Urteil des LSG Bayern vom 24.04.2007

LSG Bayern: bandscheibenvorfall, ärztliche behandlung, wahrscheinlichkeit, arbeitsunfall, mrt, form, röntgen, spondylarthrose, bedingung, osteochondrose

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 4 U 171/03
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 137/05
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.02.2005 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 26.07.2001.
Der 1971 geborene Kläger erlitt am 26.07.2001 einen Arbeitsunfall, indem er sich den Rücken "verriss". Er war mit
zwei weiteren Mitarbeitern damit beschäftigt, eine 7 bis 8 m lange, 62,5 cm hohe und 20 cm breite Gasbetonplatte mit
einem Gewicht von etwa 1 Tonne umzulegen, als ihm die Platte gegen das linke Bein innen gekippt ist. Um sich zu
befreien, musste sich der Kläger, dessen Oberkörper zum Unfallzeitpunkt bereits nach vorne geneigt war, vorbeugen.
Bei dieser Bewegung verspürte er Schmerzen im Rücken.
Der Kläger stellte die Arbeit ein und begab sich am 27.07.2001 in ärztliche Behandlung zu Dr. F. , Allgemeinarzt.
Dieser diagnostizierte in seinem Arztbericht vom 03.06.2002 eine akute Lumbalgie bzw. ISG-Blockierung rechts.
Eine Unfallmeldung durch den Arbeitgeber erfolgte mit Unfallanzeige vom 07.05.2002.
Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die Behandlungsunterlagen des Dr. F. und des Dr. R. , Orthopäde,
sowie die einschlägigen Röntgen- und MRT-Aufnahmen und ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Bayern bei und
holte ein Gutachten des Dr. T. , Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, vom 25.03.2003 ein.
Dr. T. führte aus, dass der im November 2001 erhobene MRT-Befund schwere degenerative Veränderungen der
gesamten Lendenwirbelsäule im Sinne von Osteochondrose, Spondylarthrose, Zeichen eines Morbus Scheuermann,
Bandscheibenprotrusionen im Segment L1/2, L3/4, einen medio-rechtslateralen Bandscheibenprolaps mit beginnender
Sequestrierung L4/5 sowie einen medialen Bandscheibenprolaps L5/S1 zeige. Diese Veränderungen entwickelten sich
nicht innerhalb eines Vierteljahres, sondern seien vorbestehend. Aufgrund einer derartigen Vorschädigung der
Lendenwirbelsäule könne das äußere Ereignis nicht mehr als wesentliche Teilursache für die nachgewiesenen
Veränderungen gewertet werden. Krankhafte Veränderungen, die mit Wahrscheinlichkeit Folge des Unfalls vom
26.07.2001 seien, lägen nicht vor. Unfallunabhängig bestünden schwere degenerative Veränderungen der
Lendenwirbelsäule im Sinne eines Morbus Scheuermann, eine Osteochondrose, eine Spondylarthrose sowie
Bandscheibenprotrusionen und Bandscheibenprolapse.
Mit Bescheid vom 16.04.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung ab. Sie stützte sich dabei auf das Gutachten des Dr. T ...
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2003 als unbegründet
zurück.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und beantragt, die
Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2003 in der Form des
Widerspruchsbescheides vom 26.05.2003 ab Antragstellung aufgrund des Arbeitsunfalls vom 26.07.2001
Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Das SG hat die einschlägigen Röntgen- und MRT-Aufnahmen beigezogen und auf Antrag des Klägers gemäß § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Dr. L. , Facharzt für Orthopädie, vom 23.07.2004 eingeholt.
Dr. L. hat ausgeführt, dass durch den Unfall vom 26.07.2001 ein Bandscheibenvorfall hervorgerufen worden sei. Beim
Kläger lägen nur initiale degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule vor, die für die geklagten Beschwerden
nicht ursächlich seien. Die Beschwerden würden ausschließlich durch den Bandscheibenvorfall L4/5 verursacht, der
zu persistierenden Missempfindungsstörungen des rechten Beines führe. Die degenerativen Veränderungen seien
allenfalls als eine Teilursache anzusehen. Die MdE sei mit 20 v.H. zu bewerten.
Mit Urteil vom 24.02.2005 hat das SG die Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf die Ausführungen von Dr.
T. gestützt.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und auf die Ausführungen des Dr. L. hingewiesen.
Der Senat hat die einschlägigen Röntgen- und MRT-Aufnahmen beigezogen und ein Gutachten des Dr. F. , Arzt für
Orthopädie, vom 30.06.2006 eingeholt.
Dr. F. hat dargelegt, dass eine verletzungsbedingte Bandscheibenläsion ausgeschlossen werden könne und bei nicht
gesicherter Schadenslage ein Kausalzusammenhang zu dem geltend gemachten Ereignis nicht herstellbar sei.
Bandscheibenvorfälle als Unfallfolge würden stets mit begleitenden (minimalen) knöchernen oder Bandverletzungen
erscheinen. Es hätte zudem ein sog. bone bruise (Knochenödem) im ersten Kernspintomogramm vom 02.11.2001
nachgewiesen werden müssen, um überhaupt die Schadenslage einer verletzungsbedingten Bandscheibenschädigung
zu sichern. Für ein solches bone bruise ergebe sich keinerlei Hinweis auf dem Kernspintomogramm. Der vom Kläger
geschilderte Unfallmechanismus sei nicht geeignet, ohne diese nachgewiesenen minimalen knöchernen
Strukturveränderungen einen Bandscheibenvorfall wenigstens wesentlich mit zu verursachen. Die beim Kläger
vorbestehenden Erkrankungen in Form einer multisegmentalen Schädigung von Bandscheiben der Lendenwirbelsäule
teils auf der Basis einer Scheuermann-Erkrankung, teils bei Übergangsstörung mit sechs Lendenwirbelkörpern, seien
durch das Ereignis nicht richtunggebend und auch nicht vorübergehend verschlimmert worden. Es lasse sich nicht
ausreichend begründen, dass die geltend gemachte Verschiebung der 4. Lendenbandscheibe durch das Unfallereignis
auch nur verschlimmert worden sein könne.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 24.02.2005 und
des Bescheides vom 16.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2003 zu verurteilen, ihm
aufgrund des Arbeitsunfalls vom 26.07.2001 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. ab Antragstellung zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.02.2005
zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den
Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des Sozialgerichts
Regensburg unter dem Az.: S 4 U 65/03 sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.02.2005 ist
nicht zu beanstanden, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente hat. Die
beim Kläger vorliegenden Beschwerden an der Lendenwirbelsäule, insbesondere der geltend gemachte
Bandscheibenvorfall im 4. Segment der Lendenwirbelsäule einschließlich der Verschleißerscheinungen sind nicht mit
Wahrscheinlichkeit im Sinne einer wesentlichen Ursache auf das Unfallereignis vom 26.07.2001 zurückzuführen.
Nach § 56 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, wenn ihre
Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um
mindesten 20 vom Hundert (v. H.) gemindert ist.
Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und
Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen
Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall
führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach
dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als
ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung
zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs
zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger
Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die
Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren
außer Betracht bleiben können, d. h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen
einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl BSGE 32,
203, 209; 45, 285, 286).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger am 26.07.2001
einen Arbeitsunfall erlitt, der keine Gesundheitsstörungen zur Folge hatte, die bleibende Schäden hervorgerufen
haben.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus dem
Gutachten des Dr. F ... Das Gutachten des Dr. L. konnte demgegenüber nicht überzeugen.
Beim Kläger fehlt es bereits an einer verletzungsbedingten Bandscheibenschädigung. Der Bandscheibenvorfall L4/5
ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf den Arbeitsunfall vom 26.07.2001 zurückzuführen. Nach den
überzeugenden Ausführungen von Dr. F. , der sich auf die maßgebende medizinische Begutachtungsliteratur stützt,
ist für das Vorliegen eines unfallbedingten Bandscheibenvorfalls erforderlich, dass begleitende (minimale) knöcherne
oder Bandverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment vorliegen. Vor einer unfallbedingten
mechanischen Schädigung der Bandscheibe müssen die sichernden, gelenkigen und ligamentären Strukturen verletzt
worden sein (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S.527, 529). Das bone
bruise ist als Signalanhebung mit dem Kernspintomograph nachweisbar (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.,
S.529). Nach den Feststellungen des Dr. F. ist indessen im ersten Kernspintomogramm vom 02.11.2001 ein bone
bruise nicht nachgewiesen worden.
Begleitende knöcherne Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule sowie Bandverletzungen und das bone bruise geben
Hinweise auf die Stärke der Krafteinwirkung, die eine Bandscheibenverletzung bewirken kann. Dementsprechend
ergeben sich nach der Analyse des Schadensbildes Rückschlüsse auf die bio-mechanische Einwirkung durch das
Unfallereignis und damit auf dessen Geeignetheit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S.529). Es ist daher
entsprechend den Ausführungen von Dr. F. auch davon auszugehen, dass der vom Kläger geschilderte
Unfallmechanismus nicht geeignet war, einen Bandscheibenvorfall wesentlich mitzuverursachen.
Bei Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs kann nach der medizinischen Begutachtungsliteratur davon
ausgegangen werden, dass ohne das Vorliegen entsprechender Begleitverletzungen die Schadensanlage für den
Bandscheibenvorfall wesentlich war (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S.529).
Zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens waren die degenerativen Veränderungen des Klägers entgegen seiner
Auffassung auch nicht nur minimal und von untergeordneter Bedeutung. Nach dem Gutachten des Dr. F. waren
anhand des kernspintomographischen Befundes vom 02.11.2001 multisegmental erhebliche Verschleißerscheinungen
in Form von Osteochondrosen beschrieben. In immerhin vier Segmenten waren Bandscheiben verschoben. Beim
Kläger lag zudem eine abgelaufene Scheuermann-Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Diese führt nahezu immer
zu einer erhöhten Vulnerabilität dieses Wirbelsäulenabschnittes und stellt eine Prädisposition zur Entwicklung
spontaner Bandscheibenschäden dar. Die Scheuermann-Erkrankung der Lendenwirbelsäule hat grundsätzlich eine
ungünstige Prognose. Hinzu kommt die Übergangsstörung mit sechs Lendenwirbelkörpern, die nach den
Ausführungen von Dr. F. ebenfalls als Locus minoris resistentiae einzustufen ist. Als Vorschädigung bestand
demnach eine multisegmentale Schädigung von Bandscheiben der Lendenwirbelsäule teils auf der Basis einer
Scheuermann-Erkrankung, teils bei Übergangsstörung mit sechs Lendenwirbelkörpern.
Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule, insbesondere der geltend gemachte
Bandscheibenvorfall im 4. Segment der Lendenwirbelsäule einschließlich der Verschleißerscheinungen sind daher
nicht mit Wahrscheinlichkeit im Sinne einer wesentlichen Ursache auf das Unfallereignis vom 26.07.2001
zurückzuführen.
Die geltend gemachte Verschiebung der 4. Lendenbandscheibe ist nach den Ausführungen des Dr. F. durch das
Unfallereignis auch nicht verschlimmert worden.
Dem Gutachten des Dr. L. konnte sich der Senat nicht anschließen. Dr. L. beschreibt lediglich die vorliegenden
Bandscheibenschäden. Eine kausale Diskussion nach den unfallversicherungsrechtlichen Grundsätzen und unter
Berücksichtigung der medizinischen Begutachtungsliteratur wird in dem Gutachten indessen nicht vorgenommen.
Ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der beim Kläger jetzt vorliegenden Gesundheitsstörungen ist
somit nicht hinreichend wahrscheinlich. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg
vom 24.02.2005 war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.