbarkeits-Anordnung" hat der Arbeitslose insbesondere sicherzustellen, dass das AA ihn persönlich
an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift
(Wohnung) durch Briefpost erreichen kann. Es genügt nicht, dass der Arbeitslose irgendwie mit Hilfe von
Familienangehörigen oder Boten erreichbar ist.
Mangels Wohnsitzes in der Bundesrepublik und Verfügbarkeit (§§ 190 Abs 1 Nr 1 iVm § 118 Abs 1 und § 119 Abs 1
Nr 2 SGB III) hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Alhi.
Mangels Wohnsitz in der Bundesrepublik konnte ferner für ihn gemäß § 327 Abs 1 Satz 1 SGB III kein zuständiges
AA bestimmt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 2 und 3 SGG).