Urteil des LSG Bayern vom 26.03.2009

LSG Bayern: firma, unternehmer, arbeitskraft, stadt, abhängigkeit, unverzüglich, ausführung, wagen, provision, frachtführer

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 46 AL 1305/03
Bayerisches Landessozialgericht L 9 AL 33/06
Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 29. Juli 2005 verurteilt, dem Kläger
aufgrund seines Antrags vom 17. Juli 2002 Insolvenzgeld unter Zugrundelegung eines Bruttobetrages in Höhe von
7.834,47 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Insolvenzgeld.
Der 1945 geborene Kläger beantragte am 17.07.2002 bei der Beklagten die Gewährung von Insolvenzgeld für den
Zeitraum 01.05.2002 bis 10.07.2002 in Höhe von 7.831,47 Euro. Er sei bei der Firma M. (M. A-Stadt, Inhaber: M. E.
(E)) als Kurierfahrer beschäftigt gewesen und habe sein Arbeitsverhältnis zum 10.07.2002 gekündigt. Der Arbeitgeber
habe am 10.07.2002 seine Betriebstätigkeit vollständig eingestellt; am 11.07.2002 sei das Insolvenzverfahren eröffnet
worden.
Am 06.08.2002 bestätigte E gegenüber dem Amtsgericht A-Stadt - Insolvenzgericht-, er habe am 10.07.2002 seinen
Betrieb ("Vermittlung von Fahraufträgen") gegen 15.00 Uhr eingestellt. Der Kläger habe im Alleinauftrag für die Firma
M. gearbeitet. Die "Abrechnungen" für Mai 2002 in Höhe von 3.185,41 Euro, Juni 2002 in Höhe von 3.253,56 Euro und
01. bis 10.07.2002 in Höhe von 1.392,50 Euro, insgesamt 7.831,47 Euro habe er an den Kläger nicht mehr
ausbezahlt.
Mit Schreiben vom 28.10.2002 übersandte der Insolvenzverwalter Insolvenzgeldbescheinigungen für den Kläger und
drei weitere bei der Firma M. Beschäftigte. Es handelte sich hierbei um freiberufliche Fahrer, welche angeben,
scheinselbständig gewesen zu sein. Da die Herausgabe von Unterlagen verweigert werde, könne er diese
Bescheinigungen nur nach Aktenlage prüfen bzw. ausstellen. Er habe die Beträge Brutto für Netto übernommen.
Mit Bescheid vom 19.11.2002 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Insolvenzgeld vom 17.07.2002 ab.
Beim Kläger liege keine Arbeitnehmereigenschaft vor, er sei als freiberuflicher Fahrer auf Rechnungsbasis tätig
gewesen. In seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei ausschließlich für die Firm M. tätig gewesen, habe
die Tätigkeiten weisungsgebunden verrichtet, sei nicht inkassoberechtigt gewesen. Die Abrechnungen mit den Kunden
habe der Auftraggeber mit der Firma M. vorgenommen. Auf die Preisgestaltung habe er keinerlei Einfluss gehabt.
Auf Nachfrage der Beklagten erklärte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 11.02.2003, es lägen keine
Arbeitsverträge oder Subunternehmerverträge für den Kläger und drei weitere Personen vor. E habe in einer
Besprechung mitgeteilt, jeder Fahrer habe einen Vermittlungsvertrag abgeschlossen. Die Personen seien nach
Rechnungsstellung entlohnt worden. Ob eine Weisungsabhängigkeit vorgelegen habe, könne er nicht beantworten.
Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge seien nicht abgeführt worden. Ein vertragliches Verbot, einer anderen
Beschäftigung nachzugehen, habe nach Aussage von E nicht bestanden. Dennoch sei aufgrund der Abrechnung
davon auszugehen (z.T. mehr als 50 Wochenstunden nur für die Firma M.), dass der Kläger allein für die Firma M.
tätig gewesen sei. Feste Arbeitszeiten hätten nicht existiert.
Mit Schreiben vom 30.07.2003 teilte der Insolvenzverwalter der Beklagten mit, für den Kläger und weitere drei
Personen seien keine Arbeitsverträge abgeschlossen worden. E habe erklärt, es seien jeweils Vermittlungsverträge
nach einer Mustervereinbarung mit folgendem Inhalt abgeschlossen worden.
"Gemäß § 1 des Vertrages vermittelt M. dem Transportunternehmer Transportaufträge von Dritten gegen Provision.
Der Transportunternehmer führt die durch M. vermittelten Aufträge als selbständiger Unternehmer im Sinne des § 425
HGB im eigenen Namen und in eigener Verantwortung aus und kommt dementsprechend seinen steuerlichen
Verpflichtungen selbständig nach. Als freier Unternehmer ist der Transportunternehmer berechtigt, die ihm von M.
angebotenen Fahraufträge abzulehnen ... Der TU (Transportunternehmer) ist als freier Unternehmer selbstverständlich
zur Aufnahme sonstiger Tätigkeiten befugt. Er ist auch gleichfalls berechtigt, die von ihm übernommenen Aufträge
durch Dritte durchführen zu lassen. Der TU ist in seiner Zeiteinteilung völlig frei und ungebunden.
§ 2 Abrechnung und Inkasso
1. Soweit der TU bei dem ihm vermittelten Kunden nicht selbst kassiert, bietet M. dem TU Inkassodienste an. Der TU
zahlt an M. für den Verwaltungsaufwand ein pauschaliertes Entgelt in Höhe von 5 % des Auftragswertes zuzüglich
gesetzlicher Mehrwertsteuer. Mit der Unterzeichnung dieses Vermittlungsvertrages erklärt sich der TU ausdrücklich
mit dem Inkassodienst einverstanden.
2. Der TU beauftragt hiermit M., seine sich aus den Transportschecks oder vergleichwertigen Dokumenten
ergebenden Forderungen gegen Dritte als Inkassostelle einzuziehen. Diese Forderungen werden vom M. im Namen
und Verrechnung des TU eingezogen. Das Risiko der Uneinbringlichkeit und den rechtlichen Bestand der Forderungen
sowie deren Freiheit von Einreden und Einwendungen trägt der TU.
§ 3 Provision
Der Transportunternehmer zahlt an M. für die Auftragsvermittlung eine pauschalierte Provision in Höhe von 20 % des
Auftragswertes zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer. Für die Inkassodienste zahlt der Transportunternehmer eine
Inkassogebühr von 5 % zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
§ 7 Verhinderung des TU
1. Sofern der TU nicht für die Vermittlung zur Verfügung steht, soll er dies M. am Vortage oder am selben Tage bis
spätestens 08.30 Uhr mitteilen, damit M. dementsprechend disponieren kann.
2. Falls die Ausführung eines bereits angenommenen Auftrages- gleichgültig aus welchem Grunde - nicht möglich ist
(z.B. leichter Verkehrsunfall), hat der TU M. unverzüglich zu benachrichtigen, damit dieser von einem anderen TU
ausgeführt werden kann.
3. Längere Abwesenheit oder Verhinderungen sollen M. mitgeteilt werden.
§ 8 Haftung
Der TU ist selbständiger Unternehmer und führt die von M. lediglich vermittelten Aufträge in eigener Verantwortung, in
eigenem Namen und auf eigene Rechnung aus.
Dementsprechend haftet allein der TU für Ansprüche seitens der vermittelten Auftraggeber, die wegen nicht
sachgemäßer Ausführung der Aufträge von diesen geltend gemacht werden.
M. ist als Frachtagentur lediglich Vermittler." ... Mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.2003 wies die Beklagte den
Widerspruch als zurück. Nach dem vom Insolvenzverwalter vorgelegten Muster eines Vermittlungsvertrages habe die
Firma M. lediglich Transportaufträge an den jeweiligen Transportunternehmer gegen Provision vermittelt. Danach
seien die vermittelten Aufträge im eigenen Namen und in eigener Verantwortung ausgeführt worden. Der betreffende
Unternehmer sei auch berechtigt gewesen, die ihm angebotenen Fahraufträge sowie die übernommenen Aufträge an
Dritte weiterzugeben. In seiner Zeiteinteilung sei er völlig frei und ungebunden gewesen. Außerdem seien keinerlei
Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt worden. Angesichts dieser Gesamtumstände könne die ausgeübte Tätigkeit
nicht als unselbständige Tätigkeit angesehen werden; vielmehr sei der Kläger selbständig tätig gewesen. Diese
Tätigkeit sei gekennzeichnet durch die frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit und die Verfügungsmöglichkeit über die
eigene Arbeitskraft. Der Selbständige arbeite im eigenen Namen und für eigene Rechnung und trage das
wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall gegeben. Mit seiner beim
Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage vom 02.10.2003 hat der Kläger geltend gemacht, er sei in die
Arbeitsorganisation der Firma M. eingegliedert und in seiner Tätigkeit gegenüber dem Firmeninhaber E
weisungsgebunden gewesen. Vorgelegt wurde folgendes Rundschreiben des E.
"An alle Unternehmer Sehr geehrte Damen und Herren, aus gegebenem Anlass möchten wir Sie auf folgende Punkte
nochmals aufmerksam machen, da es scheinbar wieder in Vergessenheit geraten ist:
1. Scheckabgabe: Jeden Freitag am 15. bzw. letzten des laufenden Monats. 2. Auftreten bei der Kundschaft:
Freundlich, korrekt und keine Diskussionen über Fahrpreise. Differenzen mit Zentrale besprechen. 3.
Auftragsmeldung: Bei jedem Ein- bzw. Ausladen melden. 4. Vorschüsse: Nur noch im äußersten Notfall, da durch die
schleppende Zahlungsweise unserer Kunden jeder Vorschuss der Firma M. Verzugszinsen kostet. 5. Kurzurlaub:
Mitteilung an die Dispo mindestens 1 Tag vorher. 6. Jahresurlaub: Mitteilung an die Dispo mindestens 4 Wochen
vorher.
Die angesprochenen Punkte dienen dem reibungslosen Geschäftsablauf und führen zu zufriedenen Kunden und somit
zu mehr Umsatz und mehr Auslastung. Mit freundlichen Grüßen ..."
In der Klageerwiderung hat die Beklagte den Standpunkt vertreten, nach dem Inhalt des Vermittlungsvertrages sei der
Kläger eindeutig Unternehmer und nicht abhängig beschäftigt gewesen. Hinzu komme, dass er für die Ausübung
dieser Tätigkeit ein selbständiges Unternehmen angemeldet und eine Verkehrshaftpflichtversicherung abgeschlossen
habe, wie dies sonst nur für selbständige Tätigkeiten üblich sei.
Das SG hat E als Zeugen einvernommen und die Beklagte mit Urteil vom 29.07.2005 unter Aufhebung des
Bescheides vom 19.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2003 verurteilt, dem Kläger
Insolvenzgeld aufgrund seines Antrages vom 17.07.2002 in Höhe von 7.831,47 Euro zu zahlen. Aus den
Gesamtumständen ergebe sich, dass der Kläger bei der Firma M. beschäftigt gewesen sei und somit als
Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld habe.
Mit der dagegen eingelegten Berufung vom 03.02.2006 macht die Beklagte geltend, der Kläger sei selbständig tätig
gewesen. Bei einem Frachtführer begründe die Notwendigkeit einer bestimmten Terminvorgabe kein Indiz für eine
Abhängigkeit. Wenn der Firmeninhaber einräume, die Zeiteinteilung sei nicht so frei gewesen, wie vertraglich
vorgesehen, handele es sich um eine substanzleere Aussage. Dies gelte auch für die Aussage einer "Behandlung wie
Angestellte" durch den Mitarbeiter des Firmeninhabers O ... Eine zwingende Meldepflicht habe es nicht gegeben. In §
7 Nr. 1 des Vertrages habe es sich lediglich um eine Sollvorschrift gehandelt. Die Regelung in § 7 Nr. 2 ("Falls die
Ausführung eines bereits angenommenen Auftrages- gleichgültig aus welchem Grunde - nicht möglich ist (z.B. leichter
Verkehrsunfall), hat der TU M. unverzüglich zu benachrichtigen, damit dieser von einem anderen TU ausgeführt
werden kann") stehe im Interesse aller Beteiligten, so insbesondere des Kunden, nämlich umgehend einen Ersatz zu
bekommen. Aus einer Meldung in der Praxis könne keine zwingende Verpflichtung abgeleitet werden. Das angeführte
Rundschreiben sei nicht datiert. Der vom Kläger vorgelegte Ausdruck sei anders adressiert als der in Kopie vorgelegte
Ausdruck. Es sei unklar, wann der Kläger das Rundschreiben erhalten hat. Die nicht vom Kläger vorgenommene
Preisgestaltung sei kein Indiz für seine Abhängigkeit. Der Druck eines Disponenten begründe sicher einen Zwang,
dieser sei aber wirtschaftlich zu sehen und nicht persönlich. Der Kläger solle sein Exemplar des Arbeitsvertrages
vorlegen. Ein Frachtführer übe ein selbständiges Gewerbe auch dann aus, wenn er als Einzelperson ohne weitere
Mitarbeiter nur für einen Spediteur tätig sei und beim Transport ein dem Firmenzeichen des Spediteurs ausgestattetes
eigenes Fahrzeug einsetze. Der Kläger sei mit Fahrzeug Nummer 25 gefahren. Für die Kennzeichnung habe es keine
verpflichtende Regelung gegeben. Auch bezüglich des Urlaubs gelte, dass aus einer Handhabung in der Praxis könne
keine zwingende Verpflichtung abgeleitet werden könne. Es sei unerklärlich, warum von den zuletzt 15 Fahrern nur
fünf Insolvenzgeld beantragt hätten. Es sei Sache des Klägers, zu erklären, warum nur er und vier andere
Insolvenzgeld beantragen würden und sofort wieder bei einem anderen Unternehmer weiter als Kurierfahrer tätig seien.
Die Abrechnungsgutschrift für Mai 2002 sei bisher ungeklärt mit dem Datum 10.04.2002 versehen.
Dagegen machte der Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend, wegen der Vorgabe, die Aufträge jeweils
unverzüglich zu erfüllen, sei von einem umfassenden Weisungsrecht der Firma M. auszugehen. Er habe sich jeden
Wochentag gegen 7.30 Uhr bei der Firma M. fernmündlich zum Einsatz melden müssen. Die Meldepflicht sei bei
Vertragsabschluss bereits vereinbart worden. Bei der Einstellung sowie bei sämtlichen Personalgesprächen sei dies
immer wieder wiederholt worden. In diesem Zusammenhang seien auch "arbeitsrechtliche Konsequenzen" angedroht
worden. Soweit die Beklagte sich darauf berufe, dass das Rundschreiben ("W 8") nicht an den Kläger adressiert ist,
da dieser nicht "W 8" gefahren habe, sei dies nicht zutreffend. Auch er habe dieses Rundschreiben - durch welches
sämtliche Nebenpflichten im Rahmen des Vertragsverhältnisses geregelt worden seien - von der Firma M. erhalten.
Es sei von der Firma M. an alle Mitarbeiter ausgegeben worden. Sein eigenes Exemplar habe er nicht mehr, habe
jedoch das gleiche erhalten. Wegen der strikten Anweisungen, durch welche die Routen vorbestimmt gewesen seien,
sei von einer Weisungsabhängigkeit auszugehen. Nach der Bereitstellung sei immer umgehend der Einsatz nach
Weisung der Firma M. erfolgt. Er habe die Entgelte nicht selbst abgerechnet und nicht in voller Höhe erhalten, sondern
habe prozentual die Firma M. hieran beteiligen müssen. Er habe lediglich eine Pauschalvergütung bekommen. Er
habe auch nicht Dritte zur Leistungserbringung einsetzen dürfen. Vom Firmeninhaber habe er klare Anweisungen
bezüglich der Durchführung seiner Tätigkeit erhalten und die Aufträge unverzüglich erfüllen müssen. In seinem
Fahrzeug sei an der Windschutzscheibe ein Schild der Firma M. A-Stadt anzubringen gewesen, auf welchem "M.
Kurierfahrer Wagen 25" gestanden habe. Diese Verpflichtung habe sich aus einer Anweisung durch die Firma M.
ergeben. Auch hier sei mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht worden, soweit er sich weigern würde, ein
solches Schild in seinem Wagen anzubringen. Urlaub musste rechtzeitig angemeldet und abgesprochen werden. Wie
der Zeuge E bereits im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens bestätigt habe, sei jedoch Druck ausgeübt worden.
Weshalb die übrigen 10 Mitarbeiter keinen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt hätten, entziehe sich seiner Kenntnis. Er
habe ca. 400,00 DM monatlich an die Firma M. als Funkgebühr bezahlen müssen. Nachdem die Funkgeräte vom
Konkursverwalter einer anderen Firma beschlagnahmt worden sind, hätten die Fahrer auf eigene Kosten ein Telefon
im Auto unterhalten müssen.
Im Erörterungstermin vom 24.04.2008 sind die Fahrer S., F., D. sowie der früheren Firmeninhaber E als Zeugen
vernommen. E hat ausgesagt, der Disponent O. habe die Fahrer genötigt, Aufträge anzunehmen, auch wenn sie nicht
mehr wollten. Schon im sozialgerichtlichen Verfahren habe er erklärt, dass die Fahrer letztlich nicht so frei in ihrem
Entscheidungsspielraum gewesen seien, wie ursprünglich vertraglich vorgesehen. O. habe Druck auf die Fahrer
ausgeübt und diese oft "wie Angestellte" behandelt.
Die Zeugin S. hat angegeben, wenn sie einen Auftrag der Fa. M. abgelehnt hätte, weil sie für eine andere Firma
gerade gefahren wäre, hätte sie damit rechnen müssen, keine Aufträge mehr zu bekommen.
Der Zeuge F. hat mitgeteilt, man sollte auch am letzten Zielpunkt auf einen weiteren Auftrag warten, da dann der
Disponent die Aufträge am schnellsten vergeben konnte. Er habe versucht, für einen weiteren Auftraggeber zu fahren,
dies ließ sich aber zeitlich nicht koordinieren. Er hätte keine Aufträge mehr bekommen, wenn er noch für eine andere
Firma gefahren wäre.
Der Zeuge D. hat angegeben, O. habe mitgeteilt, dass er keine Aufträge ablehnen dürfe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.07.2005 aufzuheben.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München insoweit abzuändern als die Beklagte unter Aufhebung
des Bescheides vom 19.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbe- scheides vom 01.09.2003 nur zur Zahlung von
Insolvenzgeld unter Zugrundele- gung von 7.831,47 EUR Brutto zu verurteilen sei und im Übrigen die Berufung
zurückzu- weisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug
genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Berufung der Beklagten (§§
143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist im Wesentlichen unbegründet.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2
SGG zugestimmt haben.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 19.11.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01.09.2003, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger Insolvenzgeld für den
Zeitraum vom 01.05.2002 bis zum 10.07.2002 in Höhe 7.831,47 Euro zu zahlen.
Dem Kläger steht für den Zeitraum vom 01.05.2002 bis zum 10.07.2002 ein Anspruch auf Insolvenzgeld zu. Gemäß §
183 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch III (SGB III) in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10.12.2001 (BGBl. I S. 3443) haben Arbeitnehmer
unter anderem Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des
Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle
Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (§ 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III).
Der Kläger war entgegen der Ansicht der Beklagten im fraglichen Zeitraum bei der Firma M. A-Stadt (M.)
versicherungspflichtig beschäftigt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist Beschäftigung die
nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Beschäftigungsverhältnis.
Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit beurteilt sich nach dem Gesamtbild
der Tätigkeit. Liegen nach den Umständen des Einzelfalles sowohl Merkmale der Abhängigkeit als auch der
Selbständigkeit vor, kommt es darauf an, welche Merkmale überwiegen (z.B. Bundessozialgericht (BSG) vom
29.01.1981, BSGE 51, 164). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen
von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (so z.B. BSG, Urteil vom 18.12.2001, SozR 3-
2400 § 7 Nr. 20 S 78).
Für den Grad der persönlichen Abhängigkeit sind folgende Merkmale kennzeichnend: Eine enge
Weisungsgebundenheit durch Eingliederung in ein hierarchisches System, insbesondere durch Unterstellung unter ein
durch andere ausgeübtes Befehls- und Kontrollsystem, ein fremdbestimmter Aufgabenkreis verbunden mit der Pflicht,
andere, auch nicht unmittelbar zum Aufgabenkreis gehörende Aufgaben zu übernehmen, die Bindung an einen
bestimmten Arbeitsplatz oder an eine den Arbeitsplatz bestimmende Tätigkeit, die Bindung an geregelte
Arbeitszeiten, verbunden mit der Pflicht, regelmäßig zu erscheinen, Unterbrechungen z.B. Urlaub genehmigen zu
lassen und Verhinderungen anzuzeigen und die Verpflichtung, Arbeitszeit und Arbeitskraft nicht beliebig anderweitig
zu verwerten. Die selbständige Tätigkeit demgegenüber wird geprägt durch freie Verfügung über die Arbeitskraft
verbunden mit der Befugnis, übernommene Verrichtungen selbst zu erledigen oder durch Dritte erledigen zu lassen,
eine weitgehend frei gestaltete Tätigkeit und beliebige Arbeitszeit sowie ein frei gewählter Arbeitsplatz, soweit die zu
erbringende Leistung dies zulässt, die uneingeschränkte Befugnis, gleichzeitig für andere Auftraggeber tätig zu sein,
und das eigene wirtschaftliche Risiko für den Erfolg der Arbeit, als eigentlich entscheidendes Merkmal (Bayerisches
Landessozialgericht, Urteil vom 23.01.2003, L 4 KR 111/00, zitiert nach juris).
Wie das BSG (Urteil vom 22.06.2005, SozR 4-2400 § 7 Nr. 5) dargelegt hat, sind Transportfahrer jedenfalls dann
abhängig beschäftigt, wenn ihre Weisungsgebundenheit über das Maß an Weisungsunterworfenheit hinausgeht, dem
Frachtführer in Bezug auf die anvertraute Ware sowohl von Seiten des Spediteurs als auch des Absenders und des
Empfängers des Frachtgutes nach § 418 Handelsgesetzbuch unterliegen. Dies ist z.B. dann gegeben, wenn dem
Kurierfahrer der Start - und der Endpunkt seiner täglich sieben bis acht Stunden dauernden Tour vorgegeben sind,
aufgrund der eng kalkulierten Fahrzeiten kein Gestaltungsspielraum mehr für den Kurierfahrer besteht, praktisch über
die gesamte Arbeitskraft verfügt wird und damit die Möglichkeit, für andere Kunden Transporte durchzuführen, nur
eine theoretische bleibt (vgl. auch: LSG Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 13.09.2007, L 5 R 5/06 und LSG Hessen,
Urteil vom 19.10.2006, L 8/14 KR 1188/03, beide Urteile zitiert nach juris; LSG Berlin vom 27.10.1993, NZS 1994, 409
ff.).
Eine derartige gesteigerte Weisungsunterworfenheit lag bei dem Kläger nach den Gesamtumständen vor. Eine
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und eine frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit hatte dieser nicht,
wie bereits das SG schlüssig dargelegt hat. Entscheidend ist, dass der Gesamttagesablauf des Klägers durch die
Firma M. vollständig geplant und festgelegt war.
Dies steht für den Senat fest aufgrund der vorgelegten Unterlagen aus den Akten der Beklagten, dem Ergebnis der
durchgeführten Beweisaufnahme durch das SG und der durchgeführten Beweisaufnahme mit den Aussagen der
vernommenen Zeugen E, S., F. und D ...
Danach ergibt sich folgendes Tätigkeitsbild: Der Kläger meldete sich morgens telephonisch bei dem Disponenten der
Firma M. an und wurde für Kurierfahrten eingeteilt. Dies mussten auch die anderen Fahrer. Feste Arbeitszeiten
bestanden nicht. Der Kläger arbeitete aber zum Teil mehr als 50 Wochenstunden für die Firma M ... Während des
Tages standen die verschiedenen Fahrer im Funkkontakt mit dem Disponenten, der die weiteren Kurierfahrten vergab.
Wie die Aufträge abzuwickeln waren, war einheitlich festgelegt, teils schriftlich, teils mündlich und es erfolgten auch
Rundschreiben, in denen durch die Betriebsleitung an die anzuwendenden Grundsätze und Verfahrensabläufe erinnert
wurde, so z.B. zur Scheckabgabe, Auftreten gegenüber der Kundschaft, Besprechung von Differenzen nur mit der
Zentrale, Auftragsmeldung, Vorschusszahlung, Kurzurlaub und Jahresurlaub. Die Preisgestaltung lag alleine in den
Händen der Firma M ... Der Kläger erhielt das Entgelt für seine Fahrten aufgrund der Abrechnung nur über M. und in
Form von monatlichen Pauschalvergütungen unter prozentualer Beteiligung der M ... Eine Inkassovollmacht hat er
nicht besessen. Nach Erhalt der Aufträge waren diese durchzuführen. Er hatte für die Fahrten seinen Wagen zur
Verfügung zu stellen, der die Nummer 25 erhielt, und an dem auch das Schild der Firma M. angebracht war. Ein
eigenes Firmenschild hatte der Kläger nicht. Urlaub musste angemeldet werden. War der Urlaubswunsch aus der
Sicht des Disponenten unpassend, wurde er in der Regel zurückgestellt um weiter Aufträge zu erhalten.
Zwar spricht die Tatsache, dass der Kläger seinen eigenen Wagen für die Kurierfahrten benutzte, Lohnsteuer,
Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt wurden und dass er keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
hatte, für eine selbständige Tätigkeit, ebenso dass er seine Tätigkeit als Gewerbetreibender angemeldet und eine
Verkehrshaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte.
Diese Elemente sind aber bei einer Gesamtwertung geringer zu gewichten als die für eine abhängige Beschäftigung
sprechenden Gesichtspunkte. Nach den glaubhaften Aussagen der einvernommenen Zeugen bestand die Pflicht, sich
jeweils zu Arbeitsbeginn anzumelden. Ab dieser Anmeldung war der Kläger in den Betrieb eingegliedert und konnte
keine eigenen Entscheidungen treffen sondern hatte sich dem Management des Disponenten unterzuordnen, was
Zeit, Ort und Art der Ausführung der Kurierfahrten betraf. Sein Kraftfahrzeug war mit einer Nummer der Firma und mit
dem Firmenlogo gekennzeichnet, er bekam über Funk die verschiedenen Aufträge zugesprochen, die er ohne die
Gefahr, keine weiteren zu bekommen, nicht ablehnen konnte. In diesem System arbeitete er nach den
Abrechnungsunterlagen wie vom Insolvenzverwalter mitgeteilt, mehr als 50 Stunden pro Woche. Damit schied für ihn
aus, noch weitere Arbeiten neben dieser Tätigkeit auszuüben zu können bzw. es handelte sich nur um eine
theoretische Möglichkeit. Auch der von ihm gestellte Kurierwagen schied damit für weitere Fahrten aus, denn dem
Kläger war nicht erlaubt, Aufträge an Dritte weiterzugeben. Arbeitnehmer hat er selbst nicht beschäftigt. Der Kläger
stand damit während seiner Tätigkeit für die Firma M. in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.
Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Insolvenzgeld ist, dass bei Eintritt des Insolvenzereignisses noch
Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis auf rückständige Arbeitsentgeltansprüche bestehen, die
noch durchsetzbar sind und nicht z. B. durch Erfüllung erloschen sind (vgl. Niesel, SGB III, 2. Aufl., § 183 RdNr. 56).
Im vorliegenden Fall wurde am 11.07.2002 das Insolvenzverfahren über die Firma M. eröffnet, das Insolvenzereignis
nach § 183 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist damit zu diesem Zeitpunkt eingetreten. Es bestanden auch noch
Ansprüche des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis (s.o.) auf rückständige Arbeitsentgeltansprüche.
Die Zahlungen für Mai 2002 in Höhe von 3.185,41 Euro, Juni 2002 in Höhe von 3.253,56 Euro und 01. bis 10.07.2002
in Höhe von 1.392,50 Euro, insgesamt damit 7.831,47 Euro sind der Höhe nach unbestritten und sind an den Kläger
nicht mehr ausbezahlt worden, da dies dem Firmeninhaber E nicht mehr möglich war. Damit sind die
Voraussetzungen des § 183 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB III erfüllt.
Nach § 185 SGB III steht das Insolvenzgeld nur als Nettobetrag zu. Die Berufung war daher nur insoweit begründet
und dem Kläger Insolvenzgeld unter Zugrundelegung eines Bruttobetrages von 7.831,40 Euro zuzusprechen. Denn
nach § 185 Abs. 1 SGB III wird das Insolvenzgeld in Höhe des Nettoarbeitsentgelts geleistet, das sich ergibt, wenn
das Arbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).