Urteil des LSG Bayern vom 20.12.2010

LSG Bayern: alleinerziehender vater, bad, entschuldigung, glaubhaftmachung, fahrzeug, auto, strafprozessordnung, abmeldung, sonntag, zivilprozessordnung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 20.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 9 AS 801/07
Bayerisches Landessozialgericht L 2 AS 708/10 B
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 9. September 2010 aufgehoben. II. Die
Staatskasse hat dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. III.
Im Übrigen werden keine Kosten erhoben.
Gründe:
I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Verhängung von Ordnungsgeld gegen einen nicht erschienen Zeugen.
In dem Verfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth ist die Rechtmäßigkeit der Absenkung des dem Kläger zustehenden
Anteils am Arbeitslosengeld II im Zeitraum vom 1. Juni bis 31. August 2007 streitig. Das Sozialgericht hat den
Beschwerdeführer als Zeugen zu einem Termin zur Beweisaufnahme und zur Erörterung der Sach- und Rechtslage
am 1. September 2010 geladen. Die Ladung, die einen Hinweis auf die Folgen des unentschuldigten Ausbleibens
enthielt, wurde dem Beschwerdeführer mit Postzustellungsurkunde am 29. Juni 2010 zugestellt.
Der Beschwerdeführer war am Termin der nichtöffentlichen Sitzung nicht anwesend. Er hatte dem Gericht jedoch
unmittelbar vor der Sitzung telefonisch mitgeteilt, dass er sich dienstlich in Bad G. aufhalte und dass sein Auto heute
früh kaputt gegangen sei. Das Auto werde er in den nächsten Wochen abmelden und verschrotten. Laut der
vorliegenden Gesprächsnotiz werde der Beschwerdeführer einen Nachweis an das Gericht senden. Das Sozialgericht
hat die Sitzung mit Beschluss vertagt.
Mit Schreiben vom 2. September 2010 hat das Sozialgericht Nachweise für die Tätigkeit in Bad G. und Nachweise für
das Nichtfunktionieren des Autos am 1. September 2010 angefordert. Ferner hat es darauf hingewiesen, dass bei
nicht genügender Entschuldigung für das Nichterscheinen zum Termin am 1. September 2010 ein Ordnungsgeld
verhängt werden könne.
Mit Beschluss vom 9. September 2010 hat das Sozialgericht gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe
von 200.- EUR verhängt. Die geforderten Nachweise habe dieser dem Gericht nicht übermittelt. Das Nichterscheinen
sei daher nicht hinreichend entschuldigt.
Im Rahmen der Begründung der Beschwerde hat der Beschwerdeführer einen Beleg vom 6. September 2010 über die
Außerbetriebsetzung seines Kfz, die Gewerbeanmeldung vom 16. März 2009, eine Rechnung seines Unternehmens
für Leistungen in Bad G. vom 30. August bis 3. September 2010 sowie einen Einkaufsbeleg aus G. vom 2. September
2010 eingereicht.
II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige und statthafte Beschwerde ist begründet.
Nach § 118 SGG in Verbindung mit § 380 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) sind einem ordnungsgemäß geladenen
Zeugen, der nicht erscheint, die durch das Ausbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen und zugleich ein
Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festzusetzen. Nach § 381
Abs. 1 S. 1 ZPO kann die Festsetzung von Ordnungsgeld unterbleiben, wenn der Zeuge sein Ausbleiben rechtzeitig
und genügend entschuldigt.
Der Beschwerdeführer wurde unstreitig ordnungsgemäß geladen. Er hat dem Gericht aber telefonisch noch vor dem
Sitzungstermin mitgeteilt, dass er sich in Niederbayern aufhält und wegen eines Defektes an seinem Fahrzeug den
Termin nicht wahrnehmen kann. Eine Entschuldigung, die nur telefonisch bei der Geschäftsstelle oder der Poststelle
des Gerichts eingeht, kann ausreichend sein, wenn diese noch vor der Sitzung erfolgt (so wohl auch:
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 381 Rdnr. 4). Zutreffend hat das Sozialgericht jedoch
Nachweise für das Vorbringen angefordert. Diese wurden, allerdings erst im Beschwerdeverfahren, vorgelegt. Hieraus
ergibt sich zum einen, dass sich der Beschwerdeführer tatsächlich am 1. September 2010 in Bad G. aufgehalten hat,
zum anderen wurde glaubhaft belegt, dass sein Fahrzeug defekt war und am 6. September 2010 wegen Verschrottung
abgemeldet wurde. Zwar erfolgte die Glaubhaftmachung erst mit Schreiben vom 12. September 2010, doch enthielt
das gerichtliche Schreiben vom 2. September 2010 zum einen keine Fristsetzung, zum anderen wäre der Eingang der
Nachweise vor dem Tag der Beschlussfassung am 9. September 2010 über den Postweg nur sehr knapp möglich
gewesen, zumal sich mit dem 5. September 2010 ein Sonntag in diesem Zeitraum befand. Schließlich hat der
Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass die Abmeldung des Fahrzeuges erst am 6. September 2010 möglich war
und er als alleinerziehender Vater auch private Verpflichtungen hatte.
Es liegt damit eine rechtzeitige und genügende Entschuldigung für das Ausbleiben vor. Erfolgt die Glaubhaftmachung
nachträglich, sind die getroffenen Anordnungen gemäß § 381 Abs. 1 S. 3 ZPO unter den Voraussetzungen des
Satzes 2 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 197 a SGG, da der Beschwerdeführer im
Beschwerdeverfahren nicht zum begünstigten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Danach sind nur Versicherte,
Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger
von den Gerichtskosten befreit, wenn sie als Kläger oder Beklagte an einem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht
beteiligt sind. Der Beschwerdeführer gehört als Zeuge nicht zu diesem Personenkreis (vgl. auch Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 176 Rdrn. 5 m.w.N.). Da die Beschwerde zur vollständigen Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses führt, hat die Staatskasse dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten, sofern
solche angefallen sind, zu erstatten. Der Senat wendet für die Durchführung einer erfolgreichen Beschwerde § 467
Abs. 1 Strafprozessordnung und § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz entsprechend an. Von der Erhebung von
Gerichtskosten war gemäß § 22 Gerichtskostengesetz abzusehen (vgl. Kopp, VwGO, 10. Aufl., § 155 Rdnr. 24).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.