Urteil des LSG Bayern vom 01.03.2005

LSG Bayern: zumutbare tätigkeit, arbeitsmarkt, erwerbsfähigkeit, krankheit, behinderung, heimat, operation, mastektomie, schichtdienst, invalidenrente

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 01.03.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 RJ 1286/03 A
Bayerisches Landessozialgericht L 5 R 558/04
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Mai 2004 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1957 im ehemaligen Jugoslawien geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. In Deutschland war sie von Mai 1980
bis März 1985 als Küchenhilfe beschäftigt. In Serbien war sie zuletzt bis zur Abmeldung am 18.06.2001 als Gastwirtin
tätig. Seit 02.05.2001 erhält sie in ihrer Heimat Invalidenrente. Zusammen mit ihrem Rentenantrag vom 21.05.2001
übersandte die jugoslawische Verbindungsstelle zahlreiche medizinische Unterlagen aus der Zeit von Mai 2000 bis
Juli 2002. Im Formblattgutachten JU 207 vom 15.08.2001 wurde ein Zustand nach rechtsseitiger radikaler
Mastektomie (17.05.2000) wegen eines Karzinoms und anschließender Bestrahlung beschrieben. Deswegen sei die
Klägerin dauerhaft und völlig arbeitsunfähig. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung in R. durch den Chirurgen
Dr.B ... Dieser stellte nach ambulanter Untersuchung in seinem Gutachten vom 28.05.2003 fest, dass am rechten
Arm kein Lymphödem vorhanden sei und sich kein Anhalt für Rezidive oder Metastasierung finde. Die geklagten
Lendenwirbelsäulenbeschwerden bei Abnützungen und Funktionsminderung seien ohne Wurzelreizerscheinungen und
ohne sensiblere motorische Ausfälle. Als Küchenhilfe sei die Klägerin nicht mehr einsatzfähig, für leichte Tätigkeiten
ohne häufiges Bücken könne sie jedoch sechs Stunden und mehr eingesetzt werden. Daraufhin lehnte die Beklagte
den Rentenantrag mit Bescheid vom 06.06.2003 ab. Bei einem sechsstündigen Leistungsvermögen liege weder volle
noch teilweise Erwerbsminderung vor. Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin auf den Invalidenrentenbezug in
ihrer Heimat und die Ansicht ihrer Ärzte hin, die sie für erwerbsunfähig hielten. Nachdem die Beklagte zu den
vorgelegten ärztlichen Unterlagen ihren Sachverständigen gehört hatte, wies sie den Widerspruch mit Bescheid vom
16.10.2003 zurück. Eine Änderung der Beurteilung ergebe sich nicht.
Dagegen hat die Klägerin am 14.11.2003 Klage erhoben. Auf Veranlassung des Gerichts hat die Ärztin für
Psychiatrie/Psychotherapie Dr.M. am 03.05.2004 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung erstellt. Sie hat eine
depressive Anpassungsstörung leichterer Ausprägung, einen Tinnitus, einen Zustand nach Mammakarzinomoperation
rechts und lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne neurologische Funktionsausfälle diagnostiziert. Ihres
Erachtens ist die Klägerin dadurch in ihrer psychischen und nervlichen Belastbarkeit leichtgradig eingeschränkt.
Leichte Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, ohne Zeitdruck, Schichtdienst und
ohne schweres Heben und Tragen von Lasten seien acht Stunden zumutbar. Die Umstellungsfähigkeit sei erhalten,
zusätzliche Arbeitspausen seien nicht erforderlich. Ein weiteres Gutachten nach ambulanter Untersuchung ist am
04.05.2004 durch die Allgemeinärztin Dr.T. erstattet worden. Sie hat die von Dr.M. festgestellten
Gesundheitsstörungen bestätigt und eine leichte Funktionseinschränkung der rechten oberen Extremität bejaht. Auch
sie hat keinen Anhalt für ein reduziertes zeitliches Leistungsvermögen gesehen. Als zusätzliche
Leistungseinschränkung hat sie Überkopfarbeit und besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit genannt.
Gestützt auf diese beiden Gutachten hat das Sozialgericht die Klage am 05.05.2004 abgewiesen. Da die Klägerin auf
den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, kämen noch viele Tätigkeiten in Betracht, die ihr zumutbar seien.
Gegen das am 30.07.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.09.2004 Berufung eingelegt und geltend gemacht,
ihre behandelnden Ärzte hätten ihr geraten, nicht mit den Händen zu arbeiten. Andernfalls drohe eine
Verschlechterung ihres Zustands. In dem vom Gericht eingeholten Befundbericht des Onkologen Prof.M. vom
17.12.2004 heißt es u.a., der Zustand sei seit der Operation bis jetzt praktisch unverändert. Der Prüfarzt der
Beklagten hat hierzu am 11.01.2005 mitgeteilt, nachdem eine Verschlimmerung nicht dokumentiert sei, sei keine
weitere Sachverhaltsaufklärung notwendig.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.05.2004 aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 06.06.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
16.10.2003 zu verurteilen, ihr ab 01.06.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.05.2004
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der
Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, erweist sich jedoch als
unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.05.2004 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der
Beklagten vom 06.06.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2003. Die Klägerin hat keinen
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Sie ist weder teilweise noch voll erwerbsgemindert.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung steht ungeachtet weiterer Voraussetzungen nur Versicherten zu, die wegen
Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs.1 Satz 2 SGB VI). Voll
erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande
sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig
zu sein (§.43 Abs.2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige
Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.3 SGB VI). Die Klägerin ist aufgrund der festgestellten
Gesundheitsstörungen in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt. Sie ist aber unter Berücksichtigung qualitativer
Einschränkungen in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Mit dieser Beurteilung stützt sich der
Senat auf die überzeugenden und ausführlichen Gutachten der Dres.M. und T. , die die Klägerin persönlich untersucht
und ihre Beurteilung schlüssig begründet haben. Bei diesen vom Sozialgericht eingeschalteten Ärztinnen handelt es
sich um neutrale und kompetente Sachverständige, die als langjährige Gutachterinnen im Bereich der bayerischen
Sozialgerichtsbarkheit über umfangreiches Erfahrungswissen verfügen und sich durch ihre genaue und differenzierte
Betrachtungsweise auszeichnen. Übereinstimmend haben sie lediglich qualitative Einschränkungen für notwendig
erachtet. Damit befinden sie sich in Übereinstimmung mit dem im Verwaltungsverfahren zugezogenen Chirurg Dr.B. ,
der die Klägerin ebenfalls persönlich untersucht hat. Zwar erhält die Klägerin wegen des Zustands nach rechtsseitiger
radikaler Mastektomie in ihrer Heimat Invalidenrente. Die relevante Erwerbsminderung ist jedoch allein nach den
deutschen Rechtsvorschriften und entsprechend den hier entwickelten sozialmedizinischen Grundsätzen
festzustellen. Etwas anders, insbesondere eine Bindung an die Entscheidung anderer Rentenversicherungsträger,
ergibt sich auch nicht aus dem zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen mit Jugoslawien. Die deutschen
Sachverständigen haben die von der Invalidenkommission genannten Gesundheitsstörungen nicht negiert, sie
hingegen anders bewertet. Deren Beurteilung hat im Interesse der Gleichbehandlung mit deutschen Versicherten
Vorrang vor der der jugoslawischen Gutachter. Eine erneute Begutachtung im Berufungsverfahren konnte
unterbleiben, nachdem die Klägerin im Klageverfahren erst im Laufe des Jahres 2004 untersucht worden ist und der
behandelnde Onkologe im Befundbericht vom 17. Dezember 2004 einen seit der Operation unveränderten
Gesundheitszustand beschrieben hat. Auch der Prüfarzt der Beklagten konnte anhand der von der Klägerin
übersandten Unterlagen keine Veränderung des Gesundheitszustandes gegenüber dem Zeitpunkt der Begutachtung
im Klageverfahren feststellen, so dass diese Gutachten Entscheidungsgrundlage sein können. Die Leistungsfähigkeit
der Klägerin ist in erster Linie durch die Brustdrüsenkarzinomerkrankung beeinträchtigt. Die damit und den übrigen
Gesundheitsstörungen verbundenen Funktionseinschränkungen hat das Sozialgericht zutreffend dargestellt. Insoweit
wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs.2 SGG). Mit den beschriebenen
Funktionseinschränkungen - keine besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, kein Zeitdruck, keine
Nacht- oder Wechselschicht, kein schweres Heben und Tragen von Lasten, keine Überkopfarbeit, keine besondere
Anforderung an die Fingerfertigkeit - ist der Klägerin der Arbeitsmarkt nicht verschlossen. Ausnahmsweise als
verschlossen gilt der Arbeitsmarkt trotz sechsstündiger Erwerbsfähigkeit, wenn eine schwere spezifische
Leistungseinschränkung vorliegt (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.136). Das Ausmaß der bei der Klägerin vorliegenden
Gesundheitsstörungen läßt jedoch keinen Zweifel daran, dass sie in einem Betrieb einsetzbar ist. Insbesondere ist sie
in ihrer Arm- und Handbeweglichkeit nicht soweit eingeschränkt, dass mit dem rechten Arm keinerlei manuelle
Tätigkeiten mehr möglich wären. Vier Jahre nach der operativen und strahlentherapeutischen Behandlung eines
Brustdrüsenkarzinoms rechts kann ein zufriedenstellender Krankheitsverlauf konstatiert werden. Es ist nicht zum
Auftreten von Tochtergeschwülsten gekommen, ebensowenig zu einer stärkergradigen Minderbelastbarkeit des
rechten Arms. Zwar zeigt sich rechts eine geringgradige Umfangvermehrung im Sinne eines leichten Lymphödems,
die Beweglichkeit der Schulter ist jedoch ebenso frei wie die Beweglichkeit der Fingergelenke. Lediglich wegen der
beschriebenen Schwellneigung sollen besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit unterbleiben. Damit kann die
Klägerin keinesfalls einem Einarmigen gleichgestellt werden.
Der Senat ist nicht verpflichtet, der Kläger eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen. Dies hätte nur zu gelten,
wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gegeben wäre. Eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungeinschränkungen ist nur in Betracht zu ziehen, wenn die Fähigkeit des Versicherten, zumindest körperlich
leichte Arbeit mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist.
Der Ausschluss von Tätigkeiten, die besondere Fingerfertigkeiten erfordern, im Akkord oder im Schichtdienst zu
erbringen sind, zählt nicht zu den Einschränkungen, die die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit zur Folge
haben (BSG - Großer Senat - Beschluss vom 19.12.1996 in SozR 3-2600 § 44 mit Verweis auf BSG SozR 2200 §
1246 Nr.117). Die weiteren bei der Klägerin vorliegenden Einschränkungen wie das Heben und Tragen von Lasten und
Überkopfarbeit schränken das Feld leichter körperlicher Arbeit nicht zusätzlich ein, weil diese bereits von dem
Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden. Angesichts des uneingeschränkten Gehvermögens, des
erhaltenen Seh- und Hörvermögens und ausreichender Funktionsfähigkeit der Hände erscheinen Verrichtungen wie
z.B. Zureichen, Abnehmen, Bedienung von Maschinen, Transportieren, Aufsicht und Kontrolle möglich. Der Klägerin
steht auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI zu.
Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur
Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig oder seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und
gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten,
nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und
Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres
bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die
jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs.2 Satz 1, 2, 4 SGB VI). Die Klägerin, die keinen Beruf
erlernt hat und in der Bundesrepublik lediglich als ungelernte Küchenhilfskraft tätig gewesen ist, kann auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Eine derartige Tätigkeit kann sie noch mindestens sechs Stunden
täglich verrichten. Auch wenn sie als Küchenhilfskraft also nicht mehr einsatzfähig ist, kann sie im Hinblick auf ihre
Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt keine Rentenleistung beanspruchen.
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.