Urteil des LSG Bayern vom 11.04.2008

LSG Bayern: anspruch auf rechtliches gehör, untersuchungshaft, öffentlich, vormerkung, akte, rüge, rechtsschutz, form, fluchtgefahr, zustellung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.04.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 48 AS 1542/07 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 16 B 236/08 AS ER C
I. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss vom 27.02.2008 wird zurückgewiesen. II. Der Antrag vom
10.03.2008 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt. III.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger, der sich vom 16.09.2007 bis 02.11.2007 und seit 28.12.2007 in Untersuchungshaft befindet, begehrte von
der Beklagten im Beschwerdeverfahren die Gewährung von vorläufigen Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) über den 31.10.2007 hinaus.
Das Sozialgericht hatte die Beklagte mit Beschluss vom 13.09.2007 verpflichtet, dem Kläger vorläufig ab 03.08.2007
bis 31.10.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die dagegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 27.02.2008 zurück, weil der Kläger als
Vollzugsinsasse keinen Anordnungsgrund und für die Zeit ab der Zustellung der Beschwerdeentscheidung
(06.03.2008) nach § 7 Abs.4 Satz 2 SGB II auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe.
Mit Schreiben vom 08.03.2008, eingegangen beim Bayerischen Landessozialgericht am 12.03.2008, macht der Kläger
eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und eine Überraschungsentscheidung des Senats in dem
Verfahren L 16 B 1138/07 AS ER geltend, weil er wegen der Untersuchungshaft und der Überlastung durch
strafrechtliche Verfahren seine Beschwerde nicht habe begründen können. Trotz seines Antrags auf Ruhen des
Verfahrens sei das Beschwerdeverfahren ohne Mitteilung des Senats fortgeführt worden. Auf Grund seiner fehlenden
Begründung sei dem Senat sein Rechtsschutzziel nicht bekannt gewesen. Ihm sei in unzulässiger Weise die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins verwehrt worden. Er habe auch während
der Zeit der Untersuchungshaft einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II; die Vorschrift des § 7 Abs.4 SGB II sei
sozialpolitisch verfehlt. Ferner habe ihm die Beklagte Leistungen für seinen Mehrbedarf (Nahrungsmittel, Kühlschrank,
Laptop, Bücher etc.) zu erbringen. Die Beklagte müsse ihm die Lagerungskosten des Räumungsgutes sowie die
Beiträge für eine Krankenversicherung zahlen. Schließlich müsse sie ihm einen Bescheid über die Bewilligung von
Arbeitslosengeld II erteilen. Diesen Bescheid benötige er dringend als Einkommensnachweis zur Vormerkung für
öffentlich geförderte Wohnungen. Denn eine dauerhafte Unterkunft sei zur Abwehr von Haftbefehlen wegen
Fluchtgefahr erforderlich.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der beigezogenen Gerichtsakten
beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Da der Kläger geltend macht, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, ist sein Schreiben vom 08.03.2008,
ergänzt durch zahlreiche weitere Schreiben vom März 2008, als Anhörungsrüge nach § 178 a Sozialgerichtsgesetz
(SGG) auszulegen. Die von ihm form- und fristgerecht eingelegte statthafte Anhörungsrüge (§ 178 a Abs. 1 und 2
SGG) ist zulässig. Sie ist in der Sache aber als unbegründet zurückzuweisen, weil der Senat den Anspruch des
Klägers auf rechtliches Gehör im Beschwerdeverfahren nicht in entscheidungserhebliche Weise verletzt hat.
Nach § 178 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten
Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in
entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Entscheidungserheblich ist ein Verstoß, wenn die Entscheidung darauf
beruhen kann, d.h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne den Verstoß gegen das
rechtliche Gehör zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (Begr. BT-Drucks 15/3706 zu § 321 a ZPO; Meyer-
Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 178 a Rdnr. 4).
Zum einen ist das rechtliche Gehör des Klägers im Beschwerdeverfahren nicht dadurch verletzt worden, dass das
Eilverfahren trotz des Ruhensantrags des Klägers in der Sache entschieden worden ist. Denn Aufgabe des
einstweiligen Rechtsschutzes ist es, dem Kläger effektiven und so schnellen Rechtsschutz zu gewähren. Der Senat
war daher gehalten, eine alsbaldige Entscheidung zu treffen. Dem Ruhensantrag des Klägers, der mit dem Zweck
eines Eilverfahrens unvereinbar ist, war daher nicht stattzugeben. Auch kann die Beschwerdeentscheidung im
Eilverfahren ohne mündliche Verhandlung oder Erörterungstermin ergehen. Entgegen der Ansicht des Klägers waren
dem Senat aus der beigezogenen Akte der Beklagten und des Sozialgerichts dessen Begehren sowie die hierfür von
ihm vorgetragenen Gründe bekannt.
Zum anderen wäre der Senat im Beschwerdeverfahren selbst unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in
diesem Verfahren zu keiner anderen Entscheidung gelangt. Denn die Zurückweisung der Beschwerde in der Sache
beruhte auf dem fehlenden Anordnungsgrund (keine besondere Eilbedürftigkeit für die Anordnung einstweiliger
Maßnahmen) und für die Zeit ab der Untersuchungshaft auch auf dem fehlenden Anordnungsanspruch (§ 7 Abs.4 Satz
2 SGB II). Auf die Gründe im Beschluss vom 27.02.2008 wird insoweit verwiesen.
Soweit der Kläger die Erforderlichkeit eines Leistungsbescheides der Beklagten zwecks Vormerkung für öffentlich
geförderte Wohnungen geltend macht, ist er auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens zu verweisen. Für die
vom Kläger als Vollzugsinsasse geltend gemachten Aufwendungen und begehrten Leistungen ist nicht die Beklagte,
sondern der örtlich zuständige Sozialhilfeträger nach dem SGB XII zuständig; Abschriften der Schreiben des Klägers
wurden daher an den zuständigen Sozialhilfeträger zur Bearbeitung weitergeleitet.
Auch der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts war
abzulehnen, weil seine Anhörungsrüge aus o.g. Gründen bereits keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Die Kostenentscheidung beruht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG auf der Erwägung, dass die
Anhörungsrüge keinen Erfolg hatte.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.