Urteil des LSG Bayern vom 19.05.2009

LSG Bayern: aufschiebende wirkung, rechtsgrundlage, hauptsache, rumänien, altersrente, obsiegen, verwaltungsakt, akte, rechtsschutz, form

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 19.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 17 R 77/09 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 20 R 340/09 B ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.03.2009 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, ob auf die dem Antragsteller (ASt) bewilligte
Rente eine fiktive rumänische Rente anzurechnen ist. Der ASt ist deutscher Staatsangehöriger und hat auch
rumänische Versicherungszeiten zurückgelegt, aus denen sich ein Anspruch auf eine rumänische Rente in Höhe von
23,60 EUR ergeben würde. Am 01.09.2008 beantragte er die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab
01.01.2009 und die Aufschiebung des Leistungsbeginns in Rumänien bezüglich der dort zurückgelegten
Versicherungszeiten. Mit Bescheid vom 21.11.2008 (Mitteilung über vorläufige Leistung) in der Gestalt des am
21.01.2009 abgesandten Widerspruchsbescheides bewilligte die Antragsgegnerin (Ag) die begehrte Altersrente ab
01.01.2009 in Höhe von 1.384,99 EUR brutto abzüglich der - fiktiven - Rente aus Rumänien in Höhe von 23,60 EUR;
die Nettorente betrug 1.223,20 EUR monatlich. Nach Art 2 und 31 Fremdrentengesetz (FRG) ruhe der Anspruch auf
die deutsche Rente in Höhe eines bestehenden Anspruchs auf eine rumänische Rente. Dagegen hat der ASt Klage
zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Am 30.01.2009 hat der ASt beim SG
einstweiligen Rechtsschutz dahingehend begehrt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Der Abzug einer
fiktiven rumänischen Rente sei nicht vorzunehmen, es fehle hierfür an einer Rechtsgrundlage. Er sei auf die
Altersrente zur Sicherung seines Lebensunterhaltes angewiesen. Mit Beschluss vom 16.03.2009 hat das SG den
Antrag abgelehnt. Einstweiliger Rechtsschutz sei in Form einer einstweiligen Anordnung zu gewähren, es handle sich
um eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Dabei seien die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens als
offen anzusehen. Einen Anordnungsgrund habe der ASt jedoch nicht vorgetragen, sein derzeitiges Renteneinkommen
liege trotz des Abzugs über dem eines Eckrentners und weit über dem eines Durchschnittsrentners. Eine
Existenzgefährdung sei nicht zu erkennen. Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht
(BayLSG) eingelegt. Die aufschiebende Wirkung der Klage sei anzuordnen, nicht aber eine einstweilige Anordnung zu
erlassen. Ein Anordnungsanspruch bestehe. Der Abzug entbehre jeglicher Rechtsgrundlage. Ein Anordnungsgrund
liege ebenfalls vor, das Erfüllungsinteresse des ASt überwiege. Die Ag könne eventuelle Überzahlungen durch spätere
Aufrechnung zurückerhalten. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte der Ag, die Akte des SG
Nürnberg S 17 R 78/09 und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht
begründet. Zu Recht hat das SG den Antrag abgelehnt. Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im
vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar. § 86b Abs 1 SGG kommt hingegen als Rechtsgrundlage nicht
in Betracht, denn die zutreffende Klageart ist vorliegend nicht lediglich eine Anfechtungsklage, sondern eine
Anfechtungs- und Leistungsklage. Die Rentenbewilligung enthält vorliegend keinen eigenen Verwaltungsakt
hinsichtlich des Ruhens der Rente (vgl. hierzu: BayLSG, Beschluss vom 19.08.2008 - L 6 B 523/08 R ER -, vom
23.12.2008 - L 1 B 802/08 R ER -, Beschluss vom 06.03.2009 - L 13 R 9/09 B ER -; Beschluss des Senats vom
05.02.2009 - L 20 B 1111/08 R ER -; anders bei allerdings nachträglichem Verwaltungsakt über das Ruhen: BayLSG,
Beschluss vom 02.07.2008 - L 14 B 469/08 R ER - sowie die vom ASt zitierte Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts). Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung
schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in
der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997
BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. Rdnr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren
stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920
Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b Rdnr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und
Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927,
NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache
erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der
Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem
Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den
Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer
Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom
12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 -1 BvR 2971/06 -).
In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und
Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die
Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom
12.05.2005 aaO). Dies zugrunde gelegt, ist vorliegend von offenen Erfolgsaussichten auszugehen. Hinsichtlich der
Frage der Rechtmäßigkeit der Anrechnung einer tatsächlich nicht bezogenen Rente aus Rumänien hat sich bislang
keine einheitliche Rechtsmeinung der Obergerichte gebildet, diese Rechtsfrage ist als streitig anzusehen (vgl.
Beschluss des Senats vom 05.02.2009 - L 20 B 1111/08 R ER - mwN). Es ist daher entscheidend auf den
Anordnungsgrund abzustellen. Dieser ist vom ASt in keiner Weise glaubhaft dargelegt worden, obwohl dieser Mangel
bereits im Beschluss des SG angesprochen worden ist. Bei einem Brutto-Rentenbetrag von 1.384,99 EUR handelt es
sich nicht um eine existenzsichernde Leistung, wenn dieser um 23,60 EUR gekürzt wurde. Es besteht also kein
Grund, weniger strenge Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen. Der ASt hat hinsichtlich des
Anordnungsgrundes lediglich angegeben, ein Betrag von 1.223,20 EUR stünde ihm zum Lebensunterhalt zur
Verfügung. Es könne nicht von ihm erwartet werden, diese Einschränkung des Lebensunterhaltes hinzunehmen.
Damit aber hat der ASt nicht glaubhaft dargelegt, dass die einstweilige Anordnung zur Abwendung eines wesentlichen
Nachteils erforderlich ist. Der tatsächlich ausgezahlte Rentenbetrag liegt weiter über dem für
Grundsicherungsempfänger vorgesehenen Regelsatz und über der tatsächlich gezahlten Durchschnittsrente. Welche
Ausgaben der ASt neben dem Lebensunterhalt noch zu tragen hat (Miete, Heizung etc.) hat er ebenso wenig dargelegt
wie seine - auch im Rahmen der Ehe - erzielten Einnehmen. Daher ist ein Nachteil des ASt, der durch die
Nachzahlung im Falle seines Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden könnte, für den Senat nicht
erkennbar. Hingegen wäre eine Rückzahlung überzahlter Leistungen bei einem Obsiegen der Ag dem ASt aber gerade
dann nicht möglich, wenn die Existenz des ASt durch den Abzug von 23,60 EUR monatlich gefährdet wäre. Im
vorliegenden Einzelfall ist deshalb insbesondere auch unter Berücksichtigung der Höhe des Abzugsbetrages im
Verhältnis zur tatsächlich ausgezahlten Rente ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft dargelegt. Nach alledem war die
Beschwerde zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).