Urteil des LSG Bayern vom 26.03.2008

LSG Bayern: ärztliche untersuchung, unfallfolgen, neurologie, rente, bursitis, depression, behandlungsbedürftigkeit, befund, disposition, migräne

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.03.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 9 U 673/05
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 26/07
Bundessozialgericht B 2 U 136/08 B
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. November 2006 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung der Verschlimmerung von Unfallfolgen und die Gewährung von Verletztenrente.
Die 1947 geborene Klägerin stürzte am 8. Juni 1999 auf ihr rechtes Knie. Der Orthopäde Dr. S. diagnostizierte am
gleichen Tag eine posttraumatische Bursitis präpatellaris nach Kontusion, ein massives Präpatellaris-Hämatom und
Verdacht auf Meniskusläsion. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des Kniegelenkes vom 9. Juni 1999 zeigte
keine Fraktur, eine massiv ausgeprägte Bursitis prä- und infrapatellaris, ödematöse Aufquellung im vorderen
Kniebereich, ausgeprägte Gon- und Retropatellararthrose, Meniskopathie I bis II am Außenmeniskus, Meniskopathie
III am Innenmeniskus. Am 7. Juli 1999 wurde die Klägerin in der Orthopädischen Klinik M. von Dr. K. operiert. Die
Bursa präpatellaris wurde entfernt. Bei Entlassung am 23. Juli 1999 schätzten die Ärzte die Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 26. Woche hinaus auf unter 10 v.H. ein. Dr. S. erklärte im Bericht vom 25. November
1999, die Klägerin gebe noch Beschwerden hinsichtlich der Beweglichkeit des Kniegelenks an. Eine MdE über 10 v.H.
werde voraussichtlich nicht verbleiben. Ein MRT vom 14. Dezember 1999 zeigte u.a. eine Gon- und
Retropatellararthrose, Degeneration im Bereich des Hinterhorns des Außenmeniskus und Defekt im Bereich des
Hinterhorns des Innenmeniskus, intakten Kapselbandapparat.
Im Gutachten vom 9. Februar 2000 führte der Orthopäde Dr. K. aus, Folgen einer Schleimbeutelreizung seien nicht zu
erkennen. Der Röntgenbefund sowie der kernspintomographische Befund ergäben keine Anhaltspunkte für einen
Gelenkreizzustand. Es könnten keine Innenmeniskussymptomatik oder unfallbedingte Kapselbandschwäche
festgestellt werden.
Am 19. September 2000 erfolgte in der Unfallklinik M. eine Narkosemobilisation des Kniegelenkes.
Im Gutachten vom 25. September 2000 erklärte der Chirurg Professor Dr. H. , die Untersuchung in Narkose habe eine
völlig freie Beweglichkeit des Kniegelenkes ergeben, die auch nach der Untersuchung angehalten habe. Damit sei
nachgewiesen, dass durch die Schleimbeutelentfernung keine Narbenbildung im Kniebereich in dem Maße zu Stande
gekommen sei, dass eine Teileinsteifung erklärt werden könne. Bei dem Innenmeniskus-Hinterhornschaden handle es
sich um einen degenerativen Schaden. Es sei also bei einem vorgeschädigten Knie zu einer traumatischen
Schleimbeutelverletzung gekommen, die folgenlos ausgeheilt sei. Behandlungsbedürftigkeit habe maximal bis 31.
Oktober 1999 bestanden. Der Unfall vom 7. März 2000 mit Sturz auf die Hand könne nicht als mittelbare Unfallfolge
gewertet werden.
Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Rente mit Bescheid vom 2. November 2000 ab. Unfallbedingte
Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit wurden bis 31.10.1999 anerkannt. Den Widerspruch der Klägerin vom
17. November 2000 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2001 zurück.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren holte das Sozialgericht ein Gutachten des Chirurgen Dr. L. vom 29. Oktober
2001 ein. Unfallfolgen seien eine reizlose narbige Einsenkung im Fettgewebe an der Vorderinnenseite des rechten
Schienbeinkopfes. Unfallunabhängig bestünden eine fortgeschrittene Pangonarthrose und ein fortgeschrittenes
Krampfaderleiden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18. März 2003 nahm die Klägerin die Klage zurück.
Sie beantragte eine Überprüfung eines Unfalls vom April 1995. Im Gutachten vom 6. August 2003 führte der
Orthopäde Prof. P. aus, Folgen des Unfalls von 1995 bestünden nicht mehr. Durch den Unfall vom 8. Juni 1999 sei es
zu keiner Verschlimmerung der Unfallfolgen von 1995 gekommen. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Rente
wegen des Unfalles vom 24. April 1995 mit Bescheid vom 8. Oktober 2003 ab.
Die Klägerin beantragte am 17. August 2004 die Feststellung einer Verschlimmerung der Unfallfolgen vom 8. Juni
1999.
Dr. K. führte im Gutachten vom 11. Mai 2005 aus, funktionell bedeutsame Unfallfolgen ließen sich nicht objektivieren.
Die MdE betrage weniger als 10 v.H.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. Juli 2005 die Feststellung einer Rente ab. Die Unfallfolgen hätten sich nicht
verschlimmert, eine MdE in rentenberechtigender Höhe liege weiterhin nicht vor. Den Widerspruch der Klägerin wies
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2005 zurück.
Im Klageverfahren zog das Sozialgericht Gutachten des Orthopäden Dr. K. und des Internisten Dr. M. , die im
Rentenstreitverfahren der Klägerin eingeholt worden waren, bei. Dr. K. wies im Gutachten vom 9. Oktober 2005 darauf
hin, dass die Klägerin mit 14 Jahren einen Sprungbeinbruch rechts erlitten habe, mit 17 Jahren einen Bänderriss am
rechten Knie. Die Befunderhebung am Kniegelenk sei durch eine Berührungsempfindlichkeit belastet, die
Beweglichkeit sei während der Untersuchung wechselnd, aktuell besser als bei der Vorbegutachtung vom Februar
2005. Eine adäquate Ursache für die starke Bewegungsbeeinträchtigung könne durch bildgebende Diagnostik nicht
objektiviert werden.
Da die Klägerin eine ärztliche Untersuchung ablehnte, beauftragte das Sozialgericht den Chirurgen Dr. K. mit der
Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage. Im Gutachten vom 1. Mai 2006 führte Dr. K. aus, die Klägerin habe bei
dem Unfall Prellungen, einhergehend mit Schleimbeutelverletzungen im präpatellaren und infrapatellaren Bereich
erlitten. Operativ sei eine präpatellare Schleimbeutelentfernung erfolgt. Die jetzt geltend gemachten
Gesundheitstörungen ließen sich nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückführen. Die
Schleimbeutelproblematik sei längstens zum 31.10.1999 ausgeheilt. Teilweise erklären lasse sich das objektive
Beschwerdebild durch die degenerativen Veränderungen, die aber nicht Folge des Knieanpralls vom 8. Juni 1999 sein.
Mit Urteil vom 21. November 2006 wies das Sozialgericht München die Klage ab und stützte sich dabei im
wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. K ...
Zur Begründung der Berufung machte die Klägerin geltend, die Beschwerden hätten sich im Laufe der Jahre stark
verschlimmert. Im Orthozentrum M. sei am 8. Dezember 2005 ein chronifiziertes Schmerzsyndrom mit Pangonalgie
diagnostiziert worden. Sie leide an einer somatoformen Funktionsstörung und einem chronischen Schmerzsyndrom.
Die Klägerin übersandte ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 5. März 2007, das im
Rentenverfahren eingeholt worden war. Darin führte Dr. B. aus, das chronische Schmerzsyndrom und die
somatoformen Störungen hätten sich zwischen dem Unfall 1999 und 2001 entwickelt und kontinuierlich verschlimmert.
Für die Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms, beziehungsweise einer somatoformen Schmerzstörung,
seien die typischen Charakteristika emotionale Defizite seitens nahestehender Bezugspersonen, persönliche
Abwertung und finanzielle Not. Dies habe bei der Klägerin seit ihrer Kindheit zugetroffen. Inzwischen habe sich die
Schmerzsymptomatik chronifiziert und beeinträchtige den Gesundheitszustand nicht unerheblich. Die
Gewebeschädigungen seien nicht so gravierend ausgeprägt, dass sie schwere organische Folgen nach sich ziehen
würden. Hier komme den psychischen Faktoren die wesentliche Bedeutung zu.
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. F. führte im Gutachten nach Aktenlage vom
29. Juni 2007 aus, schon im ersten Kernspintomogramm vom 9. Juni 1999 seien degenerative Veränderungen an der
Knorpelschicht und eine Meniskuserkrankung gesehen worden. Ein Knochenmarködem sei ausgeschlossen. Eine
höhergradige Anprallverletzung sei also nicht erfolgt. In der Folgezeit habe sich ein psychogen überlagertes
Beschwerdebild entwickelt, das morphologisch nicht erklärt werden könne. Entscheidend sei die Angabe der
Unfallklinik M. , dass in Narkose plötzlich eine völlig freie Beweglichkeit des Kniegelenks erzielbar gewesen sei, die
auch unmittelbar nach Beendigung der Narkose aktiv habe gehalten werden können. Damit scheide die Annahme
einer narbig bedingten Kontraktur aus. Der Unfall habe ein vorgeschädigtes Kniegelenk getroffen, zwei Schleimbeutel
verletzt, von denen einer operativ entfernt worden sei. Zurückgeblieben sei eine Narbe, die den Bewegungsverlust
nicht zu erklären vermöge.
Die Klägerin wandte ein, beide Schleimbeutel seien komplett entfernt worden. Sie habe mit 17 Jahren eine
Bänderruptur am Sprungelenk, nicht am Kniegelenk erlitten. Das chronifizierte Schmerzsyndrom sei auf den Unfall
zurückzuführen.
Beigezogen wurde ein Bericht der Nervenärztin Dr. G. , die die Klägerin vom 24. Mai bis 21. Juni 2002 wegen
depressiver Verstimmung, multiplen sozialen Problemen behandelte. Die Ärztin verwies auf einen Arztbrief des Arztes
für Neurologie Dr. R ... Dieser stellte am 4. November 1999 die Diagnosen: psychogener Kopfschmerz, Migräne mit
Aura, Verdacht auf somatisierte Depression. Er habe die Klägerin zuletzt am 25. November 1999 behandelt.
Die Klägerin stellt den Antrag, aus dem Schriftsatz vom 1. Februar 2007.
Die Klägerin stellt den Antrag, aus dem Schriftsatz vom 1. Februar 2007.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Klage- und
Berufungsakten sowie der Akten der Deutschen Rentenversicherung, des Amtes für Versorgung und
Familienförderung sowie des Sozialgerichts München zum Az.: S 14 R 1121/05 und S 15 RJ 2474/01 Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht München die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde
Dr. F. die Beurteilung durch den ärztlichen Sachverständigen Dr. K. bestätigt hat. Wie sich auch aus den zahlreichen
weiteren Gutachten und ärztlichen Berichten ergibt, hat der Unfall vom 8. Juni 1999 keine schwerwiegenden Folgen
hinterlassen. Die Prellung der Weichteile des Kniegelenks kann nach medizinisch-wissenschaftlichem Kenntnisstand
einen Dauerschaden des Ausmaßes, wie ihn die Klägerin schildert, nicht hinterlassen. Dies haben Dr. K. , Prof. H. ,
Dr. L. , Dr. K. , Dr. K. und Dr. F. überzeugend dargelegt.
Die chronifizierten Beschwerden sind als psychische Störungen im Rahmen einer neurotischen Entwicklung zu sehen.
Der Unfall hat nicht ursächlich zu einer psychischen Fehlverarbeitung vom Krankheitswert geführt. Die
Lebensgeschichte der Klägerin zeigt belastende Faktoren, wie die Krankheit der allein erziehenden Mutter und
Eheprobleme sowie eine kontinuierliche Krankheitsentwicklung. Die Klägerin litt schon vor dem Unfall an funktionellen,
d.h. psychogen verstärkten körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen und Migräne, wie Dr. B. im Gutachten vom
5. März 2007 ausführt. Diese Disposition gehört zu ihrer unfallunabhängigen Persönlichkeit. Zwar ist erst mit dem
Unfallereignis eine besondere Entwicklung in Gang gekommen. Hier handelt es sich aber um ein Syndrom, das in
keiner Beziehung zur Schwere des auslösenden Unfallereignisses steht. Dieses hat bei der Klägerin eine vorliegende
Schwäche getroffen, aber nicht wesentlich zu dem jetzigen Krankheitsbild geführt. Hier sind die früheren Belastungen
im Zusammenhang mit einer angeborenen Disposition ursächlich. Der Unfall ist als Auslöser und nicht als Ursache
der Symptomatik zu sehen. Im Fall der Klägerin ist gerade das Missverhältnis zwischen dem Trauma und seinen
Folgen bemerkenswert.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. hat im Gutachten vom 19.07.2002 (eingeholt im Klageverfahren S 15
RJ 2474/01) nach Untersuchung der Klägerin vom 16. Juli 2002 ausgeführt, dass zwar eine ausgeprägte dysthyme
Verstimmung, aber keine krankheitswertige Depression vorlag. Im Vordergrund des psychiatrischen Bildes standen
eine gewisse Dysphorie und Unzufriedenheit, gepaart mit einer Vorwurfshaltung gegenüber dem Versorgungsamt, der
Berufsgenossenschaft und auch gegenüber dem Rentenversicherungsträger. Dr. K. betonte, es handle sich nur um
geringfügige Gesundheitsstörungen aus nervenärztlicher Sicht. In diesem Zusammenhang ist auch zu
berücksichtigen, dass die Klägerin, worauf Dr. P. in der Stellungnahme vom 30. März 2007, eingeholt im
Rentenklageverfahren (S 14 R 1121/05), hingewiesen hat, keine antidepressive Medikation erhält.
Die noch immer angegebenen starken Schmerzen und die Bewegungseinschränkung lassen keine Beziehung zu der
leichten Kontusion erkennen. Auffällig ist, dass die Klägerin das Bein in Narkose und auch noch unmittelbar nach der
Narkose uneingeschränkt bewegen konnte, wie Prof. H. festgestellt hat. Es fehlt jedes morphologische Substrat, das
eine somatoforme Funktionsstörung und ein chronisches Schmerzsyndrom erklären könnte. Bemerkenswert ist auch,
dass Dr. B. im Gutachten vom 9. Februar 2005 einen guten muskulären Befund und ein regelrechtes
Knochenmarksignal feststellte. Es fehlen also Anzeichen für eine längerdauernde schmerzbedingte Schonung des
Knies. Immerhin hat auch Dr. B. im Gutachten vom 5. März 2007 betont, dass die typischen Charakteristika der
somatoformen Schmerzstörung emotionale Defizite seien. Ein Zusammenhang mit dem Sturz auf das Kniegelenk im
ursächlichen Sinn ist damit nicht gegeben. Der Unfall und seine Auswirkungen waren ihrer Eigenart und Stärke nach
nicht unersetzlich, sondern mit anderen Ereignissen austauschbar.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.