Urteil des LSG Bayern vom 16.07.2009
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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.07.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 19 AS 888/08
Bayerisches Landessozialgericht L 11 AS 447/08
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.08.2008 aufgehoben
und die Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
I.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für einen Fassadenanstrich in Höhe von 715,75 EUR. Der Kläger
bezieht von der Beklagten seit 01.01.2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er ist
Eigentümer der von ihm bewohnten - in einer Wohnanlage gelegenen - Wohnung A-Straße, A-Stadt. Am 16.04.2008
beschloss die Wohnungseigentümerversammlung die Erneuerung des Farbanstrichs der Fassade des Anwesens.
Hierzu seien aus der Rücklage 15.000,00 EUR zu entnehmen, des Weiteren sei eine Sonderumlage bis Juli 2008 in
Höhe von insgesamt 22.318,40 EUR einzuzahlen, wobei auf den Kläger 715,75 EUR entfielen. Der Antrag wurde mit
einer Gegenstimme mehrheitlich angenommen, es gab keine Enthaltungen. Am 28.05.2008 beantragte der Kläger die
Übernahme dieser Sonderumlage für das Streichen der Fassade, was die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2008
ablehnte. Bei der Gewährung bzw. Übernahme von Kosten sei ein besonders strenger Maßstab anzusetzen; Kosten
für wertsteigernde Maßnahmen, die nicht zwingend notwendig seien, seien abzulehnen. Es handle sich bei dem
Fassadenanstrich um eine überwiegend wertsteigernde Schönheitsreparatur.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2008 zurück. Kosten
für Schönheitsreparaturen könnten generell nicht übernommen werden. Aufwendungen, die lediglich zum Zweck der
Renovierung der Wohnräumlichkeiten entstünden, seien bereits dem Grunde nach nicht erstattungsfähig. Hiergegen
hat der Kläger am 31.07.2008 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2008 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2008 und
des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2008 verurteilt, an den Kläger 715,75 EUR an zusätzlichen Kosten der
Unterkunft als einmaligen Zuschuss zu zahlen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass zu den Kosten der
Unterkunft bei Eigentumswohnungen und Häusern ohne jeden Zweifel die Aufwendungen gehörten, die der
Hilfebedürftige als mit dem Eigentum unmittelbar verbundene Lasten zu tragen habe,; somit auch die Kosten für
Instandhaltungsreparaturen. Bei der von der Eigentümerversammlung beschlossenen Fassadenrenovierung handle es
sich nicht um wertsteigernde Erhaltungsmaßnahmen, um solche könne es sich begrifflich gar nicht handeln, wenn
durch die Maßnahmen lediglich der Zustand wieder hergestellt würde, der zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs
vorhanden gewesen sei. Vorliegend habe der Kläger die Eigentumswohnung bereits kurz nach der Errichtung des
Gebäudes erworben, als der Fassadenanstrich noch neuwertig gewesen sei. Es läge auf der Hand, dass nach 20
Jahren der Fassadenanstrich der Erneuerung bedürfe, hierdurch träte jedoch gegenüber dem ursprünglichen Zustand
keine Wertsteigerung ein, da Art und Ausführung des Fassadenanstrichs nicht wesentlich vom ursprünglichen
Zustand abweichen würden. Es handle sich demnach zweifellos um eine reine Erhaltungsreparatur, die zu keiner
Wertsteigerung führe. Hiergegen hat die Beklagte am 17.09.2008 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Nach § 22
Abs 1 Satz 1 SGB II seien nur solche Aufwendungen erstattungsfähig, die zum Erhalt der Bewohnbarkeit der
Räumlichkeiten aus Gründen der Bausicherheit oder der Gesunderhaltung der Bewohner unabdingbar seien. Es dürfe
sich nicht um wertsteigernde Erneuerungsmaßnahmen handeln. Der Erhaltungsaufwand müsse somit geeignet und
erforderlich sein, dem Leistungsberechtigten sein Eigentum zu Wohnzwecken zu erhalten. Bei einer
Fassadenrenovierung handle es sich um eine wertsteigernde Erneuerungsmaßnahme, die von der Beklagten nicht zu
übernehmen sei. Eine Fassadenrenovierung sei in der Regel eine optische Maßnahme, um das Wohngebäude
attraktiver zu gestalten und damit auch den Wert der Wohnungen zu steigern. Mit Beschluss vom 27.10.2008 hat der
Senat die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Nichtzulassungsbeschwerde
als Berufung fortgesetzt. Nach Auskunft der Hausverwaltung S. (H.) mit Schreiben vom 22.04.2009 handelte es sich
bei dem Streichen der Fassade um eine wertsteigernde Erneuerungsmaßnahme. Es wäre dem Kläger nicht möglich
gewesen, die anderen Eigentümer von diesem Beschluss abzuhalten, da es eine deutlich gefestigte Mehrheit hierfür
gegeben hätte. Der Antrag auf Renovierung sei mit einer Gegenstimme mehrheitlich angenommen worden. Die
Maßnahme habe nicht komplett aus der Instandhaltungsrücklage finanziert werden können, da diese für den
Gesamtaufwand nicht ausgereicht hätte. Für den Kläger habe keine Möglichkeit bestanden, die Sonderumlage nicht
zu zahlen. Auf Anfrage des Senats hat die H. mitgeteilt, dass hinsichtlich der Sonderumlage auch eine Ratenzahlung
möglich gewesen wäre. Der streitgegenständliche Betrag in Höhe von 715,75 EUR sei aber dem Konto der
Hausverwaltung am 05.08.2008 vollständig gutgeschrieben worden. Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Nürnberg vom 20.08.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung
gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.08.2008 zurückzuweisen. Er hält den
angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Beklagtenakten sowie die
Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und in der Sache
auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an den Kläger 715,75 EUR für den Fassadenanstrich
als einmaligen Zuschuss zu zahlen. Nach § 22 Abs 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - werden Leistungen
für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Zu den
grundsätzlich erstattungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft bei Eigenheimen gehören neben den zur
Finanzierung des Eigenheims geleisteten Schuldzinsen auch die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur
Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Aufwendungen im jeweiligen
Bewilligungszeitraum. Berücksichtigungsfähig sind auch tatsächliche Aufwendungen für eine Instandsetzung oder
Instandhaltung, soweit diese nicht zu einer Verbesserung des Standards des selbstgenutzten Eigenheims führen und
sie angemessen sind (vgl BSG 4. Senat vom 03.03.2009, Az. B 4 AS 38/08 R).
Dieser tatsächliche Erhaltungsaufwand muss geeignet und erforderlich sein, dem Leistungsberechtigten sein
Eigentum zu Wohnzwecken zu erhalten. Zum Erhaltungsaufwand zählt somit nicht nur derjenige Aufwand, der
periodisch, regelmäßig anfällt und sich auf notwendige Kleinreparaturen, regelmäßig anfallende Wartungsarbeiten
sowie kleinere Schönheitsreparaturen und Ausbesserungsarbeiten bezieht, sondern auch solcher Aufwand, der der
Verhinderung oder Beseitigung drohender oder schon entstandener Schäden am selbst genutzten Eigenheim dient (vgl
BayLSG 16. Senat vom 15.10.2008, Az. L 16 AS 330/07). Nicht zum Erhaltungsaufwand gehören aber größere
Erneuerungs- und Modernisierungsarbeiten, da diese regelmäßig zu einer Umgestaltung, somit einem neuen Bestand
führen. Kennzeichnend ist, dass das Eigenheim durch sie in einen - nach der Verkehrsanschauung zu beurteilenden -
höherwertigen Zustand versetzt wird (vgl BayLSG 16. Senat aaO). Eine Absenkung des Wohnstandards ist somit
hinzunehmen, solange der für Leistungsberechtigte nach dem SGB II genügende einfache, ein menschenwürdiges
Leben sicherstellende Ausstattungsstandard gewährleistet bleibt (vgl Hessisches LSG 9. Senat vom 05.02.2007, Az.
L 9 AS 254/06 ER). Es kann nicht Aufgabe der Transferleistungen nach dem SGB II oder SGB XII sein, die aus
öffentlichen Steuermitteln finanziert werden, grundlegende Sanierungs- und Erhaltungsarbeiten zu finanzieren (vgl
Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 9. Senat vom 30.08.2007 Az: L 9 B 136/07 AS ER) und dem
Leistungsempfänger somit einen Zuwachs seines Vermögens zu ermöglichen, den dieser auch noch nach einem
eventuellen Ausscheiden aus dem Leistungsbezug für sich realisieren könnte. Wertsteigernde
Erneuerungsmaßnahmen sind somit nicht vom § 22 SGB II umfasst (ganz h.M. vgl. beispielsweise Eicher/Spellbrink,
2.Aufl, 2008, § 22 Rdnr 26; Berlit in LPK - SGB II § 22 Rdnr 22; Mergler/Zink, SGB II, 9.Aufl, § 22 Rdnr 8). Unter
Berücksichtigung der Stellungnahme der H. vom 22.04.2009 handelte es sich bei dem Streichen der Fassade um eine
wertsteigernde Erneuerungsmaßnahme, somit um eine Verbesserung des Standards der Wohnung des Klägers; die
Fassade und das Anwesen befanden sich damit vor der Maßnahme in einem zumindest akzeptablem Zustand,
Schäden bestanden nicht und waren auch nicht zu befürchten. Nicht entscheidungserheblich ist, ob und dass das
Haus wieder in den Zustand zurückversetzt wurde, in dem der Kläger die Wohnung unter Umständen bei Einzug
übernommen hat. Die Auffassung des SG als richtig unterstellt würde bedeuten, dass derjenige, der eine Wohnung in
einem Haus vor 20 Jahren erworben hätte, einen Anspruch auf Kostenübernahme haben würde, während derjenige,
der die Wohnung mit der unrenovierten Fassade erst vor kurzem gekauft hätte, diese Kosten nicht erstattet bekäme,
da es sich dann im Hinblick auf den Zustand zum Zeitpunkt des Kaufes um eine Wertsteigerung handeln würde. Eine
steuerfinanzierte Leistungsgewährung kann nicht von solchen Zufällen abhängig gemacht werden, sondern muss sich
danach orientieren, ob sie über die unmittelbare Wertsteigerung hinaus der Schadensbehebung oder -vorbeugung
dient. Ob unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Kläger dem Mehrheitsbeschluss der
Wohnungseigentümer beugen musste, die Möglichkeit einer Darlehensgewährung in Betracht gekommen wäre (vgl
insoweit LSG Nordrhein-Westfalen aaO), muss vorliegend nicht entschieden werden. Nach Auskunft der H. hat der
Kläger den streitgegenständlichen Betrag bereits am 05.08.2008 bezahlt, mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
gegen den Kläger ist somit nicht zu rechnen. Hinsichtlich der Zahlung der streitgegenständlichen Forderung wäre nach
Auskunft der H. auch eine Ratenzahlung möglich gewesen. Für die Übernahme der Kosten scheidet § 23 Abs 1 SGB
II als Anspruchsgrundlage zur Deckung eines besonderen Bedarfs ebenfalls aus. Die tatbestandlichen
Voraussetzungen der Gewährung eines Darlehens bei einem unabweisbaren Bedarf nach § 23 Abs 1 SGB II liegen
nicht vor. Danach kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer
Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts bei entsprechendem Nachweis durch Darlehensleistungen gedeckt
werden. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung werden aber zusätzlich zu den Regelleistungen gewährt und sind
durch diese nicht abgegolten. Wegen dieser Differenzierung scheidet für nicht von der Regelleistung umfasste Bedarfe
eine abweichende Erbringung von Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB II aus (vgl. LSG für das Land Nordrhein-
Westfalen aaO). Eine vom Kläger gerügte Ungleichbehandlung zwischen einem Wohnungseigentümer und einem
Mieter liegt bei dem gefundenen Ergebnis nicht vor. Im Rahmen des Mietrechts ergibt sich eine einseitige
Mieterhöhungsmöglichkeit bei Modernisierungsmaßnahmen lediglich nach § 559 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB-.
Danach hat der Vermieter, soweit er bauliche Maßnahmen durchführt, die den Gebrauchswert der Mietsache
nachhaltig erhöhen, die allgemeinen Wohnverhältnisse auf Dauer verbessern oder nachhaltig Einsparungen von
Energie oder Wasser bewirken (Modernisierung), oder er andere bauliche Maßnahmen aufgrund von Umständen
durchführt, die er nicht zu vertreten hat, die Möglichkeit, die jährliche Miete um 11 vH der für die Wohnung
aufgewendeten Kosten zu erhöhen. Ein lediglich neuer Fassadenanstrich erhöht aber den Gebrauchswert der
Mietsache nicht, ebenso wenig werden hierdurch die allgemeinen Wohnverhältnisse verbessert. Die weiteren
Alternativen einer Mieterhöhung nach § 559 BGB liegen offensichtlich nicht vor. Somit wäre auch ein - fiktiver -
Vermieter nicht einseitig zu einer Mieterhöhung gegenüber einem - fiktivem - hilfebedürftigem Mieter berechtigt
gewesen, die dieser dann im Wege des § 22 SGB II von der Beklagten hätte erstattet erhalten können. Eine
Ungleichbehandlung von Wohnungseigentümern gegenüber Mietern im Hinblick auf die Kostenübernahme nach § 22
SGB II liegt somit nicht vor. Nach alledem war der Gerichtsbescheid des SG auf die Berufung aufzuheben und die
Klage abzuweisen Die Kostenentscheidung beruht auf den § 183, 193 SGG. Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.