Urteil des LSG Bayern vom 31.08.2006

LSG Bayern: besondere härte, verwertung, bedürftigkeit, verkehrsunfall, lebensversicherung, sparkasse, bayern, kündigung, vermögensschaden, entschädigung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 31.08.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 AS 16/05
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 3/06
Bundessozialgericht B 14/7b AS 6/07 R
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 30. November 2005
und des Bescheides vom 2. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2005 dem
Grunde nach verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II zu zahlen. II. Die Beklagte hat dem Kläger
die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - Arbeitslosengeld II (Alg II) - streitig.
Der 1970 geborene Kläger, der vom 01.09.1988 bis 30.08.1991 eine Lehre als Bauzeichner absolvierte, bezog nach
Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld (Alg) I ab 02.10.1997 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Nachdem die
Bundesagentur für Arbeit mit Bescheid vom 18.02.1999, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 23.08.1999, die
Bewilligung der Alhi ab 02.10.1997 mit der Begründung aufgehoben hatte, der Kläger verfüge über ein Vermögen von
155.040,05 DM und sei deshalb nicht bedürftig, machte der Kläger im Rahmen des anschließenden Klageverfahrens
vor dem Sozialgericht Landshut - S 6 AL 346/99 - geltend, das Vermögen stamme überwiegend aus einer
Schmerzensgeldzahlung der Versicherung des Verursachers eines am 15.05.1985 erlittenen Verkehrsunfalles.
Nachdem der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung am 22.11.2001 darauf hingewiesen hatte, dass das von der
Sparkasse bestätigte Sparkonto von 103.148,56 DM nach den vorgelegten Unterlagen aus der
Schmerzensgeldzahlung resultiere und deshalb von dem restlichen Vermögen von 51.098,00 DM nach Abzug des
Freibetrages ein Betrag von 43.890,00 DM zu berücksichtigen sei, schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach
die Bewilligung der Alhi nur für die Zeit vom 02.10.1997 bis 16.09.1998 zurückgenommen werde und es im Übrigen bei
der zunächst bis 31.12.1998 erfolgten Leistungsbewilligung bleibe. Dem Kläger wurde sodann am 01.01.1999 weiterhin
Alhi, die er bis 31.12.2004 bezog, bewilligt.
Am 23.11.2004 beantragte der Kläger die Bewilligung von Alg II. Er legte Unterlagen über Geldanlagekonten in Höhe
von insgesamt 29.783,47 EUR vor. Daneben verfügte er über eine Lebensversicherung, in die er bei einem
Rückkaufwert von 9.104,00 EUR 12.449,10 EUR eingezahlt hatte und über eine weitere Lebensversicherung, in die bei
einem Rückkaufwert von 951,30 EUR 1.661,40 EUR einbezahlt waren.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 02.12.2004 eine Leistungsgewährung mit der Begründung ab, der Kläger
verfüge über verwertbares Vermögen in Höhe von 29.783,47 EUR; unter Berücksichtigung des Freibetrages von
6.800,00 EUR verblieben anzurechnende 22.983,47 EUR. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom
18.01.2005 als unbegründet zurück.
Zur Begründung seiner zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, das
vorhandene Vermögen sei - ebenso, wie bezogen auf die bis 31.12.2004 erhaltene Alhi - anrechnunsfrei, da es aus der
Schmerzensgeldzahlung aufgrund des unverschuldet erlittenen Verkehrsunfalles stamme.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Das vorhandene Vermögen sei bei der
Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen. Eine ausnahmsweise Nichtberücksichtigung des Vermögens, das
nach seinen Angaben des Klägers aus einer Schmerzensgeldzahlung für einen erlittenen, unverschuldeten
Verkehrsunfall stamme, komme nicht in Betracht. Die Ausschlussvorschriften gemäß § 12 Abs.3 SGB II und § 4 Alg-
II-V seien abschließend, Schmerzensgeldzahlungen seien in diesem Katalog nicht aufgeführt.
Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers, der auf § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.6 SGB II verweist
und in der Berücksichtigung des Vermögens einen Verstoß gegen Grundrechte sieht. Er habe das zum Zeitpunkt der
Verhandlung vor dem SG am 22.11.2001 vorhanden gewesene Vermögen von 51.890,00 DM, das von der Anrechnung
auf die Alhi nicht ausgenommen gewesen sei, bis Ende 2004 verbraucht. Das am 01.01.2005 noch vorhandene
Vermögen stamme aus der Zahlung der Versicherung, weiteres Einkommen oder sonstigen Vermögenszufluss habe
er in der Folge nicht gehabt. Mittlerweile sei das Vermögen fast vollständig aufgebraucht. Bei dem Verkehrsunfall, bei
dem er von einem Auto auf seinem Mofa angefahren worden sei, sei allenfalls ein Sachschaden von 1.000,00 DM
entstanden und entschädigt worden.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom
30.11.2005 und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 02.12.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18.01.2005 zu verurteilen, ihm ab 01.01.2005 dem Grunde nach Arbeitslosengeld II zu
zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten, der
beigezogenen Akten der Bundesagentur für Arbeit und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet.
Der Kläger hat dem Grunde nach ab 01.01.2005 Anspruch auf Alg II. Unstreitig verfügte er außer den am 01.01.2005
angegebenen über keine weiteren Vermögenswerte. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG war er
hilfebedürftig im Sinne der §§ 7 Abs.1 Nr.2., 9 SGB II, da das damals vorhandene Vermögen nicht zu berücksichtigen
ist.
Gemäß § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.6 SGB II ist nämlich Vermögen nicht zu berücksichtigen, soweit seine Verwertung
offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Dass die Verwertung
der Lebensversicherungen unwirtschaftlich ist, weil der aktuelle Rückkaufwert deutlich niedriger ist als die Summe der
eingezahlten Beiträge, wird auch von der Beklagten anerkannt. Jedoch ist auch das übrige Vermögen nicht
anzurechnen, da seine Verwertung eine besondere Härte bedeuten würde. Nach Auffassung des Senats ist es
glaubhaft und nachgewiesen, dass dieses Vermögen auf den Schmerzensgeldzahlungen der Versicherung beruht. Der
Kläger hatte im November 1987 die Summe von 20.000,00 DM und im Oktober 1991 weitere 50.000,00 DM erhalten.
Er hat im Rahmen des Rechtsstreits S 6 AL 346/99 Unterlagen über die Anlage dieser Summen vorgelegt; es
handelte sich um die Sparkassenzertifikate Nr. 3824729 über 50.000,00 DM vom 09.10.1991 bis 09.11.1992, Zinssatz
8,125 % p.a.; das Sparkassenzertifikat Nr.3825403 über 10.000,00 DM vom 13.01.1992 bis 02.02.1993, ebenfalls zu
einem Zinssatz von 8,125 % p.a.; ein weiteres Sparkassenzertifikat mit der Nr. 383824984 über 82.000,00 DM vom
03.02.1994 bis 09.08.1996 zu einem Zinssatz von 5,2 % p.a.; ein Festgeldkonto bei der Sparkasse mit der Nr. 931048
über 20.081,48 DM vom 16.11.1987 an und schließlich eine Kündigung der Spareinlage vom 12.08.1996 über
100.027,65 DM.
Unter Berücksichtigung der erhaltenen Zinsen ist es nachvollziehbar, dass zumindest der am 11.11.1998 vorhandene
Sparkontobestand von 103.148,56 DM auf die Schmerzensgeldzahlung von 70.000,00 DM und die heraus
resultierenden Zinseinnahmen zurückzuführen waren, weshalb die beklagte Bundesagentur für Arbeit und das SG zu
Recht davon ausgingen, dass dieses Vermögen die Bedürftigkeit für die Alhi nicht ausschloss. Weiterhin ist
schlüssig, dass der Kläger, da er für ein knappes Jahr keine Leistungen erhielt, das nicht geschützte Vermögen
während dieser Zeit und darüber hinaus bis zum Ende des Bezugs von Alhi verbraucht hat, zumal er die vom
02.10.1997 bis 16.09.1998 bezogenen Leistungen zurückzuzahlen hatte. Das zum 01.01.2005 - unter Einbeziehung
der die Lebensversicherungen eingezahlten Beträge - vorhandene Vermögen von insgesamt 43.893,97 EUR ist
jedenfalls geringer als das von der Anrechnung auf die Alhi ausgenommene Vermögen von 103.148,56 DM.
Dass Schmerzensgeldzahlungen bei der Prüfung der Bedürftigkeit im Rahmen der Alhi nicht zu berücksichtigen
waren, war unstreitig (vgl. BSG, Urteil vom 17.10.1990, 11 RAr 133/88). Gleiches galt für das bis 31.12.2004 geltende
Sozialhilferecht. Gemäß § 88 Abs.3 Satz 1 BSHG durfte die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung
eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hatte, und für seine
unterhaltsberechtigten Anhörigen eine Härte bedeutet hätte. Als Härte in diesem Sinne wurde der Einsatz eines aus
Schmerzensgeldzahlungen und den hieraus gewonnenen Zinsen stammenden Vermögens angesehen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 18.05.1995, 5 C 22/93, BVerwGE 98, 256 bis 261). Diese Grundsätze sind auch auf § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.6
SGB II zu übertragen. In § 11 Abs.3 Nr.2 SGB II ist klargestellt, dass eine Entschädigung, die wegen eines
Schadens, der nicht Vermögensschaden ist und nach § 253 Abs.2 BGB geleistet wird, nicht als Einkommen zu
berücksichtigen ist. Es würde dem dieser Vorschrift zu entnehmenden Schutzgedanken widersprechen, eine größere
Schmerzensgeldzahlung, die im Monat des Zuflusses als Einnahme anzusehen aber nicht anzurechnen ist, nach
Ablauf dieses Monats, soweit es noch als Vermögen verbleibt, bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit anzurechnen (vgl.
Gröschl-Gundermann in Linhart/Adolph, SGB II, Anm.32 zu § 12 SGB II). Schon deshalb und aufgrund des
besonderen Zweckes der Schmerzensgeldzahlungen ist ein hieraus resultierendes Vermögen auch als im Rahmen
des § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.6 SGB II geschützt anzusehen (so auch Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, Rdnr.83 zu §
12; Brühl in LPK-SGB II, Rdnr.56 zu § 12; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Rdnr.271 zu § 12; Schmidt in
Oestereicher, SGB XII/ SGB II, Rdnr.115 zu § 12).
Da somit dem Kläger dem Grunde nach ab 01.01.2005 ein Anspruch auf Alg II zusteht, waren der Gerichtsbescheid
des SG vom 30.11.2005 sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese dem Grunde nach zu verurteilen,
dem Kläger ab 01.01.2005 Alg II zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
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+GER++ LSG Bayern
+DAT++ 31.08.2006
+AZ+++ L 7 AS 3/06
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+SCH++
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+SPR++ 7. Senat
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+VOR++ SG Landshut; 30.11.2005; S 7 AS 16/05
+ZIT++
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