Urteil des LSG Bayern vom 23.10.2008

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 23.10.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 2 KR 248/02
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 485/07
Bundessozialgericht B 12 KR 15/09 B
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29. November 2007 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Krankenversicherungsschutz des Klägers bei der Beklagten in der Zeit vom
20.07.2001 bis 23.01.2003 streitig.
Der 1954 geborene Kläger war bis Mitte 1999 bei der Beigeladenen gesetzlich versichert. Danach war er nicht mehr
versichert. Am 20.07.2001 nahm der Kläger eine Beschäftigung als Angestellter bei der Firma Auto-F. auf. Zum
Arbeitsbeginn teilte er seinem Arbeitgeber mit, dass er bei der Beklagten versichert sein wolle, woraufhin der
Arbeitgeber den Kläger dementsprechend bei der Beklagten mit Schreiben vom 28.07.2001, Eingang bei der
Beklagten am 30.07.2001, anmeldete.
Am 27.07.2001 erlitt der Kläger einen Unfall, infolge dessen er zunächst im Koma lag, stationär behandelt werden
musste und deshalb Krankenversicherungsleistungen anfielen.
Mit Bescheid vom 31.08.2001 verneinte die Beklagte ihre Zuständigkeit, weil ihrer Meinung nach die Zuständigkeit der
Beigeladenen gegeben sei. Der Kläger habe sein Wahlrecht gemäß § 175 Abs.1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB V) nicht ihr gegenüber, sondern lediglich gegenüber dem Arbeitgeber ausgeübt, was nicht ausreichend sei, um
Versicherungsschutz zu erlangen.
Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, die Firma F. habe
rechtskonform gehandelt, indem sie der Beklagten als einer nach § 173 SGB V für ihn wählbaren Krankenkasse
angemeldet und ihr dies auch mitgeteilt habe. Damit habe er sein Wahlrecht gemäß § 175 Abs.1 SGB V ausgeübt.
Mit weiterem Bescheid vom 16.10.2001 lehnte es die Beklagte erneut ab, die Mitgliedschaft des Klägers
anzuerkennen.
In dem auch dagegen eingelegten Widerspruch verblieb der Kläger bei seiner Auffassung. Da er unmittelbar vor Eintritt
der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert gewesen sei, habe der Arbeitgeber ihn bei einer von ihm zu
wählenden Krankenkasse anmelden und wirksam sein Wahlrecht ausüben können. Die gewählte Krankenkasse habe
kein Ablehnungsrecht. Da er als Angestellter der Firma Auto-F. an einer Mitgliedschaft bei der Beklagten interessiert
gewesen sei, wäre es Pflicht der Beklagten als Sozialversicherungsträger gewesen, ihn darauf hinzuweisen, dass mit
einer Anmeldung durch den Arbeitgeber dem aktiven Wahlrecht möglicherweise nicht Genüge getan sei.
Herr P. F., der Arbeitsgeber des Klägers, teilte auf eine Anfrage mit, dass es der Wunsch des Klägers gewesen sei,
bei der Beklagten angemeldet zu werden, dem er nachgekommen sei.
Die Beigeladene vertrat die Auffassung, die Beklagte habe die Mitgliedschaft des Klägers nicht ablehnen dürfen. Der
Kläger habe seine Wahlentscheidung, Mitglied der Beklagten zu werden, bei Beschäftigungsbeginn geäußert.
Daraufhin sei auch die rechtzeitige Meldung erfolgt.
Das Widerspruchsverfahren blieb mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2002 unter Bestätigung der bislang
vertretenen Auffassung erfolglos.
Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen
ausgeführt, er sei davon ausgegangen, dass, wenn er seinem Arbeitgeber mitteile, bei welcher Krankenkasse er
versichert sein wolle, er in genügendem Maße seinem aktiven Wahlrecht für die gesetzliche Krankenversicherung
nachgekommen sei. Die diesbezüglich einzuhaltende Frist von zwei Wochen bis zum 03.08.2002 sei durch seinen
Arbeitgeber eingehalten worden, da dieser der Beklagten die Anmeldung am 30.07.2001 zugesandt habe.
Mit Beschluss vom 27.08.2007 hat das SG die AOK Bayern zum Verfahren beigeladen.
Mit Urteil vom 29.11.2007 hat das SG die Bescheide vom 31.08. und 16.10.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 12.08.2002 aufgehoben. Die Beklagte sei verpflichtet, den Kläger im
streitgegenständlichen Zeitraum als pflichtversichertes Mitglied zu führen und ihm die Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung zu erbringen. Für die Durchführung der Versicherung sei die Krankenkasse zuständig, die der
Antragsteller wähle. Die Ausübung des Wahlrechts sei gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären, welche
die Mitgliedschaft nicht ablehnen dürfe. Hier sei eine derartige Krankenkassenwahl zum 20.07.2001 unstreitig möglich
gewesen. Aus den Angaben des Klägers und des Arbeitsgebers ergäbe sich, dass der Kläger die Beklagte wählen
wollte und er dies auch gegenüber seinem Arbeitgeber (Meldestelle) ausdrücklich erklärt hat. Die Wirksamkeit der
Wahlentscheidung werde nicht dadurch beeinträchtigt, dass diese zunächst nicht gegenüber der Beklagten, sondern
gegenüber dem Arbeitgeber als Meldestelle erklärt wurde. Die Wahl müsse gegenüber der gewählten Krankenkasse
nicht höchstpersönlich erklärt werden, sondern könne auch durch einen Stellvertreter erfolgen. Es könne dahingestellt
bleiben, ob der Arbeitgeber als Bote oder als Vertreter des Klägers dessen Wahlentscheidung an die Beklagte
weitergegeben habe. Sinn und Zweck des § 175 Abs.3 SGB V sei, kurzfristig Klarheit über die für die Durchführung
der Pflichtversicherung zuständige Krankenkasse herzustellen. Habe der Versicherte innerhalb der zweiwöchigen Frist
eine Krankenkasse gewählt, sei die gewählte Krankenkasse daran gebunden. Denn die Meldung habe nicht nur die
Bedeutung, dass nur hierdurch der Beitritt zur gewählten Krankenkasse wirksam wird, sondern diene auch dazu,
gegenüber der meldepflichtigen Stelle die vorgenommene Krankenkassenwahl möglichst frühzeitig zu erklären. Es
reiche deshalb aus, wenn der Versicherte eine Wahl innerhalb der 2-Wo-chen-Frist unmittelbar gegenüber der
meldepflichtigen Stelle vornehme und diese die Wahlentscheidung des Versicherten an die gewählte Krankenkasse
weiterleitet.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung wiederholt die Beklagte im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.
Die Beigeladene vertritt die Auffassung, dass das angefochtene Urteil des SG Würzburg zutreffend sei und sie sich
deshalb dessen Begründung vollinhaltlich anschließe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29.11.2007 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Der Kläger und die Beigeladene halten das von der Beklagten angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie die Verfahrensakten beider Rechtszüge,
die Akte des erledigten Antragsverfahrens S 3 KR 176/02 ER sowie die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs.1 Satz 2 SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151
Abs.2 SGG) und zulässig, erweist sich aber in der Sache als unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens (§ 95 SGG) sind die Bescheide der Beklagten vom 31.08. und 16.10.2001 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2002, mit dem die Beklagte ab 20.07.2001 die Mitgliedschaft des Klägers bei
ihr abgelehnt hat.
Denn die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum vom 20.07.2001 bis 23.01.2003 als
pflichtversichertes Mitglied zu führen und ihm die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass der Kläger ab 20.07.2001 als Angestellter mit einem monatlichen
Bruttogehalt von DM 1.600,00 gemäß § 5 Abs.1 Nr.1 SGB V in der Krankenversicherung versicherungspflichtig war.
Nach § 173 Abs.2 Nr.2 SGB V können Versicherungspflichtige und Versicherungsberechtigte die Mitgliedschaft bei
jeder Ersatzkasse wählen, deren Zuständigkeit sich nach der Satzung auf den Beschäftigungs- oder Wohnort
erstreckt. Dieses allgemeine Krankenkassen-Wahlrecht gilt für alle Krankenversicherungspflichtigen und
Versicherungsberechtigten. Daher konnte der Kläger die Mitgliedschaft bei der Barmer Ersatzkasse wählen.
Nach § 175 Abs.3 Satz 1 SGB V in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung ist das Wahlrecht Versicherungspflichtiger
spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht auszuüben. Wird das Wahlrecht nicht ausgeübt, hat
die zur Meldung verpflichtete Stelle den Versicherungspflichtigen ab Eintritt der Versicherungspflicht bei der
Krankenkasse anzumelden, bei der zuletzt eine Versicherung bestand; hat vor Eintritt der Versicherungspflicht keine
Versicherung bestanden, hat die zur Meldung verpflichtete Stelle den Versicherungspflichtigen ab Eintritt der
Versicherung bei einer nach § 173 SGB V wählbaren Krankenkasse anzumelden und den Versicherungspflichtigen
unverzüglich über die gewählte Krankenkasse zu unterrichten. Für die Fälle, in denen das Wahlrecht nicht nach Abs.1
Satz 1 ausgeübt wird und keine Meldung nach Satz 2 erfolgt, vereinbaren die Spitzenverbände der Orts-, Betriebs-,
Innungs- und Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich Regeln über die Zuständigkeit.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger die Beklagte wählen wollte und er dies auch gegen seinem
Arbeitgeber (= Meldestelle) ausdrücklich erklärt hat. Dies ergibt sich sowohl aus den eigenen Bekundungen des
Klägers als auch aus der schriftlichen Bestätigung des Arbeitsgebers vom 21.01.2002, worin ausdrücklich bescheinigt
wird, dass er auf Wunsch des Klägers ihn bei der Beklagten angemeldet hat.
Fest steht auch, dass die Wahlentscheidung des Klägers der Arbeitgeber als Meldestelle der Beklagten gegenüber
innerhalb der 2-Wochen-Frist am 28.07.2001 (Eingang bei der Beklagten am 30.07.2001) mitgeteilt hat. Denn mit der
Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung am 20.07.2001 lief die für das Kassenwahlrecht maßgebende
Frist am 02.08.2001 ab. Zutreffend weist das SG darauf hin, dass die Wirksamkeit der Wahlentscheidung nicht
dadurch beeinträchtigt wird, dass diese zunächst nicht gegenüber der Beklagten, sondern gegenüber dem Arbeitgeber
als Meldestelle erklärt wurde. Denn die Wahl gegenüber der gewählten Krankenkasse muss nicht höchstpersönlich
erklärt werden, sondern kann auch durch einen Stellvertreter erfolgen (vgl. Kassler Kommentar, Peters, § 175 Rdnr.7).
Ob der Arbeitgeber des Klägers hier tatsächlich als Vertreter oder als Bote dessen Wahlentscheidung an die Beklagte
weitergegeben hat, kann - wenn auch aus anderen Gründen als vom SG ausgeführt - dahingestellt bleiben.
Entscheidend ist, dass die schriftliche Wahlrechtserklärung unstreitig am 30.07.2001 und damit fristgerecht bei der
Beklagten eingegangen ist. Bei dieser Erklärung handelte sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung
(gegenüber Abwesenden) im Sinne von § 130 Abs.1 Satz 1 BGB. § 130 BGB gilt für empfangsbedürftige
Willenserklärungen jeder Art, auch für amtsempfangsbedürftige Erklärungen und geschäftsähnliche Handlungen.
Abgegeben ist die Erklärung, wenn der Erklärende seinen rechtsgeschäftlichen Willen erkennbar so geäußert hat,
dass an der Endgültigkeit der Äußerung kein Zweifel möglich ist. Bei empfangsbedürftigen Erklärungen - wie hier -
muss hinzukommen, dass sie mit dem Willen der Erklärenden in den Verkehr gebracht worden sind (BGH 65, 13,
NJW - RR 03, 384). Dass die Wahlrechtserklärung des Klägers eindeutig dessen Willen entsprach, folgt zum einen
aus dessen eigenen Angaben sowie der Bestätigung des Arbeitsgebers. Empfangsbedürftige Willenserklärungen
werden in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Empfänger zugehen. Zugegangen ist die Willenserklärung, wenn
sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom
Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BGH 67, 271, NJW 80, 990, 04, 1320, BAG NJW 93, 1093). Insgesamt
maßgeblich war somit der Zugang bei der Beklagten am 30.07.2001.
Somit war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29.11.2007
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beklagte ist unterlegen.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.