Urteil des LSG Bayern vom 01.08.2001

LSG Bayern: anspruch auf bewilligung, rente, erwerbsfähigkeit, erfüllung, psychiater, krankheit, behinderung, persönlichkeitsstörung, ausbildung, arbeitsmarkt

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 01.08.2001 (nicht rechtskräftig)
S 8 RJ 394/99
Bayerisches Landessozialgericht L 19 RJ 184/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.02.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Der am 1966 geborene Kläger hat vom 04.06.1984 bis 31.03.1988 den Beruf eines Glasers erlernt und diesen
anschließend bis 20.12.1988 und danach nochmals vom 08.07. bis 24.07.1989 und 22.07. bis 22.10.1991 ausgeübt.
Zwischenzeitlich war er vom 09.10.1989 bis 14.03.1990 als Ladenhilfe beschäftigt. Die Kündigung des letzten
Arbeitsverhältnisses (als Glaser) erfolgte seitens des Arbeitgebers aus dem Verhalten des Klägers. Vom 17.03.1993
bis 24.01.1995 war er inhaftiert; vom 10.03.1997 bis 19.12.1999 befand er sich im Maßregelvollzug. Den Rentenantrag
vom 25.06.1994 - gestellt wegen Alkoholkrankheit mit Persönlichkeitsstörung, toxischer Polyneuropathie und Zustand
nach Humerustrümmerfraktur 1984 - lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.10.1994 und Widerspruchsbescheid
vom 01.02.1995 ab. Die hiergegen erhobene Klage (S 6 RJ 292/95) hat der Kläger, nachdem das Sozialgericht
Würzburg (SG) ein Gutachten des Nervenarztes K. eingeholt hatte, im Termin vom 01.04.1998 zurückgenommen.
Bereits am 20.05.1998 beantragte der Kläger erneut Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit: Es habe sich
ergeben, dass er auf dem aktuellen Arbeitsmarkt mit einem GdB von 50 (nach dem Schwerbehindertengesetz) sowie
seiner psychischen Verfassung nicht mehr vermittelbar sei; seine Vermittlungschancen hätten sich durch den Verlust
des Führerscheins, der ihm 1993 entzogen wurde, weiter verschlechtert. Die Beklagte nahm im Rahmen ihrer
Ermittlungen den Sozialbericht der psychosozialen Beratungsstelle - Sucht- und Drogenberatung - L. bei und ließ den
Kläger durch den Neurologen und Psychiater Dr.Dr.N. untersuchen, der im Gutachten vom 10.12.1998 die Diagnosen
Alkoholkrankheit und komplexe Persönlichkeitsstörung stellte. Er hielt den Kläger für fähig, leichte und mittelschwere
Tätigkeiten mit nur geringen qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Mit Bescheid vom 17.12.1998
lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil in den letzten fünf Jahren nicht wenigstens drei Jahre
Pflichtbeitragszeiten vorhanden seien. Auch medizinisch liege nach den getroffenen Feststellungen weder
Berufsunfähigkeit (BU) noch Erwerbsunfähigkeit (EU) vor. Der gegen diesen Bescheid am 28.12.1998 erhobene
Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.05.1999).
Das hiergegen angerufene SG Würzburg hat im vorbereitenden Verfahren den Arztbrief des Krankenhauses für
Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie L. und die Befundberichte der Hautärzte Dres A. und B., des Psychiaters
und Neurologen Dr.S. sowie des Orthopäden Dr.L. zum Verfahren beigezogen. In seinem nervenärztlichen Gutachten
vom 28.12.1999 hat der Neurologe und Psychiater Dr.O. beim Kläger ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, eine
sexuelle Identitätsstörung mit pädophilen und homosexuellen Neigungen und eine spezifische Phobie iS einer
Höhenangst festgestellt. Gleichwohl könne der Kläger selbst körperlich schwere Tätigkeiten noch vollschichtig
ausführen. Qualitative Einschränkungen bestünden nicht. Wegen der Höhenangst sollten aber Arbeiten mit
Absturzgefahr, insbesondere auf Leitern und Gerüsten, vermieden werden.
Dieser Leistungsbeurteilung hat sich das SG unter Berücksichtigung eines vom Kläger vorgelegten Gutachtens der
Neurol. Klinik und Poliklinik im Kopfklinikum der Universität W. vom 01.10.1999 angeschlossen und die Klage mit
Urteil vom 14.02.2000 abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Kläger weder berufs- noch
erwerbsunfähig. Mit dem von Dr.O. beschriebenen Leistungsvermögen könne er noch subjektiv wie objektiv
zumutbare Verweisungstätigkeiten verrichten und sei grundsätzlich auch nicht gehindert, seinen erlernten Beruf als
Glaser auszuüben.
Mit der hiergegen eingelegten Berufung macht der Kläger unter Hinweis auf ein Attest des behandelnden Orthopäden
Dr.L. vom 16.02.2000 geltend, das SG habe entscheidende gesundheitliche Einschränkungen seiner Person
übersehen. So sei kein fachorthopädisches Gutachten eingeholt worden, obwohl die orthopädischen Erkrankungen
schon jahrelang bestünden.
Der Senat hat zunächst die Befundberichte und Unterlagen der Hautärzte Dres A. und B. mit dem Bericht über eine
Varizenoperation vom 10.03.2000 und des Orthopäden Dr.L. nebst dessen Röntgenaufnahmen zum Verfahren
beigezogen. Der Orthopäde Dr.W. untersuchte den Kläger am 26.03.2001 und stellte in seinem Gutachten vom selben
Tage folgende Gesundheitsstörungen fest: Wirbelkörpergleiten zwischen dem 5.Lendenwirbelkörper (LWK) und dem
Kreuzbein mit degenerativem Bandscheibenschaden L5/S1 und mittelgradiger Funktions- und
Belastungseinschränkung; röntgenologisch beginnende degenerative Innenmeniskus- erkrankung des linken
Kniegelenks (zurzeit ohne wesentliche Funktions- und Belastungseinschränkung); diskrete linkskonvexe
Seitverbiegung der unteren und mittleren Brustwirbelsäule (ohne wesentliche Funktions- und
Belastungseinschränkung); Zustand nach operativ behandeltem, in achsen- und gelenkgerechter Stellung verheiltem
Oberarmbruch rechts mit Streckdefizit rechter Ellenbogen von 5° (ohne wesentliche Funktions- und
Belastungseinschränkung). Möglich und zumutbar seien dem Kläger leichte Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen sowie
Tätigkeiten im Wechselrhythmus zwischen Gehen und Stehen. Vermieden werden sollten ausschließlich im Gehen
und Stehen zu verrichtende Tätigkeiten, Lendenwirbelsäulenzwangshaltungen sowie Arbeiten, die vollschichtig
Zwangshaltungen im Knien oder in Hockstellung verlangen. Wegen der bestehenden Höhenangst (und der weiter
bestehenden Alkoholkrankheit) seien Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten nicht zumutbar, ebenso wenig eine
ausschließlich vollschichtige Tätigkeit unter Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft. Wegen der Alkoholkrankheit seien
ferner Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Arbeiten unter
Zeitdruck und Nachtschichttätigkeit nicht mehr zumutbar. Ob der Kläger den Glaserberuf aus gesundheitlichen
Gründen aufgeben musste, lasse sich anhand der Aktenunterlagen nicht eindeutig nachweisen.
Der Kläger, für den in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG Würzburg vom 14.02.2000 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom
17.12.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.1999 zu verurteilen, ihm auf den Antrag vom
20.05.1998 Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 14.02.2000 zurückzuweisen.
Beigezogen waren neben den Streitakten erster und zweiter Instanz die Unterlagen der Beklagten, die Unterlagen des
Landgerichts Würzburg - Strafvollstreckungskammer -, die Leistungsunterlagen des Arbeitsamts Lohr/Main und die
früheren Klageakten des SG Würzburg S 6 RJ 292/95, S 8 RJ 396/99 ER und S 8 RJ 543/99.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig.
Das Rechtsmittel des Klägers ist aber nicht begründet. Das SG hat vielmehr zu Recht festgestellt, dass der Kläger
gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat. Denn der
Kläger ist weder berufs- noch erwerbsunfähig iS der §§ 43 und 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der
bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung.
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erhält der Versicherte, der die Wartezeit (WZ) und die sonstigen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt hat und berufs- oder erwerbsunfähig ist. Beim Kläger liegt aber
schon BU nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung des § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI nicht vor. Danach sind
berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte
derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen
Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Diese Voraussetzungen einer Rente wegen BU erfüllt der Kläger nicht;
insbesondere ist der "bisherige Beruf" des Klägers nicht der erlernte Beruf eines Glasers. Hauptberuf kann
grundsätzlich nur eine Tätigkeit sein, die bei oder nach Erfüllung der WZ ausgeübt worden ist. Zwar hat der Kläger
nach Erfüllung der WZ von 60 Kalendermonaten (KM) nochmals drei Monate (Juli bis Oktober 1991) im Glaserberuf
gearbeitet. Diese kurzfristige Beschäftigung reicht jedoch auch in Verbindung mit den sonstigen berufsbezogenen
Tätigkeiten des Klägers nicht aus, einen Berufsschutz als Glaser zu begründen, auch wenn es sich um seine letzte
versicherungspflichtige Beschäftigung handelte. Ausdrücklich weist der Senat wegen der in diesem Zusammenhang
teilweise aufgetretenen Missverständnisse darauf hin, dass ein Berufsschutz nicht lediglich dann in Betracht kommt,
wenn der Versicherte mindestens 60 KM Versicherungszeit während der Tätigkeiten zurückgelegt hat, aus denen der
Berufsschutz abgeleitet wird. In diesem Sinne sind teilweise (aber unberechtigt) die Urteile des Bundessozialgerichts
(BSG) vom 22.08.1963 - 5 Rkn 48/60 - und vom 04.03.1979 - 4 RJ 35/78 - interpretiert worden. Nach dem Tatbestand
der erstgenannten Entscheidung des BSG hatte der Versicherte zwar (wie vorliegend der Kläger) insgesamt die WZ
erfüllt, aber nicht die in der knappschaftlichen Rentenversicherung erforderliche Mindestversicherungszeit für die dort
streitige Rente wegen "bergmännischer BU"; sie erfordert aber die Erfüllung der WZ ausschließlich aus
knappschaftlichen Versicherungszeiten. Im zweiten Fall (BSG-Urteil vom 04.03.1979) ging es in erster Linie um ein
Vorerwerbsleiden und die Frage, ob der Versicherte vor Erfüllung der WZ von 60 KM zur Ausübung des Berufs unfähig
geworden ist, aus dem der Berufsschutz abgeleitet werden sollte. Nur in diesem Zusammenhang sind die
Ausführungen des BSG zu verstehen, dass eingebrachte gesundheitliche Schäden nicht zum Verlust des
Berufsschutzes führen, wenn der Beruf "mindestens während der Dauer eines der WZ von 60 KM entsprechenden
Zeitraums voll ausgeübt worden ist". Die WZ muss also nicht ausschließlich durch die hauptberufliche Tätigkeit erfüllt
sein. Auch kann im Einzelfall eine kurzzeitige Ausübung des erlernten Berufes nach Erfüllung der WZ und vor Eintritt
des Leistungsfalles für die Zubilligung des Berufsschutzes genügen (vgl BSG, Urteil vom 29.11.1979 - 4 RJ 111/78 -);
dies setzt jedoch voraus, dass sich der Versicherte im Rahmen einer kontinuierlichen Entwicklung dem maßgebenden
Beruf unter vollwertiger Leistung auf Dauer zugewandt und damit eine sozial gefestigte Position erreicht hatte.
Dementsprechend hat das BSG im Urteil vom 29.06.1977 - 5 RJ 118/76 - ausgesprochen, dass Vorbildung und
berufliche Kenntnisse des Versicherten (für den Berufsschutz) insoweit von Bedeutung sind, als sie in einer der
Versicherungspflicht unterliegenden Erwerbsarbeit "von gewisser Dauer und Regelmäßigkeit ihren Niederschlag
gefunden haben" (SozR Nr 29 zu § 1246). Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Nach Abschluss
seiner Lehrzeit im März 1988 war der Kläger nur bis Dezember dieses Jahres (rund neun Monate), drei Wochen im Juli
1989 und drei Monate im Jahre 1991 als Glaser bzw Fensterbauer tätig, während er die übrige Zeit (ebenfalls mit
Unterbrechungen) als ungelernter Arbeiter beschäftigt war. Bei seiner Einstellung im Juli 1991 hat er selbst
angegeben, dass er eine "Mehrzahl von Arbeiten nicht ausüben könne, weil er über keinerlei Arbeitserfahrung
verfüge". Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger "zuletzt", dh vor Aufgabe der letzten
Tätigkeit aus dem Berufskreis eines Glasers/Fensterbauers eine berufliche Position erreicht hatte, die in vollem
Umfang derjenigen eines vergleichbaren Facharbeiters entsprach (BSG vom 29.11.1979 - 4 RJ 111/78).
Ungeachtet dessen geht der Senat davon aus, dass der Kläger schon vor Ablegung der Gesellenprüfung den Beruf
eines Glasers aus gesundheitlichen Gründen nicht vollwertig und damit nicht wettbewerbsfähig ausüben konnte. Diese
Auffassung stützt der Senat auf die Ausführungen des orthopädischen Sachverständigen Dr.W. im Gutachten vom
26.03.2001. Danach besteht beim Kläger ein Wirbelkörpergleiten zwischen dem 5.LWK und dem Kreuzbein, das die
behaupteten Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich erklärt. Dadurch ist auch medizinisch nachvollziehbar, dass
bei vermehrter körperlicher Belastung durch Heben und Tragen von Lasten von mehr als 8-10 kg über längere Zeit
Rückenbeschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich gehäuft auftreten und sich verstärken. Aufgrund dieser
Einschränkungen ist die Ausübung des Glaserberufs allenfalls noch in Teilbereichen möglich, was den Kläger bei
realistischer Betrachtungsweise vom Wettbewerb um entsprechende qualifizierte Arbeitsplätze ausschließt. Diese
Einschränkungen sind aber nicht erst im Verlauf des Berufslebens des Klägers aufgetreten; es handelt sich nach den
überzeugenden Ausführungen Dr.W. vielmehr um eine angeborene orthopädische Erkrankung, die zumindest seit
Wachs- tumsabschluss (im Alter von 20 bis 22 Jahren) in dem jetzt bestehenden Zustand vorliegt. Daraus ergibt sich,
dass der Kläger für den Beruf des Glasers gesundheitlich nie geeignet war und somit in seinem erlernten Beruf als
Glaser von Anfang an und auf Dauer keine vollwertige Leistung erbringen konnte. Daraus folgt gleichzeitig, dass der
Kläger bereits vor Erfüllung der WZ von 60 KM als Glaser nicht wettbewerbsfähig war. Schon aus diesem Grund
besteht beim Kläger kein Berufsschutz als Glaser.
Ein Beruf ist nicht als bisheriger Beruf anzusehen, wenn er schon bei seiner Aufnahme (spätestens aber vor Erreichen
der Mindestwartezeit von 60 KM) nicht vollwertig oder nur auf Kosten der Gesundheit ausgeübt werden konnte.
Ersteres ist beim Kläger der Fall. Es würde versicherungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen, wenn die Fähigkeit
zur Verrichtung eines bestimmten Berufs Gegenstand der Versicherung sein könnte, obwohl der Versicherte diesen
Beruf nach seinem Gesundheitszustand von Beginn an eigentlich nicht hätte ausüben können, weil er mit höheren als
den ihm zumutbaren Belastungen verbunden war (BSG SozR Nr 24 zu § 35 RKG aF; vgl ferner BSG Urteil vom
29.06.1977 - 5 RJ 118/76 - unter Hinweis auf SozR Nr 29 zu § 1246). Lag bei Aufnahme des bisherigen Berufs (des
Hauptberufs) schon ein Leiden vor, das den Versicherten daran hinderte, seinen Hauptberuf und zumindest einen Teil
der ihm nach seinem Hauptberuf zumutbaren (Verweisungs-)Berufe wettbewerbsfähig auszufüllen, können die
Voraussetzungen des Versicherungsschutzes entfallen (BSG in SozR Nr 62 zu § 1246). Gegenstand der
Berufsunfähigkeitsversicherung ist die Tauglichkeit des Versicherten, seinen bisherigen Beruf und die ihm hiernach
zumutbaren "sonstigen Ausbildungsberufe" zu verrichten. Denn es wird bei dieser Versicherung darauf abgestellt,
dass die Erwerbsfähigkeit auf die Hälfte der eines gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen
Kenntnissen und Fähigkeiten "herabgesunken" ist. Ein "Herabsinken" der Erwerbsfähigkeit setzt aber voraus, dass
sie zunächst einmal - zumindest im Wesentlichen - bestanden haben muss und sich erst im Laufe der Zeit verringert
hat. Der Kläger war aber - nach der auf die Ausführungen Dr.W. gestützten Überzeugung des Senats - bei Aufnahme
der Gesellentätigkeit im Glaserberuf nicht in der Lage, die unverzichtbaren Anforderungen dieses Berufs zu erfüllen.
Beim Kläger liegen somit die Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen BU nicht vor, zumal er nach dem
Gesamtergebnis der medizinischen Sachaufklärung zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
noch regelmäßig mit einer betriebs- üblichen Arbeitszeit von täglich acht Stunden verrichten kann, ohne dass ihm der
Zugang zum Arbeitsmarkt durch eine gravierende Einzelbehinderung (zB Einarmigkeit, Notwendigkeit
betriebsunüblicher Zusatzpausen) oder eine Summierung qualitativer Einsatzbeschränkungen in außergewöhnlicher
Weise erschwert wäre. Daraus folgt zugleich, dass auch ein Anspruch auf Rente wegen EU, der in medizinischer
Hinsicht an noch weitergehende Voraussetzungen geknüpft ist, nicht besteht. Die Berufung des Klägers musste daher
zurückgewiesen werden.
Aufgrund seines vollschichtigen Einsatzvermögens erfüllt der Kläger auch nicht die Voraussetzungen des durch Art 1
Nr 19 des Rentenreformgesetzes 1999 neu gefassten und durch Art 1 Nr 10 des Gesetzes zur Reform der Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl I 1827 - geänderten, am 01.01.2001 in Kraft getretenen
§ 43 SGB VI. Nach dessen Abs 1 hat bis zur Vollendung des 65.Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung, wer (neben weiteren Leistungsvoraussetzungen) wegen Krankheit oder Behinderung außerstande
ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig
zu sein. Eine quantitative Einschränkung der betriebsüblichen Arbeitszeit von täglich acht Stunden liegt jedoch, wie
sich aus den überzeugenden Ausführungen des vom Senat gehörten Sachverständigen Dr.W. ergibt, beim Kläger
nicht vor. Leistungen wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung stehen dem Kläger daher ebenfalls nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.