Urteil des LSG Bayern vom 24.04.2007

LSG Bayern: unternehmen, gemeinschaftsrecht, kommission, unternehmer, rechtsstaatsprinzip, eugh, arbeitsentgelt, lastenverteilung, sozialversicherung, fürsorgepflicht

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.04.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 11 U 304/03
Bayerisches Landessozialgericht L 17 U 448/04
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.09.2004 wird zurückgewiesen. II.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. III. Der Streitwert wird auf 6.613,57 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erhebung des Anteils der Insolvenzgeldumlage (InsG-Umlage) für das Jahr 2002
streitig.
Die Klägerin betreibt ein Treuhand- und Steuerberatungsunternehmen. Sie ist als Mitglied der Beklagten in das
Unternehmerverzeichnis seit 1982 eingetragen.
Die Beklagte forderte von ihr mit Bescheid vom 23.04.2003 einen Beitrag für das Haushaltsjahr 2002 in Höhe von
3.210,36 EUR, eine Umlage für die Ausgleichslast in Höhe von 1.295,65 EUR sowie eine InsG-Umlage in Höhe von
6.613,57 EUR. Die Berechnungsformel für den Beitrag zur InsG-Umlage war als Anlage beigefügt.
Im Widerspruchsverfahren führte die Klägerin aus, dass die InsG-Umlage nunmehr das Fünffache des
Versicherungsbetrages umfasse. Dies entspreche weder einer gerechten Lastenverteilung noch einer aufgrund des
Solidaritätsprinzips zumutbaren Belastung. Die geltende Umlageregelung verstoße gegen Artikel 3 Abs 1 Grundgesetz
(GG). Es sei nämlich keine Differenzierung dahingehend erfolgt, ob in den betroffenen Wirtschaftszweigen die Anzahl
der Insolvenzen höher sei als in den anderen. Zudem differiere die Höhe des Beitragsfußes je nach
Berufsgenossenschaft - unabhängig davon, ob dortige Wirtschaftszweige in höherem Ausmaße von Insolvenzen
betroffen seien. Diese Verhaltensweise werde auch nicht durch die europäische Richtlinie 80/987 EG-Vertrag (EGV)
des Rates vom 20.10.1980 gerechtfertigt. Außerdem stehe die jetzige Umlageregelung im Widerspruch zu dem aus
dem Rechtsstaatprinzip abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Überlegung, dass die Arbeitnehmer eines
besonderen Schutzes bedürften, da sie in der Regel vorleistungspflichtig seien und somit ein hohes Risiko eingingen,
mit ihrem Anspruch auf Arbeitsentgelt auszufallen, könne keinesfalls rechtfertigen, dass eine Umlage für die
Lohnfortzahlung für die Dauer von drei Monaten getragen werden müsse. Dabei müssten die jeweiligen Unternehmen
für diese Dauer zu 100 % des Nettogehaltes des Arbeitnehmers eines Konkurrenten aufkommen, mit dem sie in
keinerlei Vertragsverhältnis stünden. Weiter liege ein Verstoß gegen Artikel 87 Abs 1 des EG-Vertrages n.F. vor. Die
Zahlung des InsG stelle eine verbotene Beihilfe im Sinne dieser Regelung dar, da sie regelmäßig in das
Sanierungskonzept für wirtschaftlich geförderte Unternehmen einbezogen werde. Weiter sei ein Verstoß gegen Artikel
2 Abs 1 GG und die hierdurch gewährleistete wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gegeben.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2003 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde
angeführt, dass die Beklagte nach §§ 359 Abs 1, 360 Abs 2 SGB III die Mittel für das von der Bundesanstalt für
Arbeit gezahlte InsG (§§ 183 ff SGB III) einschl. der Verwaltungskosten oder sonstigen Kosten, die mit der
Gewährung des InsG zusammenhingen, aufzubringen hätte. Grundlage für die Umlage sei das Gesetz über das
Konkursausfallsgeld von 1974. Die Klägerin sei nicht von der Zahlung des Anteils an der InsG-Umlage befreit (§ 359
Abs 2 Satz 2 SGB III). Die Höhe der Umlage könne von dem Unfallversicherungsträger nicht beeinflusst werden.
Hierfür seien die konjunkturelle Entwicklung und die damit gesetzlich verankerten Pflichten der Bundesanstalt für
Arbeit ausschlaggebend. Das die Insolvenzen im Vorjahr um über 71 % gestiegen seien und damit auch die Anzahl
von InsG-Zahlungen, habe sich der Beitragssatz gravierend erhöht. Bei der Beklagten sei die Erhöhung außerdem
deswegen höher ausgefallen, da sie ihren Beitrag nur einmal jährlich nachträglich erhebe und entgegen den
prognostizierten Erwartungen eine konjunkturelle Besserung nicht eingetreten sei. Dadurch habe es vom 31.12.2002
an eine Finanzierungslücke gegeben. Dieser Fehlbetrag habe nun nachträglich gedeckt werden müssen. Zudem sei
auch Vorsorge für die erste Abschlagszahlung im ersten Quartal des Folgejahres zu treffen. Ein Verstoß gegen Artikel
3 Abs 1 GG sei nicht ersichtlich. Differenzierungen seien zulässig, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt
seien.
Zudem seien die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung keine Unternehmen im Sinne des europäischen
Wettbewerbes (siehe Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Sache INAIL ). Auch könne die InsG-Umlage bzw.
die Geltendmachung des Anteils hierzu nicht verfassungswidrig sein. Verfassungsmäßiger Prüfgegenstand sei allein
die umlagepflichtbegründende Vorschrift des § 359 Abs 1, 2 SGB III iVm der die Umlageverteilung regelnden Norm
des § 360 Abs 1 SGB III. Diese Regelungen seien mit dem GG vereinbar. Dadurch habe der Gesetzgeber seinen
Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Auch sei das Willkürverbot nicht verletzt worden, da eine Unsachlichkeit
der Differenzierung nicht evident sei. Der Anteil an der InsG-Umlage sei somit rechtmäßig erhoben worden.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, die Beklagte
zu verpflichten, die InsG-Umlage in Höhe von 6.613,57 EUR zurückzuerstatten.
Mit Urteil vom 08.09.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Bescheide der Beklagten seien
rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Aufhebung der Bescheide hinsichtlich der Erhebung des Anteils
an der InsG-Umlage. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Umlage für das InsG seien die §§ 358 ff SGB III. Danach
erstatten die Unfallversicherungsträger der Bundesanstalt für Arbeit die Aufwendungen für das InsG jeweils bis zum
30. Juni des nachfolgenden Jahres. Die dafür benötigten Mittel werden nach § 359 Abs 1 SGB III durch eine Umlage
der Unternehmer aufgebracht. Der eingezogene Betrag werde an die Bundesanstalt für Arbeit überwiesen. Als
Verteilungsmaßstab sei das bei den Berufsgenossenschaften nachgewiesene Jahresarbeitsentgelt anzusetzen. Die
Erhebung der InsG-Umlage nach dem SGB III entspreche inhaltlich den alten Vorschriften über das
Konkursausfallsgeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Aus diesem Grunde bestehe kein Anlass, von der bisherigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den §§ 186b und
c AFG abzuweichen. Bereits mit Urteil vom 01.03.1978 habe das BSG darauf hingewiesen, dass die Entscheidung
des Gesetzgebers, die Konkursausfallsgeldumlage sei allein von den Unternehmen zu finanzieren, die Arbeitskräfte
beschäftigen, durch sachlich vertretbare Gründe gestützt werde. Sie verstoße insoweit nicht gegen Artikel 3 GG. Von
Bedeutung sei dabei auch die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf, wonach wegen der
Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers ohne Sicherheitsleistung durch den Arbeitgeber mit der
Konkursausfallversicherung die fehlende Sicherung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt geschaffen werde. Es sei daher
angemessen, die Kosten für diese Sicherung von der Gesamtheit der Arbeitgeber tragen zu lassen. Somit bestehe
eine Fürsorgepflicht der Arbeitgeber. Zudem sei nach dem BSG die gleichmäßige Verteilung der Lasten auf alle
Unternehmer nach dem Verhältnis der Lohnsumme sachgerecht und mit Artikel 3 Abs 1 GG zu vereinbaren. Die
Lastenverteilung entspreche nämlich dem die gesamte Sozialversicherung beherrschenden Solidaritätsprinzip, gegen
das versicherungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben seien. Willkür und Verfassungswidrigkeit lägen nur dann vor,
wenn sich für die Gleich- oder Ungleichbehandlung aus dem Differenzierungsziel kein sachlich einleuchtender Grund
herleiten lasse.
Von den Regelungen der §§ 358 ff SGB III seien alle deutschen Unternehmen, die Versicherte beschäftigen,
betroffen. Damit ergebe sich auch keine Ungleichbehandlung der Klägerin mit anderen Unternehmen. Zudem habe das
BSG in seinem Urteil vom 21.10.1999 (SozR 3-4100, § 186b Nr 1) ausgeführt, dass eine nach Wirtschaftszweigen
gesonderte Feststellung des Finanzbedarfs nicht praktikabel sei. Es liege daher kein Verstoß gegen die
Rechtsetzungsgleichheit vor. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich im Wirtschaftsbereich der Klägerin weniger
Insolvenzfälle ereignen würden als in anderen Zweigen. Zudem sei kein wesentlicher Unterschied der Beitragsgröße
für die InsG-Umlage bei den verschiedenen Berufsgenossenschaften ersichtlich. Auch die bei der Beklagten gebildete
Betriebsmittelstockbildung habe keinen Einfluss auf die InsG-Umlage bei anderen Berufsgenossenschaften. Ebenfalls
liege kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Abs 3 GG vor, weil die Erstattung von Lohn im
Rahmen der InsG-Umlage für die Dauer von drei Monaten nach dem § 358 ff erfolge. Artikel 4 Abs 3 der Richtlinie
80/987 EG-Vertrag gebe nämlich einen InsG-Zeitraum von grundsätzlich mindest drei Monaten vor. Wegen dieser EG-
rechtlichen Vorgabe sei eine verfassungsrechtliche Prüfung ausgeschlossen. Weiter werde Artikel 2 Abs 1 GG, der
die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit schütze, nicht tangiert. Sie sei aber nur dann verfassungsrechtlich
gewährleistet, soweit sie nicht Rechte anderer verletze und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das
Sittengesetz verstoße. Dies habe das BVerfG jedoch bereits im Verhältnis der Konkursausfallgeldumlage und
Lohnsumme im Rahmen der Prüfung des Artikels 14 GG geprüft (BVerfG SozR 4100 § 186 EuGHE Nr 2).
Die Rüge der Klägerin, die Erhebung der InsG-Umlage stelle eine mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbarende
unzulässige Beihilfemaßnahme dar, könne von mitgliedstaatlichen Gerichten nicht weiter verfolgt werden. Insoweit
liege eine solche Prüfung ausschließlich in der Zuständigkeit der Kommission (Artikel 88 EGV). Damit scheide auch
eine Vorlage an den EuGH gemäß Artikel 234 EGV aus.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, das Urteil lehne zu Unrecht einen Verstoß
gegen Artikel 3 Abs 1 GG ab. Ebenso verneine es zu Unrecht einen Verstoß gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip
abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie gegen Artikel 2 Abs 1 GG.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des BSG und EuGH die leistungsrechtliche Regelung
des InsG nach dem SGB III nicht gegen die Mindestanforderungen der EWG-Richtlinien 987/80 verstoße. Für die
Frage, ob die Erhebung der InsG-Umlage eine mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbarende unzulässige
Beihilfemaßnahme darstelle, sei ausschließlich die Kommission zuständig. Das Gericht eines Mitgliedsstaates könne
nicht über die Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem gemeinsamen Markt entscheiden. Zudem hat die
Beklagte auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.09.2005 (L 17 U 138/05) hingewiesen, in dem dargestellt
werde, dass die InsG-Umlage 2002 korrekt auf der Basis der gesetzlichen Vorschriften festgesetzt worden sei und
nicht gegen höherrangiges Verfassungs- oder Europarecht verstoße.
Die Klägerin hat dem mit dem Hinweis widersprochen, dass letzteres Urteil hinsichtlich des Sachverhaltes nicht mit
dem anhängigen Rechtsstreit vergleichbar sei. Zudem habe es keinerlei Bindungswirkung für das hier erkennende
Gericht. Es setze sich nicht mit der Problematik auseinander, dass eine Verletzung des Artikels 3 Abs 1 GG aus dem
Grunde vorliege, dass eine Differenzierung zwischen einzelnen Wirtschaftszweigen nicht vorgenommen werde.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 08.09.2004 sowie unter
Abänderung des Bescheides vom 23.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2003 zu
verurteilen, die gezahlte Insolvenzgeldumlage in Höhe von 6.613,57 EUR zurückzuerstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Würzburg vom 08.09.2004
zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.
Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung des Anteils der InsG-Umlage für das Jahr 2002 in Höhe von 6.613,57
EUR. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Im Hinblick auf die eingehende Auseinandersetzung mit dem Sach- und Streitgegenstand durch das SG in den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils sieht der Senat gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
von einer weiteren Darstellung der Gründe ab. Neue Gesichtspunkte, die zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen
Veranlassung gegeben hätten, hat die Klägerin nicht vorgetragen.
Ergänzend ist auszuführen, dass auch das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 14.09.2005 (L 17 U 138/05,
juris-Recherche) entschieden hat, dass die Umlage des InsG materiell rechtmäßig und mit dem Grundgesetz
vereinbar ist. Dies haben bereits das BVerfG (BVerfG SozR 3-4100 § 186c Nr 1 und SozR 3-4100 § 186b Nr 2) und
das BSG (BSG SozR 4100 § 186b Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 186b Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 186c Nr 3) in den
Urteilen zu dem früheren § 186b AFG festgestellt. Danach war die Umlage zur Finanzierung des
Konkursausfallgeldes, das früher anstelle des InsG gezahlt wurde, nicht verfassungswidrig bei der Prüfung am
Maßstab der Artikel 14 und 3 Abs 1 GG. Zu Recht hat das SG auch darauf hingewiesen, dass ein Verstoß der
Regelung über die InsG-Umlage gegen Gemeinschaftsrecht nicht vorliegt. Gerade die EG-Richtlinie 80/987 verlangt
von den Mitgliedsstaaten eine Konkursausfallsgeldregelung und überlässt ihnen die konkrete Ausgestaltung und
Finanzierung. Zuletzt hat das BSG in seinem Urteil vom 09.05.2006 (B 2 U 34/05 R, juris-Recherche) entschieden,
dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen die InsG-Umlage der §§ 358 ff SGB III nicht durchgreifen. Es hat auf
seine Entscheidungen zu den Vorläuferregelungen über das Konkursausfallsgeld in den §§ 186b ff AFG und auf die
Ausführungen des BVerfG (Beschluss vom 18.09.1978, SozR 4100 § 186b Nr 2) hingewiesen, wonach die Erhebung
der Konkursausfallgeldumlage von den Unternehmern nicht verfassungswidrig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Streitwert wird gemäß § 20 Abs 3 Gerichtskostengesetz (GKG) iVm § 13 Abs 1 GKG auf 6.613,57 EUR
festgesetzt.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.