Urteil des LSG Bayern vom 03.07.2006

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Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 03.07.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 31 R 5558/03
Bayerisches Landessozialgericht L 13 R 352/06
Bundessozialgericht B 4 R 401/06 B
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. April 2006 wird als unzulässig verworfen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist ein Zahlungsanspruch der Klägerin aus einer Altersrente für die Zeit von Januar 1992 bis Dezember 1993
sowie von Februar 1994 bis Juni 1996 und hierbei die Zulässigkeit der Berufung.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf deren Antrag vom 30. Dezember 1991 Altersrente zunächst ab 1. Januar 1994
(Bescheid vom 27. Januar 1994), später auch für die Zeit vom 1. bis 31. Dezember 1991 (Bescheid vom 13. Mai
1996) und schließlich bereits ab 1. Januar 1992 (Bescheid vom 31. Mai 1996 in der Fassung der Bescheide vom 17.
März und 2. April 1997). Die infolge des früheren Rentenbeginns und der späteren Rentenneufeststellungen
angefallenen Rentennachzahlungen behielt die Beklagte - mit Ausnahme der Zahlung für den Januar 1994 - wegen
Erstattungsansprüchen anderer Sozialleistungsträger - des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für Arbeit) für die Zeit von
Januar 1992 bis Dezember 1993 und des Sozialamtes für die Zeit von Februar 1994 bis Juni 1996 - ein.
Das Begehren der Klägerin, die einbehaltenen Rentennachzahlungen an sie auszuzahlen, blieb ohne Erfolg (Bescheid
vom 22. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003).
Das Sozialgericht München (SG) hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 4. April 2006 abgewiesen. Es hat im
Wesentlichen ausgeführt, die monatlichen Zahlungsansprüche der Klägerin für die streitigen Zeiträume seien gemäß §
107 des 10. Buches Sozialgesetzbuch durch die für die selben Zeiträume erbrachten Leistungen des Arbeitsamtes
und des Sozialamtes erloschen. Nach dieser Vorschrift gilt der Anspruch eines Berechtigten (der Klägerin) gegen den
zur Leistung verpflichteten Leistungsträger (die Beklagte) als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch eines anderen
Leistungsträgers (des Arbeitsamtes und des Sozialamtes) besteht.
Das Urteil ist der Betreuerin der Klägerin am 24. Mai 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden.
Am 2. Mai 2006 (Eingang beim SG) hat die weiterhin unter Betreuung stehende Klägerin gegen das Urteil des SG
Berufung eingelegt. Die Betreuerin hat dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) auf Anfrage am 9. Juni 2006
(Eingang beim LSG) mitgeteilt, dass sie die Einlegung der Berufung nicht genehmige.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. April 2006 und dem Bescheid vom 22. August 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die
Rentennachzahlungen für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1993 sowie vom 1. Februar 1994 bis 30. Juni
1996 an sie auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG (Aktenzeichen: S 31 RA 1390/97, S. 31 RA 180/00 und S. 31
Erbe 5558/03) beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der
Berufungsakte Bezug genommen.
II.
Die statthafte Berufung (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist unzulässig. Die Berufung ist von der Klägerin
nicht wirksam eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG).
Der Senat kann gemäß § 158 SGG durch Beschluss entscheiden. Einer vorherigen Anhörung der Beteiligten bedurfte
es nicht (Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 7. Aufl., § 158 Rdnr. 8).
Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Im vorliegenden Fall hat
die Klägerin selbst Berufung eingelegt. Ihre Erklärung ist jedoch mangels Prozessfähigkeit unwirksam.
Die Klägerin steht seit Februar 2005 unter Betreuung. Die Betreuung umfasst nach dem aktuell gültigen
Betreuerausweis vom 11. April 2006 u.a. die Vermögenssorge und die Vertretung gegenüber Renten- und
Sozialleistungsträgern. Sie erstreckt sich dabei stets auch auf die Vertretung in gerichtlichen Verfahren (§ 1902
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin Leistungen der gesetzlichen
Rentenversicherung. Die Vertretung der Klägerin in diesem Rechtsstreit fällt damit in den Aufgabenbereich der
Betreuerin.
Da das Vormundschaftsgericht für Erklärungen, die den Aufgabenkreis der Betreuerin betreffen, keinen
Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB) angeordnet hat, bedürfen Erklärungen, die die Klägerin selbst
gegenüber dem Rentenversicherungsträger - der Beklagten - oder dem Gericht abgibt, zwar nicht der (vorherigen)
Einwilligung oder (nachträglichen) Genehmigung (§ 1903 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 108 BGB) der Betreuerin. Auch
bestehen keine Anhaltspunkte für eine generelle Prozessunfähigkeit der Klägerin.
Allerdings bestimmt § 71 SGG i.V.m. § 53 Zivilprozessordnung (ZPO), dass die in einem Rechtsstreit von einem
Betreuer vertretene prozessfähige Person für diesen Rechtsstreit - nicht lediglich für die jeweilige Instanz - einer
prozessunfähigen Person gleichsteht. Die Klägerin ist in erster Instanz durch ihre Betreuerin vertreten worden. Diese
Betreuerin hat durch ihre Mitteilung an das LSG, die Einlegung der Berufung nicht zu genehmigen, zu erkennen
gegeben, dass sie den Rechtsstreit nicht im Wege der Berufung fortsetzen will. Anders als in Fällen, in denen der
Betreuer die Vertretung im laufenden Rechtsstreit nicht wahrnimmt (vgl. BVerwG Beschluss vom 10. Oktober 1994,
Az.: 3 B 48/93), ist hier eine gegenteilige Prozesserklärung der Klägerin mangels Prozessfähigkeit unwirksam (vgl.
BVerwG Beschluss vom 20. Februar 1996, Az.: 5 B 214/95). § 53 ZPO verfolgt gerade das Ziel, im Falle einer
Vertretung durch einen Betreuer sich widersprechende Prozesshandlungen des Betreuers und des Betreuten zu
vermeiden.
Da bis zum Ablauf der Berufungsfrist am 26. Juni 2006 (§ 64 Abs. 3 SGG) keine wirksame Erklärung über die
Einlegung der Berufung abgegeben worden ist, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrem Klagebegehren auch im
Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.