Urteil des LSG Bayern vom 05.06.2008

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 05.06.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 14 KR 435/05
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 206/06
Bundessozialgericht B 12 KR 70/08 B
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 13. Juni 2006 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Klägerin seit August 2005 nicht mehr in einem sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis steht. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 1/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin seit 15.10.1981 in der Firma ihres Mannes J. A. versicherungspflichtig beschäftigt ist.
Die 1959 geborene Klägerin hat mit Schreiben vom 16.06.2005 bei der Beklagten ihre sozialversicherungsrechtliche
Beurteilung beantragt. Sie gab an, seit 15.10.1981 in der Firma ihres Mannes J. A. mitgearbeitet zu haben, sie hätten
die Firma gemeinsam aufgebaut. In der Anfangszeit sei sie zuständig für den Verkauf gewesen, daraufhin habe sie
die gesamte kaufmännische Leitung übernommen, auch Personalein- bzw. -ausstel-lungen. Sie habe ihre Tätigkeit
unter familienhafter Rücksichtnahme frei bestimmen können und sei weder an Zeit, Ort noch Art der Tätigkeit
gegenüber ihrem Mann gebunden gewesen. Der Ehemann der Klägerin und Beigeladene zu 1) bestätigte am
16.06.2005, seine Frau bzw. vormalige Lebensgefährtin habe in dem Familienunternehmen Motorrad A. auf Grund
ihrer Fachkompetenz und ihrer Verantwortung für den gesamten Verkaufsbereich seit 15.10.1981 eine mündliche
Handlungsvollmacht besessen, diese werde in der Praxis auch definitiv ausgeübt. Der Ehemann der Klägerin hat am
01.04.1981 einen Zweiradhandel mit Reparatur angemeldet. Die Klägerin und ihr Mann haben am 15.11.1989
geheiratet.
Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen
Angehörigen, eingegangen am 28.06.2005 bei der Beklagten, wird angegeben, es habe nur ein mündlicher
Arbeitsvertrag bestanden, ohne die Mitarbeit hätte eine andere Arbeitskraft eingestellt werden müssen, die Klägerin
sei nicht weisungsgebunden gewesen, sie habe besondere Fachkenntnisse. Die Mitarbeit sei durch familienhafte
Rücksichtnahme geprägt. Urlaubsanspruch und Entgeltfortzahlung wird bestätigt, ebenso regelmäßige Auszahlung
des Arbeitsentgelts, für das Lohnsteuer entrichtet und das als Betriebsausgabe abgebucht wurde. Ein Darlehen sei
gegeben worden, Unterlagen darüber seien aber nicht vorhanden.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 04.07.2005 ausgeführt, nach Würdigung und Abwägung aller bekannten Kriterien
sei das Arbeitsverhältnis der Klägerin als sozialversicherungspflichtig zu werten, es bestehe Versicherungspflicht.
Hiergegen richtet sich der vom Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 04.08.2005 eingelegte Widerspruch, den
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 zurückgewiesen hat. Die Firma A. habe die Klägerin als
sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zum 15.10.1981 angemeldet. Gesamtsozialversicherungsbeiträge seien
abgeführt und entsprechende Entgeltmeldungen abgegeben worden. Da die Klägerin nicht Mitinhaberin der Firma A.
sei, liege weder eine Mitunternehmerschaft vor noch werde ein Unternehmerrisiko getragen. Eine familienhafte Mithilfe
scheide aus, weil die Klägerin ein ortsübliches Gehalt beziehe und damit ein wesentliches Kriterium der
Arbeitnehmereigenschaft erfüllt sei. Der vom Arbeitgeber im Jahr 1981 durchgeführten versicherungsrechtlichen
Beurteilung werde im vorliegenden Fall höheres Gewicht beigemessen als der nunmehr vorgetragenen Schilderung
von abweichenden Verhältnissen. Es sei hierbei unerheblich, dass der Klägerin bei der Berufsausübung im
Wesentlichen freie Hand gelassen werde, die Abhängigkeit unter Familienangehörigen sei im Allgemeinen weniger
stark ausgeprägt als in Betrieben außerhalb eines Familienverbundes. Außerdem ersetze die Klägerin eine fremde
Arbeitskraft.
Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob mit Schreiben vom 13.12.2005 Klage zum Sozialgericht Regensburg, die
Klägerin und ihr Ehemann hätten bei der Anmeldung nicht gewusst, dass die Tätigkeit von Anfang an auch hätte als
selbständige gestaltet werden können. Auf die Richtigkeit der Anmeldung und der Beitragsentrichtung dürfe nicht
abgestellt werden. Im Ergebnis lägen die entscheidenden Voraussetzungen einer Beschäftigung im Sinne von § 7
SGB IV nicht vor. Vorgelegt wird ein Jahresabschluss bzw. der Auszug aus einem solchen, wonach ein Darlehen der
Ehefrau von 206.926,95 EUR besteht. Weitere Darlehensgewährungen lägen nicht vor.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.06.2006 erklärte die Klägerin, sie sei für den Ein- und Verkauf der Teile
zuständig sowie für die Organisation der zwölf Mitarbeiter. Kaufmännisches Personal stelle sie selbst ein, ihr
Ehemann stelle die Techniker ein. Kassentechnische Angelegenheiten würden durch sie vollzogen. Sie habe von
1991 bis 1993 sowie von 1996 bis 1997 die üblichen Mutterschaftsleistungen in Anspruch genommen, jedoch in dieser
Zeit weiterhin in der Firma gearbeitet. Sie bringe Teile des Arbeitsentgelts sowie sonstige angesparte Vermögenswerte
(Schenkungen der Eltern) wieder in die Firma ein. Über die Auswirkungen einer Insolvenz habe man sich keine
Gedanken gemacht, da das Geschäft gut dastehe, es sei im Bayerischen Wald Marktführer unter den
Motorradgeschäften. Bezüglich der Einlage sei im Fall der Scheidung keine Absprache getroffen. Für sie und ihre
Familie nehme sie zum Leben als Privatannahme den erforderlichen Betrag aus dem Firmenvermögen. Klägerin und
Beigeladene zu 1) erklären, sie hätten 1981 als Motorradbegeisterte den Betrieb in A-Stadt begründet, dabei hätten
beide Geldbeträge aufgenommen und eingebracht.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 13.06.2006 die Klage abgewiesen. Nach Gesamtabwägung der Umstände, die für
und wider ein Beschäftigungsverhältnis sprechen, komme die Kammer zur Auffassung, dass von einem
Beschäftigungsverhältnis nach wie vor aus-zugehen sei. Gegen ein Beschäftigungsverhältnis spreche der Umstand,
dass die Klägerin keinem Weisungsrecht des Beigeladenen zu 1) unterliege, sie manage den kaufmännischen Bereich
mit ihren acht Mitarbeitern allein und könne neue Mitarbeiter einstellen. Der fehlende Urlaubsanspruch spreche zudem
eher für eine selbständige Tätigkeit als für einen Beschäftigungsverhältnis. Die Klägerin habe auch mit einer Einlage
von 20.000,00 DM an der Gründung des Betriebs teilgenommen. Wenn zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen
zu 1) eine wie auch immer geartete Innengesellschaft bestehen würde, wäre ein Beschäftigungsverhältnis abzulehnen.
Solche Gesellschaftsformen lägen jedoch nicht vor. Ausschlaggebend sei das Unternehmerrisiko, das trage die
Klägerin nicht. Die Klägerin sei angemeldet worden, es sei unstreitig, dass familienhafte Mithilfe nicht vorliege. Das
Arbeitsverhältnis sei steuerrechtlich anerkannt. Die Klägerin habe ein Festgehalt bezogen. Lohnsteuer sei abgeführt
worden. Die Klägerin habe ihr Arbeitsentgelt auf ihr eigenes Konto erhalten. Die Aufteilung in Zuständigkeiten sei bei
Ehegattenarbeitsverhältnissen üblich. Bei solchen Verhältnissen stehe die Weisungsbefugnis nicht im Vordergrund,
das Verhältnis sei durch familienhafte Rücksichtnahme geprägt. Hätte der Beigeladene zu 1) eine
Mitunternehmerschaft seiner Ehefrau, der Klägerin gewollt, hätte er dies durch entsprechende Vertragsformen
erreichen können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 18.07.2006 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin, zu
deren Begründung der Bevollmächtigte ausführt, die Argumentationskette des Erstgerichts sei brüchig. Es sei
unzulässig, wenn das Sozialgericht auf Grund der Meldung zur Sozialversicherung von einem versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis ausgehe. Die von der Rechtsprechung geforderten materiellen Voraussetzungen für ein
abhängiges Beschäftigungsverhältnis lägen bei der Klägerin nicht vor. Die Klägerin sei nicht wie eine fremde
Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert gewesen. Das Unternehmen Motorrad A. habe von Beginn an ein
gemeinsames Projekt der Eheleute dargestellt. Die Klägerin habe auch Anfangskapital eingebracht, der Ehemann
habe sich um den technischen Bereich gekümmert, die Tätigkeit der Klägerin habe eigenverantwortlich die gesamte
kaufmännische und betriebsorganisatorische Unternehmensführung betroffen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag sei nicht
abgefasst worden. Die Klägerin sei nicht mit Fremdbeschäftigten vergleichbar, sie habe mittlerweile ca. 200.000,00
EUR ins Geschäft eingebracht. Ihre Interessen spiegelten punktgleich die unternehmerischen respektive
Betriebsinteressen wieder. Bloße formale Indizien, wie etwa die Entrichtung von Lohnsteuern und das Gehalt oder
dessen bisherige Verbuchung als Betriebsausgabe hätten eindeutig in den Hintergrund zu treten.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 13.06.2006 sowie den zugrunde liegenden
Bescheid der Beklagten vom 04.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 aufzuheben und
festzustellen, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Firma "Motorrad A." seit dem 15.10.1981 nicht
versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Klägerin nicht von einer hauptberuflichen
Selbständigkeit auszugehen sei. Wäre von Anfang an eine gemeinsame Unternehmensgründung verbunden mit einem
Unternehmerrisiko der Klägerin, von der Eheleuten ins Auge gefasst worden, stelle sich die Frage, aus welchen
Gründen der Beigeladene zu 1) am 01.05.1981 den Zweiradhandel mit einem beschäftigten Arbeitnehmer bei der Stadt
A-Stadt als Gewerbebehörde angemeldet hatte und dies in der Folgezeit nie revidiert wurde. Dass die Klägerin seit
15.10.1981 das Unternehmen kaufmännisch geleitet habe, sei schon nach ihrem eigenen Sachvortrag unrichtig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten
beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung nach § 144 SGG bedarf,
ist zulässig und teilweise begründet. Die Beklagte und das Sozialgericht gehen zutreffend davon aus, dass die
Tätigkeit der Klägerin nicht bereits seit 15.10.1981 selbständig tätig war. Dies ergibt sich eindeutig bereits aus den
eigenen Angaben der Klägerin. Sie hat angegeben, sie habe seit Oktober 1981 in der Firma ihres Mannes
mitgearbeitet. Diese Mitarbeit erfolgte überwiegend in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs.1 Satz 1 SGB IV. Danach ist
Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Abs.1 Satz 2 SGB IV
sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die
Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Hierzu hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR
31/06 R (http: // juris.bsge.de) unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung ausgeführt, dass eine Beschäftigung
voraussetze, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem
fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer,
Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine
selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen
Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete
Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab,
welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung, das sich nach den
tatsächlichen Verhältnissen bestimmt (BSG, a.a.O.). Ausgangspunkt ist zunächst das Vertragsverhältnis der
Beteiligten, wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung
erschließen lässt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag liegt nach Auskunft der Beteiligten nicht vor. Es wird jedoch
angegeben, es bestehe ein mündlicher Arbeitsvertrag, die Klägerin sei in den Betrieb eingegliedert gewesen und habe
eine andere Arbeitskraft ersetzt. Darüber hinaus war, wie für Arbeitnehmer typisch, ein Urlaubsanspruch vereinbart,
bei Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsentgelt fortgezahlt, das Arbeitsentgelt regelmäßig gezahlt. Schließlich wurde
Lohnsteuer entrichtet und das Arbeitsentgelt als Betriebsausgabe gebucht. Diese Angaben lassen keinen Schluss auf
eine selbständige Tätigkeit der Klägerin vom Beginn an zu. Wenn nun gleichzeitig angegeben wird, die Klägerin habe
seit Oktober 1981 die kaufmännische Leitung des Betriebs ausgeübt, Weisungsrecht habe dem Arbeitgeber nicht
zugestanden, sie habe außerdem ihre Tätigkeit frei bestimmen und gestalten können und bei der Führung des
Betriebs mitgewirkt, scheint dies zumindest ab Beginn der Tätigkeit nicht unbedingt überzeugend. Hinzu kommt, dass
zur Klagebegründung vorgetragen wurde, die Klägerin und ihr Ehemann hätten bei der Anmeldung nicht gewusst, dass
die Tätigkeit von Anfang an auch hätte als selbständig gestaltet werden können. Dies bedeutet doch, dass sie eben
nicht als selbständig gestaltet war und Beiträge damit zu Recht entrichtet wurden. Diese Umgestaltung ist erst für
einen späteren Zeitpunkt anzunehmen.
Der Senat übersieht nicht, dass die zu Beginn der Tätigkeit im Jahr 1981 zutreffende Beurteilung des
Beschäftigungsverhältnisses sich im Lauf der Zeit gewandelt haben könnte. Dies ist jedoch nach außen hin nicht
manifestiert worden. So hat die Klägerin im Antrag auf sozialversicherungsrechtliche Beurteilung vom 16.06.2005
keineswegs ausgeführt, sie übe eine selbständige Tätigkeit aus, sondern um sozialversicherungsrechtliche
Beurteilung ihrer Tätigkeit gebeten. Erst im Widerspruchsschreiben vom 04.08.2005 wird dann das Ergebnis der
Überprüfung des Klägerbevollmächtigten bekannt gegeben, nämlich dass die Klägerin einer versicherungs- und
beitragsfreien Tätigkeit nachgehe. Entsprechend hat der Senat festgestellt, dass seit August 2005 kein
sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mehr besteht.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem überwiegenden Unterliegen der Klägerin.
Gründe, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.