Urteil des LSG Bayern vom 23.03.2010

LSG Bayern: anspruch auf bewilligung, psychische krankheit, stadt, ausbildung, rente, wartezeit, gesellschaft, erfüllung, psychiatrie, jugendlicher

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 23.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 8 R 481/09
Bayerisches Landessozialgericht L 19 R 1065/09 B PKH
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 12.11.2009 aufgehoben. II.
Auf den Antrag vom 30.10.2009 wird der Klägern mit Wirkung ab Antragstellung für das Verfahren S 8 R 481/09
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt R., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Beschwerde der 1967 geborenen Klägerin richtet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg, das um die Gewährung einer
Rente wegen Erwerbsminderung geführt wird.
Auf das Ersuchen der Stadt A-Stadt - Grundsicherungsstelle -teilte die Beklagte der Stadt unter dem 22.01.2004 mit,
dass die Klägerin seit "Jugend ca. 1980" voll erwerbsgemindert sei. Dieser Feststellung lag ein Vermerk des
ärztlichen Dienstes der Beklagten vom 22.01.2004 zugrunde, nach dem nach Aktenlage - aufgrund eines Attestes des
Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie L. vom 28.10.2003 - ein unter dreistündiges Leistungsvermögen der Klägerin
seit "Jugend" anzunehmen sei.
Am 14.10.2008 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Dies lehnte die Beklagte
mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18.12.2008 und Widerspruchsbescheid vom 11.08.2009 ab. Nach
Beiziehung von Entlassungsberichten über stationäre psychiatrische Behandlungen der Klägerin und Auskunft der
Mutter der Klägerin, die psychische Krankheit ihrer Tochter sei im Alter von 14 Jahren festgestellt worden, sei davon
auszugehen, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter dreistündig einsetzbar und der
Leistungsfall mit der ersten stationären Aufnahme der Klägerin in der Psychiatrie am 11.07.1981 eingetreten sei. Das
Datum 11.07.1981 ergebe sich aus Patientendaten der Universitätsklinik F ... In dem Zeitraum 1981 bis 1986 sei die
Klägerin mindestens sechsmal in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen. Eine vom 01.12.1984 bis
30.11.1987 absolvierte Lehre als Friseurin habe die Klägerin nicht abgeschlossen. Die Ausbildung sei durch die
"Gesellschaft Handwerkskammer für Unterfranken / Kolping-Bildungswerk zur beruflichen Förderung Jugendlicher" (ab
1989: gemeinnützige Gesellschaft zur beruflichen Förderung) und somit nicht in einem "normalen" Ausbildungsbetrieb
durchgeführt worden. Die Klägerin sei daher bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert
gewesen, erfülle aber nicht die für eine Rentengewährung erforderliche Wartezeit von 20 Jahren.
Dagegen hat die Klägerin Klage beim SG eingelegt. Im Jahr 1981 sei lediglich die psychiatrische Erkrankung
festgestellt worden. Sie sei weiterhin arbeitsfähig gewesen. Dies zeige die Lehre als Friseurin, die sie allerdings
aufgrund Schwangerschaft nicht abgeschlossen habe. Die Verschlechterung der Erkrankung sei erst in den Jahren
1987 bis1988 eingetreten (Hinweis auf ein Attest des Dr. H. vom 09.02.2009), so dass der Leistungsfall auch in diese
Zeit falle. Rente wegen Erwerbsminderung sei aufgrund vorzeitiger Erfüllung der allgemeinen Wartezeit zu gewähren,
da sie vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung der Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden sei und in den
letzten zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge geleistet habe.
Mit Beschluss vom 12.11.2009 hat das SG den Antrag der Klägerin vom 30.10.2009 auf Bewilligung von PKH für das
erstinstanzliche Verfahren und Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes abgelehnt. Die beabsichtigte
Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auf die Ausführungen der Beklagten im
Verwaltungsverfahren werde verwiesen. Auch bei einem angenommenen Leistungsfall in den Jahren 1987 bis 1988 sei
nicht ersichtlich, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt wären.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Die Klage habe Aussicht auf Erfolg, da Rente wegen
Erwerbsminderung aufgrund vorzeitiger Erfüllung der allgemeinen Wartezeit zu gewähren sei. Vor dem
angenommenen Leistungsfall 1987 bis 1988 sei sie in der Lage gewesen, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt auszuüben. Die Ausbildung bei der "Gesellschaft Handwerkskammer für Unterfranken / Kolping-
Bildungswerk zur beruflichen Förderung Jugendlicher" sei vergleichbar mit einer "normalen" Ausbildung
Zur Ergänzung wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Für das erstinstanzliche Verfahren hat die Klägerin Anspruch auf Bewilligung
von PKH und Beiordnung ihres bevollmächtigten Rechtsanwaltes. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH
liegen vor; insoweit sind hinreichende Erfolgsaussichten gegeben.
Gemäß § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO), § 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist einem
Beteiligten auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig
erscheint.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit
besteht, sein Rechtsschutzziel durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes durchzusetzen. Insbesondere
sind die Erfolgsaussichten grundsätzlich als hinreichend anzusehen, wenn nach summarischer Prüfung eine weitere
Sachverhaltsaufklärung mittels Beweisaufnahme ernstlich in Betracht kommt. Hinreichende Erfolgsaussichten
bestehen dagegen nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die weitere Sachverhaltsaufklärung
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lasten des Antragstellers ausgehen wird (BVerfG Beschluss vom 29.09.2004 - 1
BvR 1281/04 = NJW-RR 2005, 140 mwN).
Im erstinstanzlichen Verfahren kommt eine Beweisaufnahme in Betracht. Die Beklagte hat die Klägerin nicht
untersuchen und begutachten lassen. Sie hat sich bei der Feststellung des Leistungsfalls der Erwerbsminderung auf
die eingeholten Entlassungsberichte und auf den Hinweis der Mutter der Klägerin bezogen. Für die Beurteilung des
Eintritts der vollen Erwerbsminderung war aber eine gutachterliche Stellungnahme des ärztlichen Dienstes einzuholen,
die nach Aktenlage nur zum Ersuchen der Stadt A-Stadt unter dem 22.01.2004 erging. Hinzu kommt, dass weitere
Ermittlungen zum Leistungsvermögen der Klägerin unter dem Gesichtspunkt fehlen, dass die Klägerin eine
Ausbildung absolviert hat. Das SG wird daher auch die behauptete Arbeitsfähigkeit der Klägerin und im Ganzen die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aufzuklären haben.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist auch erforderlich (§ 121 Abs 2 ZPO). Zu beurteilen sind die
versicherungsrechtlichen und medizinischen Voraussetzungen der Rentengewährung (vgl. BVerfG Beschluss vom
22.06.2007 - 1 BvR 439/08 zur Erforderlichkeit der Beiordnung aufgrund anzustellender Beurteilung von
Sachverständigengutachten).
Auch die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH sind gegeben.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Nach § 127 Abs 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht
erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).