Urteil des LSG Bayern vom 28.06.2001

LSG Bayern: berufskrankheit, berufliche tätigkeit, behandelnder arzt, anerkennung, belastung, entschädigung, mrt, befund, wissenschaft, mechaniker

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.06.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 8 U 233/96
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 266/99
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29.04.1998 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird ncht zugelassen.
I.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, das Wirbelsäulenleiden des Klägers als
Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKVO - anzuerkennen und zu
entschädigen.
Der am 1933 geborene Kläger ist gelernter Kfz-Handwerker. Er war ab 1948 bei verschiedenen Firmen als
Lagerarbeiter, Aushilfsarbeiter, Lkw-Fahrer und ähnliches tätig. Ab 1961 war er bei der Firma L. als Bierausfahrer und
ab 1971 bei der Schlossbrauerei H. in der Kfz-Werkstätte als Schlosser und Mechaniker beschäftigt. Am 28.11.1994
zeigte der Allgemeinarzt Dr.T. das Vorliegen einer Berufskrankheit an. Der Kläger habe seit 20 Jahren zunehmende
Rückenbeschwerden; es seien Bandscheibenschäden im Bereich der Wirbelsäulenabschnitte L3/L4, L4/L5 und L5/S1
bekannt, welche zu wiederholten orthopädischen Behandlungen Anlaß gegeben hätten. Die Gesundheitsstörungen
führe er auf Abnutzungen infolge von Heben und Tragen schwerer Lasten zurück. Die Firma H. bestätigte am
07.11.1994, der Kläger habe im Werkstattdienst Motore, Aggregate und Flaschenverkaufsautomaten zu reparieren und
betreuen gehabt. Dabei seien schwere Lasten zu heben gewesen. Die radiologische Praxis Dr.L. teilte den Befund
einer Magnetresonanztomographie - MRT - vom 12.04.1994 der Lendenwirbelsäule mit. Die orthopädische Praxis
Dr.K. beschrieb am 08.04.1994 dort erhobene Befunde vom 07.04.1994 einschließlich Röntgenbefunde. In einem
Arztbrief des Dr.S. vom 22.03.1990 werden ebenfalls Befunde an der Wirbelsäule wiedergegeben. Die Beklagte erholte
eine Leistungsauskunft der AOK. Dort sind Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumbago ab 05.06.1989 festgehalten.
Neuere Befunde zum Verlauf der Wirbelsäulenerkrankung teilte Dr.K. am 28.01.1995 mit. Die radiologische Praxis
Dr.B. u.a. beschrieb am 15.04.1994 das Ergebnis einer Ganzkörperknochenszintigraphie. In einer Anzeige der
Schlossbrauerei H. vom 16.02.1995 heißt es, der Kläger habe als Kfz-Mechaniker, Schlosser und Hausmeister
gearbeitet und dabei regelmäßig schwere Arbeit verrichten und bei Lackierarbeiten mit Nitro- und Kunstharzlacken
umgehen müssen. Seit 01.01.1995 sei er in Rente. Die Beklagte beauftragte ihren Technischen Aufsichtsdienst - TAD
- die Arbeitsbedingungen des Klägers festzustellen. Bei einer Befragung des Klägers am 22.03.1995 wurden die
einzelnen Verrichtungen zwischen 1961 und 1970 und 1971 bis 1994 erfasst. Auf Anregung des Gewerbearztes
beauftragte die Beklagte Prof.Dr.W. , Rheumazentrum B. , Orthopädische Klinik, mit der Erstattung eines
Zusammenhangsgutachtens. Am 24.08.1995 legte der Sachverständige dar, nach den derzeitigen medizinischen
Erkenntnissen müsse gefordert werden, dass ein Versicherter ab dem 40. Lebensjahr Lastgewichte von über 20 kg in
über 50 % der Arbeitsschichten habe heben müssen und zwar über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren.
Beim Kläger zeige sich eine allgemeine Degeneration der gesamten Wirbelsäule, besonders der beiden unteren
Lendenwirbelsäulensegmente. Dies entspreche einem altersgemäßen Ausmaß, wie es auch ohne langjährige
körperliche Belastung häufig aufzutreten pflege. Ein besonderer Verschleiß mit Instabilität der oberen
Lendenwirbelsäulen- und unteren Brustwirbelsäulensegmente läge nicht vor. Eine Berufskrankheit sei nicht zu
befürworten. Auf dieses Gutachten und die Stellungnahme des Gewerbeärztlichen Dienstes vom 27.12.1995 gestützt
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.02.1996 die Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenerkrankung
als Berufskrankheit und Leistungen nach § 3 BKVO ab. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid
vom 25.07.1996).
Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben. Dieses hat die einschlägigen medizinischen
Unterlagen beigezogen und auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) den Chefarzt der
Orthopädischen Klinik am Klinikum P. , Prof.Dr.G. , zum Sachverständigen bestellt. In seinem Gutachten vom
17.02.1998 ist dieser zum Ergebnis gekommen, aufgrund der objektivierbaren, bildgebenden Diagnostik und in
Übereinstimmung mit den klinischen Befunden seien beim Kläger im Lendenwirbelsäulenbereich Veränderungen
nachzuweisen, welche denen an den anderen Wirbelsäulenabschnitten deutlich vorauseilten. Zwar seien auch in
anderen Bereichen der Wirbelsäule, z.B. der Hals- und Brustwirbelsäule, degenerative Veränderungen zu erkennen.
Diese seien jedoch deutlich weniger ausgeprägt. Er befürworte daher die Anerkennung und Entschädigung einer
Berufskrankheit der Nr.2108. Die MdE betrage seit dem 01.01.1990 10 v.H. und seit dem 01.04.1994 (MRT-Befund
vom 12.04.1994) 20 v.H. Mit Urteil vom 29.04.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur
Begründung angeführt, die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Berufskrankheit der Nr.2108 in die Liste der
Berufskrankheiten aufzunehmen, sei rechtsfehlerhaft. Der Verordnungsgeber habe sich dabei ganz offensichtlich
ausschließlich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Gesicherte medizinische Erkenntnisse, die seine
Entscheidung begründen könnten, lägen nicht vor. Zwar sei dem Verordnungsgeber grundsätzlich ein weiter
Ermessensspielraum eingeräumt, den er jedoch insoweit überschritten habe, als er bei seiner Entscheidung nicht nur
den mangelnden Nachweis neuer medizinischer Erkenntnisse negiert habe, sondern gleichzeitig gegen die gesetzliche
Unfallversicherung kennzeichnende Grundsätze verstoßen habe. Danach habe die Beklagte im Ergebnis zu Recht die
Anerkennung und Entschädigung der Lendenwirbelsäulenbeschwerden des Klägers als Berufskrankheit abgelehnt.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 28.09.1998 hat der Senat den Rechtsstreit bis zur
Entscheidung des Bundessozialgerichts - BSG - über die anhängige Revision gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen vom 05.02.1998, welches wie das Sozialgericht Landshut die Aufnahme
bandscheibenbedingter Wirbelsäulenerkrankungen in die Anlage 1 der BKVO in der Fassung der 2.
Änderungsverordnung vom 18.12.1992 für unwirksam gehalten hat, ausgesetzt. Nach der Entscheidung des BSG
(Urteil vom 23.03.1999, Az.: B 2 U 12/98 R) ist das Verfahren fortgeführt worden. Der Senat hat die einschlägigen
Röntgenaufnahmen beigezogen und Prof.Dr.G. , Direktor der Klinik für Orthopädie am Klinikum der Technischen
Universität M. , mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Am 09.12.2000 hat dieser ausgeführt, in der Liste der
Berufe, die als bandscheibenbelastenden gelten, werde sowohl der Kfz-Handwerker als auch der Transportarbeiter
aufgeführt. Aufgrund der vom TAD erhobenen Arbeitsanamnese liege beim Kläger eine berufliche Tätigkeit von mehr
als drei Jahrzehnten mit Heben und Tragen schwerer Lasten während ca. zwei Stunden täglich vor. Additiv kämen
regelmäßige Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung hinzu. Eine wesentliche Teilursache infolge anderer Störungen,
wie etwa praediskotischer Deformitäten, läge nicht vor. Der Beurteilung von Prof.Dr.G. , wonach die Veränderungen an
der Lendenwirbelsäule und am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule denen an den übrigen
Wirbelsäulenabschnitten der Altersnorm vorauseilten, sei zuzustimmen. Damit sei die Voraussetzung zur
Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 erfüllt. Die MdE sei ab 01.01.1990 mit 10 v.H. und ab
01.04.1994 mit 20 v.H. einzuschätzen. Die Berufsaufgabe sei allerdings erst zum 01.01.1995 erfolgt. Die Beklagte hat
diesen Ausführungen eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr.G. entgegengehalten. Dieser hat am 10.02.2001
dargelegt, es sei bereits zweifelhaft, ob die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d.h. die Belastungen
während der Arbeitszeit, erfüllt seien. Hinzu komme, dass aufgrund der vorhandenen konventionellen
Röntgenaufnahmen und des MRT-Befundes der Degenerationsprozess an den Bandscheiben der unteren
Lendenwirbelsäule allenfalls im Segment L5/S1 nennenswertes Ausmaß erreiche. Im Übrigen liege beim Kläger ein
altersgemäßer Befund vor, wie Prof. Dr.W. bereits festgestellt habe. Hinzu komme, worauf auch Prof.Dr.G.
hingewiesen habe, dass der Kläger kaum arbeitsunfähig gewesen sei und keine Kurmaßnahmen in Anspruch
genommen habe. Dies deute auf eine recht gute Situation an der Lendenwirbelsäule hin. Das Verteilungsmuster der
degenerativen Veränderungen sei untypisch für eine belastungsbedingte Entstehung der Bandscheibenschäden. Der
Senat hat daraufhin Prof. Dr.S. , Chirurgische Universitätsklinik der Universität U., mit der Erstattung eines weiteren
Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Der Sachverständige hat am 14.04.2001 ausgeführt, es gäbe zwar bisher
keine gesicherte ärztliche Lehrmeinung, unter welchen Umständen von einer berufsbedingten
Bandscheibenerkrankung der Lendenwirbelsäule auszugehen sei. Beim Kläger seien jedoch davon abgesehen
konkurrierende Ursachen, nämlich degenerative Veränderungen an der Brust- und Halswirbelsäule vorhanden, die
gegen eine berufliche Verursachung sprächen. Der Aussage von Prof.Dr.G. , es seien keine praediskotischen
Veränderungen vorhanden, könne nicht gefolgt werden. Denn auf den Aufnahmen von 1992 lasse sich schon eine
Linksausbiegung mit Verdrehung der Lendenwirbelsäule erkennen, was auf einen besonderen anlagebedingten
Belastungsfaktor deute. Die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 könne nicht befürwortet werden. Der
Kläger hat hierzu vortragen lassen, er könne sich mit dem Gutachten von Prof.Dr.S. nicht einverstanden erklären,
zumal sein behandelnder Arzt, der Orthopäde Dr.K. , ihn in seiner Meinung unterstütze. Er füge eine ärztliche
Bescheinigung dieses Arztes vom 08.05.2001 bei. Darin werde das Ergebnis einer kernspintomographischen
Untersuchung vom 27.03.2001 beschrieben.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 29.04.1998 und des
Bescheides om 02.02.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.1996 zu verurteilen, sein
Lendenwirbelsäulenleiden als Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und zu
entschädigen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29.04.1998
zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten
(Az.: 1/06316/94) sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Im Ergebnis hat das Sozialgericht zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung und
Entschädigung seiner bandscheibenbedingten Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach
der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO in der Fassung vom 18.12.1992 (BGBl.I, S.2343) in Verbindung mit den hier noch
anzuwendenden Vorschriften der §§ 551, 580, 581 Abs.1 Reichsversicherungsordnung - RVO - hat. Denn die darin
genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule dann als Berufskrankheit
anzuerkennen und zu entschädigen, wenn diese durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch
Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden sind. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung
aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser
Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein. Der Kläger hat seine Tätigkeit am 01.01.1995 aufgegeben. Ein Versicherungsfall
wäre frühestens zu diesem Zeitpunkt eingetreten, so dass gemäß § 212 7. Sozialgesetzbuch - SGB VII - die
Vorschriften der RVO anzuwenden sind. Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits
(haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits
(haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie
bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Der ursächliche Zusammenhang als Voraussetzung
der Entschädigungspflicht ist hingegen nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen
Bedingung zu bestimmen. Hierfür genügt grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße
Möglichkeit - (BSG Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 29/99 R).
Unstreitig liegt beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zumindest im Segment
L5/S1 vor. In diesem Punkt sind sämtliche im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen zur
selben Meinung gekommen. Der behandelnde Orthopäde Dr.K. berichtet in seinem vom Kläger vorgelegten Schreiben
vom 08.05.2001 über eine deutliche Höhenminderung des Bandscheibenraumes L5/S1 und eine Protrusion nach links.
Ob die vom Kläger in den Jahren ab 1961 bzw. 1971 ausgeübte Tätigkeit eine solche darstellt, die der
Verordnungsgeber in der Nr.2108 nennt, kann nicht eindeutig geklärt werden. Es muss sich um eine solche handeln,
die mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden war. Was unter langjährigem Heben und Tragen schwerer
Lasten zu verstehen ist, definiert der Verordnungsgeber nicht weiter. In den Merkblättern, die vom ärztlichen
Sachverständigenbeirat - Sektion Berufskrankheiten - beim Bundesminister für Arbeit erarbeitet worden sind, wird
ausgeführt, unter "langjährig" sei in der Regel ein Zeitraum von zehn Jahren zu verstehen. Allerdings stellen diese
Merkblätter lediglich rechtlich unverbindliche Hinweise für die Beurteilung im Einzelfall aus arbeitsmedizinischer Sicht
dar. Als antizipierte Sachverständigengutachten oder als Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse
der medizinischen Wissenschaft können sie nicht verwendet werden (BSG, SozR 3-5670 Anl.1 Nr.2108 Nr.2). Sie
stellen lediglich eine wichtige, nicht aber unbedingt ausreichende Informationsquelle für die Praxis dar. Bei Vorliegen
entsprechender gesicherter medizinischer Erkenntnisse kann bei intensiver Belastung auch ein kürzerer Zeitraum als
"langjährig" im Sinne dieser Vorschrift gelten. Wie schwer die Lasten sein müssen, die der Versicherte in seinem
Berufsalltag zu heben hatte, ist vom Verordnungsgeber ebenso wenig ausgeführt. Nach den Ausführungen von
Prof.Dr.S. ist es der medizinschen Wissenschaft seit der Aufnahme der BK Nr.2108 in die Liste der Berufskrankheiten
noch nicht gelungen, harte Kriterien zu entwickeln, die den Begriff des langjährigen schweren Hebens und Tragens
hinreichend definieren noch solche, die ein belastungskonformes Schadensbild festlegen würden. Dies gilt umsomehr
als es sich bei Wirbelsäulenerkrankungen um eine Volkskrankheit handelt, der mehr oder weniger jeder Mensch
unterliegt, wobei die degenerativen Veränderungen regelmäßig ab einem bestimmten Lebensalter, spätestens ab dem
65. Lebensjahrvorliegen. Somit ist zumindest zu fordern, dass bestimmte - durch das Heben und Tragen schwerer
Lasten beeinträchtigte - Wirbelsäulenabschnitte altersvorauseilend betroffen und in den anderen
Wirbelsäulenabschnitten keine degenerativen Veränderungen nachweisbar sind. Nur unter diesen Vorraussetzungen
ist es denkbar, dass die berufliche Belastung eine wesentliche Ursache für die Lendenwirbelsäulenschädigung
darstellt.
Beim Kläger zeigt das Kernspintomogramm vom 15.01.1991 lediglich Bandscheibenveränderungen im Segment L4 bis
S1 in deutlicher Ausformung. Ein Bandscheibenvorfall ist darauf ebenso wenig wie auf dem MRT von 1994 zu
erkennen. Ein Vorfall ist auch der Bescheinigung des Dr.K. vom 08.05.2001 nicht zu entnehmen. Dort heißt es
lediglich, es zeige sich eine Protrusion bei L5/S1. Daneben wird im Übrigen eine ausgeprägte Spondylose bei BWK
11/12 und BWK 12/L1 genannt, was darauf hindeutet, dass auch andere, durch Heben und Tragen nicht belastete
Wirbelsäulenabschnitte betroffen sind. Prof.Dr.S. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass man unter der
Annahme einer erheblichen beruflichen Belastung der Lendenwirbelsäule, einen Vorfall sogar hätte erwarten dürfen.
Hinzu kommt, dass degenerative Veränderungen auch an der Hals- und an der Brustwirbelsäule radiologisch
nachweisbar sind. Als weitere konkurrierende Ursache der Rückenbeschwerden ist eine gesicherte Retrolisthesis, also
eine Verschiebung der Lendenwirbelkörper L5 gegenüber L4 zu beachten. Der Senat schließt sich insoweit dem
Gutachten von Prof.Dr.S. und dem früheren im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof.Dr.W. , das er
im Urkundenbeweis verwerten kann, an. Wie zweifelhaft dem Grunde nach bereits die Anerkennung einer
Berufskrankheit nach der Nr.2108 sein kann, zeigen die den vorgenannten Gutachten widersprechenden Auffassungen
von Prof.Dr.G. und Prof.Dr.G ... Allerdings fehlt diesen Gutachten die Abwägung, ob es sich beim Kläger, der sich
zum Zeitpunkt der Berufsaufgabe - nur dieser Zeitpunkt ist maßgebend - im 62. Lebensjahr befunden hat, überhaupt
um einen altersvorauseilenden Befund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen handelt. Die unterschiedlichen
Standpunkte zeigen, dass insoweit die medizinische Wissenschaft keine Erkenntnisse gewinnen konnte, welche die
Abgrenzung zwischen altersüblicher Veränderung und solchen beruflicher Natur zulassen. In Anbetracht dieser
Unsicherheit kommt der Senat im hier zu entscheidenden Fall zum Ergebnis, dass eine ursächliche berufliche
Belastung nicht wahrscheinlich zu machen ist. Dies hat zur Folge, dass der Anspruch des Klägers auf Anerkennung
und Entschädigung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO
abgelehnt werden muss. Seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29.04.1998 war daher
zurückzuweisen.
Die Kostentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG abweicht und im Übrigen
keine Gründe im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG vorliegen.