Urteil des LSG Bayern vom 19.10.2004

LSG Bayern: soziale sicherheit, versicherungsträger, republik, kroatien, unterlassen, bekanntmachung, beweislast, hinterbliebenenrente, abkommen, waisenrente

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.10.2004 (nicht rechtskräftig)
S 4 RJ 46/00 A
Bayerisches Landessozialgericht L 6 RJ 154/01
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urtei des Sozialgerichts Landshut vom 25. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Kinderzuschuss bzw. Waisenrentenzuschlag zu ihrer Halbwaisenrente.
Die 1979 geborene Klägerin ist zunächst Staatsangehörige der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
gewesen; sie ist jetzt Staatsangehörige der Republik Kroatien, wo sie sich auch ständig aufhält. Mit Bescheid vom
24.09.1984 gewährte die Beklagte (u.a. auch) der Klägerin aus der Versicherung ihres am 23.01.1983 verstorbenen
Vaters, des Versicherten M. C. , ab 23.01.1983 Halbwaisenrente. Der Bescheid, der an die Mutter der Klägerin, M. C.
gerichtet wurde, enthielt den Zusatz, die Rente werde bis zu einer Äußerung des jugoslawischen Versicherungsträgers
über einen vorrangigen Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld ohne Kinderzuschuss (§ 1269 Abs. 1 Satz 3 RVO in
Verbindung mit § 1262 Abs. 4 RVO) gewährt.
Am 18.11.1994 beantragte die Klägerin, den Kinderzuschuss zur Halbwaisenrente zu zahlen. Der kroatische
Versicherungsträger habe Kindergeld wegen Überschreitens der Einkommensgrenze abgelehnt.
Die Beklagte erbat hierauf mit Schreiben vom 02.05.1996 vom kroatischen Versicherungsträger Angaben zur Frage
eines Bezugs von kroatischem Kindergeld mittels des Formblatts 209 ab dem Zeitpunkt des Rentenbeginns.
Mit Bescheid vom 25.04.1997 stellte die Beklagte fest, dass ab 01.07.1997 kein Anspruch auf Halbwaisenrente mehr
bestehe.
Dem Formblatt 209 vom 16.07.1999, das nun vom kroatischen Versicherungsträger der Beklagten übersandt wurde,
enthält die Aussage, dass jugoslawisches Kindergeld nicht bezahlt werde. Beigefügt sind Bescheide vom 01.07.1999,
mit denen der Anspruch auf kroatisches Kindergeld abgelehnt wird. Zur Begründung heißt es darin, die Mutter der
Klägerin habe auf die Aufforderung, die erforderlichen Unterlagen einzureichen, nicht geantwortet, so dass von einer
Zurücknahme des Antrags ausgegangen werde.
Mit Bescheid vom 19.10.1999 und Widerspruchsbescheid vom 27.12.1999 lehnte die Beklagte hierauf die Zahlung des
Waisenrentenzuschlags nach § 78 SGB VI ab.
Mit der am 14.01.2000 zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihren Anspruch
weiter. Sie habe in Kroatien wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen keinen Kindergeldanspruch.
Das SG wies die Klage mit Urteil vom 25.10.2000 ab. Es bestehe kein Anspruch auf einen Waisenrentenzuschlag
nach § 78 SGB VI. Der kroatische Versicherungsträger habe den Antrag auf Kindergeld deshalb abgelehnt, weil die
angeforderten Unterlagen nicht eingereicht worden seien. Das Urteil wurde an die in ihrer Heimat lebende Klägerin am
30.01.2001 zur Post gegeben.
Am 16.03.2001 ging die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein.
Die Beklagte forderte während des anhängigen Berufungsverfahrens vom kroatischen Versicherungsträger ein
weiteres Formblatt 209 an. Dieses war inhaltlich identisch mit dem bereits vorliegenden, enthielt selbst keine Angabe
der Gründe für den fehlenden Kindergeldanspruch; das Begleitschreiben verwies auf die Bescheide vom 01.07.1999.
Eine Anfrage der Beklagten nach den Gründen vom 17.02.2004 einschließlich mehrerer Mahnungen (vom 20.04.2004,
01.06.2004 und 19.08.2004) blieb unbeantwortet.
Die in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und auch nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 25.10.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.10.1999 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die volle
Laufzeit ihrer Halbwaisenrente den Kinderzuschuss bzw. den Zuschlag zur Waisenrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den
Inhalt der beigezogenen Akten - Rentenakten der Beklagten; Klageakte des SG Landshut - und der Akte des Bayer.
Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des SG Landshut vom 25.10.2000 ist nicht zu beanstanden, weil
die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kinderzuschuss bzw. Waisenrentenzuschlag zu ihrer
Halbwaisenrente hat.
Nach der bis 31.12.1991 geltenden Vorschrift des § 1269 Abs. 1 Satz 3 RVO erhöht sich die Halbwaisenrente um den
Kinderzuschuss (§ 1262 Abs. 4 RVO); nach § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz SGB VI in Verbindung mit § 78 SGB VI wird
die Summe der Entgeltpunkte bei Waisenrenten um einen Zuschlag erhöht (Waisenrentenzuschlag).
Es kann dahinstehen, welche der genannten Vorschriften vorliegend als Anspruchsgrundlage heranzuziehen wäre und
über welchen Zeitraum ggf. der jeweilige Anspruch bestanden hätte. Jeder der beiden Ansprüche ist nämlich durch
zwischenstaatliches Recht ausgeschlossen gewesen.
Art. 26 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen
Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 (BGBl. II 1969, S. 1438) in der Fassung
des Änderungsabkommens vom 30.09.1974 (BGBl. II 1975, S. 390; Abk Jugoslawien SozSich), das bis zum
Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über Soziale
Sicherheit vom 24.11.1997 (BGBl. II 1998, S. 2034) am 10.12.1998 im Verhältnis zur Republik Kroatien weiter
anzuwenden war (vgl. Bekanntmachung vom 26.10.1992, BGBl. II, S. 1146) bestimmt nämlich:
Besteht nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften Anspruch auf Leistungen, die mit Rücksicht auf die Kinder des
Berechtigten ... gewährt werden, so kann der Anspruch nicht geltend gemacht werden, solange sich der Berechtigte
im Gebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhält und nach in Artikel 2 [des Abk. Jugoslawien SozSich]
genannten Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaates für dasselbe Kind entsprechende Leistungen beansprucht
werden können. Dies gilt auch, wenn Leistungen als Leistungsteile in Hinterbliebenenrenten enthalten sind oder zu
solchen gewährt werden.
Zu den in Art. 26 Abs. 2 Satz 1 des Abk Jugoslawien SozSich genannten Leistungen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. d
des Abk. Jugoslawien SozSich gehört auch das jugoslawische Kindergeld (vgl. dazu auch Nr. 9 des Schlußprotokolls
zum Abkommen). Dieses ist eine dem Kinderzuschuss und damit auch dem - dasselbe gesetzgeberische Ziel
verfolgenden (vgl. KassKomm-Niesel § 78 SGB VI Rdnr. 2)- Waisenrentenzuschlag "entsprechende" Leistung (vgl.
dazu BSG-Urteil vom 19.05.1983 - 1 RA 51/82 = SozR 6555 Art. 26 Nr. 1), die den Anspruch auf Kinderzuschuss
bzw. Waisenrentenzuschlag ausschließt, allerdings nur, wenn in Jugoslawien bzw. Kroatien ein zahlbarer Anspruch
besteht (vgl. BSG a.a.O. und - zustimmend - BSG-Urteil vom 07.08.1986 - 4a RJ 39/85, bis auf den Leitsatz
unveröffentlicht).
Die Klägerin kann den Kinderzuschuss bzw. den Waisenrentenzuschlag, welche beide Leistungsteile ihrer
Hinterbliebenenrente wären, aufgrund dieser Vorschriften nicht beanspruchen, weil sie so zu behandeln ist, als habe
sie einen zahlbaren Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld. Dies ergibt sich zunächst schon aus dem Grundsatz der
objektiven Beweislast, wonach derjenige, der sich auf das Vorliegen eines ihm günstigen Tatbestandsmerkmals
beruft, den Nachteil davon tragen muss, wenn sich das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals nicht beweisen lässt.
Das jugoslawische bzw. kroatische Kindergeld ist, wie sich aus den Bescheiden vom 01.07.1999, die mit dem
Formblatt 209 vom 16.07.1999 vom kroatischen Versicherungsträger der Beklagten übersandt worden sind, ergibt, auf
Antrag zu gewähren. Diesen Antrag hat der jugoslawische bzw. kroatische Versicherungsträger abgelehnt, weil die
erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht worden sind. Die Ablehnung des Kindergeldes ist somit nicht aus materiell-
rechtlichen Gründen, sondern wegen mangelnder Mitwirkung erfolgt; eine materiell-rechtliche Entscheidung des
kroatischen Versicherungsträgers hätte also einen zahlbaren Anspruch auf jugoslawisches bzw. kroatisches
Kindergeld ergeben können. Diese Unsicherheit geht zu Lasten der Klägerin.
Weiterhin ist das Verhalten der Klägerin bzw. das Verhalten ihrer Mutter als ihrer gesetzlichen Vertreterin auch dem
Unterlassen eines Antrags gleichzusetzen; denn wer einen Antrag stellt und dann vorsätzlich nicht die notwendigen
Voraussetzungen für eine materiell-rechtliche Entscheidung schafft, kann den Antrag ebensogut unterlassen; er
verfolgt mit seinem Verhalten dasselbe Ziel. Nach der Rechtsprechung des BSG kann aber das Unterlassen eines
Antrags auf jugoslawisches Kindergeld nicht die Gewährung des Kinderzuschusses (und damit auch nicht die Zahlung
des Waisenrentenzuschlags) zur deutschen Rente bewirken (vgl. das o.g. BSG-Urteil vom 07.08.1986).
Da die Klägerin somit weder einen Anspruch auf Kinderzuschuss noch einen Anspruch auf Waisenrentenzuschlag
haben kann, war ihre Berufung gegen das Urteil des SG Landshut vom 25.10.2000 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.