Urteil des LSG Bayern vom 08.07.2004

LSG Bayern: zugehörigkeit, sowjetunion, altersrente, muttersprache, ukraine, arbeitslosigkeit, ausbildung, russisch, bayern, wartezeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.07.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 10 RJ 2130/97
Bayerisches Landessozialgericht L 14 RJ 162/02
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Altersrente unter Anrechnung von Versicherungszeiten, die der Kläger in der
ehemaligen Sowjetunion zurückgelegt hat.
Der 1936 in O. (Ukraine) geborene Kläger reiste am 10.09. 1992 als jüdischer Emigrant mit sowjetischer
Staatsangehörigkeit aus der ehemaligen UdSSR in die Bundesrepublik Deutschland ein. Es wurde ihm der Status
eines Kontingentflüchtlings bescheinigt und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nach anfänglicher
Arbeitslosigkeit und vorübergehender versicherungspflichtiger Beschäftigung bezieht er seit 1996 Sozialhilfe. Eine
Anerkennung als Vertriebener bzw. Aussiedler erfolgte nicht; die 1995 vom Kläger beantragte Ausstellung einer
Bescheinigung zur Feststellung des Vertriebenenstatus (§ 100 Abs.2 S.3 Bundesvertriebenengesetz - BVFG -) wurde
mit Schreiben des Ausgleichsamts der Stadt M. vom 18.04.1996 abgelehnt, da der Kläger ohne den erforderlichen
Aufnahmebescheid gem. § 27 Abs.1 BVFG in das Bundesgebiet eingereist sei. Der Widerspruch des Klägers wurde
mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 28.11.1996 zurückgewiesen, da die Antragsfrist für einen
Vertriebenenausweis bereits am 31.12.1993 abgelaufen und ein eigenständiges Antragsrecht des Klägers auf
Feststellung des geltend gemachten Status nach dem BVFG ausgeschlossen sei. Die hiergegen erhobene Klage
nahm der Kläger am 18.02.1997 zurück, das Verfahren wurde eingestellt (Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichts
München vom 19.02. 1997).
In einem Kontenklärungsantrag hatte der Kläger 1995 Angaben über Abstammung, Ausbildung und Tätigkeiten
gemacht und dazu verschiedene Urkunden in russischer Sprache vorgelegt, darunter sein im Jahre 1956 ausgestelltes
Arbeitsbuch. Danach hatte er in der Sowjetunion eine Ausbildung zum Techniker und dann zum Elektroingenieur
durchlaufen und zunächst Tätigkeiten als Kontrolleur und Ingenieur in O. und ab 1963 bis zu seiner Ausreise in M.
Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Projektleiter und Abteilungsleiter verrichtet.
Am 04.06.1996 stellte er bei der Beklagten Antrag auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gem. § 38 Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03.07.1996 wegen Nichterfüllung der
erforderlichen Wartezeit ab. Es seien lediglich 28 Monate an Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige
Beschäftigung und anschließende Arbeitslosigkeit in Deutschland vorhanden. Die Anrechnung der in der Sowjetunion
bis 1992 zurückgelegten Zeiten auf die Wartezeit lehnte die Beklagte ab, da die persönlichen Voraussetzungen des §
1 Fremdrentengesetz (FRG) nicht erfüllt seien. Die Anerkennung als Vertriebener sei am 18.04.1996 vom
Ausgleichsamt abgelehnt worden.
Mit seinem Widerspruch regte der Kläger zum einen an, die Beklagte möge sich wegen der Feststellung seiner
Vertriebeneigenschaft an das Ausgleichsamt wenden, da diese nurmehr auf Ersuchen von Behörden, die für die
Gewährung von Rechten und Vergünstigungen an Vertriebene und Flüchtlinge zuständig seien, erfolge. Zum anderen
machte er geltend, er erfülle die Voraussetzungen des § 17a FRG, denn er habe in seiner Heimat zum deutschen
Sprach- und Kulturkreis (dSK) gehört; er habe deutsche Vorfahren gehabt, in seinem Elternhaus sei deutsch
gesprochen worden, in der Schule und auch während des Studiums habe er deutsch gelernt und deutsche Zeitungen
gelesen; auch sei er auf Grund seiner jüdischen Volkszugehörigkeit den allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen
ausgesetzt gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, der Kläger
gehöre weder zum Personenkreis der Vertriebenen i.S.d. § 1 FRG noch zu dem des deutschsprachigen Judentums
nach § 17a FRG. M. habe nie zum nationalsozialistischen Einflussbereich gehört.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) berief sich der Kläger erneut darauf, in der Sowjetunion dem deutschen
Sprach- und Kulturkreis angehört und die Voraussetzungen des § 17a Buchstabe a Ziff.2, 2. Alternative FRG erfüllt zu
haben, welche den Anwendungsbereich des § 17a FRG auch auf Personen erweitere, die das 16. Lebensjahr im
Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflussbereichs noch nicht vollendet hatten, die aber im
Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörten. Er bezog
sich zum Nachweis dieser Voraussetzungen auf zuvor beim Ausgleichsamt vorgelegte schriftliche Zeugenerklärungen
des L. I. B. , C. , (ohne Datum) und der R. V. S. , M. , vom 15.03.1995.
Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Zugehörigkeit des Klägers zum deutschen Sprach- und Kulturkreis sei weder
nachgewiesen noch glaubhaft; auch werde nach § 17a FRG ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verlassen des
Heimatgebietes und nationalsozialistischer Maßnahmen vorausgesetzt, davon könne aber bei einem Zuzug nach
Deutschland im Jahre 1992 nicht die Rede sein.
Auf Anfrage der Beklagten teilte das Zentrale Ausgleichsamt Bayern - Außenstelle M. - mit Schreiben vom
29.10.1999 mit, dass der Kläger zu keiner Zeit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Vertriebenausweises
erfüllt habe.
Das SG wies die Klage mit Urteil vom 11.10.2001 ab. Altersrente nach § 38 SGB VI sei nicht zu gewähren. Die
erforderliche Wartezeit sei nicht erfüllt. Der Kläger gehöre weder zum Personenkreis des § 1 FRG noch seien die
Voraussetzungen des § 17a FRG gegeben; die in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Versicherungszeiten
seien damit nicht anrechenbar. Insoweit werde gemäß § 136 Abs.3 SGG auf die Gründe des Widerspruchsbescheids
Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er bringt vor, er habe seit Geburt dem Judentum und auch
dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört; das 16. Lebensjahr habe er zwar erst 1952 vollendet, nach der
2.Alternative der Ziff.2 des § 17a FRG Buchstabe a reiche es aber aus, wenn er im Zeitpunkt des Verlassens des
Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe; die Bestimmung bezwecke, die
deutschstämmigen Juden aus Osteuropa den deutschstämmigen Aussiedlern gleichzustellen; auf die Ursache für das
Verlassen des Vertreibungsgebietes komme es nicht an, sodass ein ursächlicher Zusammenhang mit der
Zugehörigkeit zum dSK gerade nicht notwendig sei; auch müsse das Auswanderungsgebiet nicht das ursprüngliche
Heimatgebiet sein; ausschlaggebend sei allein, dass er im Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme seinen
gewöhnlichen Aufenthalt dort gehabt habe. Dies sei der Fall gewesen: er habe bis 1941 in O./Ukraine gewohnt, wo am
01.09.1941 die nationalsozialistische Einflussnahme begonnen habe.
Die Beklagte trug vor, es sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht davon auszugehen, dass sich der Kläger im
Zeitpunkt des "Verlassens des Vertreibungsgebietes" im persönlichen Bereich überwiegend der deutschen Sprache
bedient und dadurch dem dSK angehört habe; von deutschen Sprachkenntnissen, soweit diese vorhanden gewesen
seien, könne er allenfalls in zweiter oder dritter Linie Gebrauch gemacht haben, z.B. bei bestimmten Gelegenheiten
oder für begrenzte Zwecke im Rahmen einer geplanten Ausreise nach Deutschland. Sie verwies dazu auf das Urteil
des BGH vom 25.03.1970 (RzW 1970,503).
Der Senat zog die BVFG-Akten des Zentralen Ausgleichsamts Bayern - Außenstelle M. - sowie die Akte M 2 K
96.6821 des Bayerischen Verwaltungsgerichts M. bei. Aus den Ausgleichsakten ist ersichtlich, dass der Kläger 1995
einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 100 BVFG gestellt und dazu u.a. folgende Angaben
gemacht hatte: Er sei 1941 wegen des beginnenden Krieges zusammen mit seiner Mutter aus O. , dem damaligen
Familienwohnort, nach Usbekistan evakuiert und später dort eingeschult worden; nach seiner Rückkehr im Jahre 1945
habe er in O. die Mittelschule besucht, die eine deutsche Leiterin gehabt habe. Er habe dort andere deutschstämmige
Mitschüler gehabt, deutsch sei als Unterrichtsfach gelehrt worden. Seine ebenfalls in der Ukraine beheimateten
Großeltern mütter- und väterlicherseits seien 1941 von den nationalsozialistischen Faschisten erschossen worden;
dies habe ihm die Mutter erzählt. Die Akte enthält Unterlagen über die weitere Ausbildung des Klägers in O. sowie die
(notariell beglaubigten) Zeugenaussagen der in M. lebenden Cousine R.V.S. vom 15.03.1995 und des in C. lebenden
ehemaligen Schulfreundes L.I.B. über die Vorfahren des Klägers, die im Elternhaus gesprochenen Sprachen
(russisch, jüdisch und deutsch), die dort gepflegten Kontakte und Gewohnheiten im Hinblick auf die deutsche Kultur.
Im Erörterungstermin vom 13.05.2004 wurde der Kläger zu den Einzelheiten des Sachverhalts befragt. Auf die
Niederschrift wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 11.10.2001 und unter Abänderung des
Bescheids der Beklagten vom 03.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.07.1997 zu
verpflichten, die russischen Zeiten vom 13.02.1952 bis 09.09.1992 anzuerkennen und Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit ab 01.03.1996 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Versichertenakten des Klägers bei der
Beklagten, die Akten des Zentralen Ausgleichsamts Bayern und die Akten M 2 K 96.6821 des Bayerischen
Verwaltungsgerichts M. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), sie erweist
sich aber nicht als begründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Auch nach Auffassung des Senats hat der Kläger
keinen Anspruch auf die beantragte Altersrente gem. § 38 SGB VI unter Anrechnung seiner in der ehemaligen
Sowjetunion zurückgelegten Versicherungszeiten. Eine Berücksichtigung dieser Zeiten kann nur im Rahmen des
Fremdrentenrechts erfolgen. Die entsprechenden Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Unstreitig besitzt der
Kläger keinen Vertriebenenstatus, er hat auch selbst nicht behauptet, in seiner Heimat dem deutschen Volkstum
zugehörig gewesen zu sein; § 1 FRG kann damit nicht zur Anwendung kommen. Die vorliegend allein streitigen
Voraussetzungen des § 17 a FRG sind ebenfalls nicht erfüllt bzw. nicht nachgewiesen.
Nach § 17a Buchst.a FRG in der rückwirkend zum 01.07.1990 durch Art.14 des Rentenüberleitungsgesetzes vom
25.07.1991 (BGBl. I 1606) ergänzten Fassung werden Beitrags- oder Beschäftigungszeiten von Personen in das FRG
einbezogen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr jeweiliges
Heimatgebiet erstreckt hat, 1) dem dSK angehört haben und 2) das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten "oder im
Zeit punkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK ange hört haben" und 3) sich wegen ihrer Zugehörigkeit
zum Judentum nicht zum deut schen Volkstum bekannt hatten, wenn sie die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs.2 Nr.3
BVFG verlassen haben.
§ 17a FRG ergänzt die Regelung des § 1 Buchst.a FRG (und des § 20 des Gesetzes zur Regelung der
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WGSVG -) damit zunächst um
diejenigen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum sich nicht zum deutschen Volkstum bekannt haben und zum
Beginn des nationalsozialistischen Einflusses, nicht jedoch beim Verlassen der Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs.2
Nr.3 BVFG, wozu u.a. die ehemalige Sowjetunion zählt, dem dSK angehört haben; insofern sollte eine Gleichstellung
der aus den osteuropäischen Vertreibungsgebieten stammenden deutschstämmigen Juden mit den
deutschstämmigen Aussiedlern erreicht werden (vgl. BT-Drucks 11/5530 S.29); die nachträglich eingefügte 2.
Alternative des Buchst.a Nr.2 erweitert den Anwendungsbereich auch auf Personen, die das 16. Lebensjahr im
Zeitpunkt der Erstreckung des Einflussbereichs zwar noch nicht vollendet hatten, die aber im Zeitpunkt des
Verlassens des Vertreibungsgebietes (§ 1 Abs.2 Nr.3 BVFG) dem dSK angehörten. Die Gründe für das Verlassen des
jeweiligen Vertreibungsgebietes sind unbeachtlich (Verbandskomm., SGB VI, § 17a Anm.3.7). Ein
Ursachenzusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zum dSK und dem Verlassen der Vertreibungsgebiete ist nicht
erforderlich.
Für die Frage der Zugehörigkeit zum dSK kommt nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtssprechung dem
Gebrauch der deutschen Sprache ausschlaggebende Bedeutung zu. Zugrunde liegt die schon in der zu § 150 des
Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) ergangenen Entscheidung des BGH vom 25.03.1970 - RzW 1970,503 -
ausführlich dargelegte Überlegung, dass derjenige, der eine Sprache im persönlichen Bereich ständig gebraucht, nicht
nur diesem Sprachkreis angehört, sondern auch dem durch die Sprache vermittelten Kulturkreis, weil sie ihm den
Zugang zu dessen Weltbild und Denkwelt erschließt. Die Zugehörigkeit ergibt sich daher im Regelfall aus dem
zumindest überwiegenden Gebrauch der deutschen Muttersprache im persönlichen Lebensbereich, welcher in erster
Linie die Sphäre von Ehe und Familie, aber auch den Freundeskreis umfasst. Eine Mehrsprachigkeit steht der
Zugehörigkeit zum dSK dann nicht entgegen, wenn der Verfolgte die deutsche Sprache wie eine Muttersprache
beherrscht und sie in seinem persönlichen Bereich überwiegend gebraucht hat (u.a. BSG vom 26.09.1991 - 4 RA
89/90 - in SozR 3-5070 § 20 Nr.2).
Ob der Kläger in diesem Sinne bereits zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf
sein Heimatland erstreckte - für die Ukraine gilt der 01.09.1941 als Stichtag - dem deutschen Sprach- und Kulturkreis
dort angehörte, kann letztlich offen bleiben. Er war in diesem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt, so dass insoweit auf die
Verhältnisse der Eltern abzustellen ist. Die Zeugen S. und B. bekunden dazu in ihren knappen schriftlichen
Erklärungen, es sei im Elternhaus des Kläger "russisch, jiddisch und deutsch" gesprochen worden. Es ist wohl davon
auszugehen, dass russisch vor allem außerhalb des persönlichen Familienbereichs gesprochen wurde. Den
deutschen Sprachanteil gab der Kläger mit 50 % an, deutsch sei möglicherweise eher dann benutzt worden, wenn es
um Kulturelles ging. Zumindest der überwiegende Gebrauch des Deutschen als Muttersprache ist danach nicht belegt.
Nach der Lebenserfahrung dürfte auch davon auszugehen sein, dass jiddisch - die Volkssprache der nicht
assimilierten aschkenasischen Juden mit romanischen, hebräisch-aramäischen, slawischen und deutschen
Komponenten, insgesamt eine teilweise dem Deutschen ähnliche, aber doch eigene Sprache - im täglichen Leben im
Vordergrund stand.
Selbst wenn man aber den Gebrauch des Deutschen "wie eine Muttersprache" im täglichen Leben der Familie des
Klägers bejaht und damit von der Zugehörigkeit des Klägers zum dSK im Jahre 1941 und auch danach ausgeht, kann
dies nur für die Zeit gelten, in der der Kläger noch im Elternhaus lebte oder engen Kontakt dahin hatte, also für die
Zeit nach Ende der kriegsbedingten Evakuierung nach Usbekistan und darüber hinaus bis 1963, solange der Kläger
sich in Ausbildung befand bzw. auch nach Aufnahme einer Berufstätigkeit noch in O. lebte. Spätestens mit Beginn
der beruflichen Tätigkeit in M. 1963 und erst Recht mit der Eheschließung dort im Jahre 1965 ist aber davon
auszugehen, dass eine Distanzierung von dem noch von den Eltern geprägten Kontakt zum dSK stattfand. Mit den
beruflichen Notwendigkeiten und dem neuen Umfeld in M. trat zwangsläufig die russische Sprache in den
Vordergrund; ebenso wurde in der Ehe nicht deutsch gesprochen, da die Ehefrau des Klägers nur russisch und
französisch sprach und auch der gemeinsame Sohn das Deutsche nicht erlernte.
Das Bundessozialgericht hat sich mehrfach mit vergleichbaren Sachverhalten beschäftigt und dazu entschieden,
derjenige, der Deutsch als Muttersprache gesprochen hat und nach Beendigung der Verfolgungsmaßnahmen zunächst
weiter im persönlichen Lebensbereich verwendet, die durch den Gebrauch der deutschen Sprache vermittelte
Zugehörigkeit nicht unmittelbar in dem Zeitpunkt verliert, von dem an der Gebrauch der deutschen Sprache im
persönlichen Lebensbereich nicht mehr überwiegt; sie bleibt regelmäßig für eine Übergangszeit von bis zu 20 Jahren
erhalten (BSG vom 19.04.1990 - 1 RA 105/88 - und 26.09.1991 - 4 RA 89/90 - in SozR 3-5070 § 20 Nrn.1 und 2; vom
29.06.2000 - B 4 RA 47/99 R - in SozR 3-5050 § 17a Nr.3). Die Dauer der Übergangszeit hängt von den Umständen
des jeweiligen Einzelfalles ab. Zu berücksichtigen sind die persönlichen Gründe, die zum Nichtgebrauch der
deutschen Sprache geführt haben, sowie die objektiven Lebensverhältnissen, sofern sie durch die Verfolgung bzw.
Vertreibung wesentlich geprägt sind: eine indizielle Bedeutung für eine freiwillige Abkehr vom dSK kommt dem
Sprachverhalten um so weniger zu, je mehr die objektiven durch die Verfolgung/Vertreibung geprägten
Lebensverhältnisse einen Wechsel der Sprache erzwungen haben (BSG vom 26.09.1991 a.a.O.).
In Anwendung dieser vom BSG herausgearbeiteten Maßstäbe ist festzustellen, dass die möglicherweise vorhanden
gewesene enge Bindung des Klägers an den dSK ab Mitte der Sechzigerjahre immer mehr abnahm, wobei diese
Umstände in keiner Weise durch verfolgungs- oder vertreibungsbedingte Sachverhalte geprägt waren, und spätestens
Mitte der Achtzigerjahre soweit gelockert war, dass von einer fortbestehenden Zugehörigkeit zum dSK nicht mehr die
Rede sein kann. Erst recht kann dies nicht mehr bejaht werden für die Zeit bis 1992, als der Kläger sein Heimatland
Sowjetunion - und damit ein Vertreibungsgebiet i.S.des § 1 Abs.2 Nr.3 BVFG - nach 30-jähriger beruflicher Tätigkeit in
M. , wo er trotz einzelner Nachteile auf Grund seines jüdischen Glaubens doch insgesamt voll integriert war,
verlassen hat. Dass der Kläger auch weiterhin eine Vorliebe für das Deutsche gehabt haben mag - z.B. dem DDR-
nahen deutsch-sowjetischen Kulturkreis angehörte und gelegentlich deutsche Filme anschaute oder beruflich
deutsche Fachbücher benutzte - steht dem nicht entgegen. Im Übrigen bestehen über den Umfang solcher Kontakte
keinerlei näheren Anhaltspunkte.
Bei dieser Sach- und Rechtlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG
zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.