Urteil des LSG Bayern vom 28.10.2004

LSG Bayern: grobe fahrlässigkeit, arbeitsamt, australien, verwaltungsakt, verfügung, merkblatt, arbeitslosigkeit, briefpost, anschrift, erlass

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.10.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 8 AL 165/02
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 313/03
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.07.2003 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
In Streit steht die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 18.08.2000 bis 11.12.2000 und die
Erstattung von Alhi in Höhe von 4.863,88 DM sowie von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von
insgesamt 1.436,51 DM.
Die 1974 geborene Klägerin beantragte nach dem Bezug von Arbeitslosengeld am 15.12.1999 die Gewährung von
Alhi. Auf ihrem Antrag bestätigte sie unterschriftlich, dass sie das Merkblatt für Arbeitslose (Ihre Rechte - Ihre
Pflichten) erhalten und davon Kenntnis genommen habe. Die Beklagte bewilligte ihr Alhi ab dem 18.12.1999 bis zum
17.12.2000.
Am 06.07.2001 erhielt die Beklagte die Mitteilung darüber, dass sich die Klägerin vom 16.08.2000 bis 08.11.2000 in
Australien aufgehalten habe. Zuvor hatte sich die Klägerin Anfang Juli 2000 gegenüber der Beklagten dahin geäußert,
für sechs Monate in das Ausland verziehen zu wollen (Beratungsvermerk vom 06.07.2000). Bei der persönlichen
Vorsprache am 14.08.2000 wies die Klägerin darauf hin, dass keine Veränderungen eingetreten seien. Im
Beratungsvermerk zu dieser Vorsprache wird weiter ausgeführt: Beratungspflicht 14.02.2001. Am 09.11.2000 gab sie
gegenüber der Beklagten fernmündlich an, dass sich der vorgesehene Auslandsaufenthalt in Australien aus
persönlichen Gründen zerschlagen habe.
Die Klägerin erschien am 31.07.2001 bei der Beklagten. Sie teilte mit, dass sie sich in der Zeit vom 18.08.2000 bis
07.11.2000 in Australien befunden habe. Dies habe sie nicht angezeigt. Sie habe es vergessen, da auf Grund der
geplanten Übersiedlung nach Australien viele Angelegenheiten zu erledigen gewesen seien.
Mit Bescheid vom 04.10.2001 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.03.2002 hob die Beklagte die
Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 18.08.2000 bis 11.12.2000 auf. Die Klägerin habe sich in der Zeit vom
18.08.2000 bis 07.11.2000 im Ausland aufgehalten und daher den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes nicht
zur Verfügung gestanden. Der Aufenthalt habe länger als sechs Wochen gedauert, so dass die Wirkung der
Arbeitslosmeldung erloschen sei. Der Alhi-Anspruch entfalle für die Zeit bis zum 11.12.2000, da die Klägerin erst am
12.12.2000 erneut persönlich vorgesprochen und die Weiterbewilligung der Alhi beantragt habe. Die eingetretene
Überzahlung der Alhi in Höhe von 4.863,88 DM und die für den genannten Zeitraum von der Beklagten gezahlten
Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.436,51 DM habe die Klägerin zu erstatten.
Den ohne Begründung eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom
25.03.2002 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 29.04.2002 ohne Begründung Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben, die das
SG mit Gerichtsbescheid 04.07.2003 abgewiesen hat. Die Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden, da
die Klägerin grob fahrlässig ihre Mitteilungspflicht zur Anzeige ihres Auslandsaufenthaltes und zur Abmeldung aus
dem Leistungsbezug für die Dauer ihres Auslandsaufenthaltes verletzt habe.
Dagegen hat die Klägerin am 11.08.2003 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Sie habe sich vor dem
12.12.2000 beim Arbeitsamt gemeldet. Am 14.11.2000 habe sie sich in das Arbeitsamt begeben, um ihrer
Meldepflicht nachzukommen. Dies könne sie aus einem Meldezettel schließen, aus dem ersichtlich sei, dass sie sich
bis zum 14.02.2001 wieder beim Arbeitsamt vorzustellen habe.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.07.2003 und den Bescheid der
Beklagten vom 04.10.2001 in der Fassung des Bescheides vom 18.03.2002 sowie in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25.03.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren und auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen
Gerichtsbescheides.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht
begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 04.10.2001 in der Fassung des
Bescheides vom 18.03.2002 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2002 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 18.08.2000 bis 11.12.2000 ist § 48 Abs 1
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach dieser Bestimmung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit
in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche
Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse unter anderem aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch
Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse
vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Satz 2 Nr 2).
Bei der Bewilligung von Alhi handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die erforderliche wesentliche
Änderung in den Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist darin zu sehen, dass die Klägerin ab dem
18.08.2000 bis zum 07.11.2000 der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stand und sie daher keinen Anspruch auf
Alhi hatte. Wesentlich ist nämlich jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund und Höhe der
bewilligten Leistung auswirkt.
Anspruch auf Alhi hat nur, wer u.a. arbeitslos ist (§§ 190 Abs 1 Nr 1, 198 Satz 2 Nr 1, 117 Abs 1 Nr 1, 118 Drittes
Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -). Zu den Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit zählt nach § 118 Abs 1 Nr 2 SGB
III die Beschäftigungssuche. Nach § 119 Abs 1 SGB III sucht eine Beschäftigung, wer alle Möglichkeiten nutzt und
nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Nr 1) und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes
zur Verfügung steht (Nr 2). Merkmale der Verfügbarkeit sind die Arbeitsfähigkeit und die ihr entsprechende
Arbeitsbereitschaft (§ 119 Abs 2 SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser u.a. dann, wenn er Vorschlägen des
Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 Abs 3 Nr 3 SGB III);
hierzu hat der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit (BA) auf Grund der Ermächtigung in § 152 Nr 2 SGB III
näheres in der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1685) bestimmt. Nach § 1 Abs 1 Satz 1
EAO muss der Arbeitslose u.a. in der Lage sein, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis
zu nehmen, um mit einem möglichen Arbeitgeber oder Maßnahmeträger in Verbindung zu treten. Deshalb hat er nach
§ 1 Abs 1 Satz 2 EAO sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.
Die Klägerin hat bei der persönlichen Vorsprache bei der Beklagten am 31.07.2001 erklärt, dass sie sich in der Zeit
vom 18.08.2000 bis zum 07.11.2000 in Australien aufgehalten habe. Die Beklagte ist daher zutreffend davon
ausgegangen, dass die Klägerin in dieser Zeit nicht an ihrem Wohnsitz unter der von ihr benannten Anschrift durch
Briefpost erreichbar und somit in dieser Zeit nicht mehr arbeitsfähig im Sine des § 118 SGB III war und keinen
Anspruch auf Alhi mehr hatte.
Diese wesentliche Änderung hat die Klägerin dem Arbeitsamt zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilt. Zur Mitteilung
wäre sie gem § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet gewesen. Hierauf wurde sie
im Merkblatt für Arbeitslose (Ihre Rechte - Ihre Pflichten) hingewiesen (ua S 62, Stand April 1999). Bei der
Antragstellung am 15.12.1999 hat sie durch eigenhändige Unterschrift bestätigt, das Merkblatt erhalten sowie von
seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Die Nichtbeachtung des nachweislich ausgehändigten Merkblattes
begründet grobe Fahrlässigkeit, denn dieses ist so abgefasst, dass die Klägerin den Inhalt verstehen konnte (vgl.
Wiesner in: von Wulffen, SGB X, § 45 RdNr 24).
Die Beklagte war zur Rücknahme der Alhi-Bewilligung auch für die Zeit vom 08.11.2000 bis zur erneuten persönlichen
Vorsprache am 12.12.2000 berechtigt. Dies ergibt sich aus § 117 Abs 1 Nr 2 iVm § 122 Abs 2 Nr 1 SGB III. Nach §
122 Abs 2 Nr 1 SGB III erlischt die Wirkung der Arbeitslosmeldung bei einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung
der Arbeitslosigkeit. Die persönliche Arbeitslosmeldung des Versicherten ist jedoch materielle
Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Alhi (§ 190 Abs 1 Nr 2 SGB III).
Von einer vorhergehenden Arbeitslosmeldung am 09.11.2000 oder 14.11.2000 ist nicht auszugehen. Am 09.11.2000
hat sich die Klägerin nur fernmündlich bei der Beklagten gemeldet. Der Arbeitslose hat sich jedoch persönlich
arbeitslos zu melden (§ 122 Abs 1 Satz 1 SGB III), also im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Arbeitsamt.
Für eine Meldung am 14.11.2000 spricht nicht der von der Klägerin vorgelegte Meldezettel, nach dem sie sich bis
spätestens 14.02.2001 bei der Beklagten vorzustellen habe. Zwar löst die persönliche Meldung eines Arbeitslosen,
der der Aufforderung des Arbeitsamtes zur Meldung in regelmäßigen Abständen nachkommt, die Wirkung einer
Arbeitslosmeldung aus (BSG SozR 3-4100 § 105 Nr 2). Allerdings findet sich für eine Meldung am 14.11.2000 kein
Anhalt in den Akten der Beklagten. Dagegen ist aus dem Beratungsvermerk über die persönliche Vorsprache der
Klägerin am 14.08.2000 ersichtlich, dass die Klägerin auf ihre Beratungspflicht bis 14.02.2001 hingewiesen wurde. Es
liegt daher nahe, dass der Meldezettel am 14.08.2000 ausgegeben wurde. Die Annahme der Klägerin, das Datum
14.11.2000 erschließe sich aus einer Rückrechnung über einen Drei-Monats-Zeitraum ist auch nicht zwingend, da
entgegen der früheren Rechtslage keine regelmäßige Meldepflicht mehr besteht. Die vom Gesetzgeber in § 122 Abs 2
Nr 3 SGB III zunächst eingeführte Verpflichtung zur Meldung in Abständen, die drei Monate nicht übersteigen sollten,
hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 01.08.1999 aufgehoben. Nunmehr ergeht die Meldeaufforderung nach § 309 SGB
III, wobei die Fristsetzung im Ermessen der Beklagten steht.
Gemäß § 330 Abs 3 SGB III hatte die Beklagte eine gebundene Entscheidung zu treffen, so dass sie kein Ermessen
auszuüben hatte.
Die Erstattungsforderung hinsichtlich der überzahlten Alhi beruht auf § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Pflicht zur
Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ergibt sich aus § 335 Abs 1 und 5 SGB III.
Nach alledem ist die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).