Urteil des LSG Bayern vom 18.01.2006

LSG Bayern: stationäre behandlung, berufliche tätigkeit, unfallfolgen, psychiatrie, chirurg, neurologie, minderung, heilbehandlung, rente, reizung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.01.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 5 U 218/02
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 353/05
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 03.03.2004 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)um
30 v.H. zusteht.
Die 1968 geborene Klägerin stürzte am 29.01.1999 bei ihrer Tätigkeit als Köchin. Der Durchgangsarzt, der Chirurg
Prof. Dr. W. , diagnostizierte am gleichen Tag eine dislozierte mediale Schenkelhalsfraktur rechts. Noch am Unfalltag
wurde eine operative Reposition und Osteosynthese durchgeführt. Nach stationärer Behandlung bis zum 15.02.1999
im Krankenhaus St. J. in R. wurde die Klägerin im orthopädischen Rehabilitationszentrum R. bis zum 01.04.1999
weiter stationär behandelt. Zum Entlassungszeitpunkt gab die Klägerin an, bis auf leichte muskuläre Probleme
keinerlei Beschwerden am operierten Hüftgelenk zu haben. Die Ärzte erwarteten, sie könne ihre berufliche Tätigkeit in
acht bis zehn Wochen, also im Mai 1999, wieder aufnehmen. Wegen der Notwendigkeit, noch Unterarmgehstützen zu
benutzen, wurde eine Haushaltshilfe für vier Stunden täglich bis zum Erreichen der Vollbelastung ohne Gehhilfen
befürwortet. Der Chirurg Dr. D. vermutete im September 1999 eine Hüftkopfnekrose; diese Vermutung wurde durch
eine Skelettszintigraphie vom 08.09.1999 bestätigt.
Der Arbeitgeber kündigte der Klägerin zum 29.02.2000.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. berichtete am 20.09.2000, im Hinblick auf das pseudoradikuläre
Syndrom der rechten unteren Extremität unklarer Ätiologie sei differential-diagnostisch an eine psychosomatische
Reaktion bei depressiver Entwicklung zu denken.
Prof. Dr. N. erklärte im Schreiben vom 17.11.2000, die Beweglichkeit der Hüfte sei noch gut, Durchblutung, Motorik
und Sensibilität seien intakt. Die Röntgenbilder zeigten eine zusammengesinterte Kopfnekrose und sekundär
beginnende coxarthrotische Veränderungen. Empfohlen werde eine TEP-Implantation.
Der Chirurg Dr. S. äußerte im Bericht vom 21.11.2000, bei der Klägerin sei zwischenzeitlich ein Endzustand
eingetreten. Der zuletzt ausgeübte Beruf sei wettbewerbsfähig nicht mehr möglich. Die Klägerin sei darauf
hingewiesen worden, dass eine Arthrodese bzw. ein Hüftgelenksersatz erforderlich sei. Medizinisch könne die
Heilbehandlung im Prinzip abgeschlossen werden. Die MdE sei mit 20 v.H. einzuschätzen.
Dr. K. wies im Bericht vom 08.11.2000 darauf hin, es bestünde eine weiter zunehmende depressive Verstimmung. Die
Klägerin leide unter den posttraumatischen Schmerzen.
Im Gutachten vom 14.03.2001 führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. zusammenfassend aus, es
bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und den jetzigen Beschwerden (längerdauernde
depressive Reaktion, Reizung des Nervus saphenus rechts); Hinweise auf sonstige anlagebedingte krankhafte
Veränderungen hätten sich nicht gefunden. Das Unfallereignis sei eindeutig die Hauptursache für das Auftreten der
Gesundheitsschädigung. Die Reizung des Nervus saphenus führe zu keiner relevanten MdE. Die längerdauernde
depressive Reaktion sei mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Unter Berücksichtigung der chirurgischen
Unfallfolgen sei eine MdE von insgesamt 30 v.H. anzusetzen.
Im Schreiben vom 06.03.2001 erklärte Prof. Dr. W. , die Klägerin lehne einen Hüftgelenksersatz ab, sie komme
momentan gut zurecht. Die Heilbehandlung sei abgeschlossen. Die MdE betrage 20 bis 30 v.H.
Den Reha-Vorbereitungslehrgang, den sie am 02.05.2001 begonnen hatte, brach die Klägerin am 11.06.2001 ab. Sie
könne nicht längere Zeit sitzen.
Der Chirurg Prof. Dr. B. führte im Gutachten vom 15.10.2001 zusammenfassend aus, die Klägerin habe sich bei dem
Unfall eine mediale Oberschenkelhalsfraktur rechts mit posttraumatischem Absterben des Hüftkopfes zugezogen. Die
Beweglichkeit der Hüfte sei im Vergleich zur gesunden Seite eingeschränkt. Auch am linken Kniegelenk bestehe eine
leichte Einschränkung der Beweglichkeit. Die Fraktur sei knöchern stabil verheilt. Es sei jedoch zu einer
Hüftkopfnekrose gekommen. Die MdE betrage bis zum 30.09.2002 30 v.H., dann solle eine Nachuntersuchung
erfolgen.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 15.01.2002 Rente auf unbestimmte Zeit in Höhe von 30 v.H. ab
01.08.2001. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurden anerkannt: knöchern stabil verheilter medialer Bruch des rechten
Oberschenkelhalses mit einer Stauchung bzw. Deformierung des rechten Hüftkopfes und Verkürzung des rechten
Schenkelhalses, Nekrose am rechten Hüftkopf, reizlose, ca. 10 cm lange und bis auf 0,5 cm verbreiterte
Operationsnarbe am körpernahen rechten Oberschenkel, Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk, minimale
Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk, geringe Muskelminderung am rechten Oberschenkel, Minderung der
groben Kraft im rechten Bein, durch Sohlenerhöhungen kompensierte Verkürzung des rechten Beines um 1 cm. Nicht
als Unfallfolgen wurden anerkannt mäßige Senk-Spreizfüße beidseits, mäßige Krampfadern in beiden Beinen,
Übergewicht.
Den Widerspruch der Klägerin vom 18.01.2002 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2002 zurück.
Mit der Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) hat die Klägerin die Gewährung einer höheren Rente begehrt.
Im Befundbericht vom 13.08.2003 hat Dr. K. ausgeführt, die Klägerin sei seit dem Unfall arbeitsunfähig. Hinsichtlich
der körperlichen Befunde habe sich keine Veränderung ergeben, hinsichtlich der psychischen Befunde eher eine
Verschlechterung. Er hat einen Bericht der psychosomatischen Klinik L. über die stationäre Behandlung vom
08.10.2002 bis 19.11.2002 übersandt. Der Orthopäde Dr. R. hat im Befundbericht vom 14.08.2003 erklärte, die
Beschwerden hätten im Laufe der letzten zwei Jahre eher zugenommen.
Nach Beiziehung von ärztlichen Unterlagen des Orthopäden Dr. H. und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.
K. hat das SG den Chirurgen Dr. K. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Im Gutachten vom 18.05.2003 hat Dr.
K. zusammenfassend ausgeführt, die MdE sei ab dem Wegfall des Verletztengeldes, 31.07.2001, mit 30 v.H.
einzuschätzen. Ohne weitere operative Maßnahmen werde es mittel- bis langfristig zu einer Verschlimmerung
kommen. Zum 31.07.2001 sei ein Endzustand erreicht gewesen. Es hätten Schmerzen bestanden, auch eine
Einschränkung der Beweglichkeit; die Beinverkürzung habe durch Schuhsohlenerhöhung ausgeglichen werden
können. Leichtere Arbeiten hätten bei einer positiven Einstellung und Mitwirkung der Klägerin durchaus ausgeübt
werden können. Mindestens ab Dezember 1999 sei die Klägerin auf keinerlei Hilfsmittel, Krücken, Stützen und
dergleichen angewiesen gewesen. Schmerzen und Bewegungseinschränkungen lägen seitdem noch im mäßigen
Bereich.
Der vom SG zum weiteren ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. hat im
Gutachten vom 10.10.2003 zusammenfassend ausgeführt, es sei fraglich, ob die psychischen Störungen als
Unfallfolgen zu werten seien. Psychische Begleitreaktionen seien abhängig von den charakterlichen
Primärgegebenheiten. Die Bemessung der Unfallfolgen müsse sich auf die chirurgischen Verletzungsfolgen selbst
beschränken; dabei werde sowohl die mit Verletzungsfolgen verbundene Behinderung als auch die
Schmerzsymptomatik berücksichtigt. Sonstige psychodynamische Prozesse, die ihre Ursache mehr in der
Primärpersönlichkeit und den Lebensumständen hätten und nicht in der Verletzung selbst, könnten nicht als objektive
Unfallfolgen angesehen werden.
Die Klägerin hat ein Attest des Dr. K. vom 28.11.2003 übergeben: sie leide weiterhin unter den bekannten psychisch
und physisch belastenden traumatischen Folgezuständen, also unter Einschränkungen, die eine zusätzliche MdE
bedingten.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.03.2004 abgewiesen. Wie sich aus dem Gutachten des Dr. K.
ergebe, bedingten die durch den Unfall hervorgerufenen Folgen ab 01.08.2001 eine MdE um 30 v.H ... Trotz der
Entwicklung der Hüftkopfnekrose und des verzögerten Heilungsverlaufs sei eine höhere MdE nicht gegeben. Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit werde i.d.R. bei einer Hüftverletzung mit "deutlicher Verschmälerung des
Gelenkspalts, Randwulstbildungen am Oberschenkelkopf, Bewegungseinschränkung um die Hälfte, Muskelminderung
des Beines mehr als 3 cm, Gangbehinderung und Verkürzung des Beines um 1 bis 1,5 cm" mit 30 v.H. eingeschätzt
(vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 659). Aus den ärztlichen
Unterlagen und Gutachten ergebe sich, dass bei der Klägerin eine Bewegungseinschränkung um maximal knapp die
Hälfte, eine Muskelminderung von weniger als 3 cm und eine Beinlängendifferenz von 2 cm vorliege. Insofern sei eine
höhere MdE als 30 v.H. nicht zu begründen. Zukünftige Verschlechterungen, die Dr. K. für möglich halte, seien
gegenwärtig nicht zu berücksichtigen. Dr. G. habe im Übrigen überzeugend festgestellt, dass kein unfallbedingtes
Krankheitsbild vorliege, sondern dass es sich um eine typische psychische Begleitreaktion handle, die von der
charakterlichen Primärpersönlichkeit abhängig sei. Eine MdE auf neurolgisch-psychiatrischem Fachgebiet sei daher
nicht gegeben.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung vertritt die Klägerin die Auffassung, dass ihr aufgrund der Unfallfolgen eine
höhere MdE zu gewähren sei.
Die Klägerin stellt sinngemäß den Antrag, den Gerichtsbescheid vom 03.03.2004 aufzuheben und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 15.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2002 zu verurteilen,
ihr Verletztenrente nach einer MdE von mehr als 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und
Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Entscheidung der Beklagten, die Gewährung einer höheren Verletztenrente
abzulehnen für rechtens erklärt. Ein begründeter Anspruch der Klägerin auf die Gewährung dieser Leistung gemäß §§
8, 56 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) besteht insbesondere im Hinblick auf die vorliegenden
ärztlichen Unterlagen und Gutachten nicht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen,
da die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidungen als unbegründet zurückgewiesen wird. (§ 153
Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.