Urteil des LSG Bayern vom 02.02.2011

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 02.02.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 10 SF 133/08
Bayerisches Landessozialgericht L 15 SF 22/09 B
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 26. November 2009 wird abgeändert. II. Unter Abänderung der
Kostenfestsetzung vom 27. November 2008 und unter Zuerkennung einer Terminsgebühr von 110 Euro wird die aus
der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Beschwerdeführers auf insgesamt 582,10 Euro festgesetzt. Im
übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
(RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus der
Staatskasse zusteht. Streitig ist die Terminsgebühr.
Im Klageverfahren am Sozialgericht Bayreuth S 15 AS 658/08 ging es um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II), und zwar um die Kosten der Unterkunft und Heizung im Jahr 2007. Mit Beschluss vom
16.06.2008 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe ab Antragstellung (Klageerhebung am
21.05.2008) und ordnete den Beschwerdeführer bei. Im Klageverfahren S 15 AS 1150/07 ging es ebenfalls um die
Kosten der Unterkunft und Heizung, allerdings für das Jahr 2006. Auch hier wurde Prozesskostenhilfe ab
Antragstellung (Klageerhebung am 19.11.2007) bewilligt und der Beschwerdeführer beigeordnet (Beschluss vom
16.06.2008).
Im Verfahren S 15 AS 1150/07 wurden die Beteiligten im Mai 2008 zu einem Erörterungstermin am 16.06.2008
geladen. Die Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung am 16.06.2008 führt in der Kopfzeile das Aktenzeichen S
15 AS 1150/07 auf. Die Sitzung dauerte eine Stunde lang (11.00 Uhr bis 12.00 Uhr). Nach Erörterung der Sach- und
Rechtslage schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich:
I. Die Beklagte zahlt an den Kläger weitere 240,00 Euro als Kosten der Unterkunft für den Zeitraum 01.04.2006 bis
31.12.2007. II. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben. III. Die Beteiligten sind sich darin einig, dass mit
Abschluss des Vergleichs die Rechtsstreite S 15 AS 1150/07 und S 15 AS 658/08 erledigt sind.
Die Vergütung im Rahmen der Prozesskostenhilfe für den Rechtstreit S 15 AS 1150/07 ist abgerechnet. Der
Beschwerdeführer erhielt 690,20 Euro (incl. MWSt), einschließlich einer Terminsgebühr (200 Euro) und einer
Einigungsgebühr (190 Euro).
Mit Schriftsatz vom 27.06.2008 stellte der Beschwerdeführer für seine Tätigkeit im Rechtsstreit S 15 AS 658/08
Kostenerstattungsantrag für Prozesskostenhilfe. Die Vergütung für seine anwaltliche Tätigkeit bezifferte er auf 785,40
Euro. Geltend gemacht wurden eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG: 250 Euro, eine Terminsgebühr
gemäß Nr. 3106 VV RVG: 200 Euro und eine Einigungsgebühr gemäß Nrn. 1000, 1005, 1006 VV RVG: 190 Euro
(außerdem Pauschale 20 Euro, insgesamt netto 660 Euro, zzgl. Umsatzsteuer 125 Euro).
Die Kostenbeamtin hat die aus der Staatskasse zu leistenden Gebühren am 27.11.2008 auf 452,20 Euro festgesetzt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 170,00 Euro Einigungsgebühr, Nr. 1106 VV RVG 190,00 Euro
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
Zwischensumme: 380,00 Euro 19% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG 72,20 Euro
insgesamt 452,20 Euro
Zur Ablehnung der Terminsgebühr hat sie ausgeführt, dass in dem vorliegenden Verfahren kein vom Gericht geladener
Termin stattgefunden habe. Dieses Verfahren sei zwar in einem Termin eines anderen Verfahrens mitbesprochen und
nach Vergleich für erledigt erklärt worden, dies rechtfertige jedoch nicht das nochmalige Ansetzen einer
Terminsgebühr.
Wegen der Nichtberücksichtigung der Terminsgebühr hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Diese Gebühr
sei sehr wohl in Ansatz zu bringen. In den Entscheidungsgründen werde richtig festgehalten, dass ein Termin vor dem
Sozialgericht im Parallelverfahren stattgefunden habe. Es werde auch richtig festgestellt, dass im Parallelverfahren
dieses Verfahren mitverglichen worden sei. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG falle grundsätzlich auch dann
an, wenn eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung mit den Beteiligten mit oder ohne Mitwirkung
des Gerichts stattfindet. Wenn bereits die Besprechung der Beteiligten ohne Mitwirkung des Gerichts ausreichend sei,
um eine Terminsgebühr anfallen zu lassen, müsse dies erst recht dann gelten, wenn im Rahmen eines
Gerichtstermins eine Parallelsache vor Gericht mitbesprochen und verglichen werde.
Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Beschluss vom 26.01.2009 die Erinnerung gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.11.2008 als unbegründet zurückgewiesen. Die Terminsgebühr sei bereits dem
Grunde nach nicht angefallen. Der Wortlaut des ersten Satzes der Vorbemerkung 3 Absatz 3 VV RVG, wonach die
Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin entstehe, scheine
zwar den Beschwerdeführer zu bestätigen. Übersehen werden dürfe aber nicht, dass nach Absatz 2 der Nr. 3104 VV
RVG bei - wie hier - identischen materiell-rechtlichen Ansprüchen die Terminsgebühr nur ein einziges Mal anfalle,
auch wenn dieser Anspruch in zwei Verfahren besprochen worden sei. Da beim Kostenansatz des weiteren
Verfahrens (S 15 AS 1150/07) bereits eine Terminsgebühr berücksichtigt worden sei, könne sie im vorliegenden
Verfahren nicht erneut berücksichtigt werden. Zudem habe die Besprechung unter Mitwirkung des Gerichts
stattgefunden, was für sich genommen eine Terminsgebühr gestützt auf die dritte Alternative der Vorbemerkung 3
Absatz 3 VV RVG - Mitwirkung an auf die Vermeidung der Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen
auch ohne Beteiligung des Gerichts - ausschließe.
Gegen den am 30.01.2009 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 05.02.2009 Beschwerde eingelegt
und weiterhin die Festsetzung der Terminsgebühr verlangt. Ganz offensichtlich werde hier die Sach- und Rechtslage
verkannt. Sie sei antragsgemäß (200 Euro) festzusetzen.
Der Beschwerdegegner hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akte des Sozialgerichts Bayreuth S 10 SF 22/09 B
sowie die beigezogenen Prozessakten S 15 AS 658/08 und S 15 AS 1150/07 (jeweils mit Prozesskostenhilfebeiakten)
Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere auch statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands (200 Euro zzgl.
MWSt) 200 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).
Die Beschwerde ist insoweit begründet, als die Terminsgebühr dem Grunde nach angefallen ist. Sie ist als
unbegründet zurückzuweisen, soweit der Beschwerdeführer die Festsetzung der Mittelgebühr in Höhe von 200 Euro
begehrt.
Für die Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe im Rechtsstreit S 15 AS 658/08 hat der Beschwerdeführer
Anspruch gegen die Staatskasse auf Zahlung einer Terminsgebühr in Höhe von 110 Euro (zzgl. 20,90 Euro MWSt).
Dieser Anspruch beruht auf § 45 Abs. 1, § 48 Abs. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. Nr. 3106 VV RVG, § 14 Abs. 1
RVG. Über den am 27.11.2008 festgesetzten Betrag von 452,20 Euro hinaus sind an den Beschwerdeführer aus der
Staatskasse also weitere 130,90 Euro zu zahlen. Sein Vergütungsanspruch beläuft sich auf insgesamt 582,10 Euro.
Für die "Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG)",
sieht Nr. 3106 VV RVG einen Gebührenrahmen von 20 bis 380 Euro vor. Es liegt hier ein Fall des § 3 Abs. 1 Satz 1
RVG vor, in dem Betragsrahmengebühren entstehen, so dass Nr. 3106 VV RVG anzuwenden ist.
Nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV RVG entsteht die Terminsgebühr "für die Vertretung in einem Verhandlungs-,
Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten
Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens
gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem
Auftraggeber." Danach ist die Terminsgebühr hier schon gemäß der ersten Alternative dieser Regelung entstanden.
Denn der Beschwerdeführer hat im Erörterungstermin am 16.06.2008 den Kläger auch im Rechtsstreit S 15 AS 658/08
vertreten. Es steht fest, dass in diesem Erörterungstermin über beide Klagen des Klägers gegen die Beklagte
gesprochen und verhandelt worden ist. Der am Ende protokollierte Vergleich betrifft sowohl den Rechtsstreit S 15 AS
1150/07 (Kosten der Unterkunft in 2006) als auch den Rechtsstreit S 15 AS 658/08 (Kosten der Unterkunft in 2007),
die beide durch diesen Vergleich erledigt wurden. Dass für den Rechtsstreit S 15 AS 658/08 keine Ladung verschickt
worden ist und im Kopf der Sitzungsniederschrift nur das Aktenzeichen S 15 AS 1150/07, nicht aber auch das
Aktenzeichen S 15 AS 658/07 aufgeführt ist, steht der Entstehung der Terminsgebühr nicht entgegen (vgl. Bayer.
Aktenzeichen S 15 AS 658/07 aufgeführt ist, steht der Entstehung der Terminsgebühr nicht entgegen (vgl. Bayer.
Landessozialgericht, Senatsbeschluss vom 07.01.2011, L 15 B 939/08 SF KO).
Das Sozialgericht hat durchaus gesehen, dass nach dem Wortlaut des ersten Satzteils der Vorbemerkung 3 Absatz 3
VV RVG die Terminsgebühr entstanden ist. Gleichwohl hat es dem Beschwerdeführer den Anspruch auf die
Terminsgebühr schon dem Grunde nach versagt, und zwar mit der Begründung, das nach Absatz 2 der Nr. 3104 VV
RVG bei identischen materiell-rechtlichen Ansprüchen die Terminsgebühr nur ein einziges Mal anfalle, auch wenn
dieser Anspruch in zwei Verfahren besprochen worden sei. Abgesehen davon, dass es sich bei den mit den Klagen S
15 AS 1150/07 und S 15 AS 658/08 verfolgten Ansprüchen nicht, wie das Sozialgericht annimmt, um identische
Ansprüche und Streitgegenstände handelt, sondern das eine Mal um den Anspruch des Klägers auf Kosten der
Unterkunft im Jahr 2006 und das andere Mal um seinen Anspruch auf Kosten der Unterkunft im Jahr 2007,
missversteht bzw. missdeutet das Sozialgericht die Regelung des Absatzes 2 der Nr. 3104 VV RVG. Aus dieser
Vorschrift lässt sich nicht der Rechtssatz ableiten, dass nicht mehrere Terminsgebühren entstehen können, wenn nur
ein Gerichtstermin stattgefunden hat (dazu ausführlich Bayer. LSG, Senatsbeschluss vom 07.01.2011, L 15 B 939/08
SF KO). Im übrigen ist Absatz 2 der Nr. 3104 VV RVG spezifisch auf Verfahren zugeschnitten, in denen die Gebühren
nach dem Gegenstandswert entstehen, und kann deswegen für Fälle mit Betragsrahmengebühren keine
Erkenntnishilfe leisten.
Da sich der Anspruch auf die Terminsgebühr klar aus der ersten Alternative des Absatzes 3 der Vorbemerkung 3 VV
RVG ergibt, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der weiteren These des Sozialgerichts, der Anspruch könne
nicht auf die dritte Alternative der Vorbemerkung 3 Absatz 3 VV RVG gestützt werden.
Bei einem Gebührenrahmen von 20 bis 380 Euro (Nr. 3106 VV RVG) erscheint eine Terminsgebühr in Höhe von 110
Euro als angemessen. Die vom Beschwerdeführer verlangte Mittelgebühr in Höhe von 200 Euro ist unbillig und nicht
verbindlich. Bei Betragsrahmengebühren im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr
im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers,
nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen
werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandwert richten, ist das Haftungsrisiko zu
berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung
nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 RVG). Um Streit über die billige Gebühr nach
Möglichkeit zu vermeiden, hat der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht
eingeräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Nach
überwiegender Auffassung wird ihm bei der Bestimmung der billigen Gebühr ein gewisser Spielraum zugestanden,
wobei Abweichungen von bis zu 20 % im Allgemeinen noch als verbindlich angesehen werden. Für "Normalfälle" bzw.
"Durchschnittsfälle", in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt
abhebt, ist die Mittelgebühr zugrunde zu legen (zum Ganzen Mayer in Gerold/ Schmidt, Kommentar zum
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, § 14 Rn. 4 ff., 10 ff.; Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage
2010, § 14 RVG, Rn. 14 ff., 23 f.; BSG vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R; vgl. auch Strassfeld, NZS 2010, S. 253,
254 f.).
Der Rechtsstreit S 15 AS 658/08 lässt sich zwar grundsätzlich als Durchschnittsfall im Bereich der Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende einordnen. Gleichwohl ist die vom Beschwerdeführer beantragte Mittelgebühr in
Höhe von 200 Euro überhöht. Geboten ist nämlich ein erheblicher Abschlag von der Mittelgebühr, weil der
Streitgegenstand des im Erörterungstermin mitverhandelten Verfahrens S 15 AS 658/08 dieselben Fragen aufgeworfen
hat wie der Streitgegenstand im Verfahren S 15 AS 1150/07. Für die Verhandlung des Verfahrens S 15 AS 658/08 im
Erörterungstermin ist deshalb von einem deutlich geringeren Umfang und einer deutlich geringeren Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit auszugehen. Berücksichtigt wird dabei auch, dass der Beschwerdeführer für seine Tätigkeit im
Parallelververfahren S 15 AS 1150/07 die Mittelgebühr in Höhe von 200 Euro erhalten hat.
Diese Entscheidung trifft der Einzelrichter im Sinn des § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).